Jesus wandte sich an die Gesetzeslehrer und die Pharisäer und fragte: Ist es am Sabbat erlaubt zu heilen, oder nicht? Sie schwiegen. Da berührte er den Mann, heilte ihn und ließ ihn gehen. (Lukas 14, 3–4)
Diese wenigen Sätze haben mich heute tief getroffen. Ich merke, wie sie in mir nachhallen – weil sie so viel mit dem zu tun haben, was ich in letzter Zeit selbst erlebe und beobachte.
Da sind Menschen in meinem Umfeld, die hart getroffen werden. Ohne Feingefühl, ohne Anteilnahme werden ihnen Dinge angetan, die ihr ganzes Leben verändern. Kein Blick, kein Wort der Wertschätzung. Einfach nur: Das ist jetzt so.
Und ich sehe, wie unterschiedlich Menschen damit umgehen. Manche schweigen. Sie nehmen das hin, lassen alles über sich ergehen – auch dann, wenn es ihnen weh tut. Sie funktionieren weiter, so wie immer. Vielleicht auch, weil sie meinen, dass es ‚das System so verlangt‘?
Und dann sind da die anderen. Die, die nicht schweigen. Die sagen, was sie empfinden. Die das Unrecht benennen, das ihnen widerfährt. Die ihren Schmerz zeigen, ihre Wut, ihre Enttäuschung.
Sie lassen zu, dass man sieht, wie sehr sie etwas trifft – und genau dadurch beginnen sie, sich zu verändern. Sie folgen nicht ‚dem System‘ sondern folgen ‚dem Leben‘. Sie bleiben nicht stehen. Sie fangen an, etwas zu tun. Sie ziehen Konsequenzen, gehen neue Wege, suchen nach dem, was ihnen guttut.
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Vielleicht ändert sich ihre äußere Situation kaum. Aber sie selbst ändern sich. Sie ergeben sich nicht ihrem Schicksal, sondern spüren wieder, dass in ihnen Lebenskraft ist – selbst dann, wenn diese Kraft aus Wut oder Empörung kommt. Und sie handeln. Nicht immer nur für andere – manchmal einfach für sich selbst.
Und das ist okay. Das ist Selbstliebe.
Diese Menschen machen mir Mut. Und auch Jesus macht mir Mut. Er hätte damals ebenfalls schweigen können. Aber er tat es nicht. Er handelte. Er heilte – einfach, weil es richtig war.
Das erinnert mich daran: Wenn andere schweigen, kann ich immer noch handeln. Ich kann mich, oder auch andere, zurück ins Leben bringen.
Das lerne ich heute – aus diesen wenigen Versen. Und aus dem Leben selbst.
Wenn andere schweigen … werde ich handeln ?(!)
Hingabe
Wenn der Weg unbequem wird – über innere Überzeugung und geistliche Standhaftigkeit
„Ich glaube, dass die großen Propheten unseres Jahrhunderts ihren Kampf in großer Einsamkeit vor Gott und ihrem Gewissen haben durchstehen müssen – ohne auch nur ein Hauch eines Applauses von Seiten ihrer Umwelt zu verspüren.“ (Fritz Köster, 1934–2014, Pallottiner und katholischer Theologe, aus: TE DEUM, Oktober 2025, 307)
Diese Worte fand ich heute Morgen am Ende der Laudes. Sie haben mich tief berührt – vielleicht, weil sie mich an Situationen aus dem Leben anderer Menschen erinnerten, die ich begleiten darf, aber auch an Momente meines eigenen Lebens.
Da gibt es Zeiten, in denen man von ganzem Herzen von einer Sache überzeugt ist. Man spürt eine innere Stärke, die einen ermutigt, sich einzusetzen, Zeit und Energie zu investieren, weil man weiß: Das ist es wert. Gerade, wenn man mit Menschen zu tun hat, wenn man für Menschen arbeitet, ist dieses innere Bewusstsein entscheidend – es ist der Motor, der unentwegt läuft, die Wurzeln, die Halt und Stand geben, wenn die äußeren Umstände schwierig werden.
Für mich persönlich entspringt diese Motivation meinem Glauben. Mein Christsein ist für mich keine Theorie, sondern eine lebendige Wirklichkeit – eine Botschaft für das Leben, hier und jetzt, und zugleich mit Blick auf das ewige Leben.
Auch wenn mein Wirkungsfeld klein ist, geht es mir darum, dass die Menschen, mit denen ich zu tun habe, gestärkt und ermutigt werden. Ich wünsche mir, dass ihr Leben gelingt und sie es als sinnvoll erfahren. Dabei spielen Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Ethik, Moral, Sinn, Glück und Liebe eine zentrale Rolle.
Doch wer sich für andere stark macht, wer Missstände benennt oder sich für Gerechtigkeit und Teilhabe einsetzt, der wird manchmal unbequem. Man eckt an. Man wird zum sogenannten „Störenfried“, gerade dann, wenn man das eigene System kritisch betrachtet, in dem man sich engagiert. Das kostet Kraft – emotional, geistlich, menschlich.
Und dann kommt unweigerlich die Frage: Warum mache ich das eigentlich?
Diese Frage ist keine Schwäche, sondern eine wichtige Form der Selbstreflexion. Sie wirkt wie ein innerer Kompass, der hilft zu erkennen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist. Äußerer Widerstand kann dabei sogar hilfreich sein – weil er einen zwingt, die eigenen Motive und Wege neu zu prüfen.
Leider geschieht diese selbstkritische Auseinandersetzung heute viel zu selten – auch in kirchlichen Strukturen. Ich erlebe manchmal, dass Menschen in höheren kirchlichen Positionen meinen, sie müssten sich weniger der Kritik stellen. Doch genau das Gegenteil ist wahr: Je höher die Verantwortung, desto größer sollte die Bereitschaft zur Selbstprüfung sein. Gerade dort, wo Macht und Einfluss bestehen, braucht es die Demut, auch Impulse „von außen“ anzunehmen. Darin zeigt sich wahre geistliche Reife.
Wenn ich auf die Geschichte unserer Kirche schaue, denke ich an Persönlichkeiten wie Hildegard von Bingen. Sie waren unbequem, mutig, kritisch – und gerade deshalb prophetisch. Sie „störten“ einen Frieden, der mehr einer Totenruhe glich, und entfachten mit ihren Worten das Feuer des Evangeliums neu: das Feuer der Liebe, der Gerechtigkeit, des Lebens.
Ihre Störfeuer waren keine Zerstörung, sondern heilsame Impulse – Impulse, die wachrütteln, damit das Evangelium nicht verlischt.
Darum: Wenn du aneckst, wenn du spürst, dass deine Überzeugung andere herausfordert, dann prüfe, aus welcher Quelle du deine Kraft schöpfst. Bitte Gott um seinen Heiligen Geist – dass er dich führt, stärkt und dir die nötige Standhaftigkeit schenkt, wenn es unbequem wird.
Ich erinnere mich an eine Zeile aus einem Neuen Geistlichen Lied, das mich schon in meiner Jugend begleitet hat:
„… den Weg wollen wir gehen, die Liebe geht mit uns, auf dem langen und steinigen, auf dem weiten und unbequemen, auf dem Weg, der die Mühe lohnt …“ (aus der Erinnerung zitiert)
Vielleicht ist das die entscheidende Frage: Lohnt sich dein Weg der Mühe, die du aufwendest? Was ist die Quelle, aus der du deine Kraft und deinen Mut schöpfst – den Mut, auch dann standhaft zu bleiben, wenn der Weg steinig wird?
Möge Gott dir – und uns allen – immer wieder diese Quelle lebendig halten. Denn dort, wo unsere Überzeugung aus der Liebe Gottes fließt, dort geschieht Segen – auch mitten im Widerstand.
Seit Anfang der 1990er Jahre beschäftigt mich das Thema: „Ehrenamt und Verantwortung“ sehr. Es wurde damals angestoßen, als ich selber ehrenamtlich in der kirchlichen AIDS-Arbeit tätig war und dann später auch eine Ehrenamtlichen-Gruppe in der kirchlichen AIDS-Arbeit geleitet habe. Schon damals habe ich mich z.B. dafür eingesetzt, dass man nicht mehr salopp über „die Ehrenamtlichen“ gesprochen hat, sondern auch andere Begrifflichkeiten nutzt, wie „ehrenamtliche Mitarbeiter:innen“ oder „ehrenamtliche Kolleg:innen“. So konnte besser auch deren Kompetenz und Mit-Verantwortung deutlich werden. In den letzten Jahren ist für mich der Aspekt der Professionalität in der ehrenamtlichen Arbeit (in der Kirche und Seelsorge) dazu gekommen.
Daraus ist in den letzten Monaten eine kleine Abhandlung entstanden, die nun fertig ist und die ich uns zur Verfügung stellen möchte.
Vielleicht bereichert es unsere Überlegungen auch in der Frage nach der Zukunft unserer Kirche(n) und ihren seelsorglichen Herausforderungen.
Wegen der besseren Lesbarkeit und auch der Berücksichtigung der Quellen, veröffentliche ich diese Abhandlung hier als .pdf-Dokument, das hier heruntergeladen werden kann.
An diesem 5. Sonntag der Osterzeit hören wir im Johannes‑Evangelium (13, 35) das zentrale Gebot Christi:
„Ein neues Gebot gebe ich euch: Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger*innen seid: wenn ihr einander liebt.“
Dieses Liebesgebot ist die alles umfassende Klammer der Frohen Botschaft! Ohne die gegenseitige Liebe zerfällt das Evangelium in Einzelteile und wird wirkungslos; erst im Miteinander und im Dienen wird es lebendig.
Unmittelbar nach seiner Auferstehung schenkt Jesus seinen Jüngerinnen und Jüngern als erstes Wort den Frieden: „Friede sei mit euch!“
Eben dieses Wort hat unser neuer Papst Leo XIV. in seinem ersten Wort an die Weltgemeinde erneut aufgegriffen:
„Der Friede sei mit euch allen! – dies ist der erste Gruß des auferstandenen Christus, des Guten Hirten, der sein Leben für die Herde Gottes hingegeben hat. Auch ich wünsche mir, dass dieser Friedensgruß in eure Herzen eingeht, eure Familien erreicht, alle Menschen, wo immer sie auch sind, alle Völker, die ganze Erde. … Dies ist der Friede des auferstandenen Christus, ein unbewaffneter und entwaffnender Friede, demütig und beharrlich. Er kommt von Gott, dem Gott, der uns alle bedingungslos liebt.“ Quelle: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-05/papst-leo-erste-worte-auf-der-loggia-des-petersdoms.html
Frieden geht als Frucht aus der göttlichen Liebe hervor. Er ist nicht das Ergebnis politischer Macht oder militärischer Stärke, sondern das Geschenk dessen, der uns zuerst liebt. Wer diese Liebe nicht annimmt und nicht selbst versucht zu leben, wird auch keinen echten Frieden wollen können.
Wer andere Menschen nicht liebt, schafft Zwietracht und Hass – sei es im persönlichen Umgang oder im großen Maßstab: wenn Mächtige Angriffskriege führen, wie wir es derzeit schmerzlich vor Augen haben im Krieg Russlands gegen die Ukraine.
Und wer getauft ist, sich mit hohen kirchlichen Würdenträgern abgibt, Gottesdienste besucht, aber verkennt, dass ohne Liebe die Glaubwürdigkeit und der Kern des Christentums verloren gehen, der verrät die christliche Botschaft.
Margot Friedländer, 2025 – Von Martin Kraft – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=164982314
Ganz anders aber verhalten sich jene, die selbst unter größter Gewalt nicht den Gedanken an Versöhnung und Frieden aufgegeben haben. Sie sind wahrlich die „Großen“ unter den Menschen. Eine von ihnen war Margot Friedländer. Als Überlebende der ‚shoa‘ kehrte sie im hohen Alter zurück nach Deutschland – jenes Deutschland, das unzählige Mitglieder ihrer Familie und ihrer Gemeinde bestialisch ausrotten wollte.
Sie kam aber nicht nach Deutschland zurück,um moralisierend den drohenden Zeigefinger zu heben, sondern dieMenschenliebe und Menschheitsliebetrieb sie an: Sie wollte den Nachgeborenen in Deutschland die Vergebung anbieten und suche mit ihnen die Begegnung und das Gespräch.
Mit persönlicher und natürlicher Souveränität lehrte Margot Friedländer: Vergebung ist keine Schwäche, sondern ein Akt tiefer Liebe. Sie hat uns in Deutschland die Gnade der Versöhnung geschenkt – bedingungslos.
Ihre Botschaft lautete:
„Ich sage, seid Menschen. Wir sind alle gleich. Es gibt kein christliches, kein muslimisches, kein jüdisches Blut. Es gibt nur menschliches Blut. Alles ist gleich.“
Damit griff sie den Leitgedanken des Apostels Paulus Gleichheit aller Menschen auf, der im Galaterbrief (3, 28) schrieb:
„Es hat darum auch nichts mehr zu sagen, ob ein Mensch Jude ist oder Nichtjude, ob im Sklavenstand oder frei, ob Mann oder Frau. Durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zu einem Menschen geworden.“
Aus dieser heilsamen Wahrheit erwächst der Auftrag Christi an uns:
Liebt einander, schenkt Frieden, lebt Versöhnung!
Dann wird unser Glaube mehr als ein frommer Anspruch. Er wird zu lebendiger Gegenwart dessen, der uns zuerst geliebt, uns den Frieden zugesprochen und uns die Kraft geschenkt hat, selbst zu verzeihen und neu zu beginnen.