Ich habe bei meiner Wohnung einen netten Balkon, recht groß und sehr sonnig. Im Frühjahr überlege ich immer wieder, wie ich ihn nun gestalten und bepflanzen könnte. Und wenn ich dann die Solitärbienen sehe, die heimelig surrend meine Insektenhotels umschwirren, denke ich mir: “ … Du musst auch an sie denken. Gestalte es also möglichst insekten- und bienenfreundlich…“ Denn bei uns am Haus ist es fast gar nicht bienenfreundlich: immergrüne Pflanzen, Lorbeer-Hecken, Rasen, aber nichts, was wirklich blüht und für Insekten auch nur halbwegs interessant wäre – eine ‚grüne Wüste‘, wie ich es immer bezeichne.
Da möchte ich einen Kontrapunkt zu setzen. Also säe ich Blumensamen aus, am besten viele verschiedene Kräuter, die zu unterschiedlichen Zeiten wachsen und blühen, und in vielen verschiedenen Farben.
Wenn die Sämlinge dann austreiben und heranwachsen, sehe ich zwischendurch auch einige Grasbüschel, die sich da breit machen wollen.
Soll ich die einfach herausreißen? Sie wissen vielleicht, dass manche Gräser eine blöde Eigenschaft besitzen: sie treiben unterirdisch ziemlich breites Wurzelwerk aus. Wenn ich jetzt daran ziehe, rupfe ich mit einem Mal auch die Pflanzen aus, die ich eigentlich wachsen lassen wollte. Nun ist guter Rat gefragt. Also halte ich diese Gräser im Blick und schneide sie immer wieder und beharrlich ab, damit sie den anderen Blühpflanzen keine Nahrung weg nehmen, diese weiter wachsen können und ich sie nicht zusammen mit dem Gras herausreiße.
Ich weiß nicht, ob das gerade gärtnerisch ‚richtig‘ ist, aber ich mache es so. Das erinnerte mich an das heutige Evangelium.
Da ist unter die ‚gute Saat‘ etwas gekommen, was sich in verschiedener Weise destruktiv auf diese gute Saat auswirkt.
Im Evangelium heißt es „Unkraut“. Und dieses Unkraut wurde immer wieder mit dem Bösen gleich gesetzt.
Ich bezeichne es – um im Bild des heutigen Evangeliums zu bleiben – als das Destruktive. Das ist offener und zugleich klarer. Denn das Destruktive sind Einflüsse und Umstände, die das, was Erstrebenswert ist, hindern, zu wachsen und zu reifen.
Und dieses Erstrebenswerte kann Vieles sein; zuallererst natürlich die Liebe. Ist sie destruktiven Kräften ausgesetzt, wird sie klein gehalten oder verkümmern. Deshalb bezeichne ich auch den Gegensatz von Liebe nicht als das Böse, sondern als ‚Mangel an Liebe‘.
Immer wieder dort, wo die Liebe zurückgedrängt, begrenzt und eingeengt wird und nicht zur Entfaltung kommen kann, haben wir es mit der Macht des Destruktiven zu tun.
Das heutige Gleichnis sagt mir: Ich möchte die gute Saat aussäen, ich möchte, dass die gute, die gewollte und beabsichtigte Saat aufgeht und wachsen kann. Wenn ich dann sehe, dass dazwischen auch destruktive Saaten anfangen zu gedeihen und zu wachsen, dann mag ich sie – oberflächlich betrachtet – einfach herausreißen wollen. Aber bei näherer Betrachtung kann ich sehen, dass die Wurzeln des Destruktiven auch schon ihr Werk getan haben; sie sind viel tiefer ins Erdreich hinein gewachsen, oberflächlich kaum zu erkennen und sie nähern sich dem Wurzelwerk der guten Saat gefährlich, so dass ich die gute Saat zusammen mit der destruktiven Saat ausreißen würde, wenn ich das Destruktive jetzt gewaltsam am Schopf packen würde.
Das Ergebnis wäre das, was wir mit dem Sprichwort umschreiben: „Das Kind mit dem Bade ausschütten.“
Damit wäre das Ergebnis noch verheerender, als wenn wir das Destruktive weiter im Auge behalten und ‚beschneiden‘, damit es selber nicht noch aufblühen und eigene Saaten bilden kann.
So kann ich nämlich die guten Pflanzen hegen und pflegen, sie blühen und gedeihen lassen. Dadurch werden sie – trotz der destruktiven Bedrohung – zur Nektarquelle für Insekten und Bienen und dann später, wenn sie ihre Bestimmung erfüllt haben, zusammen mit den unnützen Gras herausgerissen.
Das anschauliche Evangelium lehrt mich eine gewisse gelassene Haltung, die das Destruktive in unserem Leben nicht ignoriert oder relativiert. Sie erkennt die Gefahr, die vom Destruktiven ausgeht und nimmt sie ernst. Sie übersieht nicht ihre schädlichen Wurzelwerke, sondern versucht, mit intelligentem Vorgehen, es in Schach zu halten.
Der Umgang mit dem Destruktiven, erfordert Klugheit, Achtsamkeit, vorausschauendes Handeln und Besonnenheit.
Radikales Vorgehen – übrigens ein Vorgehen von Extremisten – bedroht im wahrsten Sinne des Wortes, letztendlich auch das gute Wurzelwerk und damit das Wachstum und die Stärkung der guten Saat.
Ein Sturm der Entrüstung macht sich in der islamischen Welt breit, weil in Schweden ein Buch, ein Koran, mit Füßen getreten wurde. Als Folge wird die schwedische Botschaft gestürmt, Gewaltexzesse machen sich breit …
Das führt mich zu der grundsätzlichen Frage, was etwas heilig macht …?
BTW: Ich verurteile solche Aktion als respektlos! Da will ich keine Unklarheiten lassen. ABER: die Proteste und Gewaltaktionen, das diplomatische Gezerre darum sind aus meiner Sicht völlig übertrieben!
Was macht etwas ‚heilig‘?
Nur weil ich – oder jemand anderes oder gar eine Religion – etwas für ‚heilig‘ hält, ist es objektiv noch lange nicht ‚heilig‘.
Für jemanden, der mit Religionen allgemein nichts anfangen kann, der keinen spirituellen oder emotionalen Zugang zum Religiösen hat, sind religiöse Gegenstände (und dazu zähle ich auch Druckwerke religiösen Inhalts) per se nicht ‚heilig‘.
So kann ein Buch, auf dem „Koran“ steht und dessen Druckwerk den Inhalt des Korans widergibt, per se auch einfach nur als ein Buch angesehen und erkannt werden. Ein Buch ist definiert, sowohl von der Gestalt wie von der Machart. Ganz wertfrei ausgedrückt kann für jeden Menschen ein Buch erst einmal ein Gegenstand sein, dass aus gebundenen Seiten besteht auf denen mit Farbe (Tinte) gedruckte Zeichen stehen, die wir Buchstaben nennen. Mehr kann deshalb für einen nicht-religiösen Menschen auch ein Buch sein, das mit „Koran“ betitelt ist. Sachlich macht es für ihn keinen Unterschied, ob es sich hierbei um eine Cartoon, ein Magazin, oder sonst was handelt.
Heilig oder nicht?
Als Mensch kann ich folglich nur das als ‚heilig‘ bezeichnen, was mir persönlich, in meinen eigenen Augen aus der Sicht meiner eigenen Weltanschauung oder meiner Religion als ‚heilig‘ erachtet wird. Das eigene Bewusstsein lässt also etwas ‚heilig‘ sein oder werden.
So kann z.B. ein ganz banaler Gegenstand, der mich z.B. mit Vorfahren verbindet, für mich ‚heilig‘ sein. Diesen Gegenstand kann ich besonders in Ehren halten und besonders ehrwürdig damit umgehen, weil sich mit diesem Gegenstand meine eigene Geschichte, meine Erfahrungen und vielleicht auch meine geistige Verbindung zu Vorfahren verbunden hat.
Wenn andere Menschen auf ein und denselben Gegenstand treffen, verspüren sie vielleicht auch nicht eine Spur von Ehrwürdigkeit oder gar ‚Heiligkeit‘, die von diesem Gegenstand ausgeht. Warum? Weil nicht der Gegenstand an sich ‚heilig‘ ist, sondern das, was dieser Gegenstand für mich, ganz subjektiv ausdrückt und bedeutet.
Um es an einem ganz konkreten Beispiel auszudrücken:
Seit Jahrzehnten besitze ich eine Bibel, eine Schulbibel, die ich zu Zeiten meines Besuchs des Abendgymnasiums besorgt habe. Ich habe mit diesem Buch, dieser Bibel ‚gearbeitet‘, ich habe dort Anmerkungen hineingeschrieben und Markierungen vorgenommen, die mir sehr wichtig beim Studium der Bibel erschienen. Nun steht dieses Buch, diese Bibel im Regal, ist ziemlich abgenutzt und vergilbt. Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass ich dieses Buch entsorgen könnte. Für Menschen, die z.B. mal meinen Haushalt auflösen müssten und emotional oder geistlich mit diesem Buch, au dem „Bibel“ steht, nichts verbinden, wäre es vielleicht überhaupt kein Problem, dieses Buch zusammen mit anderen Druckerzeugnissen dem Altpapier zuzuführen.
Aber mir fällt es schwer, dieses Buch ‚einfach so zu entsorgen‘.
Warum? Weil es dinglich ein Buch bleibt, aber geistlich-spirituell für mich ein ‚heiliges Buch‘ geworden ist.
Doch meine Sicht auf das, was (für mich) heilig ist, ist und bleibt immer relativ.
Ein ganz einfaches Beispiel:
Wäre der Buchdruck nicht (von Gutenberg) erfunden worden, gäbe es heute keine Bücher mit der Aufschrift „Koran“. Allein die Existenz eines Gegenstandes, das wir „Buch“ nennen, ist dadurch relativ und kann deshalb auch niemals objektiv als ‚heilig‘ vorausgesetzt werden. ‚Heilig‘ wird jemand oder etwas immer nur durch meine eigene Sichtweise, meine eigene Geisteshaltung, … und diese kann niemals allgemeingültig und allgemeinverbindlich sein.
Dessen ungeachtet und davon getrennt muss die Frage erlaubt sein, wie wir in einer freiheitlichen und pluralen Welt mit Weltanschauungen, Sachverhalten und Dingen umgehen wollen, die anderen ‚heilig‘ sind.
Dies hier ist ein schönes Beispiel, wie man mit Dingen oder Umständen, die anderen ‚heilig‘ sind, respektvoll umgehen kann:
Ich kann und darf aber nicht verlangen, dass der Ayers Rock von allen Menschen auf der ganzen Welt und zu jeder Zeit als ‚heilig‘ anerkannt wird!
Erfolg
Bild: Gerd Wittka
Nicht bloß das Tun, nicht bloß die Tatsache der hinterlassenen Leistung gibt uns ein Recht auf ehrende Anerkennung, sondern auch das Streben selbst, und gar besonders das unglückliche Streben, das gescheiterte, fruchtlose aber großmütige Wollen.
Heinrich Heine, 1797-1856, Christian Johann Heinrich Heine (Harry Heine), deutscher Dichter und Romancier, ein Hauptvertreter des Jungen Deutschland, Begründer des modernen Feuilletons
Ich fand heute morgen dieses Zitat von Heinrich Heine … und war sehr erstaunt. Ich bin erstaunt, wie aktuell dieser Gedanke von ihm ist und was wir von der Aufklärung und der Frucht der Aufklärung, dem Humanismus, gerade heute noch lernen können.
In einer Welt, die nur Ergebnisse sehen will … und meist diese auch nur würdigt, ist das humanistische Menschenbild umfassender und ganzheitlich.
So, wie die Aufklärung und der aus ihr entstandene Humanismus wesentlich mitgeprägt wurde von der Geisteswelt damaliger Philosophen, Schriftsteller, Dichter und Denker, zeigt er uns, dass das wahre Menschsein nicht allein vom Oberflächlichen abhängig ist.
Die Geisteshaltung, der Geist, der unserem Denken und Tun vorausgeht, ist wesentlich für die Einordnung dessen, was erstrebenswert in unserem Leben ist.
Das Wort Heinrich Heines macht mir deutlich, dass dies nicht allein vom Erfolg her beurteilt werden kann und darf.
Um einem Menschen gerecht werden zu können, gilt es – nach Heine – auch die zugrundeliegende Geisteshaltung, den Ethos, die Absicht, die gute Idee mit zu berücksichtigen, unabhängig davon, ob das daraus resultierende Denken und Tun von vermeintlichem Erfolg gekrönt wird.
‚Erfolg‘ in unserere Postmodernen meint eigentlich immer nur das ‚Erreichen von Zielen‘, die tatsächliche Umsetzung von Ideen und Initiativen.
Für Heinrich Heine, für die Philosophie der Aufklärung ist aber schon die Idee, der Gedanken, allein das Streben nach dem Wahren und Guten anerkennenswert.
Scheitern als Gegenpol von Erfolg wird dadurch relativiert.
Findet sich in dieser Idee des Humanismus nicht so viel christliches Gedankengut und viel vom jesuanischen Menschenbild und seiner Ethik?
Für Jesus war entscheidend, ob der Mensch sich allein ernsthaft darum bemüht, den ’neuen Weg‘, den Weg der Umkehr und der Versöhnung zu gehen. Für Jesus war entscheidend, welche Geisteshaltung die Menschen prägte, die es mit ihm zu tun bekommen haben.
Der Zöllner, die Ehebrecherin, die arme Witwe, der Blinde (der vermeintlich nichts leisten konnte und nur auf Almosen angewiesen war): sie alle genießen hohe Wertschätzung. Während jene, die zwar in den Augen der Welt erfolgreich waren, ihren festen Platz in der Gesellschaft eingenommen und gefunden haben, die hofiert wurden: deren Geisteshaltung hinterfragt Jesus und entlarvt sie als umkehrbedürftig.
„Ich preise dich, Vater, Herr des Himmels und der Erde, weil du da vor den Weisen und Klugen verborgen und es den Unmündigen offenbart hast. Ja, Vater, so hat es dir gefallen.“
Mt 11,25
„Erfolg ist kein Name Gottes!“, so ein geflügeltes Wort. Das Zitat von Heinrich Heine macht uns darauf aufmerksam, dass wir in der Würdigung und Anerkennung nicht nur allein Erfolg als Kriterium nutzen dürfen, weil schon allein die Absicht, die Geisteshaltung, das eigene Ethos, das Wollen der Anerkennung bedarf.
Wenn wir Menschen in ihren guten Absichten bestärken, dann wird sich zwangsläufig, auch nach vielen Niederlagen, der Erfolg einstellen. Wer aber nur den schnellen Erfolg anstrebt, ist leicht in der Gefahr, seine Ideale zu verraten.
Bild von Kerstin Riemer auf Pixabay – Fragst du dich, was dieses Bild mit dem Thema zu tun hat? – Lassen dich am Ende des Artikels überraschen …!
Assistierter Suizid
Vor wenigen Tagen ging relativ klanglos eine immens wichtige Debatte im Deutschen Bundestag über die Bühne, die uns alle irgendwie und irgendwann einmal betreffen könnte, ob direkt oder indirekt. Es ging um die Frage, wie „Assistierter Suizid“ gesetzlich geregelt werden könne. Dabei lagen zwei unterschiedliche Gesetzesentwürfe vor, die diskutiert und über die auch in getrennten Abstimmungen entschieden wurde. Dabei fand jedoch keiner der beiden Gesetzesentwürfe die erforderliche Mehrheit.
Was ist der Hintergrund, der zu einer solchen Gesetzesinitiative geführt hat?
Einleitung:
Das Bundesverfassungsgericht hat im Februar 2020 das 2015 vom Bundestag beschlossene Verbot der „geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ für nichtig erklärt. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasse „als Ausdruck persönlicher Autonomie ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben.“ Die Freiheit, sich das Leben zu nehmen, umfasse auch die Freiheit, auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen. Der Gesetzgeber könne die Suizidhilfe regulieren. In dieser Debatte kommt der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) eine wichtige Bedeutung zu.
Was ist Beihilfe zur Selbsttötung als Sterbehilfe?
Die Grundrechte der Verfassung schützen auch die Selbstbestimmung des Menschen. Sie umfasst auch das Recht, sich selbst das Leben zu nehmen. Weil der Suizid also nicht unter Strafe steht, ist an sich nach den allgemeinen Regeln des Strafrechts auch die Beihilfe zur Selbsttötung straflos. Der Sterbewillige selbst nimmt die Handlung vor, die zum Tod führt. Die Beihilfe kann zum Beispiel darin bestehen, die todbringenden Mittel zu besorgen. Quelle: https://www.deutschlandfunk.de/bundesverfassungsgericht-verbot-der-geschaeftsmaessigen-100.html
Beim Assistierten Suizid geht es nicht darum, dass helfende Personen selber das Mittel verabreichen, sondern es lediglich zur Verfügung stellen, angefangen von der Verschreibung bis hin zur Bereitstellung der Medikamente.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, warnte zu Beginn der Verhandlung im April vor falschen Erwartungen. Es gehe „nicht um die moralische oder politische Beurteilung der Selbsttötung und ihrer Folgen für die Gesellschaft“, sondern „allein um die Reichweite des Freiheitsraums, den das Grundgesetz einer staatlichen Strafdrohung entgegensetzt.“
Die beiden diskutierten Gesetzesentwürfe
Die erste Initiative stammte von 85 Abgeordneten um Lars Castellucci. Ihr Entwurf sah vor, dass die Suizidassistenz weiter grundsätzlich strafbar ist, unter bestimmten Voraussetzungen aber erlaubt wird. Dafür sollte die Person, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, volljährig sein, sich mindestens zwei Mal von einem Facharzt für Psychiatrie untersuchen lassen und ein Beratungsgespräch absolvieren. Der Geist dieses Regelung ist vergleichbar mit der geltenden Regelung zum § 218 StGB, welches den Schwangerschaftsabbruch grundsätzlich unter Strafe stellt, diese Tat aber unter bestimmten Voraussetzungen strafrechtlich nicht verfolgt wird.
Die zweite Gesetzesinitiative griff den Gedanken des Bundesverfassungsgerichtes auf, dass betont hatte, dass es ein Recht auf selbst bestimmtes Sterben gäbe. Wenn es also dieses Grundrecht gäbe – so diese Initiative weiter – wäre es rechtlich widersinnig, dieses Recht im Zusammenhang mit der Strafgesetzgebung zu regeln. Im Gesetzentwurf hieß es: „Jeder darf einem anderen, der aus autonom gebildetem, freiem Willen sein Leben eigenhändig beenden möchte, auf dessen Wunsch Hilfe zur Selbsttötung leisten und ihn bis zum Eintritt des Todes begleiten.“
Beiden Gesetzesentwürfe betonen zugleich, dass das Thema „Suizidvermeidung“ auf alle Fälle einen sehr hohen Stellenwert hat. Deshalb hat sich eine große Mehrheit von 688 Abgeordneten für einen Gesetzentwurf zur Suizidprävention ausgesprochen.
[Meinungsbild in der Gottesdienstgemeinschaft:
Haben Sie diese Debatte wahrgenommen? • Haben Sie den Unterschied zwischen beiden Gesetzesentwürfen gekannt? • Wer von Ihnen hat die Debatte verfolgt und ist der Auffassung, diese rechtlichen Unterschiede verstanden zu haben? • Wer von Ihnen hat gesellschaftliche Diskussionen um dieses Thema wahrgenommen oder sogar persönlich daran teilgenommen? • Wem ist dieses Thema in innerkirchlichen Diskussionen in jüngster Zeit begegnet und hat die innerkirchliche Diskussion verfolgt? • Wer meint, dass unsere Kirche genügend über dieses Thema diskutiert, sowohl in den eigenen Reihen wie in unserer Gesellschaft? • Wer meint, dass unsere Kirche und unsere Pfarreien sich viel stärker mit dieser Thematik beschäftigen muss?]
Meine seelsorgliche Sorge bei diesem Thema
Wir alle – ohne Ausnahme – können in die Situation kommen, dass wir uns Gedanken machen, wie wir sterben wollen. In diesem Zusammenhang kann dann die Frage, ob „Assistierter Suizid“ für uns selber eine Option ist, aufkommen.
Warum von mir heute diese Fragen? Weil mich die Sorge umtreibt, dass wir als Kirche heute zu wenig bei den Menschen und den wirklich wichtigen Fragen der Menschen sind!
(copyright: Gerd Wittka)
Denn es ist ja nicht so, dass unter uns Christ:innen einhelliger Konsens darüber besteht, wie wir mit diesem Thema umgehen wollen.
Viele Fragen und Themen werden in diesem Zusammenhang auftauchen: Welche Haltung nehme ich zu diesem Thema ein?
Ich möchte nur einige Themen und Fragebereiche aufgreifen, die für eine sachgerechte Diskussion und für eine persönliche Positionierung wichtig sein könnten:
1.) Wer entscheidet über mein Leben und meinen Tod? • Bin ich der Überzeugung, dass Gott der Herr des Lebens ist? • Wie ist es dann mit der von Gott geschenkten menschlichen Freiheit? • Wann bin ich herausgefordert, über mein Leben zu bestimmen und wieweit darf meine Selbstbestimmung dabei gehen? Hier taucht zwangsläufig eine Spannung auf und zwar zwischen den Überzeugungen, dass Gott Herr über Leben und Tod sei und ich von ihm zugleich in Freiheit gesetzt wurde, tatsächlich selber darüber entscheiden zu können.
2.) Was bedeutet für uns Lebensschutz? – Wo fängt er an und wo hört er auf? Welche Themen tauchen in diesem Zusammenhang auf? Ich möchte nur einige nennen:
• Lebensschutz von Anfang an - Lebensschutz des ungeborenen Lebens
• Lebensschutz im staatlichen und gesellschaftlichen Leben: Schutz vor Verfolgung und Diskriminierung, Schutz von Minderheiten, Schutz vor nicht-staatlicher Gewalt und Selbstjustiz, Lebensschutz im Strafvollzug ->'Todesstrafe', Schutz in schwersten Lebensbedrohungen wie Krieg, Unfall, Krankheit, Schutz am Lebensende ...
3.) Welche Rolle spielt das Gewissen bei diesem Thema? Das II. Vatikanische Konzil hat betont: das menschliche Gewissen ist die „höchste Entscheidungsinstanz“ im menschlichen Leben; Gott sei hingegen die „höchste Urteilsinstanz“. Das bedeutet: der Mensch ist im Letzten seinem Gewissen verpflichtet. Am Ende meiner Tage wird Gott dann über mein Denken und Tun urteilen.
Was bedeutet das also, wenn ich in eine Situation komme, wo ich zu der festen Überzeugung gelangt bin, dass ich mein Leiden nicht mehr erleiden muss und will? – Diese Entscheidungsfreiheit habe ich ja als Mensch, denn diese Freiheit ist mir ebenfalls von Gott gegeben. Wie setze ich diese Freiheit ein? Von welchen Kriterien mache ich meine Gewissensentscheidung abhängig, damit mein Leben vor Gott gerechtfertigt sein wird?
4.) Wie verhalte ich mich, wenn Angehörige, Freunde, Gemeindemitglieder oder Menschen, die mir anvertraut sind, sich entschieden haben, freiwillig und vorzeitig aus dem Leben zu treten? Bin ich bereit, liebend und wertschätzend mit Menschen umzugehen, die dieses Thema umtreibt? Bin ich bereit, ihnen zur Seite zu stehen? Oder lehne ich es von vornherein ab, offen zu sein für die Begegnung mit Menschen, die sich mit dem assistierten Suizid beschäftigen? Treibt mich der Gedanke um, sogar mitverantwortlich oder ‚mitschuldig‘ zu werden, wenn ich auch in solchen Lebensphasen ‚bei den Menschen bleibe‘? Kann ich auch in solchen Situationen die von Gott gegebene Entscheidungsfreiheit respektieren und bejahen? Wenn ich Menschen, die aus dem Leben treten wollen, nicht zu Seite stehen möchte: welche Gründe gibt es dafür? Welche eigenen Ängste oder Befürchtungen habe ich? Habe ich das Gefühl mitverantwortlich für eine mögliche Entscheidung zu sein?
5.) Wie halte ich es mit meinem Einsatz für das Leben? Will ich mir die Mühe machen, Menschen, die aus dem Leben treten wollen, Perspektiven für ein Leben zu eröffnen, sie zu unterstützen und zu begleiten? Will ich mir die Mühe machen, herauszufinden, welche andere Möglichkeiten es noch gibt, um das Leben nicht selbstbestimmt zu beenden?
6.) Welche Haltung nehme ich selber und für mein eigenes Leben zu diesem Thema ein?
Kann ich mich mit diesem Thema konfrontieren lassen und für mich selber darüber nachdenken, ob das Thema „assistierter Suizid“ auch für mich persönlich zu ein Thema werden könnte, ohne schon jetzt dazu eine abschließende Haltung einzunehmen? Wage ich es, mich auch emotional diesem Thema zu stellen, selbst wenn ich weiß, dass dieses Thema mich ‚kalt‘ erwischen kann, weil man beim Nachdenken über das eigene Sterben meist nicht ‚cool‘ bleiben kann? Bin ich bereit, mich umfassend zu informieren, mich mit Menschen über dieses Thema auszutauschen und mein Wissen und meinen geistigen Horizont bei diesem Thema aktiv zu erweitern?
All diese Fragen und noch viel mehr Fragen und Gedanken stehen im Raum, wenn wir uns als Christ:innen und Menschen mit diesem Thema beschäftigen. Welche Unterstützung bekomme ich, bekommen wir bei diesem Thema durch die Kirche? Wie geht sie mit dieser Problematik um? Welche Seelsorgende und Gemeindemitglieder sind da, um sich mit diesem Thema zu beschäftigen?
Gerade in Zeiten, wo wir einen massiven Mitgliederschwund in der Kirche erfahren; gerade in Zeiten, wo wir in einer immensen Glaubwürdigkeitskrise als Kirche stecken; gerade, wo man von Christ:innen und den Kirchen keinen adäquaten Umgang mit solchen elementaren und ethischen Fragen zutraut, wird es darum gehen, wie wir solche Themen in Kirche und Gesellschaft nach vorne bringen und uns damit beschäftigen.
Ich träume von einer Kirche, die diese Themen umfassend aufgreift, weil sie erkennt, dass es bei diesen Themen in erster Linie um die Menschen geht, die von diesen Themen betroffen sind.
Einladung nach dem Impuls:
Wir stehen heute mit meinem Impuls zu diesem Thema am Anfang einer Beschäftigung damit. Nun möchte ich Sie einladen, vielleicht schon jetzt oder auch später, Fragen oder Gedanken zu benennen, die Sie in diesem Zusammenhang erörtern wollen? Ich werde sie gerne notierten und in gesonderten Impulsen aufgreifen. Gerne können Sie mir auch nach diesem Gottesdienst eine Mail dazu schreiben. Alle Anregungen werde ich vertraulich behandeln.
Exkurs:
Ich habe ja versprochen, zu verraten, was das Bild am Anfang mit dem Ginsterstrauch mit unserem heutigen Thema zu tun hat.
… Allein wanderte er [Elija] einen Tag lang weiter bis tief in die Wüste hinein. Zuletzt ließ er sich unter einen Ginsterstrauch fallen und wünschte, tot zu sein. »HERR, ich kann nicht mehr!«, stöhnte er. »Lass mich sterben! Irgendwann wird es mich sowieso treffen, wie meine Vorfahren. Warum nicht jetzt?«…
1.Könige 19,4
Fällt dir was auf?
Das Thema Suizid ist selbst im Alten Testament nicht unbekannt. Es gibt auch in der Bibel offenbar Situationen, die uns schildern, wie Menschen meinen, dass ihr Leben unter den gegenwärtigen Umständen nun ein Ende finden könnte und sollte.
Und wenn wir weiterlesen, dann achte mal auf die Reaktion des Engels! … Er hält keinen moralischen Vortrag darüber, ob und inwieweit es ethisch okay ist, sich selber das Leben zu nehmen. Der Engel macht Elija nur darauf aufmerksam, dass es noch eine Aufgabe für ihn zu erledigen gibt.
Dass der Engel auf das Thema „Sterbewunsch“ und sich aktiv zum Sterben niederzulegen nicht aufgreift, heißt nicht, dass er es gutheißt. Aber diese Bibelstelle kann uns vor Augen führen, dass das Thema „Sterbewunsch“ und seinem eigenen Leben das Ende zu setzen in der Bibel nicht unbekannt ist.
Im Hinblick auf das Leiden anderer fragt sich mancher:
„Wie kann dieser Mensch diese Last tragen?“
Mit diesen Gedanken hast DU einen Anfang gemacht.
Denn Du, ich, WIR können für andere wie das Strebewerk einer gotischen Kathedrale sein:
Die Hauptlast müssen nicht wir tragen – doch: indem wir der Last und Schwere nahe sind, empfangen wir die Last und teilen sie manchmal in erster, manchmal in zweiter oder dritter Reihe.