Ein Auge ist’s …

Bild von beate bachmann auf Pixabay

„Ein Auge ist’s
was alles sieht,
selbst, wenn’s in finstrer Nacht
geschieht.“

(traditionells Sprichwort)

Viele von uns kennen noch dieses traditionelle Sprichwort.
Unter denen, die es kennen, gibt es sicherlich welche, die – wenn sie dieses Wort wieder hören oder lesen – ein gewisses Unbehagen entwickeln.

Und das kommt nicht von Ungefähr!
Meistens fiel dieses Wort in einem vermeintlich ‚erzieherischen‘ Kontext.

Sie können ja einmal selber darüber nachspüren, in welchen Zusammenhängen oder Situationen Ihnen dieses Wort begegnet ist oder gesagt wurde….



Ich kann mich selber nicht daran erinnern, dass mir dieses Wort ernsthaft – von meinen Eltern – gesagt wurde.
Aber mir sind Erzählungen bekannt, wo Kinder dieses Wort von ihren Eltern gesagt bekommen haben.
Das Ziel war eindeutig: Selbst da, wo die eigenen Eltern die Verfehlungen der eigenen Kinder nicht wahrnehmen (können), sagt man dem Kind damit: Aber EINER sieht alles, und das ist GOTT höchstpersönlich!

Damit wurde ein Gottesbild vermittelt, das uns Gott als Oberaufpasser und Bestrafer glauben lassen sollte.

Ich finde dieses Gottesbild oft belustigend, vor allem aber auch tragisch.

Gott als „big brother is watching you!“ ?!
Hat Gott wirklich nichts Besseres zu tun, als wie ein totalitärer Diktator alles und jeden zu überwachen?!

Ich bin davon überzeugt, dass solche Sprichwörter einer dringenden Umdeutung bedürfen!

Heute Morgen, beim Morgenlob aus dem TE DEUM bekomme ich einen Hymnus vorgelegt, in dessen fünfter Strophe es heißt:

„Ein Auge schaut auf uns herab,
das über unser Leben wacht.
Es sieht voll Güte unser Tun
vom frühen Morgen bis zur Nacht.“

(Quelle: Te Deum, Juli 2020, S. 299)

Nein, dieser Hymnus ist nicht neueren Datums. Der älteste Teil dieses Hymnus „Lux ecce surgit aurea“ geht auf den Anfang des 5. Jahrhunderts (um 405 n.Chr.) zurück, und die zitierte Strophe oben entstand im 7.-8. Jahrhundert.

Dieser Text ist also mindestens schon 1200 Jahre alt!

Mag sein, dass dieser Hymnus die Grundlage für den ganz oben einschüchternden Text aus dem Volksmund gebildet hat.

Wie dem auch sei: ich bin der Überzeugung, dass solche ‚erzieherischen‘ und einschüchternden Verse dringend der Vergangenheit angehören müssen!

Und wem der Spruch „Ein Auge ist’s, was alles sieht….‘ so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dem biete ich eine befreiende Neudeutung an, um mit solchen verinnerlichten Sprüchen gut leben zu können, indem sie bewusst umgedeutet werden.

Ich kann nämlich das Wort „Ein Auge ist’s…“ nicht als Drohung sondern als liebende Versicherung verstehen.

Hier mein Versuch:

Wenn Gott alles sieht, was geschieht, wenn er, der mich „geformt und im Schoß meiner Mutter gebildet hat“ (vgl. Psalm 139, 13ff.) und wenn ER ein liebender, gnädiger und verzeihender Gott ist (davon bin ich überzeugt), dann ist ER auch derjenige, vor dem ich so sein darf, wie ich bin (mit meinen Stärken aber auch mit meinen Schwächen).

Ich brauche mich vor ihm nicht zu verstellen.
Ich brauche mich nicht vor ihm zu verbergen und nicht versuchen, ETWAS vor IHM geheim zu halten.

Er liebt mich so, wie ich bin.

Vor Gott kann ich ganz ICH sein, kann ICH ICH sein!

Dann wird aus der Drohung ein BEFREIUNGSSPRUCH!

Wir erleben in unserem Leben immer wieder Situationen, wo wir nicht so sein dürfen, wie wir sind: weil es die vermeintliche Etikette so fordert, weil ‚man das so tut‘, oder weil ‚man das NICHT tut‘.
Wir müssen uns verstellen, um uns selber nicht zu schaden, um unsere Chancen nicht zu verbauen, um uns zu schützen!

Doch bei Gott brauche ich das alles nicht.
Vor IHM kann ich FREI sein, weil er mich annimmt, mich ernst nimmt und mich liebt … so wie ICH BIN.

Für mich persönlich gibt es keine größere, keine grenzenlosere Freiheit als

meine Freiheit vor Gott!


Gebet:

Guter Gott,
du kennst mich, so wie ich bin.
Vor dir kann ich ’nackt‘ sein, ohne entblößt zu werden.
Deine Liebe ummantelt mich, birgt mich, schützt mich.
Wenn Menschen auch meine Schwächen und Fehler gegen mich einsetzen,
du lässt mich nicht fallen.
Meine Schuld machst du nicht zu einer Waffe gegen mich.
Meine Schuld und mein Versagen ist dir Anfang und Grund deiner Vergebung und deiner Liebe.

Dafür danke ich dir.

Ich bitte dich: lass mich lernen von deiner Liebe, damit ich das Gute in anderen groß werden lasse und Fehler und Schwächen anderer nicht ausnutze.

So können meine Fehler und die der anderen nicht zu Stolpersteinen werden, die zu Fall bringen, sondern verändert werden zu einem Fundament, auf dem Vergebung geschieht und Gutes aufgebaut werden kann.

(copyright: Gerd Wittka, 30. Juli 2020)




22. Juli: Maria Magdalena

Die einzigartige Apostelin

Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mary_Magdalen_by_Bernini.jpg
by: sailko / CC BY-SA (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0)

Seit dem 3. Jahrhundert wird diese Frau – Maria Magdalena – als „Apostolin der Apostel“ genannt. Kein Geringerer als Hippolyt von Rom bezeichnete sie so.

Aber es mussten gut 1600 Jahre vergehen, bis diese einzigartige Frau und Zeugin der Auferstehung Jesu Christi auch offiziell und liturgisch durch eine eigene Festtags-Liturgie in diesen Rang erhoben wurde.



Ja, es ist schade, dass erst Papst Franziskus I. diesen Mut und diese Stärke dazu besaß.
Und ja, es ist gut, dass es überhaupt geschah.

Dazu fand ich folgenden Text des Fundamentaltheologen Hans Waldenfels SJ (* 1931):

„Er (Jesus) gibt ihr den Auftrag: „Geh zu meinen Brüdern und sage ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott“ Hier wird Maria von Magdala die „Apostolin“. (…) In einer Zeit, in der die kirchenrechtliche Stellung der Frau in der katholischen Kirche neu bedacht wird, sind auch die biblischen Aussagen neu zu bedenken.“
Zitiat nach: Te Deum, Juli 2020, S. 223

Ja, ich freue mich über diesen Festtag, den ich – auch wenn ich an diesem Tag keine Eucharistie feiern kann – mit allen liturgischen Möglichkeiten des Stundengebets und der persönlichen Andacht – begehen werde.

Ich wünsche und hoffe, dass von diesem Festtag starke geistliche Impulse ausgehen, für die Frauen in unserer Kirche, die sich für die Geschlechtergerechtigkeit in der Kirche einsetzen und für die Männer in unserer Kirche, die sich diesem Anliegen verschreiben und sich mit den Frauen in der Kirche solidarisieren.

Ich hoffe und bete, dass der Heilige Geist die Mächtigen in der Kirche bewegt, sich der biblischen Wahrheit zu öffnen, nach der die Frauen im Neuen Testament eine herausragende Aufgabe im Zeugnis und in der Weitergabe der Auferstehung des HERRN haben.


Gebet:

Herr Jesus Christus, du hast die Frauen, die dir nachgefolgt sind, zu herausragenden Zeuginnen deiner Auferstehung werden lassen. Du hast ihnen als erste geboten, diese frohe Botschaft zu verkündigen.
Doch in deiner Kirche werden Frauen wegen ihres Geschlechts noch immer zurückgesetzt; sie erfahren nicht die Achtung und Anerkennung, die du ihnen – als Haupt deiner Kirche – gegeben hast.

So bitte ich dich: Bewege in der Kraft des Heiligen Geistes die Herzen und Spiritualität der Menschen, die in unserer Kirche noch immer das Sagen haben. Erleuchte ihren Geist, damit sie Ungerechtigkeiten und Diskriminierungen wegen der Geschlechtlichkeit eines Menschen erkennen und Wege der Erneuerung wagen.

Stärke alle Frauen und Männer, die sich um diese Gleichberechtigung mühen, stelle ihnen Menschen an die Seite, die sich solidarisch mit ihnen verhalten und lass sie in ihrem Kampf um Gerechtigkeit, Respekt und Menschenwürde nicht müde werden.
Amen.

(c) Gerd Wittka, 22.07.2020




Untertrieben – maßlos

Bild von Reimund Bertrams auf Pixabay

Im heutigen Evangeliumstext lese ich im Matthäusevangelium, Kapitel 12, Verse 38-42 (Mt 12, 38-42):

„… Diese (…) Generation fordert ein Zeichen, aber es wird ihr kein anderes gegeben werden als das Zeichen des Propheten Jona.
Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des Fisches war, so wird auch der Menschensohn drei Tag und drei Nächte im Innern der Erde sein…“

[Der Hintergrund:
Schriftgelehrte und Pharisäer fordern von Jesus ein Zeichen seiner göttlichen Vollmacht. Darauf reagiert Jesus mit den oben genannten Worten.]



Als rechtgläubige Juden wollen Schriftgelehrte und Pharisäer ‚Sicherheit‘ dass Jesus das, was er tut und wofür er göttliche Vollmacht für sich in Anspruch nimmt, auch wirklich tun darf. Nichts wäre fataler, als dass jemand mit (vermeintlich) göttlicher Vollmacht auftritt, aber sie gar nicht besitzt. Das würde schließlich nur religiöse und spirituelle Unruhe bei den Juden erzeugen. Um dieses besorgt, fordern sie also von Jesus ein Zeichen seiner Vollmacht.
Dieses Zeichen sollte am Besten ganz unmittelbar, unverzüglich und eindeutig sein.

Aber Jesus handelt anders als sie es erwarten (mal wieder!).
Er will keinen religiösen oder spirituellen ‚fastfood‘ verteilen; es geht ihm nicht um den schnellen und flüchtigen Effekt. Jesus geht es offenbar um eine viel tiefergehende Dimension: dem Glauben.

Und so weist er die Pharisäer und Schriftgelehrten darauf hin, dass er keine schnelle Antwort geben wird; sie wird mindestens drei Tage und drei Nächte auf sich warten lassen und auch nur dann, wenn die Zeit gekommen ist, nämlich die Zeit, an der Gott durch seine Passion und seine Auferstehung durch Jesus Christus selbst verherrlicht werden soll.

Fatal an dieser Situation – aus der Sicht der Schriftgelehrten und Pharisäer ist – dass sie eben nicht eine schnelle Beglaubigung der göttlichen Vollmacht Jesu bekommen werden. Und dramatisch ist es, dass sie selbst und ihr Verhalten erst später diesen ‚göttlichen Vollmachtsbeweis‘ durch die Anklage und Hinrichtung Jesu herbeiführen werden.

Und welches wird der Vollmachtsbeweis sein:
das Leiden und Sterben und die Auferstehung Jesu selbst.

Jesus nutzt das Bild des Jona um auf seinen eigenen irdischen Tod und seine Auferstehung hinzuweisen.
Aber konnten die Schriftgelehrten und Pharisäer das damals verstehen?

Mir scheint: nein! Die spätere Entwicklung des Lebens Jesu legen davon Zeugnis ab.

Und noch eines fällt mir auf:

Jesus wählt das Stilmittel der ‚Untertreibung‘, um auf seine Bevollmächtigung hinzuweisen: „… es wird ihr kein anders [Zeichen] gegeben erden als das Zeichen des Propheten Jona….“

Das Zeichen ist die Auferstehung selbst, also das, was völlig großartig und nicht zu topen ist!

Und Jesus sagt: ich werde mich mit kleinen, vergänglichen Zeichen meiner Bevollmächtigung nicht abgeben. Sondern, ihr werdet das Zeichen erhalten, das niemand überbieten und zu keiner Zeit getopt werden kann:

der Sieg des Lebens über den Tod!

Damit wählt Jesus ein letztgültiges und unüberbietbares Zeichen, welches aber auch zugleich die größte Herausforderung im Glauben darstellt:

den Glauben an die Auferstehung und das ewige Leben bei Gott!

Mein Impuls für Sie zum Weiterdenken:

Inwieweit prägt der Glaube an die Auferstehung und der Glaube, das Leiden, Not und Tod niemals das ‚letzte Wort‘ haben werden, Ihren Glauben und Ihren Alltag?

Ich möchte mit einem Gebet enden, das ich heute im Te Deum, vom 20.07.2020 gefunden und gebetet habe:

Herr, du bist kein Gott, an den man nur mithilfe übersinnlicher Kräfte glauben kann. Du bist kein Gott der okkulten Sensationen.
Hilf uns, dich dort zu suchen, wo du dich gezeigt und verkörpert hast: im Antlitz der Menschen. Amen.“

(Quelle: TeDeum, Juli 2020, S. 207.)




Rarität – gute geistliche Literatur

oder: die eigene kritische Haltung bei wohlmeinender Literatur nicht an der Garderobe abgeben!

Auch ich brauche (geistliche) Impulse

Als Seelsorger, geistlicher Begleiter und Priester bin ich auch immer wieder auf geistliche Impulse und geistliche Begleitung angewiesen.

Dies schreibe ich deshalb gleich zu Beginn, weil ich der tiefsten Überzeugung bin, dass niemand zu Lebzeiten geistlich vollendet sein wird. Denn ich meine, das der eigene geistliche Weg engstens mit der eigenen Lebensgeschichte verwoben ist, also auch mit all ihren Höhen und Tiefen, mit ihren starken und schwachen Phasen.

Und so fand ich vor einigen Wochen ein Buch, dessen Titel mich sehr ansprach, weil es offensichtlich auch „meine“ Themen in den Blick nahm.

Es ist das Buch von
Ronald Rolheiser, Beten – Offen werden für Gott,
erschienen im Herder-Verlag 2013

Doch leider verließ mich schon auf den ersten Seiten die Motivation, dieses Buch weiterzulesen; es verließ mich auch auf diesen ersten Seiten schon die Hoffnung, dass dieses Buch mir auf der Suche MEINES geistlichen Lebensweges wertvoller Impulsgeber sein könnte.

Warum? Das will ich hier darlegen …



Was erwarten Sie?

Oder: ich warte noch etwas, bevor ich meine Gedanken darlege und frage Sie unumwunden: Was würden Sie von einem solchen Buch erwarten? Welche Voraussetzungen müsste es mitbringen, dass Sie sich angesprochen und gemeint fühlen?

Ich würde annehmen, dass Sie sich und Ihre eigene Lebenssituation irgendwie wiederfinden wollen. Dieses Buch sollte Ihnen in Ihrer ganz konkreten Lebensituation Impuls geben, die Sie aufgreifen und weiterdenken können, um Ihren eigenen geistlichen Weg finden und gehen zu können.

Schubladen-Denken

Das wiederum bedeutet:
– Das Buch muss sich zurückhalten bei Einredungen
– Es darf nicht nur so von ‚Setzungen‘ wimmeln. Damit meine ich unbewiesene oder auch unbegründete Behauptungen in den Raum zu stellen, die dann als Basis für weitere Gedankengänge genutzt werden.
– Das Buch muss Offenheit und Weite ausstrahlen. Gerade diesen Aspekt nimmt der deutsche Titel des Buches auf: „OFFEN werden für Gott“. Im englischen Originaltitel heißt es: „Prayer – our deepest longing“! (übersetzt: „Gebet – unsere tiefstes Sehnsucht“). Offenheit und Respekt davor, dass jedeR seinen/ihren eigenen spirituellen Weg finden muss, ist Grundlage einer geistlichen Begleitung, die das menschliche Individuum als Ebenbild Gottes ernst nimmt.

Doch genau da beginnt schon das „Problem“ dieses Buches.

Bereits die ersten Seiten wimmeln nur so vor Formulierungen, die in mir das Gefühl zurück lassen, dass der Autor (s)eine Definition von Welt und Wirklichkeit setzen will, auf die er dann seine weiteren Gedanken aufbaut.

Dabei stellt er diese Definition(en) so allgemeinverbindlich dar, dass man meinen muss, dass sie auch allgemeingültig sind. Sind sie aber nicht!
Sie sind allenfalls die Meinung, die Auffassung, das Dafürhalten einer Welt, wie sie sich dem Autor subjetiv darstellt.

Ich möchte das an einigen Textbeispielen verdeutlichen:

„Wir leben in einer Welt, die die Realität auf das Stoffliche reduziert hat: auf das, was man empirisch messen, sehen, anfassen, schmecken oder riechen kann. Wir leben in einer Welt des spirituellen Analphabetismus…“ (S. 9)

Stimmt das aber?
Oder ist das lediglich verbales Kauderwelsch oder gar eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen?
Was können wir denn „empirisch riechen“? Verstehen Sie, was der Autor damit meint?
Und ist unsere Realität tatsächlich auf das Stoffliche reduziert?

Was ist dann mit der Psychologie, mit den Geisteswissenschaften? Was ist mit solchen Erfahrungen und Wahrnehmungen von Liebe und Hass, von Zuversicht und Hoffnung auf der einen oder Resignation und Perspektivlosigkeit auf der anderen Seite?

Hat der Autor recht, dass wir nur die „stoffliche Realität“ in unserem Leben zulassen?

Ich bin sicher: Nein!

Jeder Mensch, der Zuneigung zu anderen Menschen spürt, auch das, was wir Liebe nennen, lebt zumindest hier schon einmal aus einer nichtstofflichen Realität, die zudem eine nicht zu unterschätzende Rolle in unserem Leben spielt, wenn es um das eigene Glück geht.

„Wir leben in einer Welt des spirituellen Analphabetismus. (…) Wenn nur die Oberfläche zählt, dann ist es schwer, sich verzaubern zu lassen, von Poesie, vom Glauben, von der Liebe.“ (ebd. S. 9)

Was für ein Geschwurbel?!
Erst sagt er, dass wir in einer Welt leben, wo das rein Stoffliche gilt. Dann aber erwähnt er ganz selbstverständlich, dass es die Poesie, den Glauben und die Liebe gibt.
Wenn es sie gibt, sind sie dann keine Realität?

„Wir haben unsere Sehnsucht trivialisiert, domestiziert. Statt uns nach dem Transzendenten zu sehnen, betäuben wir uns und lenken uns ab, indem wir unsere Sehnsüchte auf das „gute Leben“ ausrichten. auf Sex, Geld, Erfolg und all die anderen Dinge, die vermeintlich „jeder hat“.“ (S.10)

Liebe LeserInnen, erkennen Sie sich da wieder? Herr Rolheiser ‚analysiert‘ Sie gerade, Sie und Sie und mich und dich … jedeN LeserIn!

Sie trachten also in Ihrem Leben nach Sex und Geld, Erfolg?!
Jetzt würde ich gerne Ihr Gesicht sehen und Ihre Gedanken lesen können! 😉

Entweder, Sie schmunzeln oder lachen lauthals oder Sie ärgern sich jetzt!
Beides ist berechtigt.

Ich ärgere mich über einen solchen „Mitbruder“, der mal wieder die Moralkeule schwingt und mal so eben nonchalance uns alle in ein- und dieselbe Schublade steckt!

Vielfalt statt Einfalt!
„Ist es nicht auch jener Theo in uns allen…?“ (Otto Waalkes)

Der Autor präsentiert fröhlich und frei die erste große Schwäche seines Buches gleich zu Beginn, im Vorwort:
Mit Pauschalierungen versucht er seine Leserschaft einzunorden; er sagt, was Sache ist … und dabei kennt er doch die wenigsten seiner Leserschaft persönlich.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ja, der Autor darf auch mit Subjektivierungen arbeiten. Ja, er darf von seinen eigenen Erfahrungen ausgehen oder er darf auch Beispiele nennen aus seiner seelsorglichen Praxis. Solche Beispiele können hilfreich sein, insbesondere dann, wenn wir zwischen uns und den Beispielen Übereinstimmungen erkennen, wo wir dann sehr persönlich einsteigen können; aber auch in dem Bewusstsein, dass der/die andere niemals ich sein kann und ich niemals der/die andere bin!

Solche subjektiven Beispiele können Einstiegshilfen sein, an denen sich eine Beobachtung erklären lässt.
Sie dürfen aber niemals zur Verallgemeinerung führen, die meistens mit solchen Worten entlarvt werden: „Ihr“, „wir“, „wir alle“ …

Das erinnert mich sehr stark an den Beitrag von Otto Waalkes und seiner „Predigt“ über das Lied „Theo, wir fahr’n nach Lodz“

Hier klicken, um den Inhalt von YouTube anzuzeigen.
Erfahre mehr in der Datenschutzerklärung von YouTube.

var _oembed_4590c4f5f9de06c6a9ed5c6753d1963d = '{\"embed\":\"<iframe title="Otto Waalkes - Theo, wir fahr'n nach Lodz!" width="910" height="683" src="https:\\/\\/www.youtube-nocookie.com\\/embed\\/_AXHzqGWPH4?feature=oembed" frameborder="0" allow="accelerometer; autoplay; clipboard-write; encrypted-media; gyroscope; picture-in-picture; web-share" referrerpolicy="strict-origin-when-cross-origin" allowfullscreen><\\/iframe>\"}';

Wenn Sie jetzt schmunzeln können, aber gleichzeitig etwas von dieser von Otto überzogenen Haltung in manchen Äußerungen von Predigern unserer heutigen Zeit wieder finden, dann nicht zu unrecht.
Der Autor Rolheiser verfällt in diesen pseudopastoralen Habitus, der sich eigentlich verbietet.
Denn es geht ihm hier ja nicht darum, dass er sich mit seiner Leserschaft solidarisiert, sondern er normiert sie.

Eine solche Normierung verbietet sich auch in der geistlichen Impulsgebung.

Das Beispiel Jesu

Wenn Sie Zeugnisse und Beispiele aus der Bibel brauchen, dann schlagen Sie einfach nur die Stellen auf, wo es zu Begegnungen zwischen Jesus und den Menschen kommt, die nicht selten buchstäblich heilsam sind. Sie sind deshalb heilsam, weil Jesus sich auf die je eigene Geschichte und auf das je eigene Bedürfnis der Menschen einlässt, denen er begegnet.

Wir sind so verschieden …!

In den Texten des 06. Juli 2020 der Reihe „Te Deum“ fand ich als Ora-et-labora-Gedanken für den Tag folgenden Text:

Die Heilung wurde nicht durch Jesus „an und für sich“ möglich, sondern durch Jesus in Beziehung. Heilen und die Intimität, die es begründet, ist ein gegenseitiger Prozess, in dem der Heilende vom Geheilten ergriffen wird.“
( Carter Heyward, * 1945, us-amerikanische feministische Theologin und Pfarrerin)

Wenn wir nach geistlichen Impulsen in unserem Leben suchen, oder wenn wir selbst geistliche Impulse geben wollen, dann ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass der geistliche Weg ein individueller Weg ist und das geistliche Begleitung diese Individualität immer wieder berücksichtigt und respektiert.

Ich für meinen Teil werde noch weiter in diesen Buch – kritisch – lesen, aber ich habe keine große Hoffnung mehr, dass ich dort von einer Quelle trinken werde, die mir wirkliche geistliche Nahrung wird.

Aber: wer weiß! Denn: Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade!




Glaube und Heilung

Keine Einbahnstraße

In der heutigen Tageslesung finden sich Worte aus dem Matthäus-Evangelium:

„Als Jesus von dem Berg herabstieg, folgten ihm viele Menschen. Da kam ein Aussätziger, fiel vor ihm nieder und sagte: Herr, wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde. Jesus streckte die Hand aus, berührte in und sagte: Ich will es – werde rein! Im gleichen Augenblick wurde der Aussätzige rein.“ (zitiert nach Mt 8, 1 – 3)

Wenn Gott nur will, dann kann ich heil werden; wenn Gott nur will, dann kann ich gerettet werden…-

So oder so ähnlich denken viele Menschen über Gott.
Es kommt also allein auf Gott an, ob mir geholfen wird?

Heilung
Bild von Thomas B. auf Pixabay



Der Auszug aus dem heutigen Evangelium nimmt noch eine andere Facette in den Blick, die – so denke ich – viel zu wenig Beachtung erfährt: Es kommt auch auf mich an, ob ich heil und gerettet werden kann.

Nein, das ist keine Arroganz oder kein Größenwahn, denen ich das Wort reden will.

Halten wir uns die Chronologie der heutigen Heilungsgeschichte noch einmal bewusst vor Augen:

  1. Zuerst kommt der Aussätzige und fällt vor Jesus nieder.
  2. Dann kommt Jesus zum Zug.

Der Aussätzige bringt was ganz wesentliches selber mit ein, damit dieses Wunder der Heilung geschehen kann: er glaubt; er vertraut, dass Jesus helfen und heilen kann.

Das ist die Vor-Leistung, die der Aussätzige mit einbringt.
Dieser Glaube gibt ihm die Kraft, auf Jesus zuzugehen, ihm sein Schicksal und seine Zukunft anzuvertrauen.
Und er bekennt zugleich freimütig: Sein Glaube, sein Wunsch, seine Sehnsucht nach Heilung ist das eine; das andere aber ist auch der göttliche Wille, dass dieses Heil geschehen kann.

Es kommt also nicht allein auf Gott an, ob wir heil und gesund werden können.
Auch unser eigener Glaube ist gefragt und ist wesentlich, damit Heilung durch Gott geschehen kann.




Die Maske

Bild von Orna Wachman auf Pixabay

Die Maske
abnehmen,
aber nicht,
um mich nicht mehr verstecken zu müssen;
nicht,
um ich selbst sein zu können.

Die Maske
abnehmen,
um freier atmen zu können.
Den tiefen Atemzug wieder
genießen können.

Die Maske
abnehmen –
freier sein.

18.06.2020 © Gerd Wittka