„If I were a rich man …“

oder: Das Gleichnis vom ‚armen Lazarus‘ nach Lk 16, 19-31

Deutsch: Meister des Codex Aureus Epternacensis, Public domain, via Wikimedia Commons

Kennen Sie die ‚Gastmahl-Angebote‘ und die ‚Tafelausgabe‘ hier in unserer Pfarrei St. Clemens in Oberhausen-Sterkrade?

An jedem zweiten bis fünften Sonntag im Monat laden wir zum Gastmahl ein – und rund 30 Menschen nehmen dieses Angebot regelmäßig dankbar an.
Seit März gibt es außerdem die Tafelausgabe im Vorraum von St. Clemens. Dort kommen im Durchschnitt über 70 Personen mit ihren Familien, um das Nötigste für ihren Alltag zu bekommen.

Diese beiden Initiativen zeigen: Auch bei uns in Sterkrade gibt es konkrete Not. Das ist nicht weit weg, nicht irgendwo in den Nachrichten – das ist hier bei uns.

Es ist die Not des „armen Lazarus“ aus dem heutigen Evangelium.
Und diese Not schreit zum Himmel.

Dabei wissen wir: Eigentlich gibt es genug. Lebensmittel gibt es in Hülle und Fülle.
Niemand müsste in Deutschland hungern oder ohne das Nötigste dastehen.

Und trotzdem geschieht es.
Warum? Weil wir Menschen ein Teil dieses ungerechten Systems sind.

Es ist leicht, mit dem Finger auf andere zu zeigen – auf Unternehmen, die nur auf Gewinn schauen, oder auf die Politik, die vermeintlich zu wenig tut.
Aber die Wahrheit ist: Wir alle, auch ich selbst, tragen unseren Anteil daran.
Unser Konsum, unsere Bequemlichkeit, unser Verhalten – all das baut mit an dieser Welt, in der Menschen Not leiden.

Das ist hart, aber wir dürfen es nicht beschönigen.
Und wenn wir das einmal verstanden haben, dann kann es uns eigentlich nicht mehr gleichgültig lassen.
Dann muss in uns die Frage aufbrechen:
Wie kann ich helfen?
Welchen Beitrag kann ich leisten, damit es anderen besser geht – wenigstens ein kleines Stück?

Gott sieht diese Not.

Und Jesus Christus macht sehr deutlich: Wie wir mit der Not unserer Mitmenschen umgehen, ist entscheidend für die Frage, ob wir einmal am himmlischen Tisch Platz nehmen dürfen.

Schon als Kind hat mich das Gleichnis vom reichen Prasser und dem armen Lazarus aufgewühlt.
Ich erinnere mich gut an die Bilder in meiner Kinderbibel: Lazarus, krank und voller Wunden, die Hunde, die an ihm leckten, und sein Tod in bitterster Armut.
Ein paar Brosamen hätten gereicht, etwas vom Überfluss des Reichen – aber selbst das bekam er nicht.

Darum fällt Jesu Urteil so scharf aus.
Denn die Botschaft war damals schon bekannt: Barmherzigkeit, Mitgefühl, tätige Nächstenliebe.
Jesus ruft sie uns nur mit Nachdruck ins Gedächtnis zurück.

Auch heute noch wirkt dieses Evangelium in mir – kritisch, aufrüttelnd, aber auch heilsam.

Und ich hoffe, dass es uns allen so geht.
Denn wir müssen uns immer wieder fragen: Haben wir getan, was uns möglich gewesen wäre? Haben wir den Notleidenden wirklich geholfen – so, wie wir es gekonnt hätten?

Paulus schreibt in der heutigen Lesung, im ersten Timotheusbrief eine klare Antwort, die wir uns zu Herzen nehmen können:
„Strebe nach Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Glauben, Liebe, Standhaftigkeit und Sanftmut! Kämpfe den guten Kampf des Glaubens, ergreife das ewige Leben, zu dem du berufen bist…“ (1 Tim 6,11f.)

Und darum komme ich am Ende noch einmal auf etwas ganz Konkretes zurück:

Für die Gastmahle und für die Tafelausgabe werden noch Helferinnen und Helfer gesucht.
Vielleicht ist das genau der Beitrag, den man leisten könnte: Ein Stück vom eigenen Überfluss weitergeben – Zeit, Aufmerksamkeit, ein offenes Ohr, vielleicht auch eine helfende Hand.

Die Not des Lazarus ist auch heute mitten unter uns.
Lassen wir uns von ihr berühren – und von Jesus rufen, damit wir gemeinsam dazu beitragen, dass aus Not Hoffnung wird.




Ist Christentum politisch?

Bezug: Lesungen vom 25. Sonntag im Jahreskreis – C – 2025

Buch Amos (AT): Am 8,4-7
Lukas-Evangelium (NT): Lk 16,10-13

Link zum Bild: https://www.eins.website/aktuelles/berichte-und-artikel/berichte-2025/1883-aktion-gegen-hass-und-rassismus

Die Bundestagspräsidentin Frau Julia Klöckner (CDU) hat in einem Interview im April diesen Jahres gegenüber ‚domradio‘ Köln gesagt, sie halte es nicht immer für richtig, wenn Kirchen sich wie eine NGO verhalten und zu allen möglichen politischen Themen Stellung nehmen.

Als Beispiel nannte sie das Tempolimit: Man könne ja für Tempo 130 sein, aber ob die Kirche dazu unbedingt etwas sagen müsse, sei fraglich.

Außerdem kritisierte sie, dass in der Corona-Zeit die Seelsorge zu wenig präsent gewesen sei.

Und sie sagte, gerade bei schwierigen Fragen rund um den Beginn und das Ende des Lebens wünsche sie sich, dass die Kirche klar Haltung zeigt – und nicht danach schaut, ob es dafür Beifall gibt oder nicht.

Solche Aussagen haben in Kirche und Gesellschaft für viele Diskussionen gesorgt.

Ich selbst würde mit Frau Klöckner gerne mal darüber streiten, ob sich die Kirche nicht auch zum Tempolimit äußern sollte.
Denn es gibt durchaus gute christliche Gründe dafür: den Schutz der Schöpfung und den Schutz des Lebens.

Außerdem war es in der Corona-Zeit die Politik selbst, die – aus Fürsorge, aber eben auch mit harten Regeln – die Arbeit der Kirchen stark eingeschränkt hat.

Manche Stimmen in der Diskussion haben Frau Klöckner unterstützt.

Sie sagten: Religion sei Privatsache, die Kirche solle sich auf das Seelenheil konzentrieren und sich nicht in die Politik einmischen.

Aber das greift zu kurz.

Denn die Bibel und die heutigen Lesungen machen klar: Glaube hat sehr wohl mit gerechten Lebensverhältnissen und somit mit Politik zu tun.

Glauben heißt nicht nur, an Gott zu glauben – sondern auch, den Glauben im Alltag zu leben.

Ein Christ oder eine Christin zeigt ihre Glaubwürdigkeit darin, wie sie handelt.

Und der Gott, an den wir glauben, ist ein Gott, der sich immer wieder auf die Seite der Schwachen, Benachteiligten und Ausgebeuteten stellt.

Schon in den Worten der Propheten, und auch in Jesus, seinem Sohn, hören wir den Ruf nach Gerechtigkeit.

Wer sich für Gerechtigkeit und für die Schwachen einsetzt, handelt damit immer auch politisch.

Das Reich Gottes ist nichts Abgeschlossenes neben der Gesellschaft, kein frommer Raum ohne Verbindung zur Welt.

Es zeigt sich mitten im Leben, mitten in den Fragen und Konflikten unserer Zeit.

Darum gehört es zum Wesen der Kirchen, dass sie für Gerechtigkeit, Frieden, Solidarität und die Bewahrung der Schöpfung eintreten.

Und zwar nicht nur mit allgemeinen Worten, sondern auch mit klaren und konkreten Aussagen, wie zum Beispiel zum Tempolimit.

Denn nur so wird sichtbar, dass der Glaube etwas mit unserem Alltag und alltäglichen Fragen zu tun hat.

Natürlich kann es dabei passieren, dass Politikerinnen und Politiker, Mächtige und Herrscher, Unternehmer und Reiche, Autoliebhaber:innen oder andere sich kritisiert fühlen.

Aber das muss die Kirche aushalten – ja, vielleicht ist es sogar nötig.

Denn unser Auftrag ist es, die frohe Botschaft Gottes zu verkünden: die Botschaft von einem Gott, der an der Seite der Schwachen steht und der allen beisteht, die Hilfe brauchen.


Den Artikel aus dem ‚domradio‘, auf den ich mich beziehe, kann hier nachgelesen werden:
https://www.domradio.de/artikel/bundestagspraesidentin-kloeckner-wuenscht-sich-starke-kirchliche-stimme




Ballast abwerfen – frei sein

… zur Nachfolge Christi

Lesungstext: Lukas 14,25–33

Das heutige Evangelium wirkt auf den ersten Blick wie ein Widerspruch.
Im Alten Testament heißt es: „Du sollst Vater und Mutter ehren“.
Jesus hingegen spricht: „Wer Vater und Mutter nicht gering achtet, kann nicht mein Jünger sein.“
Wie passt das zusammen?

Jesus provoziert mit seinen Worten. Er will deutlich machen: Nachfolge bedeutet nicht, das zu tun, „was man eben so macht“.
Nachfolge Christi bedeutet, tiefer zu fragen:
Was ist der Sinn?
Was trägt?
Was ist wirklich wichtig?

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Wenn Jesus davon spricht, alles aufzugeben, was wir besitzen, dann geht es nicht nur um Geld, Häuser oder materielle Dinge.
Das deutsche Wort „haben“ hat eine Nähe zum lateinischen habitus. Damit ist nicht nur Besitz gemeint, sondern auch unsere Gewohnheiten, unsere Vorlieben, unser Verhalten – kurz: die Art, wie wir uns die Welt angeeignet haben.

Bild von Tania Dimas auf Pixabay

Und da spielen Vater und Mutter, Geschwister, Familie eine entscheidende Rolle.
Wir hören ja nicht selten: „Du kommst ganz nach deinem Vater“ oder „nach deiner Mutter“.
Vieles, was wir tun und denken, ist uns anerzogen, gehört zu unserem Habitus.
Das ist einerseits wertvoll.
Aber es kann uns auch hindern, wenn es uns blind macht für das, worum es Jesus geht. Denn er stellt die Sinnfrage:

• Macht es Sinn, einen Kranken als Außenseiter abzustempeln?
• Macht es Sinn, einem Hungrigen zu verwehren, am Sabbat ein paar Körner zu pflücken?

Jesus ruft uns zu einer Freiheit, die mehr ist als „ich mache, was ich will“.
Er ruft uns in eine Freiheit, die sich von der Liebe und vom Sinn her bestimmen lässt – auch wenn das im Widerspruch zu Gewohntem steht.

Darum gehört zur Nachfolge nicht nur die Befreiung von Besitz, sondern auch die Befreiung von einem anerzogen, erlernten oder angeeigneten ‚Habitus‘, der uns fesselt.
Es geht darum, bereit zu sein, neu zu denken, neue Wege zu wagen.

Das wird besonders deutlich in den Gleichnissen, die Jesus heute erzählt.

• Wer einen Turm bauen will, muss vorher gut überlegen, ob er die Mittel dafür hat. 
• Wer in den Krieg zieht, muss prüfen, ob er stark genug ist, zu bestehen.

Wir leben in einer Zeit großer Umbrüche – persönlich, gesellschaftlich und auch kirchlich.
Liebgewordenes lässt sich nicht einfach festhalten.
Vieles, was einmal selbstverständlich war, ist nicht mehr möglich.
Wenn wir trotzdem so weitermachen wollten wie bisher, würden unsere Vorhaben scheitern.

Darum ist es klüger und weiser, wie Jesus sagt, ehrlich zu prüfen:

• Was geht noch?
• Was können wir leisten?
• Was können wir als Kirche heute verantworten?
Bild von Robert Owen-Wahl auf Pixabay

Wenn wir uns diese Fragen stellen, ist das so, als würden wir Ballast abwerfen.
Wir müssen nicht krampfhaft an dem festhalten, was uns eigentlich nur müde macht.
Dann wird Nachfolge nicht zu einem schweren Rucksack, der uns erdrückt.
Sie wird vielmehr zu einem Weg, auf dem wir frei atmen und neu beginnen können – getragen von dem Sinn, den Christus uns schenkt.

Das bedeutet:




zuhören – hinsehen – abwägen

Lesungstext des 22. Sonntag im Jahreskreis – C – 2025: Jesus Sirach

Bild von Sindi Short auf Pixabay

„Bescheidenheit ist eine Zier, doch weiter kommt man ohne ihr“ – so heißt ein Sprichwort.
Die Bibel sagt dagegen: Bescheidenheit bringt uns wirklich weiter.



Im Buch Jesus Sirach (2. Jahrhundert v. Chr.) gibt es viele praktische Lebensweisheiten zu Familie, Freundschaft, Gesundheit und Gerechtigkeit.

Ein Satz daraus trifft heute besonders:

„Das Herz eines Verständigen denkt über einen Spruch nach, und das Ohr des Zuhörers ist die Sehnsucht der Weisen.“

Das klingt ungewohnt.

Denn oft gilt heute: Hauptsache schnell etwas sagen.
Viele äußern sofort ihre Meinung – auch ohne nachzudenken oder genau hinzusehen.
Das führt zu Streit und oberflächlichen Diskussionen.

Ein Beispiel: die Wahl von Papst Leo XIV.
Als er gewählt wurde, wussten viele gar nicht, wer er ist.
Trotzdem hatten sofort viele etwas zu sagen, auch zur Person des neuen Papstes, obwohl sie ihn gar nicht kannten.

Jetzt ist er über 100 Tage im Amt – und manche kritisieren, er sei zu still.
Doch gerade das entspricht der Haltung der Bibel: zuhören, hinsehen, abwägen.

‚Aufmerksamkeit‘, Bild von Ian Ingalula auf Pixabay

Papst Leo XIV. macht keine lauten Schlagzeilen.
Er hört zu, zeigt sich den Menschen, geht vorsichtig vor.
So baut er Vertrauen auf.

Daran erinnert mich ein Ratschlag aus meiner Kaplanzeit: „Das erste Jahr gehört den Augen!“

– also: erst zuhören, hinschauen, verstehen, bevor man selbst etwas Neues beginnt.

Wer so lebt, erkennt besser, was wirklich gebraucht wird.
Das ist echte Bescheidenheit – und genau das fehlt uns oft.


Darum empfiehlt uns die heutige Lesung:
• Nimm dir Zeit.
• Höre zu.
• Informiere dich.
• Urteile nicht vorschnell.

Denn manchmal zeigt sich: Reden ist Silber, Schweigen ist Gold.


Geradezu passend ist ein ganz aktueller Artikel von ‚Vatican News‘ vom 28. August 2025, die meine Einschätzung zu Papst Leo XIV. teilt: „… Leo XIV. sei ein Mensch, der beobachte und zuhöre,…Wir können keine übereilten Entscheidungen erwarten, alles wird sehr wohlüberlegt sein.“





„Wen der Herr liebt, …“

Über eine echt problematische Lesung am 21. Sonntag im Lesejahr C

Schriftlesung: Hebräer 12,4-13 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver

Ich erinnere mich:
Als ich als Kind einmal meine Oma besuchte, fand ich in ihrem Schrank einen Stock mit Lederriemen.
Ich fragte sie, was das ist. Sie sagte: „Eine Kopppeitsche.“ Damit hatte mein Opa früher seine Kinder geschlagen.

Symbolbild, Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Da wurde ich traurig. Auch mein Vater war als Kind so behandelt worden. Anfangs, als Familienvater, hielt er es auch für normal, uns Söhne durch Schläge zu erziehen und zu bestrafen.



Dabei war unser Vater war eigentlich liebevoll. Er war selbständiger Handwerker, aber sonntags nahm er sich Zeit für uns Kinder, da war er für uns da.

Wir liebten ihn sehr, vielleicht auch deshalb, weil er bald von solchen ’schlagkräftigen Erziehungsmethoden‘ Abstand nahm. Meine Eltern lernten gemeinsam: Liebe hat nichts mit Gewalt zu tun.
Ich finde diese Entwicklung, die sie gemeinsam zugelassen haben, großartig!

Symbolbild, Bild von Daniela Dimitrova auf Pixabay

Und obwohl sie uns später nicht mit körperlicher Gewalt erzogen, sind wir, ihre sechs Söhne, alle gut durchs Leben gegangen.
Wer hat denn nun Recht: die heutige Lesung oder meine Eltern mit ihrem Erziehungsstil?!

Gerade wegen dieser persönlichen Erfahrung empfinde ich die heutige Bibellesung als schwierig und äußerst problematisch.
Sie ist eine Herausforderung, darüber zu predigen – und trotzdem will ich mich ihr stellen.

Denn ich finde darin einen wichtigen Gedanken, der es wert ist, im Mittelpunkt zu stehen.
Um das zu verstehen, müssen wir uns die Absicht des Apostels Paulus anschauen.
Sein Brief sollte den Glauben von verunsicherten Christen stärken, die Verfolgung, Zweifel und Enttäuschungen erlebt hatten. Paulus wollte ihnen Mut machen, damit sie im Alltag mit ihrem Glauben standhalten konnten.

Bild einer künstlichen Besamung einer Bienenkönigin, Bild von xiSerge auf Pixabay

Er spricht von „Züchtigung“; wir kennen das damit verwandte Wort „Zucht“, die eine
gezielte und geplante Erziehung und Prägung meint, z.B. in der Pflanzen- oder Tierzucht.
Dafür benutzte Paulus aber Bilder aus seiner Zeit – Bilder, die uns heute fremd erscheinen.
Denn diese Bilder greifen eine zentrale Frage auf, die schon im Alten Testament eine große Rolle spielte:
„Welchen Sinn hat Leid?“
Die damalige Antwort lautete: Leid kann den Menschen erziehen.

Für mich ist das ein sehr schwer erträglicher Gedanke – zumindest auf den ersten Blick.

Doch wenn Menschen leiden oder mit anderen mitleiden, passiert tatsächlich etwas mit ihnen.
Im besten Fall setzen sie sich mit dem Leid auseinander und suchen Wege, damit umzugehen – allein oder mit Hilfe von Familie, Freunden, Therapeuten, Seelsorgern und anderen.
Dabei kann ein tieferes Verständnis für das eigene Leben entstehen, vielleicht sogar ein neuer Blick auf den Sinn des eigenen Lebens.
Auch ich habe so etwas erlebt.

Mein Vater starb mit 45 Jahren, ich war damals 17.
Als er krank wurde, war ich gerade 10 Jahre alt.
Er hatte einen Hirntumor und litt fast acht Jahre lang daran. Das war für ihn und unsere ganze Familie eine schwere Zeit – auch finanziell. Aber wir hielten zusammen.
Als Kinder begleiteten wir unseren Vater auf Spaziergängen, betreuten ihn in unserer Freizeit in gewisser Weise, später halfen wir bei seiner Pflege zu Hause.
Das waren Erfahrungen, die eigentlich kein Kind machen sollte. Aber wir wurden nicht davor bewahrt.
Und gerade in dieser schweren Zeit haben wir eine besondere Nähe und Verbundenheit in unserer Familie erlebt, die es ohne das Leid vielleicht nie gegeben hätte.
Diese Erlebnisse haben mich sehr geprägt. Sie machten mich sensibel für den Umgang mit Leid – bei mir selbst und bei anderen. Vielleicht war das auch ein Grund, warum ich später Seelsorger geworden bin.
Natürlich hatte diese Zeit auch ihren Preis: Unsere Jugend war nicht unbeschwert.
Ich war noch nicht einmal 18 Jahre alt, als ich schon meine erste Ausbildung abgeschlossen hatte, nur damit ich mehr Geld verdienen und die Familie mit unterstützen konnte. Auch meine Brüder haben ihren Teil dazu beigetragen.
Nein, es war keine gute Zeit.
Aber sie hat mich stärker gemacht und mir Sicherheit im Umgang mit Leid gegeben – im Blick auf andere und hoffentlich auch für mein eigenes Leben, falls mich einmal schweres Leid trifft.

Wenn Paulus also davon spricht, dass das Leid den Menschen erziehen kann, dann kann ich ihm aus meiner eigenen Erfahrung heraus zustimmen.
Das Leben bringt uns manchmal harte Prüfungen, die uns für das zurüsten können, was noch kommt.
Heute spielt das auch eine wichtige Rolle für die persönliche Resilienz.

(Anm.: Die Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.)

Resilienz, Symbolbild, Bild von Rosy / Bad Homburg / Germany auf Pixabay

Aber – und das ist mir wichtig – das kann auch ganz anders ausgehen.
In meiner Arbeit in der Psychiatrie sehe ich oft, dass Menschen an diesen „Züchtigungen des Lebens“ zerbrechen.

Darum glaube ich:
Leid ist weder ein gutes Erziehungsmittel noch ein Weg, den man sich wünschen sollte.
Ich selbst könnte gut darauf verzichten.
Nur: das Leben lässt es nicht zu, Leid einfach zu vermeiden.

Also versuche ich, damit umzugehen, damit es mich nicht zerstört, sondern ich – durch den bewussten Umgang damit – vielleicht sogar in meinem Leben gestärkt werde, und so besser gewappnet bin für die Herausforderungen meines Lebens und meines Glaubens.