oder: von der Selbstgerechtigkeit zur Erlösungsbedürftigkeit
„Jesus erzählte einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, dieses Gleichnis.“
So fängt es an. Und sofort spüre ich: Das wird unangenehm.
Denn wer hört schon gern, dass er vielleicht zu sicher von sich denkt?
Natürlich sind wir nicht gemeint.
Wir sind ja nicht selbstgerecht. Wir verachten niemanden.
Oder doch?
Manchmal – ganz unbemerkt – rutschen wir genau da hinein.
Ein Gedanke, ein Urteil, ein leiser Blick auf andere:
„Ich würde das so nicht machen…“
Und schon stehe ich mitten im Tempel,
neben dem Pharisäer.

Ich sehe ihn vor mir.
Seine Haltung ist aufrecht, das Gewand sorgfältig geglättet.
Er meint es ernst, ehrlich.
Er will Gott gefallen.
Er hält die Gebote, er betet, er fastet, er gibt den Zehnten.
Ein Mensch, der sich bemüht.
Aber während er betet,
verengt sich etwas in seinem Herzen.
Sein Dank klingt hohl:
„Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die anderen…“

Er schaut auf andere hinab –
und merkt nicht, dass er damit Gott selbst aus dem Blick verliert.
Sein Glaube wird zum Spiegel,
in dem er sich selbst bewundert.
Und Gott – steht irgendwo am Rand.
Dann, ein paar Schritte weiter hinten,
steht der andere.
Der Zöllner.
Einer, den keiner im Tempel haben will.
Er gehört zu den Leuten, die man lieber übersieht.
Einer, der vom System profitiert hat,
der Geld genommen hat, wo er konnte.
Aber jetzt steht er da –
still, beschämt, mit gesenktem Kopf.
Er hat keine großen Worte, keine frommen Formeln.

Nur diesen einen Satz:
„Gott, sei mir Sünder gnädig.“
Ein Satz – aber einer, der aus der Tiefe kommt.
Ein Gebet, das mehr Tränen als Worte enthält.
Ein Gebet, das sich traut, ehrlich zu sein.
Und Jesus sagt:
Dieser ging gerechtfertigt nach Hause zurück.
Er – nicht der andere.
Ich stelle mir das vor.
Wie der Zöllner den Tempel verlässt,
die Sonne ihn blendet,
und er zum ersten Mal seit langem wieder aufrecht geht.
Nicht, weil er alles richtig gemacht hätte.
Sondern, weil er erfahren hat:
Gott sieht ihn.
Und Gott hat Erbarmen.
Ich denke an Momente,
in denen ich selbst um Verzeihung bitten musste.
Wenn ich jemanden verletzt hatte,
wenn ich nicht weiter wusste.
Wie schwer es war, das auszusprechen.
Aber wenn der andere spürte, dass es mir ernst war,
dann konnte etwas Neues entstehen.
Das Verhältnis veränderte sich.
Da war plötzlich Luft.
Wärme.
Leben.
Vielleicht ist das genau das,
was Jesus uns mit dieser Geschichte schenken will.
Einen neuen Blick.
Auf Gott –
und auf uns selbst.
Denn wir alle stehen irgendwann da
wie der Pharisäer – sicher, überzeugt, stark.
Und wir alle stehen irgendwann da
wie der Zöllner – beschämt, zerbrochen, ehrlich.
Beide Male sieht Gott uns an.
Und sagt:
„Komm. Ich kenne dich. Ich liebe dich. Ich bin dir gnädig.“
Vielleicht ist das am Ende das Schönste an dieser Geschichte:
dass sie gar nicht schwarz-weiß bleibt.
dass Gott weder den einen verdammt noch den anderen verklärt.
sondern dass er beide Seiten in uns sieht –
den Stolzen und den Zerbrochenen –
und diese beiden Seiten in seiner Liebe in uns zusammenführt
und versöhnt!
„Zwei Menschen gingen hinauf zum Tempel, um zu beten…“
Einer von ihnen bin ich.
Oder vielleicht – beide?!


