Was man nicht sieht …
Leben mit einer ‚unsichtbaren‘ Erkrankung
Seit über 25 Jahren steht bei mir die Diagnose: Reizdarm-Syndrom (RDS oder ‚colon irritable‘). Und seit dieser Zeit kämpfe ich mit der Akzeptanz durch mein Umfeld. Denn es handelt sich zumeist bei mir um eine ‚unsichtbare‘ Erkrankung. Ich will damit sagen, dass man es mir quasi nicht ansieht.
Wenn es mir schlecht geht, sieht man mich nicht, weil ich dann meistens zu Hause bin oder sonst wie zurückgezogen bin. Die Beschwerden machen es mir dann unmöglich, unter die Leute zu gehen oder Termine wahrzunehmen.
Nur wenn die Beschwerden während einer Begegnung oder Veranstaltung beginnen, merkt es mein Umfeld, weil ich dann – recht spontan – diesen Termin abbrechen muss.
Heute wieder …
Heute ist wieder so ein Tag. Gegen 8.30 Uhr bekam ich Darmkrämpfe und habe fast zweieinhalb Stunden meine Zeit im Bad oder auf dem Bett verbracht. Dabei lag mir ein wichtiger Hausarzt-Termin im Nacken.
‚Werde ich es schaffen, doch noch das Haus frühzeitig verlassen zu können?“, schwirrten meine Gedanken durch den Kopf.
Erst quasi in letzter Minute konnte ich mich auf den Weg machen. Aber die Krämpfe waren noch nicht ganz weg. Einerseits ganz gut, weil ich es beim Arzt thematisieren konnte.
Aber andererseits wieder diese ständigen Gedanken in meinem Kopf: „Nehmen mir das die anderen auch ab? – Ich kann mich ja wieder in der Öffentlichkeit bewegen.“
Das zweite Leiden am Reizdarm
Neben den primären somatischen Beschwerden wie Blähungen und Durchfall, aber auch manchmal horrende Darmkrämpfe plagt mich die Frage, ob man mir glaubt? – Jetzt ist es 13.30 Uhr und ich habe immer noch leichte Krämpfe. Sie sind da, aber ich kann trotzdem diese Zeilen schreiben. Seit über 25 Jahren arrangiere ich mich und versuche mein Leben so beständig wie möglich zu gestalten.
Nun bin ich durch die stundenlangen Schmerzen aber auch erschöpft.
Das zweite Leiden des Reizdarms ist eine psychologische Dimension.
Als ich 2013 meinen rechten Unterschenkel gebrochen hatte, war das für mein Umfeld kein Problem: die OP, die Physiotherapie, die Gehilfen und alles andere waren so offensichtlich, dass klar war: Gerd ist krank bzw. arbeitsunfähig.
Einen Reizdarm aber sieht man nicht.
Dennoch zwingt er mich, mich nach ihm zu richten, auch durch Auszeiten und Selbstfürsorge.
Zur Selbstfürsorge gehört dann auch, Grenzen zu stecken, weil mich die jahrelange Erfahrung gelehrt hat: wenn ich die Grenzen nicht einhalte, dann bekomme ich recht bald dafür die Quittung.
So müssen also Menschen aus meinem Umfeld damit leben, dass ich Anfragen nicht annehme und sie sich dabei vielleicht denken: ‚Aber das könnte er doch übernehmen!‘ –
Ja, ich würde es schaffen. Doch danach wird es mir wieder schlechter gehen; ich werde wieder Stress bekommen, weil ich die Beschwerden nicht im Griff habe; ich werde wieder Termine absagen müssen, weil ich nicht fit bin.
Der Reizdarm lehrt mich, in größeren Zusammenhängen zu denken und auch zu agieren. Besonders schwierig wird es, wenn ich angefragt werde, irgendwo kurzfristig einzuspringen. Wenn ich das mache, zahle ich später oft den Preis dafür.
Mein Reizdarm sagt mir, dass ich strukturiert arbeiten muss und ich mir immer wieder auch zwischendurch Phasen der Erholung, Rekreation gönnen muss.
Aber versucht das mal, deinem Umfeld klar zu machen, wenn die dich nur sehen und erleben, wenn es dir gut geht und du augenscheinlich ‚fit‘ bist.
Es bleibt schwierig.
Ist nur ein „Gelesen-Like“, kein „Gefällt mir“… Denn das mangelnde Verständnis der Gesellschaft auf solchen Gebieten ist wirklich furchtbar. 😟
Alles Gute für dich. VVN