Mir war mal wieder so danach, das Grab meiner Mutter zu besuchen. Und da es mir gestern Mittag recht gut ging, habe ich mich auf den Weg gemacht.
Und ich dann noch eine Runde auf dem Friedhof gedreht und dabei schöne Skulpturen entdeckt.
Eine, die mir besonders ans Herz gewachsen ist, steht in einem ‚Garten der Erinnerung‘. Es zeigt ein Boot mit verschiedenen Personen, die offensichtlich auf einer Boots-Fahrt sind. Die Bootsfahrt ist ein altes Symbol für die Überfahrt zu dem anderen Ufer, zu dem uns der ‚Fährmann‘ begleitet. Daran erinnert mich diese Skulptur.
Vor einiger Zeit war das Boot total verrottet, aber man hat es erneuert. Mich freut es sehr.
Dann habe ich noch einen Grabstein entdeckt mit einer Personengruppe auf die zum Augenblick, als ich vorüber ging, die Sonne drauf schien. Sogleich hatte ich die Assoziationen von einem (Ehe-)Paar, dass die Sonne genoss und sich in aller Ruhe ein Sonnenbad nimmt.
Wenn man offen ist für verschiedene Bilder über die Vorstellung, was danach kommen könnte, nach unserem irdischen Leben, dann ist dies sicherlich auch ein sehr schönes und eingängliches Bild.
Zu diesem Thema der Überfahrt passt auch ein sehr schönes Lied, dass von Reinhard Mey stammt: „Lass nun ruhig los, das Ruder….“. Es kann über diesen Link bei youtube nachgeschaut werden.
Seele lüften
Foto: Gerd A. Wittka, 07.07.2024
Eine ungewöhnliche Formulierung habe ich für diesen Beitrag gewählt …
Ja, es geht wieder um mein Long-Covid und mein Umgang damit.
Ich habe mir heute Zeit genommen für einen Spaziergang in der Nähe. Mal eine dreiviertel Stunde nur in Ruhe durch die Natur laufen, den Wind um die Nase spüren, das Lichtspiel von Bäumen, Sträuchern und Blättern und den Duft riechen, den manche Bäume in diesen Tagen verbreiten.
Es war herrlich und ich konnte in mein Symptom-Tagebuch zu diesem Augenblick schreiben: „Mental und physisch geht es mir rundum gut!“
Ich habe diese Augenblicke genossen; auch deshalb genossen, weil ich wusste, dass es einige Zeit später wieder anders werden wird. Und es war auch wieder nach eineinhalb Stunden anders und ich konnte mich nur noch *ablegen*, ins Bett und wieder Kräfte tanken.
Ja, es ist lästig; ja, es ist bisweilen deprimierend. Aber sollte ich mir deshalb die Freude nehmen lassen? Nein!
Stattdessen möchte ich die Augenblicke nutzen, die mir geboten werden.
„Pflücke den Tag!“ – heißt ein altes Sprichwort. Ich möchte lernen, zufrieden zu werden, wenn es nicht ein ganzer Tag ist, sondern schon einige Stunden oder auch nur ein paar Minuten am Tag.
Augenblicke, wo ich meine Seele etwas durchlüften konnte!
Die Angehörigen Jesu meinen, er ist draußen, weil er sich nicht an das Wort hält: „Blut ist dicker als Wasser“.
Aber das Evangelium eröffnet uns eine andere Perspektive, wenn es gleich am Anfang die Worte findet: „In jener Zeit ging Jesus in ein Haus und wieder kamen (.) viele Menschen zusammen…!“
Bild: Gerd Wittka, 2024, erstellt mit KI
Jesus geht nach „drinnen“ und sammelt dort die Menschen. Es ist das ‚offene Haus‘, das den Menschen die Möglichkeit gibt, hineinzugehen und hineinzukommen, um im inneren Bereich der Verkündigung und der Botschaft Jesu anzukommen.
Wer hat nun „das Bessere gewählt“ in den Augen Jesu? Jene, die die geöffnete Tür nutzen, um zu Jesus zu kommen oder jene, die draußen stehen und auf die (Familien-)Tradition und Familienzugehörigkeit pochen und Jesus da ‚raus holen wollen‘?
Jesus lädt mit seiner provokanten Äußerung am Ende aber zugleich seine Verwandtschaft ein, in seinen Augen ‚in zu sein‘! – Ob sie der Einladung folgen werden?!
Und auch uns gilt die ‚Einladung an die Verwandten‘!
Bild: Gerd Wittka, 2024, erstellt mit KI
Das Evangelium stellt uns die provokante Frage:
Wer ist drinnen und wer ist draußen?
Wer ist ‚in‘ und wer ist ‚out‘, aus der Sicht Jesu?!
Und wie steht’s mit uns? Wo stehen wir?
Ertappt!
Glaube kann ganz einfach und direkt sein – eine Herzenssache!
Wenn man Dinge verkompliziert, ewig diskutiert, tausendmal berät, kann das auch ein Ausweichen sein, mit dem man sich davor schützt, Glaube konkret werden zu lassen und den eigenen Glauben in die ganz einfache Tat umzusetzen.
Zacharias Heyes OSB (* 1971; Benediktiner)
Dieses Zitat fand ich heute, am 06. Juni 2024, unter der Rubrik „Ora et labora“ in der Gebetszeitschrift „TE DEUM“. Und sofort hatte ich den Impuls der Überschrift: „Ertappt!“
Ja, wir leben in gewaltigen Umbrüchen in Gesellschaft, Staat und vor allem auch in unseren Kirchen! Ja, wir sind gut beraten, nicht alles übers Knie zu brechen und vorher ‚zur Besinnung‘ zu kommen.
Wenn wir uns Gedanken machen und Entscheidungen treffen, was wir verändern können und wollen, dann ist es sicherlich wichtig, zur Ruhe zu kommen und im gemeinsamen Austausch, aber auch im Gebet nötige Entscheidungen vorzubereiten.
Manchmal tun wir uns aber mit Entscheidungen so schwer, weil wir ihre Folgen und Konsequenzen erahnen, die unangenehm vielleicht sogar neues Handeln erfordern. Wie bequem wäre es doch, wenn ‚man es einfach so weiterlaufen lassen könnte, wie bisher?!‘
Das ist aber die große Falle, in die wir nicht treten dürfen.
„Der Geist weht, wo ER will!“ – sagen wir. Und was meinen wir wirklich?
Soll er nach unserer Vorstellung nicht eher da wehen, wo wir ihn haben wollen? Soll er nicht lieber so wehen, wie wir ihn haben wollen?
Schnell in die gläubige Tat zu kommen, ist nicht nur nötig, um möglichst ‚effizient‘ zu sein.
Zacharias Heyes ermutigt uns, schnell ins gläubige Handeln zu kommen, damit wir wirklich gläubig tun!
Denn Glaube hat mindestens genau so viel mit dem Herzen zu tun, wie mit dem Verstand. Und der Verstand sollte nicht so mächtig werden, dass er das Herz daran hindert, seine Arbeit zu tun!
Trauen wir also dem Heiligen Geist und unserem Herzen und haben wir Mut, im Glauben zu handeln!
Denn nur durch denken, bedenken und nichts tun, können wir nicht helfen und niemandem helfen, nicht lieben, nicht dienen, nichts verändern!
Alle Bilder: www.pixabay.com
Trotz-dem
„Lass es uns noch mal versuchen!“ – dieser Satz begleitet mich seit etlichen Jahren!
“ Gott, der sprach: Aus Finsternis soll Licht aufleuchten!, er ist in unseren Herzen aufgeleuchtet, damit aufstahlt die Erkenntnis des göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Christi. Diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen (…). Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder aus noch ein und verzweifeln dennoch nicht; wir werden gehetzt und sind noch nicht verlassen; wir werden niedergestreckt und doch nicht vernichtet. Immer tragen wir das Todesleiden Jesu an unserem Leib, damit auch das Leben Jesu an unserem Leib sichtbar wird.“
(2 Kor. 4, 6-10)
Dieses Wort des heiligen Paulus ist Lesungstext des 9. Sonntags im Jahreskreis, den wir heute begehen.
Worte, die mich hellhörig machen lassen und die mich an vergangene Situationen erinnern, als ich noch in der Gefängnisseelsorge tätig war. Meine damalige Kollegin und Freundin Sr. Bonifatia Keller OP benutzte immer wieder einen Satz, der schon fast zu einem geflügelten Wort wurde. Immer, wenn sich frustrierende Situationen wiederholten, die nötige Prozesse in der Gestaltung unseres Dienstes zum Stocken brachten oder wo wir scheinbar ‚gegen eine Wand liefen‘, sprach sie diese Worte: „Lass es uns noch mal versuchen!“
Bonifatia war ein Mensch, die nicht so leicht aufgab. Sie war kein Dickkopf im klassischen Sinne; aber sie ließ es sich nicht nehmen, immer wieder neue Versuche zu starten, wenn sie von einer Sache überzeugt war. Oft habe ich mich gefragt, woher sie die Kraft dazu bekam, stets neu aufzustehen, auch wenn andere schon längst „die Flinte ins Korn geschmissen hätten“.
Bonifatia war – nicht nur in dieser Hinsicht – eine starke Frau und nach über zehn Jahren nach ihrem Tod profitiere ich von ihrer Haltung und ihrem Geist.
„Lass es uns noch mal versuchen!“ – diese Hoffnung und Zuversicht, dennoch etwas bewegen zu können, kommt mir gerade in letzter Zeit immer gehäuft in den Sinn.
Die Krise der Kirche und die Krise des christlichen Glaubens
Missbrauchsskandale und mangelhafte Missbrauchsaufarbeitung in unserer Kirche, der Massen-Exodus aus unserer Kirche, ausgebremste notwendige Erneuerungen in unserer Kirche, das Schwinden christlicher Werte in unserer Gesellschaft, die Diskriminierung von Frauen und Queer-People in unserer Kirche, Anfeindungen von Kirche und Christ:innen, … –
all das führt bei vielen Menschen in der Kirche zu Resignation, Mut- und Hoffnungslosigkeit.
Katholik:innen verlassen in Scharen unsere Kirche (in der evangelischen Kirche sieht es nicht besser aus). Menschen, die zum ‚inner circle‘ unserer Kirche und unserer Pfarreien gehören, geben ihre selbstgewählten Aufgaben auf und verlassen mitunter die Kirche. Selbst hauptamtliche Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen in der Seelsorge, sei es Kleriker oder Nicht-Kleriker quittieren ihren Dienst!
Es liegt mir fern, diese Menschen zu schelten, denn zu oft kann ich ihre genannten Gründe nachvollziehen; zu oft kann ich innerlich bejahen, dass bei Manchen „die Luft raus ist“ und sie „einfach nicht mehr können“!
Ich sehe andererseits, dass nicht alle Katholik:innen die Kirche verlassen und nicht alle haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen ihren Dienst aufgeben! Warum?
Es wäre zu oberflächlich, ihnen zu wenig Empathie für diese Themen zu unterstellen oder zu meinen, es wäre ihnen einfach nur alles in der Kirche egal! Mitnichten! Es gibt Viele in der Kirche, die „leiden wie Hund“ an der gegenwärtigen Situation der Kirche und des christlichen Glaubens.
Warum geben diese Menschen nicht auf?!
Warum resignieren sie nicht?1
Vielleicht, weil sie etwas von dem spüren, was der heilige Paulus in der heutigen Lesung erwähnt?
Trotz Bedrängnis finden sie noch die Luft zum atmen, können tief Luft holen, sich auf ihre Mitte, auch des Glaubens zurückziehen und konzentrieren und finden in sich eine Tiefe und Weite vor, die sie innere Kräfte sammeln lässt. Sie sind zwar einerseits ratlos und haben keine schnellen Rezepte oder Antworten, wie man aus der Krise herausfinden könnte, haben dennoch die Kraft und den Mut, weiter zu machen; sie besitzen eine Kreativität, die ihnen immer wieder neue Ideen schenkt und ihnen zeigt, was man noch alles ausprobieren könnte.
Bei der Fülle von Fragen und Herausforderungen fühlen sie sich manchmal überfordert und gehetzt von den Ereignissen, aber finden gleichzeitig eine innere Ruhe und Gelassenheit, weil sie sich nicht allein und verlassen fühlen (vor allem nicht von Gottes Heiliger Geistkraft!). Auch sie tragen die „Todesleiden Jesu an ihrem Leib“, wie Paulus es formuliert. Und die Folgen der Leiden sieht man ihnen manchmal sogar an, denn sie gehen auch an ihnen nicht spurlos vorüber.
Und trotz-dem gibt es bei Ihnen diese Energie, nicht aufzugeben und sich das Leben und den Glauben nicht vermiesen zu lassen. Dennoch haben sie die Lust und die Freude am Leben und am Glauben nicht verloren, sondern leben aus einer tiefen und zugleich sichtbaren Hoffnung, dass es da noch was gibt, was sie trägt und was sie sich selber nicht zu verdanken haben; diese ungezügelte Sehnsucht, die Nelly Sachs mal mit den Worten beschrieb:
„Es muss doch mehr als alles geben!“
Anfanghaft spüre ich auch etwas von dieser Kraft in mir. Ich habe weiterhin Lust zu einem Neuaufbruch und -anfang in unserer Kirche. Ich spüre die Überzeugung in mir, dass der Weg weitergehen wird und dass wir in einer historisch sehr bedeutsamenPhase unserer Kirche leben, die ähnlich wie die Zeit um das Vatikanum II ist: eine ‚Kirche im Werden‘ ist nötiger denn je!
רוּחַ = „Heilige Geistkraft“
Glücklich die Menschen, die diese Kraft und Energie in sich spüren! Sie dürfen daran glauben, dass diese Kraft nicht aus ihnen selber kommt, sondern dass sie ihnen eingegossen wird durch die ‚ruach‘ (hebräisch), die Heilige Geistkraft Gottes, die wir am vergangenen Pfingstfest wieder so lebendig gefeiert und verehrt haben.
Mit der heutigen Lesung ermutigt mich der heilige Paulus, sich dieser inneren Kraft und Stärke neu zu vergewissern, aber ohne Arroganz, Hochmut oder Überlegenheitsgefühle, sondern verbunden mit einer tiefen Dankbarkeit und Liebe zu diesem geschenkten Segen Gottes.
Es ist in dieser Zeit eine wirkliche Gnadenerfahrung, wenn man nicht die „Brocken hinschmeißen will“, sondern immer noch die Kraft hat, der inneren Stimme zu lauschen, die in uns spricht: