Seit nun über zwei Monaten bin ich dienstunfähig. Ich sehne mich danach, wieder zu arbeiten und meinen Dienst zu übernehmen. Ich sehne mich danach, wieder für andere da sein zu können.
Doch noch scheint es nicht so weit zu sein. Die Auszeit, die mir die Erkrankung gibt, lässt mich ahnen:
Es geht nicht nur darum, dass ich wieder ‚repariert‘ werde und dann wieder ‚funktioniere‘ wie vorher.
Intuitiv spüre ich: wenn diese Phase der Krankheit nicht auch Folgen und Veränderungen für mich bringt, dann ist ihre Chance für mich vertan.
Wenn ich in Erinnerungen schwelge, dann passiert etwasin mir. Gedanken, Bilder, Gefühle, manchmal sogar Gerüchte kommen IN MIR vor, werden wieder lebendig. Sie werden gegenwärtig; zwar anders als damals, als ich es erlebt habe, aber es ist eine Art von Vergegenwärtigung, wenn ich meinen Erinnerungen nachgehe.
Bei der Erinnerung vollzieht MEIN Hirn eine Leistung, die etwas IN MIR bewirkt.
Vielleicht wundern Sie sich, dass ich „in mir“ zwei mal groß geschrieben habe.
Das hat etwas mit meinem Sprachgebrauch zu tun.
Ich erinnere MICH nämlich, während immer mehr Menschen, SICH nicht mehr erinnern.
Sich erinnern …
Wenn ich schreibe, manche erinnern SICH nicht mehr, dann meine ich, dass immer mehr Menschen nur noch sagen oder schreiben: „Ich erinnere…“
Damit komme ich nicht klar. Das hört sich für mich irgendwie halb oder unvollständig an.
Es gibt für mich nämlich im Zusammenhang mit dem Wort „erinnern“ zwei Richtungen, die in dem einen Fall die reflexive Form sinnvoll macht.
In mir werden Erinnerungen wach. Das drücke ich immer damit aus, indem ich sage oder schreibe: „Ich erinnere MICH!“ – Denn, wie ich oben bereits geschrieben haben, ist das eine kognitive Leistung, die von mir ausgeht und sich in mir abspielt. Die Richtung ist also ganz klar reflexiv.
Ich mache jemand auf etwas aufmerksam. In diesem Fall sage oder schreibe ich (zu) jemandem: „Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern…“ – In diesem Fall unterlasse ich die reflexive Form. Genauer ist aber dieser Aspekt der Aufforderung, wenn ich sage: „Ich möchte DICH dran erinnern!“ – Dann ist die Erinnerungsaufforderung ganz klar teleologischer Natur. Sie bekommt eine andere Richtung, die außerhalb meiner selbst liegt, gemeint ist nämlich mein Gegenüber.
Die deutsche Sprache gibt uns diese Möglichkeit der sprachlichen und sachlichen Unterscheidung.
Ich für mein Teil, werde mich daran erinnern, wie ich es gelernt habe, wenn Erinnerungen in mir wach werden: dann erinnere ICH MICH, mal mit Freude, mal mit Trauer.
Klarheit
Evangelium: Mt 5,17-37
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Das Evangelium vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A ist eine echte Herausforderung, besonders für eine Person, die darüber zu predigen hat. Es ist die Klarheit und Eindeutigkeit und zugleich der hohe Anspruch, der in diesem Ausschnitt aus der Bergpredigt zu Tage tritt. Dieser Text ist einer der neutestamentlichen Texte, die deutlich macht, dass christliche Ethik nicht die Ethik des Alten Testamentes aufhebt, sondern sie sogar nocht perfektioniert. Die Folge ist, dass christliche Ethik zum Beispiel nicht bei der Beachtung des Dekalogs (10 Gebote) stehen bleiben kann. Christsein ist kein Zuckerschlecken …
„Schwört überhaupt nicht (…), eure Rede sei: Ja ja, nein nein;…“
Seit meinem Studium Ende der 1980er Jahre, als ich im kirchenrechtlichen Hauptseminar über die Praxis des Eides in der Kirche gearbeitet habe, sitzt dieses Wort in meinem Geist, wie ein Stachel im Fleisch. Denn allein die kirchliche Praxis mit z.B. ihrem Treueeid steht dem (scheinbar?) gegenüber. Aber das ist für meine seelsorgliche Arbeit heute eher nicht relevant.
Viel wichtiger erscheint mir die Haltung: „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ in Alltag relevanter zu sein.
Dies ist nämlich eine Position der Klarheit und Eindeutigkeit, die Jesu von uns erwartet. Aber der Alltag sieht oft anders aus: da wird herumgeredet, da bleibt man im ‚Ungefähren‘, da will man sich nicht festlegen und verschiebt Entscheidungen.
Solche Haltungen und Umgangsweisen sind auf Dauer destruktiv, weil sie Vertrauen zerstören und Unsicherheiten schüren.
In einer meiner früheren Gemeinden durfte ich einen Kollegen kennenlernen, der „kein Blatt vor dem Mund nahm“, wie man so sagt. Er war frei heraus und so eindeutig, dass es manchmal für die Menschen um ihn herum schmerzhaft war. Er war auch keineswegs immer ‚gefällig‘ und versuchte sich nicht anzubiedern. So kam es, dass ich aus der Gemeinde auch hier und da Rückmeldungen bekam, die mit dieser Art nicht zurecht kamen. Aber – wie Sie sich sicher denken können – war das nicht sein Problem, sondern ihr eigenes. Denn ihnen schien Indifferentismus lieber zu sein, als Klarheit.
Ich pflegte dann oft darauf zu entgegen, dass der Umgang mit meinem Kollegen nicht immer einfach sei. Aber was ich an ihm schätze ist seine Klarheit, die ohne Falschheit daher kommt. Bei ihm wisse ich immer, wo ich dran bin ….
Und es wundert nicht, dass ich genau das nämlich bei anderen Menschen nicht immer unbedingt weiß.
Glaubwürdigkeit und Klarheit
Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich auch diese Klarheit. Mein o.g. Kollege hat mir in seiner Art imponiert. Ich selber spüre, dass mir diese Klarheit auch lieber ist, als das ganze Drumherumgerede.
Ich spüre aber auch, dass diese Klarheit, insbesondere wenn sie auf andere Auffassungen trifft, nicht gerade geschätzt wird.
Wer klar und eindeutig ist, der unterliegt auch einer größeren Gefahr, angefeindet zu werden.
Durch meine vielfältigen Lebens- und Berufserfahrungen habe ich für mich einen Wertekanon entdeckt, der sich – je älter ich werde – immer deutlicher und eindeutiger wird.
Diese Eindeutigkeit wird aber zugleich immer grundsätzlicher; sie verzettelt sich nicht im Klein-klein. Sie ist vielmehr geprägt vom dreifachen Liebesgebot ableitet, das sich im gegenseitigen Respekt, in Barmherzigkeit und Wohlwollen anderen gegenüber und der Anerkennung der menschlichen Freiheit als Gottes Geschenk ausdrückt.
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Sie ist geprägt vom Glauben an die Kraft des Heiligen Geistes, der mir die Möglichkeit gibt, offener und mit einem größeren Gottvertrauen in die Zukunft geht, weil ich weiß, dass ich weder die Welt, noch die Kirche noch den christlichen Glauben oder sonst was retten muss (und auch nicht kann!).
Ich weiß, dass ich damit gerade auch in konservativ-reaktionären Kreisen unserer Kirche auf wenig Gegenliebe bis Ablehnung stoße. So what?! – Das muss ich wohl in Kauf nehmen.
Das heutige Evangelium jedenfalls ermutigt mich dazu, mich um eine gewisse Gradlinigkeit und Klarheit zu bemühen.
Kommentar zum päpstlichen Lehrschreiben von Papst Franziskus I. zur Amazonas-Synode
Hat Papst Franziskus in seinem Lehrschreiben etwas zur Priesterweihe von verheirateten Männern oder etwas zur Frauenordination gesagt. Ich meine: Ja, er hat nicht!
Was sich etwas widersprüchlich anhört, möchte ich hier kommentieren:
Ja, Papst Franziskus hat sich in seinem Lehrschreiben anlässlich der Amazonas-Synode nicht abschließend zu der Frage der Frauenordination oder zur Weihe von verheirateten Männern zum Priester geäußert. Er macht lediglich deutlich, dass den Frauen in der Kirche und ihre größere Beteiligung nicht allein damit sichergestellt werden könne, wenn sie zu den heiligen Weihen zugelassen würden. (vgl. https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-querida-amazonia-papst-franziskus-synode-wortlaut.html , 100)
Was ist davon zu halten?
Für manche ist das enttäuschend. Andere wiederum sind sehr zufrieden, dass der Papst sich nicht dazu geäußert hat.
Was bedeutet das jetzt aber?
Erst einmal heißt das, dass der Papst nach diesem Schreiben die Frage nach dem Diakonat der Frau und der Weihe von verheirateten Männern zu Priestern offen gelassen hat.
Päpstlicher Maukorb nicht bestätigt
Es bedeutet aber auch, das Papst Franziskus das sogenannte ‚Basta‘ von Papst Johannes Paul II. nicht wiederholt und somit ausdrücklich nicht bekräftigt hat.
Damit hat Franziskus sich weise verhalten; er respektiert, dass man freien Menschen in einer freien Welt nicht das Denken und das Diskutieren verbieten kann. Das damalige ‚Basta‘ von Johannes Paul II., der die Diskussion für beendet ansah, war eine – in meinen Augen – realitätsferne Äußerung.
Franziskus hat in dieser Hinsicht einen realistischeren Blick auf die Gegebenheiten in der heutigen Zeit. Insofern ist das Verhalten Franziskus in meinen Augen nur klug!
In einem Interview mit Vatikan-News nach der Vorstellung dieses päpstlichen Schreibens erklärt Kardinal Michael Czerny:
„…Franziskus ist dem treugeblieben, was er vor der Synode gesagt hatte. Die Möglichkeit, verheiratete Männer zu ordinieren, kann von der Kirche durchaus diskutiert werden – und es gibt sie auch längst, zum Beispiel in den katholischen Ostkirchen. Diese Diskussion wird seit vielen Jahrhunderten geführt, und die Synode hat sich freimütig dazu geäußert: nicht isoliert, sondern im gesamten Kontext von Eucharistie und Amt in der Kirche….“ Quelle: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-amazonas-synode-papst-kardinal-czerny-franziskus.html
Die Diskussionen müssen und dürfen weitergehen…
Ich finde, dass dies ein ganz wichtiger Aspekt in den aktuellen Diskussionen ist. Denn viele Bischöfe in Amazonien aber auch weltweit haben eigene Diskussionsbeiträge zu diesen Themen geleistet. In vielen dieser Beiträge wird die Frage behandelt, ob der sogenannte Pflichtzölibat noch zeitgemäß sei? Es sind zugleich weltweit viele Bischöfe, die der Frage nach der Gleichberechtigung in der Kirche einen hohen Stellenwert einräumen.
Die offene Haltung Papst Franziskus in diesen Fragen zeig mir, dass er ganz bewusst diese Diskussionen in der römisch-katholischen Kirche weitergeführt wissen will.
Und das ist mir eigentlich auch das Wichtigste, was ich für unsere derzeitige Diskussion innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland und ihrem „Synodalen Weg“ mitnehme:
Die Diskussionen um eine Veränderung des priesterlichen Dienstes, die Zuordnung von Weiheämtern zu anderen Ämtern und Diensten in der Kirche, die Überdenkung des Zusammenhangs von Weihe und Macht in der Kirche sowie dieFrage nach der Gerechtigkeit, die auch immer eine Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit in der römischen-katholischen Kirche ist, ist noch lange nicht zu Ende – auch wenn das manche gerne hätten! Sie hat vielmehr durch das Schreiben von Papst Franziskus einen weiteren Impuls bekommen.
„…. ER stellte sein Gesetz auf in Jakob, (…) und gebot unseren Vätern, ihre Kinder das alles zu lehren…“ (aus Psalm 78)
Heute Morgen, beim Beten der Laudes, wurden mir Verse aus dem 78. Psalm vorgelegt. Darin heißt es:
„… ER stellte sein Gesetz auf in Jakob, / gab in Israel Weisung * und gebot unseren Vätern, ihre Kinder das alles zu lehren, damit das kommende Geschlecht davon erfahre, /
die Kinder späterer Zeiten; * sie sollten aufstehen und es weitergeben an ihre Kinder,
damit sie ihr Vertrauen auf Gott setzen, / die Taten Gottes nicht vergessen * und seine Gebote bewahren und nicht werden wie ihre Väter, / jenes Geschlecht voll Trotz und Empörung, *
das wankelmütige Geschlecht, dessen Geist nicht treu zu Gott hielt….“
Zuerst überlas bzw. über-betete ich diesen Text. Doch nach der Laudes spürte ich in mir das innere Bedürfnis, diesen Text noch einmal zur Hand zu nehmen.
Und dann fiel mir auf, woran ich hängen blieb; an den Worten:
„…. ER stellte sein Gesetz auf in Jakob, (…) und gebot unseren VÄTERN, ihre Kinder das alles zu lehren…“
Nach diesem Text scheint die Aufgabenverteilung ganz klar zu sein: Die Weitergabe des Glaubens ist Sache der Väter!
Genau das ist es aber, was mich stutzig werden lässt. Denn die Realität heute sieht ganz anders aus. Heute sind es vorwiegend die Frauen, die sich als Erzieherinnen in Kindergärten oder als Religionslehrerinnen in der Primarstufe um die Glaubensweitergabe kümmern. Und auch in unseren Gemeinden können wir sehen, dass es vorwiegend Frauen sind, die sich als „Tisch-Mütter“ (wie sie früher oft genannt wurden) bzw. als Katechetinnen bei der Vorbereitung zur Erstkommunion und auch zur Firmung in den Dienst nehmen lassen.
Bei diesen Aufgaben Männer resp. Väter zu finden, ist eher eine Seltenheit.
Allenfalls bei den geistlichen Berufen finden wir noch ‚Väter‘, die für die Glaubensweitergabe zuständig sind; den „Pater“ oder den „Abbas“ ( -> Abt ) oder den Papst (entlehnt von ‚Papa‘). Doch in der römisch-katholischen Kirche sind dies in den seltensten Fällen ‚echte‘ = biologische Väter. Allenfalls werden sie als „geistliche Väter“ bezeichnet.
Ist das nicht erstaunlich, was sich da in der Kultur- und Religionsgeschichte für ein Wandel vollzogen hat?!
Permanenter Rollenwandel
Der Rollenwechsel, der sich da stickum vollzogen hat, schlägt einen großen Bogen zu den Fragen heute in der Gender-Debatte in unserer römisch-katholischen Kirche.
Zwischen dem Text des 78. Psalms und der heutigen Wirklichkeit können wir erkennen, dass bestimmte Rollenverständnisse und auch die Ausübung von bestimmten Rollen und Aufgaben in Religion und Kirche einem stetigen Wandel unterworfen waren und auch noch sind.
Für mich ist dies ein Grund mehr, dass wir in der römisch-katholischen Kirche heute die Frage nach der Rolle der Frau(en) und ob und welche Verantwortungen und Ämter sie in unserer Kirche übernehmen, nicht mehr apodiktisch verhindern, geschweige denn mit fragwürdigen, vermeintlichen Verweisen auf die sogenannte ‚Tradition‘ beantworten können.
So, wie in der Vergangenheit das Leben in der Kirche einem Wandel unterworfen war, so wird es das auch heute und in Zukunft so bleiben.
Wer sich diesem Wandel verweigert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er/sie sich damit nicht auch der geistlichen Dynamik eines lebendigen, für das alltägliche Leben relevanten Glaubens verweigert!