Aufgrund meiner gesundheitlichen Lage in diesen Tagen bringe ich es nicht fertig, einen geistlichen Impuls für den kommenden Sonntag, dem Palmsonntag, zu erstellen.
Die Impulse an den letzten beiden Sonntagen waren auch für mich persönlich eine geistliche Vorbereitung für diese Sonntage, da ich in dieser Zeit auch keine Eucharistie feiere.
So fehlt Ihnen nicht nur ein Impuls, auch ich muss mir persönlich die Frage stellen, wie ich nun den Palmsonntag geistlich begehen werde?
Das kann ich Ihnen gerne beantworten und mitgeben in die neue Woche.
Das A&O: die geistliche Schriftlesung
In dieser Woche, der Karwoche, werde ich die geistliche Schriftlesung in den Mittelpunkt meines spirituellen Lebens stellen. Dazu nehme ich die Schriftlesungen, die in der Leseordnung der Kirche in diesem Jahr vogesehen sind. Sie finden diese Leseordnung hier beim Bibelwerk. Dort können Sie auch den entsprechenden Link anklicken und bekommen so den Lesungstext online präsentiert. Wenn diese Form der geistlichen Schriftlesung für Sie neu ist, wählen Sie erst einmal nur eine Schriftlesung aus, am Besten das Evangelium des Tages (Am Palmsonntag empfehle ich Mt 21, weil die Passion noch am Karfreitag gelesen wird.)
Damit diese geistliche Schriftlesung einen ‚Rahmen‘ bekommt, gebe ich ihr diesen Rahmen und orientiere mich dabei an Formen aus der Stundenliturgie.
Ich suche mir einen Ort, den ich für diese Schriftlesung nutzen will. Als Einstimmung kann ich mir ein Musikstück anhören, dass mich zur Ruhe kommen lässt. Entzünden Sie eine Kerze oder stellen z.B. Blumen, ein Kreuz oder eine Ikone parat.
Ich eröffne diesen kleinen Gottesdienst mit dem Kreuzzeichen und den Worten: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.“
Daran kann sich ein kurzes Gebet anschließen mit eigenen Worten, wie z.B. „Herr, ich komme in dieser Stunde zu dir. Ich möchte dein Wort hören. Bereite mein Herz und meinen Verstand, damit sie sich Deinem Wort öffnen. Amen.“ (Oder ein anderes freies spontanes Gebet!)
Ich gehe in einen Augenblick der Stille, höre in mich hinein, was mich in diesem Augenblick bewegt, wie ich mich in die Gegenwart des Herrn begeben habe und halte es IHM hin; denn ich und mein ganzes Leben wollen IHM nun nahe sein.
Ich beginne mit der Lesung des Lesungstextes (-> Tagesevangelium)
Nun denke ich einen Augenblick über diesen Schrifttext nach: Welches Wort oder welcher Satz hat mich besonders angesprochen; wo bin ich hängen geblieben? Wo kommen innere Blockaden, was ermutigt oder bestärkt mich? Wo werde ich aber auch vielleicht traurig? Kommen mir beim Lesen dieses Textes Situationen aus meinem eigenen Leben oder aus dem Leben anderer in den Sinn? … Und als letzter Gedankenimpuls: „Gott, was willst du mir in meinem Leben heute mit diesem Text sagen?“ –
Vielleicht können Sie nicht alle Fragen beantworten. Dann zwingen Sie sich nicht und lassen es so, wie es ist. Das Wort Gottes, das ER Ihnen sagen wird, kommt auch so bei Ihnen an und wirkt in Ihnen. Darauf dürfen wir vertrauen.
Jetzt haben Sie vielleicht noch einmal die Muße, sich etwas Musik anzuhören. Dann gönnen Sie sich dieses.
Nun können wir unsere Bitten vor Gott tragen, die dann münden in dem Vater-unser. Als Einleitung für die Bitten reicht ein ganz schlichter einleitender Gedanke, wie etwas dieser: „Gott (Herr Jesus), ich bringe vor dich hin all die Menschen und Situationen, für dich ich beten möchte. Ich bringe vor dich hin ….“ (und nun können Sie ihre konkreten Anliegen vor Gott aussprechen, laut oder in Gedanken …!) Fassen Sie Ihre (Für-)Bitten zusammen mit dem Vater-unser.
Abschließen können Sie diese geistliche Schriftlesung mit einem persönlichen, abschließenden Gebet und einer Segensbitte. Als Segensbitte empfehle ich persönlich die auf die Situation abgewandelte Segensbitte aus dem Alten Testament, dem ‚aaronitischen Segen‘: „Der Herr segne und behüte uns. Er lasse SEIN Angesicht über uns leuchten und sei uns gnädig. Er wende uns sein Angesicht zu und gebe uns Frieden. So segne und behüte uns der gnädige Gott der Vater, und der Sohn (+) und der Heilige Geist. Amen.“
… dass ich mal wieder ’schlecht‘ geschlafen und viel zu früh wach wurde
und mir kommt das Wort aus dem Buch des Propheten Jesaja (Jes 50, 4f) in den Sinn:
„…GOTT, der Herr, gab mir die Zunge von Schülern, / damit ich verstehe, die Müden zu stärken durch ein aufmunterndes Wort. Jeden Morgen weckt er mein Ohr, / damit ich höre, wie Schüler hören. GOTT, der Herr, hat mir das Ohr geöffnet….“
5. Fastensonntag – 2020
Wort-Gottes-Feier zum Passionssonntag – Misereorsonntag 2020
Ich danke ganz herzlich und ausdrücklich der Katholischen Bibelanstalt Stuttgart, die die Texte der Einheitsübersetzung vorläufig in kostenloser Lizenz zur Verfügung stellt.
Guitalele’s Happy Place by Stefan Kartenberg (c) copyright 2017 Licensed under a Creative Commons Attribution (3.0) license. http://dig.ccmixter.org/files/JeffSpeed68/56194 Ft: Kara Square (mindmapthat)
„Go now…“ ( Gehe nun..!) Go Now by Geert Veneklaas (c) copyright 2010 Licensed under a Creative Commons Attribution Noncommercial (3.0) license. http://dig.ccmixter.org/files/geertveneklaas/26246 Ft: Diane Jessurun & St. Paul
La voie est libre – (Der Weg ist frei!) La Voie Est Libre by Martijn de Boer (NiGiD) (c) copyright 2018 Licensed under a Creative Commons Attribution Noncommercial (3.0) license. http://dig.ccmixter.org/files/NiGiD/58423 Ft: Reiswerk
Geistliches Leben trotz Corona
Auch wenn Veranstaltungen und Gottesdienste ausfallen, ist geistliches und gottesdienstliches Leben möglich
Eine geistliche Orientierung
Noch erscheint es wie ein Flickenteppich von unterschiedlichen Maßnahmen, die auch von Kirchengemeinden ergriffen werden, um die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen. Doch hinter allen Maßnahmen steht die Absicht, die besonders gefährdeten Risikogruppen weitgehenst zu schützen. Im optimalen Fall wird es in der Zwischenzeit zumindest antivirale Medikamente geben, die die Risiken einer möglichen Infektion minimieren können.
Es ist – seit ich lebe – wohl das erste Mal, dass sogar entschieden wird, Gottesdienst über einen längeren Zeitraum („bis auf weiteres“) ausfallen zu lassen. Meine frühere Pfarrei St. Hippolytus in Gelsenkirchen-Horst hat sich ganz aktuell dazu entschieden. -> https://www.hippolytus.de/2020/03/wegen-corona-standorte-vorerst-geschlossen/ Beim Schreiben dieses Beitrags erreichen mich auch Nachrichten, dass die Bischöfe von Hamburg und Osnabrück dringend dazu raten, Gottesdienste ganz ausfallen zu lassen. Das Neue Ruhr-Wort berichtet online darüber.
Ich halte eine solche Entscheidung für mutig, aber auch für geboten und ich hoffe, dass andere Pfarreien ebenso den Mut zu solchen Entscheidungen finden.
Zugleich sorgen sich Gläubige, ob sie da, wo noch Gottesdienste angeboten werden, persönlich das Risiko eingehen sollten, an diesen Gottesdiensten teilzunehmen?
Gottesdienstliches Leben findet weiterhin statt
Nun ist die Situation so ungewohnt, dass sich gläubige ChristInnen, die sonst regelmäßig am Gemeindegottesdienst teilnehmen, sich die Frage stellen, wie ihr geistliches Bedürfnis nach Gottesdiensten weiter gestillt werden kann, auch wenn sie vor Ort an keinem Gottesdienst teilnehmen können oder aus berechtigter Sorgen teilnehmen wollen?
Dieses Frage ist völlig legitim und wir SeelsorgerInnen müssen diese Frage aufgreifen und beantworten und Alternativen aufzeigen!
In einem sehr hilfreichen Beitrag hat die Onlinepräsenz von www.katholisch.de diese Frage aufgegriffen. Dort wird sehr ausführlich und konkret erwähnt, welche Alternativen gottesdienstlicher Teilnahme durch Radio und TV, aber auch über das Internet wahrgenommen werden können. Diesen Beitrag möchte ich sehr empfehlen: https://www.katholisch.de/artikel/24822-kirche-trotz-corona-so-kann-man-weiter-am-glaubensleben-teilnehmen
Ich möchte alle dazu ermutigen, sich ruhigen Gewissens diese Angebot zu nutze zu machen.
In den Pfarreien, wo keine Gottesdienste angeboten werden, besteht aber weiterhin ein seelsorgliches Angebot der dortigen SeelsorgerInnen. Und es wird auch teilweise ausdrücklich das Angebot gemacht, wie die hl. Kommunion dennoch empfangen werden kann, für jene, die es wünschen. Hier gilt es, neue und unkonventionelle Wege zu gehen. Bischof Bode von Osnabrück betont deshalb zu Recht, dass diese gegenwärtige Situation es erfordert, aussergewöhnliche Wege zu gehen.
Den Mutigen bei solchen Entscheidungen gilt meine die Unterstützung, nicht den Zaghaften!
Im Matthäus-Evangelium, Kapitel 6, wo Jesus sich zumFasten äußert, äußert er sich auch zum Gebet. So heißt es bei Mt 6,6: „Du aber, wenn du betest, geh in deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.“
Jesus macht damit deutlich, dass echte Gottesbeziehung zuhause, auch während einer Quarantäne, möglich ist. Sie wird sogar im Vergleich zu öffentlichkeitsheischendem Auftreten beim Gebet als die bessere Form gewürdigt. Mir sagt es in dieser konkreten Situation: wir brauchen uns keine Sorgen zu machen, dass die Nichterfüllung der vermeintlichen Sonntagspflicht von Gott verurteilt wird. Gott ist ein Gott der Beziehung. Diese Beziehung zeigt sich natürlich in dem gemeinsamen Gottesdienst. Aber diese Beziehung wird genau so gepflegt, wenn wir im persönlichen Gebet und häuslichen Gottesdienst unter aussergewöhnlichen Umständen unserer ‚Sonntagspflicht‘ nachkommen.
Ich werde versuchen, in dieser Zeit häufiger auch hier geistliche Gedanken zur Fastenzeit zu posten. Schauen Sie mal wieder rein. Gesegnete Fastenzeit!
Vor einigen Wochen erschütterte auch das Bekanntwerden eines Missbrauchsskandals durch einen Priester unseres Bistums. Ein pädophiler Priester, der in verschiedene Bistümer versetzt wurde, hatte viele Missbrauchsfälle begangen. Dieser Priester war Kaplan in Bottrop und dann kurze Zeit später in Essen. Danach wurde er ins Bistum München versetzt.
Das Recherchenetzwerk ‚correctiv‘ und die ZDF-Sendung ‚frontal21‘ haben intensiv zu diesem Fall recherchiert. Am Mittwoch, den 18. Februar 2020 ist in der Sendung ‚frontal21‘ dazu ein Beitrag erschienen. In diesem Beitrag zeigen sie Spuren auf, die auch zu dem damaligen Bischof von München und des späteren Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger führen.
Während der Recherche meldeten sich weitere Missbrauchsopfer bei ‚correctiv‘ und ‚frontal21‘.
Ich setze mich ganz bewusst für diese Recherche ein und veröffentliche deshalb diese Beiträge, um mich für Opfer und Betroffene einzusetzen, um ihnen Gehör zu verschaffen, um weitere – bislang unbekannte – Opfer zu ermutigen, sich ebenfalls zu melden und Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Ich setze mich aber auch ganz bewusst für die Veröffentlichung dieses Beitrags ein, um auch in unserer eigenen katholischen Kirche darauf aufmerksam zu machen, dass wir nicht schweigen dürfen.
Ich habe immer noch den Eindruck, dass dieses Thema konkret in Pfarreien und Gemeinden viel zu wenig behandelt wird.
Ja, es ist eine Zumutung! Ja, es schockiert und entsetzt! Ja, es mag auch Nicht-Betroffene verstören!
Denken Sie aber immer auch daran:
Opfer und Betroffene verstört diese Erfahrung und dieses Thema nicht nur. Es zerstört mitunter deren Leben, deren Zukunft, deren Seele!
Das Evangelium vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A ist eine echte Herausforderung, besonders für eine Person, die darüber zu predigen hat. Es ist die Klarheit und Eindeutigkeit und zugleich der hohe Anspruch, der in diesem Ausschnitt aus der Bergpredigt zu Tage tritt. Dieser Text ist einer der neutestamentlichen Texte, die deutlich macht, dass christliche Ethik nicht die Ethik des Alten Testamentes aufhebt, sondern sie sogar nocht perfektioniert. Die Folge ist, dass christliche Ethik zum Beispiel nicht bei der Beachtung des Dekalogs (10 Gebote) stehen bleiben kann. Christsein ist kein Zuckerschlecken …
„Schwört überhaupt nicht (…), eure Rede sei: Ja ja, nein nein;…“
Seit meinem Studium Ende der 1980er Jahre, als ich im kirchenrechtlichen Hauptseminar über die Praxis des Eides in der Kirche gearbeitet habe, sitzt dieses Wort in meinem Geist, wie ein Stachel im Fleisch. Denn allein die kirchliche Praxis mit z.B. ihrem Treueeid steht dem (scheinbar?) gegenüber. Aber das ist für meine seelsorgliche Arbeit heute eher nicht relevant.
Viel wichtiger erscheint mir die Haltung: „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ in Alltag relevanter zu sein.
Dies ist nämlich eine Position der Klarheit und Eindeutigkeit, die Jesu von uns erwartet. Aber der Alltag sieht oft anders aus: da wird herumgeredet, da bleibt man im ‚Ungefähren‘, da will man sich nicht festlegen und verschiebt Entscheidungen.
Solche Haltungen und Umgangsweisen sind auf Dauer destruktiv, weil sie Vertrauen zerstören und Unsicherheiten schüren.
In einer meiner früheren Gemeinden durfte ich einen Kollegen kennenlernen, der „kein Blatt vor dem Mund nahm“, wie man so sagt. Er war frei heraus und so eindeutig, dass es manchmal für die Menschen um ihn herum schmerzhaft war. Er war auch keineswegs immer ‚gefällig‘ und versuchte sich nicht anzubiedern. So kam es, dass ich aus der Gemeinde auch hier und da Rückmeldungen bekam, die mit dieser Art nicht zurecht kamen. Aber – wie Sie sich sicher denken können – war das nicht sein Problem, sondern ihr eigenes. Denn ihnen schien Indifferentismus lieber zu sein, als Klarheit.
Ich pflegte dann oft darauf zu entgegen, dass der Umgang mit meinem Kollegen nicht immer einfach sei. Aber was ich an ihm schätze ist seine Klarheit, die ohne Falschheit daher kommt. Bei ihm wisse ich immer, wo ich dran bin ….
Und es wundert nicht, dass ich genau das nämlich bei anderen Menschen nicht immer unbedingt weiß.
Glaubwürdigkeit und Klarheit
Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich auch diese Klarheit. Mein o.g. Kollege hat mir in seiner Art imponiert. Ich selber spüre, dass mir diese Klarheit auch lieber ist, als das ganze Drumherumgerede.
Ich spüre aber auch, dass diese Klarheit, insbesondere wenn sie auf andere Auffassungen trifft, nicht gerade geschätzt wird.
Wer klar und eindeutig ist, der unterliegt auch einer größeren Gefahr, angefeindet zu werden.
Durch meine vielfältigen Lebens- und Berufserfahrungen habe ich für mich einen Wertekanon entdeckt, der sich – je älter ich werde – immer deutlicher und eindeutiger wird.
Diese Eindeutigkeit wird aber zugleich immer grundsätzlicher; sie verzettelt sich nicht im Klein-klein. Sie ist vielmehr geprägt vom dreifachen Liebesgebot ableitet, das sich im gegenseitigen Respekt, in Barmherzigkeit und Wohlwollen anderen gegenüber und der Anerkennung der menschlichen Freiheit als Gottes Geschenk ausdrückt.
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Sie ist geprägt vom Glauben an die Kraft des Heiligen Geistes, der mir die Möglichkeit gibt, offener und mit einem größeren Gottvertrauen in die Zukunft geht, weil ich weiß, dass ich weder die Welt, noch die Kirche noch den christlichen Glauben oder sonst was retten muss (und auch nicht kann!).
Ich weiß, dass ich damit gerade auch in konservativ-reaktionären Kreisen unserer Kirche auf wenig Gegenliebe bis Ablehnung stoße. So what?! – Das muss ich wohl in Kauf nehmen.
Das heutige Evangelium jedenfalls ermutigt mich dazu, mich um eine gewisse Gradlinigkeit und Klarheit zu bemühen.
Heilen, nicht krank machen …
„Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, (…) heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ (Lk 10,9)
In Zeiten eigener Krankheit lohnt es sich, in sich selbst hinein zu hören, wonach man sich selbst sehnt. In Begleitung von Kranken bekomme ich manchmal – sogar sehr deutlich – Hinweise: „Ich möchte wieder mein altes Leben zurück!“ – „Ich möchte wieder aktiv werden können!“ – „Ich wünsche mir, meine Antriebslosigkeit zu überwinden!“
Ja, Kranke – so man ihnen offen begegnet und zuhört – können sehr klar formulieren, was ‚ihnen fehlt‘! BTW: Kennen Sie das auch noch? Sie gehen zum Arzt und er fragt Sie: „Was fehlt Ihnen!“?
Kranksein bedeutet also oft Mangel. Es bedeutet, dass den Menschen etwas fehlt; dass sie etwas vermissen, was sie vorher hatten. Kranksein wird also als eine Reduktion verstanden; ein Zurückgeführt werden, was von den erkrankten Menschen aber als Mangel wahrgenommen wird. [An dieser Stelle möchte ich mich nicht mit der Frage beschäftigen, ob eine Re-duktion manchmal auch sinnvoll sein kann! – Ich möchte mich heute darauf beschränken, dass die Reduktion, die Kranke in ihrer Krankheit erfahren, oft als etwas wahrgenommen wird, das sie mit einem ‚Mangel‘ beschreiben oder sogar gleichsetzen würden.]
Die Sehnsucht von Kranken ist daher nur all zu verständlich: die Sehnsucht nach der Wiederherstellung eines frühen Zustands!
In der heutigen Tageslesung lese ich das Wort bei Lukas 10,9 aus dem Munde Jesu: „Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, (…) heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ (Lk 10,9)
Jesus sagt uns hier also: – Fragt die Menschen: „Was fehlt dir?“! – Fragt die Menschen, was sie in ihrem Leben vermissen!
Die jesuanische Haltung der Christen ist also jene, die nach dem Menschen schaut, die ihn buchstäblich ‚in den Blick nimmt‘ und ihm so An-Sehen verschafft.
Doch die Haltung, wie Kirche und Christen oft anderen Menschen begegnet, ist nicht selten von Erwartungen geprägt, die an die anderen gestellt werden: sie sollten, sie müssten, ….
Die Haltung Jesu im heutigen Evangelium ist doch eine ganz andere. Seine Haltung ist die heilsame Haltung eines Arztes, der die Menschen fragt: „Was fehlt dir?“
Damit spricht Jesus auch den Menschen eine Kompetenz zu, nämlich die Kompetenz, sich selbst am Besten auf die Spur zu kommen, was sie zu ihrem Heil, zu ihrer Heilung brauchen.
Ich wünsche mir mehr von dieser Haltung Jesu Christi in unseren Kirchen und bei den ChristInnen dieser Zeit: Haben wir den Mut, mit den Augen des Herrn auf die Menschen zu schauen, ihn in den Blick zu nehmen und seine Sehnsüchte nach Heil und Heilung.
Und genau für diese Arbeit sucht er auch heute Menschen, wenn er einige Verse zuvor sagt: „Die Ernte ist groß (…). Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden…“ (vgl Lk 10, 1ff.)
Ich träume von einer Kirche, die den Menschen nicht sagt, was sie zu tun oder zu lassen haben, sondern die sie – wie der Herr selbst – fragt: „Was willst du, das ich dir tue!“ (vgl. Lk 18,41)
Kommentar zum päpstlichen Lehrschreiben von Papst Franziskus I. zur Amazonas-Synode
Hat Papst Franziskus in seinem Lehrschreiben etwas zur Priesterweihe von verheirateten Männern oder etwas zur Frauenordination gesagt. Ich meine: Ja, er hat nicht!
Was sich etwas widersprüchlich anhört, möchte ich hier kommentieren:
Ja, Papst Franziskus hat sich in seinem Lehrschreiben anlässlich der Amazonas-Synode nicht abschließend zu der Frage der Frauenordination oder zur Weihe von verheirateten Männern zum Priester geäußert. Er macht lediglich deutlich, dass den Frauen in der Kirche und ihre größere Beteiligung nicht allein damit sichergestellt werden könne, wenn sie zu den heiligen Weihen zugelassen würden. (vgl. https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-querida-amazonia-papst-franziskus-synode-wortlaut.html , 100)
Was ist davon zu halten?
Für manche ist das enttäuschend. Andere wiederum sind sehr zufrieden, dass der Papst sich nicht dazu geäußert hat.
Was bedeutet das jetzt aber?
Erst einmal heißt das, dass der Papst nach diesem Schreiben die Frage nach dem Diakonat der Frau und der Weihe von verheirateten Männern zu Priestern offen gelassen hat.
Päpstlicher Maukorb nicht bestätigt
Es bedeutet aber auch, das Papst Franziskus das sogenannte ‚Basta‘ von Papst Johannes Paul II. nicht wiederholt und somit ausdrücklich nicht bekräftigt hat.
Damit hat Franziskus sich weise verhalten; er respektiert, dass man freien Menschen in einer freien Welt nicht das Denken und das Diskutieren verbieten kann. Das damalige ‚Basta‘ von Johannes Paul II., der die Diskussion für beendet ansah, war eine – in meinen Augen – realitätsferne Äußerung.
Franziskus hat in dieser Hinsicht einen realistischeren Blick auf die Gegebenheiten in der heutigen Zeit. Insofern ist das Verhalten Franziskus in meinen Augen nur klug!
In einem Interview mit Vatikan-News nach der Vorstellung dieses päpstlichen Schreibens erklärt Kardinal Michael Czerny:
„…Franziskus ist dem treugeblieben, was er vor der Synode gesagt hatte. Die Möglichkeit, verheiratete Männer zu ordinieren, kann von der Kirche durchaus diskutiert werden – und es gibt sie auch längst, zum Beispiel in den katholischen Ostkirchen. Diese Diskussion wird seit vielen Jahrhunderten geführt, und die Synode hat sich freimütig dazu geäußert: nicht isoliert, sondern im gesamten Kontext von Eucharistie und Amt in der Kirche….“ Quelle: https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2020-02/exhortation-amazonas-synode-papst-kardinal-czerny-franziskus.html
Die Diskussionen müssen und dürfen weitergehen…
Ich finde, dass dies ein ganz wichtiger Aspekt in den aktuellen Diskussionen ist. Denn viele Bischöfe in Amazonien aber auch weltweit haben eigene Diskussionsbeiträge zu diesen Themen geleistet. In vielen dieser Beiträge wird die Frage behandelt, ob der sogenannte Pflichtzölibat noch zeitgemäß sei? Es sind zugleich weltweit viele Bischöfe, die der Frage nach der Gleichberechtigung in der Kirche einen hohen Stellenwert einräumen.
Die offene Haltung Papst Franziskus in diesen Fragen zeig mir, dass er ganz bewusst diese Diskussionen in der römisch-katholischen Kirche weitergeführt wissen will.
Und das ist mir eigentlich auch das Wichtigste, was ich für unsere derzeitige Diskussion innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland und ihrem „Synodalen Weg“ mitnehme:
Die Diskussionen um eine Veränderung des priesterlichen Dienstes, die Zuordnung von Weiheämtern zu anderen Ämtern und Diensten in der Kirche, die Überdenkung des Zusammenhangs von Weihe und Macht in der Kirche sowie dieFrage nach der Gerechtigkeit, die auch immer eine Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit in der römischen-katholischen Kirche ist, ist noch lange nicht zu Ende – auch wenn das manche gerne hätten! Sie hat vielmehr durch das Schreiben von Papst Franziskus einen weiteren Impuls bekommen.
„…. ER stellte sein Gesetz auf in Jakob, (…) und gebot unseren Vätern, ihre Kinder das alles zu lehren…“ (aus Psalm 78)
Heute Morgen, beim Beten der Laudes, wurden mir Verse aus dem 78. Psalm vorgelegt. Darin heißt es:
„… ER stellte sein Gesetz auf in Jakob, / gab in Israel Weisung * und gebot unseren Vätern, ihre Kinder das alles zu lehren, damit das kommende Geschlecht davon erfahre, /
die Kinder späterer Zeiten; * sie sollten aufstehen und es weitergeben an ihre Kinder,
damit sie ihr Vertrauen auf Gott setzen, / die Taten Gottes nicht vergessen * und seine Gebote bewahren und nicht werden wie ihre Väter, / jenes Geschlecht voll Trotz und Empörung, *
das wankelmütige Geschlecht, dessen Geist nicht treu zu Gott hielt….“
Zuerst überlas bzw. über-betete ich diesen Text. Doch nach der Laudes spürte ich in mir das innere Bedürfnis, diesen Text noch einmal zur Hand zu nehmen.
Und dann fiel mir auf, woran ich hängen blieb; an den Worten:
„…. ER stellte sein Gesetz auf in Jakob, (…) und gebot unseren VÄTERN, ihre Kinder das alles zu lehren…“
Nach diesem Text scheint die Aufgabenverteilung ganz klar zu sein: Die Weitergabe des Glaubens ist Sache der Väter!
Genau das ist es aber, was mich stutzig werden lässt. Denn die Realität heute sieht ganz anders aus. Heute sind es vorwiegend die Frauen, die sich als Erzieherinnen in Kindergärten oder als Religionslehrerinnen in der Primarstufe um die Glaubensweitergabe kümmern. Und auch in unseren Gemeinden können wir sehen, dass es vorwiegend Frauen sind, die sich als „Tisch-Mütter“ (wie sie früher oft genannt wurden) bzw. als Katechetinnen bei der Vorbereitung zur Erstkommunion und auch zur Firmung in den Dienst nehmen lassen.
Bei diesen Aufgaben Männer resp. Väter zu finden, ist eher eine Seltenheit.
Allenfalls bei den geistlichen Berufen finden wir noch ‚Väter‘, die für die Glaubensweitergabe zuständig sind; den „Pater“ oder den „Abbas“ ( -> Abt ) oder den Papst (entlehnt von ‚Papa‘). Doch in der römisch-katholischen Kirche sind dies in den seltensten Fällen ‚echte‘ = biologische Väter. Allenfalls werden sie als „geistliche Väter“ bezeichnet.
Ist das nicht erstaunlich, was sich da in der Kultur- und Religionsgeschichte für ein Wandel vollzogen hat?!
Permanenter Rollenwandel
Der Rollenwechsel, der sich da stickum vollzogen hat, schlägt einen großen Bogen zu den Fragen heute in der Gender-Debatte in unserer römisch-katholischen Kirche.
Zwischen dem Text des 78. Psalms und der heutigen Wirklichkeit können wir erkennen, dass bestimmte Rollenverständnisse und auch die Ausübung von bestimmten Rollen und Aufgaben in Religion und Kirche einem stetigen Wandel unterworfen waren und auch noch sind.
Für mich ist dies ein Grund mehr, dass wir in der römisch-katholischen Kirche heute die Frage nach der Rolle der Frau(en) und ob und welche Verantwortungen und Ämter sie in unserer Kirche übernehmen, nicht mehr apodiktisch verhindern, geschweige denn mit fragwürdigen, vermeintlichen Verweisen auf die sogenannte ‚Tradition‘ beantworten können.
So, wie in der Vergangenheit das Leben in der Kirche einem Wandel unterworfen war, so wird es das auch heute und in Zukunft so bleiben.
Wer sich diesem Wandel verweigert, muss sich die Frage gefallen lassen, ob er/sie sich damit nicht auch der geistlichen Dynamik eines lebendigen, für das alltägliche Leben relevanten Glaubens verweigert!
Wen würde es wundern, wenn ich von mir sagen würde: dieses Bild ist für mich ein wirklich adventliches Bild? – Sie vielleicht?
Dieses Bild drückt für mich die adventliche Sehnsucht am heutigen dritten Adventssonntag aus. Es steckt so viel darin, was wir eigentlich vom christlichen Ursprung her mit dem Advent verbinden.
Stille
Als Erstes ist es die Stille, die dieses Bild so eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Selbst wenn es ein Bild mit Ton wäre, würden wir ‚Stille‘ spüren und ‚hören‘. Es scheint paradox, aber Stille ist nicht wirklich klang- und tonlos. Es gibt immer etwas, was auch in der Stille zu hören ist. Stille und Geräuschlosigkeit sind verschieden. Ich muss es Ihnen nicht in Worte fassen. Sehen Sie sich selbst einmal dieses Bild an, versetzen Sie sich selbst in die Lage, Sie würden da an diesem Pier stehen oder sitzen; in warmer Kleidung oder eine kuschelige Decke eingehüllt … Was hören Sie nun in der Stille…?
Weite
Als Zweites fällt mir die ‚Weite‘ auf, die von diesem Bild ausgeht. Auch das ist irgendwie paradox, denn wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt einer Realität. Wir sehen vielleicht in der Breite gut 10 Meter. Was direkt daneben ist, wissen wir nicht. Aber gerade dieser Fokus auf diesen kleinen Ausschnitt ermöglicht uns vor unserem geistigen Auge, Weite und Tiefe zu ahnen. So ist es auch, wenn wir uns in der Winterzeit z.B. in einen Raum zurück ziehen, der nur schwach erleuchtet ist, vielleicht nur mit einer kleinen Lampe und einer Kerze auf dem Tisch. Der sonst im Hellen besehene größere Raum verkleinert sich optisch. Dadurch nehmen wir auch weniger wahr und werden auf weniges fokussiert. Diese ‚Sichtfeldeinschränkung‘ hat auch den angenehmen Nebeneffekt: sie schützt uns vor Reizüberflutung. Der optisch kleinere Raum kann einer geistigen Weite förderlich sein. Und eine solche ähnliche Wirkung hat es auch, wenn wir dieses Bild betrachten.
Advent = Weite und Stille durch Fokussierung
Das ist für mich eine wesentliche Seite des Advents; wenn wir durch eine äußere und geistliche Fokussierung uns auf eine spirituelle Erfahrungsreise begeben und Räume wahrnehmbar machen, die uns sonst in den Anstrengungen, der Betriebssamkeit und Hektik des Alltags verschlossen bleiben.
Ich brauche gar nicht mit einer Komsum- Kapitalismus- und Kommerzialisierungskritik zu kommen, um für mich zu erkennen, dass diese Dimension des Advents gerade in der Adventszeit viel zu kurz kommt.
Schauen Sie sich dazu als ein Beispiel nachfolgendes Bild an. (Geht das überhaupt ‚in Ruhe‘?!)
Vergleichen Sie dir Wirkung dieses Bildes mit der Wirkung des ersten Bildes. Welches Bild tut Ihnen geistig-spirituell mehr gut?
Die Überschrift scheint ebenfalls paradox. Aber ich selber erlebe die Zeit nach den Weihnachtsfeiertagen mehr als adventlich geprägte Zeit, wo Geist und Sinne zur Ruhe kommen können, als die eigentliche Adventszeit vor ‚Heilig Abend‘.
Da läuft doch was gründlich schief, wenn ich zwischendurch den Gedanken in mir wahrnehme:
Ich bin froh, wenn die Adventszeit mit ihrer reizüberflutenden Geschäftigkeit baldvorbei ist.
Einer meiner Lieblingstexte in dieser Zeit ist ein Gedicht von Joseph von Eichendorff, dass auch als Lied vertont wurde: „Oh du stille Zeit“:
O du stille Zeit, Kommst, eh wir´s gedacht über die Berge weit, über die Berge weit Gute Nacht!
In der Einsamkeit rauscht es nun sacht, über die Berge weit, über die Berge weit, Gute Nacht!
Text: Joseph v. Eichendorff (1788-1857)
Ich wünsche Ihnen noch einige besinnliche und gesegnete Adventstage! Machen Sie das Beste draus!
„Wer Herzen für sich einnehmen will, weiß, welche Kräfte wohlmeinende Beachtung entfesseln kann.“
Bezug: Lukas 19, 1- 10
Liebe Schwestern und Brüder,
ist es nicht toll, was Jesus so bei dem Menschen erreichen kann? – Es gelingt ihm, das Leben des Zachäus positiv zu verändern und zugleich den Menschen zu helfen, die von Zachäus übers Ohr gehauen wurden.
Ich beneide Jesus oft um diese Gabe. Und ich würde ihn gerne fragen: „Jesus, wie machst du das?“
Vielleicht würde er, der lateinischen Sprache mächtig, mit dem Zitat Julius Cäsars im Telegrammstil antworten: „Veni, vidi, vici!“ – „Ich kam, sah, und siegte!“
Sicherlich, Jesus ist hier in keine Schlacht gezogen. Doch wenn wir sein Leben als einen „Kampf für die Sache Gottes“ oder als einen „Kampf für das Gute“ verstehen, dann können wir sicherlich dieses Zitat stehen lassen.
• Im Evangelium heißt es: „Und nach Jericho gekommen, wollte er hindurch ziehen…“ (Übersetzung nach Fridolin Stier) Jesus war nach Jericho gekommen. Vielleicht nicht ganz unbeabsichtigt. Aber er wollte hindurch ziehen, so heißt es in der Übersetzung. Jesus hatte offensichtlich nicht die Absicht in Jericho zu bleiben. Jesus kam also nach Jericho, weil es offensichtlich auf der Strecke seiner Wanderung lag. Und auf diesem Weg kommt es zu einer Zufallsbegegnung mit Zachäus. Damit es überhaupt zu dieser heilsamen Begegnung zwischen Jesus und Zachäus kommen kann, muss Jesus sich auf den Weg machen. Auch wenn die Bibel an vielen Stellen berichtet, dass die Leute sich auch auf den Weg zu Jesus machten, zeigt das heutige Evangelium, dass Jesus sich auch auf den Weg zu den Menschen gemacht hat. Damit konnte er diejenigen erreichen, die nicht zu ihm kamen, aber trotzdem der Heilung bedurften.
Ist dies nicht auch ein wertvoller Gedanke, wie wir heute als Christen in der Welt leben sollen? Natürlich kommen noch einige Leute zu uns: in die Kirche, in unsere Veranstaltungen und auch zu unseren Seelsorgern. Doch dabei dürfen wir es nicht beruhen lassen. Das Beispiel Jesu ist eine schöne Einladung an uns heute in der Kirche: sich auf den Weg zu machen zu den Menschen, die wir sonst nicht erreichen würden, wenn wir uns nur darauf verlassen, dass die Menschen zu uns kommen.
Auf diesem Weg sieht er Zachäus. Der hatte offensichtlich davon gehört, dass Jesus in der Stadt war. Und er hatte vielleicht auch schon die vielen Berichte über Jesus gehört. Also war er neugierig; wollte Jesus sehen. Doch von kleiner Statur bleib ihm nichts anderes übrig, als einen Platz in den Bäumen zu suchen, um Jesus zu sehen.
Er sitzt also auf dem Baum und entdeckt Jesus. Doch das ist nicht alles. Auch Zachäus wird von Jesus entdeckt. Jesus geht offensichtlich mit offenen Augen und wachem Herzen seinen Weg. Die Menge um ihn herum hindert ihn nicht daran, auch die randständigen Personen wahrzunehmen.
Jesus erscheint uns hier als ein Mensch mit einem wachen und geschulten Bewusstsein für das, was um ihn herum geschieht. Und er nutzt seinen Blick, um die anfängliche Beziehung herzustellen: „Als Jesus an die Stelle kam, schaute er hinauf ….“
Das Schauen, der Blick, die Beachtung scheint also ein ganz wichtiges Kriterium für heilsame Begegnung zu sein.
Vor Jahren entdeckte ich im modernen Antiquariat ein Buch mit dem Titel: „Die magische Kraft der Beachtung – Sehen und gesehen werden!“
Und in diesem Buch lese ich mehr zufällig den Satz: „Wer Herzen für sich einnehmen will, weiß, welche Kräfte wohlmeinende Beachtung entfesseln kann.“
Genau aus diesem Bewusstsein handelt Jesus, in diesem Bewusstsein setzt er seine Wanderung fort: er gewinnt die Herzen der Menschen, in dem er ihnen wohlmeinende Beachtung schenkt.
Liebe Schwestern und Brüder, wir kennen, wie bedeutsam die Beachtung sein kann. Stellen Sie sich nur einmal die alltäglich Situation vor: Sie gehen durch die Straße und sehen einen Bekannten. Doch der sieht Sie nicht, würdigt Sie augenscheinlich keines Blickes. Und Sie spüren, wie der Gedanke in Ihnen hochkommt: „Was ist denn mit dem los? – Habe ich ihm was getan? Ist der sauer auf mich?“
Unbeachtet zu sein, setzt manchmal ein ungutes Gefühl in uns frei. Wer ständig nicht beachtet wird, wird auf Dauer daran leiden.
Und umgekehrt: wer wohlwollende Beachtung erfährt, fühlt sich aufgewertet. Er ist wer! Wer wohlwollend – nicht herablassend – beachtet wird, dessen Herz kann man für sich gewinnen.
Nichts anderes macht Jesus heute mit Zachäus.
Und wie ist es mit unserer Achtsamkeit? Haben wir es uns zur Tugend gemacht, den anderen Menschen wohlwollende Beachtung zu schenken?
Wenn wir darin noch nicht genügend eingeübt sind, dann sollten wir dem heutigen Beispiel Jesu folgen.
Diese Achtsamkeit Jesu führt noch zu einem anderen Verhalten: Jesus lädt sich bei Zachäus als Gast ein.
Ja, er sagt dem Zachäus: „Denn heute muss ich in deinem Haus zu Gast sein!“
Eigentlich wollte Jesus Jericho durchziehen. Doch die Begegnung mit Zachäus lässt ihn andere Prioritäten setzen. Er spürt: hier ist heute mein Ort. Heute bin ich hierhin von Gott gesandt, um seine Liebe deutlich werden zu lassen.
Prioritäten setzen – das ist heute oft ein Zauberwort, wenn es um die Frage geht: Was soll ich als Nächstes tun?
Prioritäten setzen heißt: sich für das Notwendigere zu entscheiden!
Darin liegt bestimmt eine Problematik: nicht immer verstehen andere Menschen, unsere Entscheidung, was momentan das Wichtigere ist. Ich bin sicher, auch Jesus wurde darin oft nicht verstanden.
Was, wenn Jesus auf dem Weg in einen anderen Ort war und man ihn schon dort erwartet – und er kommt nicht? Das wird lange Gesichter geben. Vor einiger Zeit konnte ich eine ähnliche Erfahrung machen: Jemand beschwerte sich bei mir über einen anderen Seelsorger, der eigentlich versprochen hatte, diesen Menschen zu besuchen, doch nicht kam.
Anschließend entschuldigte sich dieser Seelsorger für den verpassten Termin mit dem Hinweis, dass er zu einem anderen Menschen gehen musste, dem es schlechter ging. Ich sah die Enttäuschung im Gesicht desjenigen, der sich bei mir beschwerte: „Bin ich denn nicht wichtig?“
Prioritäten zu setzen, sich zu entscheiden was wichtiger ist, darf nicht immer darauf hoffen, von anderen auch verstanden zu werden.
Aber wenn ich etwas als notwendig erkenne, dann ist es im wahrsten Sinne des Wortes auch manchmal „heilsam“.
Jesus hat sich so gegenüber Zachäus verhalten und hatte Erfolg.
Dadurch, dass Jesus sich
• auf den Weg machte,
• sich eine Achtsamkeit für die Menschen am Rande des Weges behielt und
• sich auch nicht um die Entscheidung bringen ließ, sich für das Wichtigere zu entscheiden,
konnte er für Zachäus und auch für die Menschen, die schlechte Erfahrungen mit diesem Zöllner gemacht hatten, zum Segen werden.
So siegte Jesus auf der ganzen Linie.
Und ich glaube ferner, dass dieser Weg zum Erfolg im Sinne Jesu auch für uns nicht ganz unmöglich ist.
Vielleicht müssen wir nur diese drei Worte verinnerlichen: VENI – VIDI – VICI ! „Ich kam, sah … und siegte!“
Literaturhinweise: Irmtraut Tarr Krüger, Die magische Kraft der Beachtung – Sehen und gesehen werden, Herder-Verlag, Freiburg, 2.2001, 172f. Lk 19,1 zitiert nach: Das Neue Testament, übersetzt von Fridolin Stier, München, 1989
morgen geht die dreiwöchige sogenannte Amazonas-Synode in Rom zu Ende.
Symbolbild, Foto: sabetheli, www.pixabay.com
Haben Sie davon gehört? Hier wurde beraten, wie die Kirche in Amazonien neue Wege in die Zukunft gehen kann. Das Motto lautet: „Amazonien – neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“. Ein Thema war auch, wie die Seelsorge in einem riesigen und schwer zugänglichen Gebiet gesichert werden kann. Zu diesem Themenkomplex gehört auch die Frage der Priesterweihe von verheirateten Männern, aber auch die Zulassung von Frauen zur Diakonen-Weihe.
Dabei sind sich viele darüber einige, dass die Fragen der Kirche in Amazonien in vielen Teilen deckungsgleich sind mit den Fragen der Kirche im Rest der Welt. So wären also Antworten hinsichtlich verheirateter Männer zum Priesteramt oder das Diakonat der Frau auch für die gesamte Weltkirche von Bedeutung.
Derweil zieht in Deutschland die Aktion „Maria 2.0“ immer größere Kreise. Was als Fraueninitiative begonnen hat, erreicht mehr Zustimmung auch bei Männern in der Kirche. Selbst Bischöfe äußern sich mehrheitlich verständnisvoll und unterstützen teilweise die Anliegen von Maria 2.0. Plakativ ausgedrückt geht es dieser Aktion um die Frage nach der Rolle und nach den Rechten der Frau innerhalb der katholischen Kirche. Hier geht es nicht nur – zwar auch – um die Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern, sondern um eine Gleichberechtigung der Frauen gegenüber den Männern in der Kirche. Ein Kirchenstreik im Frühjahr hatte dabei große Aufmerksamkeit gefunden, als Frauen eine Woche lang keine Kirche betraten und auch eine Woche lang ihr ehrenamtliches Engagement in der Kirche niederlegten.
Diese beiden aktuellen kirchenpolitischen Ereignisse und die Frage des Umgangs der Kirche im Missbrauchsskandal führt zu vielfältigen Diskussionen in den unterschiedlichsten Kreisen. In den verschiedenen Medien bis in die sogenannten sozialen Medien gibt es viele Diskussionen um diese Themen.
Und hier bei uns in der Pfarrei?
Nu: in Teilen unserer Pfarrei werden Antworten gesucht, wenn es z.B. darum geht, wie das Votum des Pfarreientwicklungsprozesses (kurz „PEP“ genannt) konkret umgesetzt werden muss? Dabei geht es mitunter auch sehr kontrovers zu.
Aber ansonsten habe ich persönlich den Eindruck, dass die gerade skizzierten Fragen z.B. über die Rolle der Frau in der Kirche bei uns in der Pfarrei wenig bis gar nicht vorkommen.
Nur heute Morgen fand – auf Stadtebene – ein ‚gesellschaftspolitisches Frauengespräch‘ statt. Aber auch dort ging es ganz allgemein um die Rolle der Frau in unserer Gesellschaft. Doch welche Rolle die Frau in der Kirche spielt und auch zukünftig spielen kann, scheint bei uns hier kein Thema zu sein.
Und noch etwas anderes kann man beobachten.
Foto: prettysleepy1/www.pixabay.com
Da, wo die Themen: Zölibat, Zulassung von Verheirateten zum Priesteramt, Diakonen- oder Priesteramt der Frau diskutiert werden, melden sich auch gleich jene zu Wort, die strikt und massiv dagegen sind. Sie begründen ihre Haltung damit, dass die Zulassung der Frauen zu den Weiheämtern nicht mit dem Willen Jesu übereinstimme; dass das gegen die Lehre der Kirche stünde; dass das die Kirche spalten würde.
Manche, die gegen jegliche Veränderung in dieser Hinsicht in der Kirche kämpfen, scheuen sich sogar nicht davor, den anderen vorzuhalten, sie stünden nicht mehr in der Gemeinschaft der katholischen Kirche als Weltkirche; sie seien „nicht mehr katholisch“, sie wollten die Kirche ruinieren. Diese ganzen Diskussionen hätten nur den Zweck, sich dem Zeitgeist anzupassen, und Frauen, die die Zulassung zu den Weiheämtern fordern „ginge es ja nur um die Macht“.
Ihre eigene Haltung sehen sie hingegen als die einzige Möglichkeit an, wie die Zukunft der katholischen Kirche dauerhaft retten könne.
In dieser Diskussion kann man also sehr leicht eine Einteilung entdecken: „Wir hier!“ und „Die da!“
Die am Bisherigen festhalten wollen, verstehen sich oftmals als jene, denen es wirklich um die katholische Kirche ginge, während es den anderen nur darum ginge, zu spalten.
Kontoverse und Dialog
Liebe Schwestern und Brüder, es ist gar nicht schlimm, dass es auch in unserer Kirche unterschiedliche Positionen gibt. Es ist nicht schlimm, dass es jene gibt, die meinen, die bestehenden Verhältnisse in der Kirche wären zukunftsfähig, während es auch jene gibt, die die entgegengesetzte Meinung vertreten.
Schlimm wird es nur, wenn eine Seite beginnt, der anderen ihre Rechtgläubigkeit, ihre Katholizität absprechen zu wollen. Schlimm wird es, wenn man jene, die ebenfalls aus christlicher Überzeugung und aus Liebe zur Kirche nach neuen Wegen suchen.
Schlimm wird es erst recht, wenn die einen meinen, ihre Ansicht sei rechtgläubiger und entspräche mehr der Katholizität, als die Haltung der anderen.
Dann fehlt es nicht viel und wir sprechen wieder lautstark von „Ketzern“, „Häretikern“ und „Abtrünnigen“, und dies nur, um jene, die eine andere Ansicht habe, zu diskreditieren.
Wenn ich dann das heutige Evangelium lese, habe ich den Eindruck, dass das, was Jesus da kritisiert, gar nicht so weit entfernt ist von dem, wie wir heute manchmal in der katholischen Kirche miteinander umgehen.
• Anstatt andere zu diskreditieren, sollten wir lieber offen und tabulos diskutieren.
• Anstatt andere mundtot machen zu wollen, sollten wir lieber miteinander ins Gespräch kommen.
• Anstatt andere zu verteufeln, sollten wir lieber unsere Ebenbildlichkeit Gottes im anderen suchen und erkennen.
• Anstatt zu meinen, dass wir die Kirche verteidigen und retten müssten, sollten wir uns lieber daran erinnern, dass es immer noch die Kirche Jesu Christi ist, zu der er selbst uns berufen hat, und der er zugesagt hat, sie durch den Heiligen Geist zu leiten, bis zu seiner Wiederkunft.
• Anstatt unsere vermeintliche Rechtgläubigkeit vor uns herzutragen, sollten wir in aller Bescheidenheit dankbar sein, dass wir zu Christus gehören, der uns gesandt hat, SEINE frohe und befreiende Botschaft in die Welt zu tragen und den Menschen von heute verständlich zu machen.
Denn nicht aus eigenem Vermögen oder weil wir so toll sind, sondern aus Gnade und göttlicher Berufung sind wir Teil seines mystischen Leibes, der Kirche.
Der ‘Synodale Weg’ der römisch-katholischen Kirche in Deutschland
Letztendlich entscheidend sind die Ergebnisse der MHG-Studie zum Missbrauch im Raum der Kirche. Die Deutsche Bischofskonferenz hat sich in ihrer Vollversammlung in Lingen vom 10. bis 12. März 2019 mit 62 Ja-Stimmen und vier Enthaltungen für einen gemeinsam mit dem ZdK durchzuführenden „Synodalen Weg“ zur Befassung mit drei Themenkomplexen in Konsequenz der strukturellen Veränderungen als Ergebnis der MHG-Studie zum Missbrauch im Raum der Kirche entschieden. (vgl. https://www.zdk.de/veroeffentlichungen/reden-und-beitraege/detail/Synodaler-Weg-Leitantrag-des-Praesidiums-424e/)
[Die MHG-Studie bezeichnet das interdisziplinäre Forschungsprojekt „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ („MHG-Studie“). Es handelt sich dabei um ein in “…Konsortium aus verschiedenen wissenschaftlichen Einrichtungen. Dazu gehören das Zentralinstitut für seelische Gesundheit (Mannheim), das Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg, das Institut für Gerontologie der Universität Heidelberg und die Professur für Kriminologie, Jugendstrafrecht und Strafvollzug an der Universität Gießen. Aus den drei Ortsnamen Mannheim – Heidelberg – Gießen ist die Abkürzung MHG zusammengesetzt.” (vgl. https://www.dbk.de/themen/sexueller-missbrauch/faq-mhg-studie/ )]
Vier Foren werden die Themenkomplexe dieses synodalen Weges bearbeiten. Das sind die Foren:
Macht und Gewaltenteilung in der Kirche
Sexualmoral
Priesterliche Lebensform
Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche
Das ZdK formuliert dabei ganz konkrete Forderungen, die beim synodalen Weg behandelt werden sollen:
Trennung von Exekutive (Gesetzgebung) und Judikative (Rechtsprechung) im Kirchenrecht. Wir fordern eine unabhängige kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit für den Bereich der Deutschen Bischofskonferenz.
Um eine umfassende Transparenz zu schaffen und der von Papst Franziskus beschriebenen Klerikalisierung entgegenzuwirken ist eine gleichberechtigte Teilhabe von Laien und Geweihten an Leitung von Kirche zu schaffen.
Frauen und Männer in Kirche gleich zu stellen und daher Frauen Zugang zu allen kirchlichen Ämtern zu gewähren.
Sich aktiv dafür einzusetzen, den Pflichtzölibat abzuschaffen.
In der kirchlichen Sexualmoral die vielfältigen Lebensformen und Lebenswirklichkeiten positiv anzuerkennen.
Entwicklung einheitlicher Standards bei der Ausbildung für den priesterlichen Dienst auf der Ebene der Deutschen Bischofskonferenz.
die Verantwortung und Entscheidungskompetenz aller Getauften und Geweihten auf allen Ebenen für die Kirche zu verwirklichen.
Aus den Reihen der Deutschen Bischofskonferenz gibt es aber auch Kritiker zum synodalen Wegen. Unter ihnen der Regensburger Bischof Voderholzer, der sich nur mit Vorbehalt an diesem Weg beteiligen will. vgl. https://www.kirche-und-leben.de/artikel/voderholzer-wirft-synodalem-weg-pseudowissenschaftlichkeit-vor/ Auch der Erzbischof von Köln, Kardinal Woelki, wird sich nur distanziert am Dialog des synodalen Weges beteiligen. (s.o.)
Synodaler Weg ./. Einheit der Kirche ?
Inhaltlich wird nicht selten von KritikerInnen des synodalen Weges vorgehalten, dass dieser Weg gegen den Einheitsgedanken der römisch-katholischen Kirche stehe.
Dem entgegnet der in Münster lehrende Moraltheologe Daniel Bogner, das dem eine irreführende, unrealistische und weltfremde Vorstellung von Einheit zugrunde liege.
“… „Die Kirche steht mit dem Rücken zur Wand“, erklärte der Moraltheologe. Sie müsse daher auch auf die systemischen Gründe der Missbrauchskrise schauen. Ziel des Synodalen Weges sei nicht, „in erster Linie den Glauben zu neuer Blüte zu führen“. Vielmehr sei er eine Antwort auf die Faktoren, die den Missbrauchsskandal begünstigt hätten.
Bogner findet es nicht verwunderlich, dass es in der Deutschen Bischofskonferenz zum Synodalen Weg auch von der Mehrheit abweichende Voten gibt. „Nur in der Kirche wundert man sich immer, wenn man nicht 100 Prozent Einigkeit hat“, meinte der Theologe. „Es gehört zum Problem der Kirche, dass sie eine Vorstellung von Einheit hat, die irreführend, unrealistisch und weltfremd ist.“
Der Moraltheologe unterstrich, man sollte nicht jede teilkirchliche Bemühung um Aufbruch und Verändern mit dem Totschlag-Argument Weltkirche ausbremsen. Vielmehr könnten die Teilkirchen innovative Vorschläge machen – „anderswo sagt man best practice“ – und innerhalb der Weltkirche sagen: Wir möchten, dass darüber diskutiert wird….” Quelle: https://www.kirche-und-leben.de/artikel/theologe-bestimmte-einheitsvorstellungen-der-kirche-sind-irrefuehrend/
Warum ich persönlich den ‘synodalen Weg’ in Deutschland für unverzichtbar halte:
Den Opfern und Betroffenen von sexueller und spiritueller Gewalt durch kirchliche Mitarbeiter geschuldet.
Der sogenannte “Missbrauchs-Skandal” hat nur das ins öffentliche Bewusstsein und in die öffentliche Diskussion gezerrt, was seit Jahrzehnten, wenn nicht sogar seit Jahrhunderten an Verbrechen geschehen ist. Die Opfer sind im überwiegende Maße Kinder, Jugendliche und Schutzbefohlene. Doch der Kreis der davon Betroffenen geht noch darüber hinaus, denn auch Eltern, Familienangehörige und Freunde dürfen und müssen als Betroffene gelten, wenn sie schuldlos die Opfer nicht in Schutz nehmen konnten und später selbst auch unter großen Schuld- und Versagensgefühlen leiden.
Wie die MHG-Studie zeigen konnte, fällt auf die Kirche und kirchliche Amtsträger große Verantwortung und Schuld, wenn sie Täter geschützt, Opfern nicht geglaubt und eine Strafverfolgung vereitelt haben.
Dieses wurde nicht selten auch begünstigt durch strukturelle Gegebenheiten oder durch ein falsch verstandenes Kirchenbild, nach dem die Kirche nach außen hin gerne ohne Fehl und Makel verkauft wurde.
Die Machtstrukturen in der Kirche, die geprägt sind von Oberen und Untergebenen, von Treue und Gehorsam und deren missbräuchliche Interpretation begünstigten solche Verhaltensweisen, wodurch die Opfer immer wieder und mehrfach auch nach den eigentlichen Taten zu Opfern wurden.
Die fehlende Unterstützung und Hilfeleistung den Opfern gegenüber verschärfte dabei das Leid und die oft auch traumatischen Lebensumstände, unter denen die Opfer über Jahre und Jahrzehnte leben mussten.
Der ‘synodale Weg’ mit seinen Fragen zur Machtstruktur und zu Fragen der Macht- und Gewaltenteilung in der Kirche (auch im Hinblick auf die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die Exekutive) ist ein notwendiger Prozess, um bisherigen Opfern Recht und Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und zukünftig eine wirksame Prävention und eine gute Abwehr und wirksame Strafverfolgung zu garantieren.
Das zuvor beschriebene strukturelle Versagen der Kirche, dass auch begünstigt wird durch eine falsch verstandene hierarchisch-verfasste Kirche, ist nur möglich, weil es eine besonders privilegierte Gruppe in der Kirche gibt, die neben dem geistlichen Amt auch noch mit besonderer weltlicher Macht ausgestattet ist.
Wird diese Macht theologisch überhöht, entwickelt sich ein schädlicher Klerikalismus. Diese strukturelle Prägung der Kirche hat nachweislich auch historisch-machtpolitische Ursachen. (vgl. z.B. die Konstantinische Wende).
Dabei wissen wir auch, dass gerade in den Anfängen der Kirche es in breitem Maße Gemeindestrukturen gab, die presbyterial verfasst waren und nicht durch ein Weiheamt (Ordo) mit seinem Anspruch auf apostolische Sukkzession geprägt waren. Der Jakobus-Brief berichtet darüber und diese Schriftstelle hat gerade auch beim Sakrament der Krankensalbung eine herausragende Bedeutung.
Die Rückbesinnung darauf, dass Kirche anfangs nicht nur streng hierarchisch, sondern zugleich auch eine breitere presbyteriale Verfassung kannte, kann uns heute zur theologischen Begründung dienen, diese frühchristliche Kirchenstruktur für eine Kirche der Zukunft wieder zum Recht zu verhelfen.
Aus Respekt und Achtung den Nicht-Klerikern in der Kirche gegenüber als ein vom Heiligen Geist erfüllten Volk Gottes und in der einen, gemeinsamen Sendung.
Jesus Christus hat nach seiner Auferstehung und Himmelfahrt seinen Jünger*innen einen Beistand zugesagt, der für immer bei ihnen bleiben wird, den Heiligen Geist.
In den Initationssakramenten (Taufe, Eucharistie und Firmung) bekennen wir uns in der Kirche dazu, dass wir alle – als Einzelne und als Kirche als Ganzes – Träger*innen des Heiligen Geistes sind.
Im Vatikanum II wurde daraus auch das Verständnis vom “allgemeinen Priestertum aller Gläubigen” abgeleitet.
So gibt es also in dieser Hinsicht zwischen ordinierten Personen und nicht-geweihten Personen in der Kirche keinen wesentlichen Unterschied, was , denn wir alle sind “Schwestern und Brüder in Christo” (vgl. Matthäus 12, 48-50).
Der wesentliche Unterschied zwischen Weiheamt und Nicht-Klerikern kann aber keine theologische Begründung dafür sein, die Verantwortung für einen ‘synodalen Weg’ allein bei den geweihten Mitgliedern der Kirche anzusiedeln.
Die Mitverantwortung der Laien muss deshalb auch faktisch sein und sich in einer praktischen Mitverantwortung und einem Mitentscheidungsrecht und einer Mitentscheidungspflicht der Laien widerspiegeln. ‘
Dabei ist die Einsicht selbstverständlich, dass gerade aus den Reihen der Laien viele hochqualifzierte und fachkundige Frauen und Männer zu finden sind, die die Kirche gerade auch für ihre geistliche Sendung nötig hat und auf die sie nicht verzichten darf.
Aus Respekt und Achtung vor der Gleichwertigkeit der Frau in Gesellschaft und Kirche.
In Folge der Aufklärung und der europäischen Frauenbewegung des 18. und 19. Jahrhunderts ist in der modernen Welt die Überzeugung entstanden, dass die Frau dem Mann gleichwertig und gleichberechtigt ist. Dies bezieht sich auf alle Bereiche sozialen und politischen Lebens.
Die geschlechtlichen Unterschiede können dabei nicht zu einer Auf- oder Abwertung des einen oder anderen Geschlechts herangeführt werden.
In viele Verfassungen und Gesetzen hat diese Erkenntnis auch rechtsstaatlich ihren Niederschlag gefunden.
Aber in der römisch-katholischen Kirche sind bestimmte Aufgaben nur einer Geschlechtsgruppe – nämlich den männlichen Mitgliedern der römisch-katholischen Kirche – vorbehalten.
Angesichts der Spannung, die Christ*innen in diesem offensichtlichen Widerspruch zwischen gesellschaftlicher und politischer Realität einerseits und kirchlicher Realität andererseits erleben, empfinden sie die Stellung und Rolle der Frau in der Kirche gegenüber ihren männlichen Geschlechtsgenossen zu Recht als diskriminierend.
Notwendigerweise fragen sie sich auch, ob dies irgendwie mit dem Lebenszeugnis und der Lehre Jesu Christi begründet werden kann?
Unter Berücksichtigung der damaligen gesellschaftlichen und politischen Stellung der Frau, die ja auch überwunden wurden, wird man heute mit Fug und Recht nicht mehr behaupten können, Jesus Christus würde auch heute – und den geänderten politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten – an einer nachgeordneten Stellung der Frau gegenüber dem Mann festhalten.
Deshalb sind die Anfragen z.B. der Kampagne “Maria 2.0” in heutiger Zeit zutiefst gerechtfertigt, und die Frauen in der Kirche habe ein Recht darauf, dass ihre derzeitige Rolle und Position in der Kirche hinterfragt und den Realitäten der heutigen Zeit angepasst wird.
Die diversen theologisch-dogmatisch-kritischen Anfragen aus den akademischen Kreisen zeigen, dass das ‘Basta’ in der Kirche sich nicht zweifelsfrei auf dogmatische Aussagen zurückziehen kann, da der Gang der Kirche durch die Geschichte ebenso zeigt, dass sich die Kirche gerade in Fragen des Amtes immer wieder verändert und ggfs. erneuert hat.
Ich verweise z.B. nur auf die Veränderung des Bischofsamtes (die Möglichkeit Fürstbischof sein zu können ohne Priesterweihe) oder auch die Veränderung des Klerikerstandes von den verschiedenen Weihestufen, die früher nicht nur diese drei (Diakon, Priester, Bischof) waren.
Aus Anerkennung der modernen empirischen Forschungen und deren allgemein anerkannten Ergebnisse in der Sexualforschung.
Betrachtet man die empirischen Erkenntnis verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen in der Sexual- und Genderforschung, entsteht zu Recht der Eindruck, dass diese modernen Erkenntnisse in der Sexuallehre der römisch-katholischen Kirche zum Teil völlig außer Acht gelassen werden. Dies gilt z.T. auch noch immer beispielsweise für die Haltung und den Umgang mit Homosexualität.
Die fehlende Akzeptanz der Ergebnisse verschiedener Disziplinen (beispielhaft seien hier nur Anthropologie, Medizin, Psychologie, Soziologie, Biologie, … genannt) offenbart einmal mehr die Diskrepanz zwischen modernen Forschungsergebnissen einerseits und der lehramtlichen Haltung der römisch-katholischen Kirche andererseits in diesem Themenkomplex.
Dies führt aber auch – und das macht es so schlimm – z.B. bei homosexuellen Menschen zu Diskriminierung. Die Folgen daraus können fatal sein.
Der ‘synodale Weg’ in Deutschland bringt hingegen die Chance mit sich, dass sich die Kirche diesen aktuellen und grundlegenden wissenschaftlichen Erkenntnissen stellt und dies auch in ihrer Theologie und pastoralen Praxis mit berücksichtigt.
Als folgerichtige Fortschreibung der Theologie des Vat. II, der Würzburger Synode und den Verlautbarungen von Papst Franziskus zum zukunftsorientierten synodalen Weg der Gesamtkirche.
Bereits im Oktober 2015 hat der derzeitige Papst Franziskus unmissverständlich darauf aufmerksam gemacht, dass die Kirche der Zukunft eine synodale Kirche sein wird. Diese Aufwertung der Ortskirchen hat auch ganz konkrete Anfragen und Folgen für einen solchen ‘synodalen Weg’, wie ihn die deutschen Bischöfe und das ZdK mit den Katholik*innen in Deutschland gehen wollen.
Den ‘synodalen Weg’, der nun also in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland beschritten wird, halte ich für unverzichtbar.
Ihn zu kritisieren oder gar abzulehnen, ohne die Ursachen und Umstände auch nur zu erwähnen oder auch zu berücksichtigen, die zu diesem ‘synodalen Weg’ geführt haben, ist eine Missachtung derer, die sich mit aller Ernsthaftigkeit und persönlicher Spiritualität in diesen Prozess einbringen wollen!
Zu allerletzt möchte ich noch daran erinnern, dass die Forderung nach Reformen in der Kirche zumeist dann auf kamen, wenn die Kirche große historische Fehler begangen hat, z.B. durch weltlichen und geistlichen Machtmissbrauch.
Auch heute erkennen wir, dass die römisch-katholische Kirche in Deutschland und weltweit viele und ungeheuerlich große Fehler gemacht und dadurch unsäglich viel Schuld auf sich geladen hat.
Die Menschen, ob in oder außerhalb der Kirche, fordern deshalb zu Recht, dass die Kirche sich dieser Schuld stellt und ihrer Verantwortung gerecht wird.
Sollte sich die Kirche – in Teilen oder auch im Ganzen – diesem Prozess versagen, wird das erheblich Konsequenzen haben.
Denn schon jetzt erkennen wir, dass die Menschen heute so nicht mehr mit sich umspringen lassen, sondern ‘mit den Füßen’ abstimmen.
Von daher werde ich alle Initiativen unterstützen, die bereit sind, sich mit und in der Kirche auf den Weg ins 21. Jahrhundert zu machen; einer Kirche, die sich ihrer Sendung von Christus her wieder bewusster wird.
Vor fast genau vor drei Jahren stand ein Artikel auf der Homepage von www.katholisch.de, der mit diesen Worten begann: „Barmherzigkeit schafft nach Aussage von Papst Franziskus die Sünde nicht ab. Einen Sünder zu verurteilen, sei nicht deshalb verkehrt, weil es keine Sünde gebe, sondern weil dies das brüderliche Band zerstöre und die Barmherzigkeit Gottes verachte, (…). Gott wolle auf keines seiner Kinder verzichten. (…) Innerkirchliche Kritiker des Papstes beanstanden immer wieder, dass er mit seiner Auffassung von Barmherzigkeit die Sünde abschaffe. Franziskus bezog sich bei seinen Äußerungen auf den Evangelien-Vers „Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist“. Quelle: https://www.katholisch.de/artikel/10588-papst-barmherzigkeit-schafft-die-suende-nicht-ab
Die Fülle biblischer Gottesbilder
So oder anders gibt es immer wieder kritische Stimmen, auch aus dem innersten Kreis unserer Kirche selbst, die meinen, die Barmherzigkeit Gottes würde in unserer Zeit überbetont.
Nach biblischem Zeugnis sei Gott noch viel mehr als nur barmherzig. Er sei auch streng, zornig, rachsüchtig, eifersüchtig und würde in der Bibel auch als strafender Richter in Erscheinung treten, der bisweilen sogar nicht davor zurückschrecke, Unheil über die Menschen zu bringen (→ Sintflut, …).
Ja, dieser Einwand ist berechtigt und richtig.
Die Bibel schildert uns die vielfältigsten Seiten Gottes, die manchmal sogar widersprüchlich anmuten.
Die Frage ist also, wie wir damit umgehen können?
Ich glaube, es ist hilfreich und gut, wenn uns ein bestimmtes Gottesbild einen besonders guten Zugang zum personalen Gott unseres Glaubens ermöglicht.
Und Jesus selbst hat uns die verschiedenen Facetten des göttlichen Vaters vor Augen gestellt.
Und es ist nicht verwerflich, die persönliche Beziehung zu Gott mithilfe eines bestimmten – wenn auch nicht vollständigen – Gottesbildes zu erleichtern.
Von hilfreichen und ‚gefährlichen‘ Gottesbildern
Für Jesus war es das Verständnis vom ‚Vater‘. Auch das ist ja nicht immer hilfreich; ich denke z.B. an jene Menschen, die in ihrem konkreten Leben einen schlechten Vater erfahren haben. Ich denke da z.B. an Kinder, die von ihrem Vater Gewalt erfahren oder durch ihn misshandelt wurden. Ihnen wird es besonders schwer fallen, über das Bild des Vaters eine gute persönliche Gottesbeziehung aufbauen zu können.
Welcher Zugang ist ‚heilsam‘?
Heute bietet uns Jesus – und das sehr detailliert – das Bild des barmherzigen Vaters an. Und das hat seinen guten Grund. Ich bin davon überzeugt: Jesus hätte dieses Bild nicht in einem solchen ausführlichen Gleichnis entwickelt, wenn er nicht gespürt hätte, dass die Menschen seiner Zeit dieses Bildes besonders bedurften.
Und wir heute? Auch heute leben wir in einer Zeit, wo der „barmherzige Vater“ für uns ein heilsamer und segensreicher Zugang zu Gott sein kann. Diesen Zugang sollten wir nutzen.
Gott ist nichts gleich-gültig
In diesem Zusammenhang ist wichtig, zu betonen, dass das Bild vom „barmherzigen Vater“ ja nicht dem Verständnis unterliegt: wir können machen und tun, was wir wollen, Gott nimmt es nicht so genau und wird uns schon alles durchgehen lassen.
Eine solche Sichtweise ist nämlich mit dem heutigen Gleichnis auch nicht zu begründen.
Schauen wir deshalb noch mal genauer hin. Wann erfährt der eine Sohn, der ‚ausgewandert‘ ist und sein Erbe verschleudert hat, die barmherzige Liebe seines Vaters?
Doch
• erst, nachdem er – als er mitten im persönlichen Schlamassel steckte – erkennt, was er da getan hat;
• erst, nachdem er in sich gegangen ist und sein Verhalten selbstkritisch reflektiert hat;
• erst, nachdem er erkannt hat: ich muss den Weg der Umkehr – zurück – zu meinem Vater gehen.
Vor aller barmherzigen Liebe steht also mindestens auch ein genau so wichtiger und entscheidender Beitrag des vermeintlich ‚verlorenen Sohnes‘.
Er ist den Weg der inneren kritischen Auseinandersetzung mit sich selbst gegangen und die Erkenntnis, die er daraus gewonnen hat, zeigt ihm, dass ihn jetzt nur noch die Liebe des Vaters retten kann.
Auf die Liebe des Vaters vertrauend, verliert der Sohn nicht sein Gesicht, sondern erhält so das frühere Ansehen von seinem Vater in vollem Maße zurück.
Wenn das kein Grund ist, das Bild vom ‚barmherzigen Vater‘ als persönlichen Zugang zu meiner Gottesbeziehung zu nutzen?!
„Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er…“ (Hebr. 12, 6)
Am 21. Sonntag im Jahreskreis des Lesesjahres C wird uns in der zweiten Lesung ein Text aus dem Hebräer-Brief vorgelegt: Hebr. 12, 5-7.11-13. Dieser Text ist für heutige Menschen eher verstörend, passt er doch so gar nicht in ein Verständnis heutiger moderner Erziehungsmethoden. Und auch das Gottesbild, dass dort präsentiert wird, mag nicht so recht in das Bild eines Gottes passen, der seine Kinder liebt. Zugleich ist dieser Text gesetzt und für mich als Prediger eine Herausforderung, der ich mich – auch aus professioneller und spiritueller Hinsicht – stellen will und muss. Heute möchte ich zu dieser Textstelle meine Predigt-Gedanken präsentieren.
Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Zeilen und Gedanken lesen und mir gerne Ihre Gedanken dazu schenken würden.
Anstiftung zur Züchtigung?
Tut mir leid, liebe Schwestern und Brüder, aber in meinen Ohren hören sich die Worte der heutigen Lesung echt grauenvoll an. „Wen der Herr liebt, den züchtigt er!“ – das ist schon fast ein geflügeltes Wort und galt – gerade auch in früherer Zeit – als moralische Legitimation, dass Eltern ihre eigenen Kinder züchtigten. Das bedeutet, dass sie ihnen körperliche Gewalt antaten mit der Absicht oder Überzeugung, damit ihre Kinder zu guten Menschen erziehen zu können.
Für unser heutiges Verständnis ist es schon ein starkes Stück, dass ein biblischer Text für die körperliche Gewalt gegenüber Kindern herhalten muss.
Aber es wundert doch nicht, denn schließlich malt Paulus hier ein Bild von Gott, der es selbst als angemessen hält, seine „Kinder“ zu züchtigen, in dem er sie zurechtweist und sie „schlägt mit der Rute“.
Kommen dem einen oder der anderen von uns da nicht eigene Gedanken oder Erinnerungen hoch. Erinnern sie – gerade vornehmlich die Älteren unter uns – sich nicht noch an Zeiten, wo auch unsere Eltern oder Großeltern Schläge oder die verniedlichende „Backpfeife“ als adäquates Erziehungsmittel hielten?!
Heute gibt es mehrheitlichen Konsens, dass die Züchtigung von Kindern kein angemessenes Mittel ist. Heute herrscht die Überzeugung vor, dass man Kinder nicht mit Gewalt erziehen kann. Dies gilt übrigens nicht nur für körperliche sondern auch psychische Gewalt, wie z.B. Liebesentzug. Heute trägt unser Staat dem Rechnung, insofern es ein Züchtigungsverbot gibt und Gewalt gegenüber Kinder, auch als zweifelhaftes Erziehungsmittel, unter Strafe steht.
Es ist gut, dass diese Zeiten – zumindest in Deutschland – vorbei sind und ich hoffe, dass das auch so bleibt!
Provokante Konfrontation
Aber das, liebe Schwestern und Brüder, ändert nichts an der Tatsache, dass uns heute diese Lesung vorgelegt wird.
Wenn Sie häufiger meinen Predigten gelauscht haben, dann wissen Sie vielleicht schon, dass ich gerade bei sperrigen Texten frage, ob ich auch den Kern der „frohen Botschaft“ dort entdecken kann. Ich suche den Schlüssel zum Verständnis eines Textes, den wir offenbar so wortwörtlich nicht mehr in unsere Zeit übernehmen können und dürfen. Ich suche dann immer nach der Relevanz des Textes für unsere heutige Zeit und für mein Leben.
Und dann finde ich diesen berühmten ‚springenden Punkt‘ am Ende der Lesung: „Mach die erschlafften Hände und die wankenden Knie stark, schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder (…) geheilt werden.“
Soteriologische ‚Mitte‘
DAS ist es. Hier finden wir die Zielaussage.
Paulus will den Leser ermutigen. Er will den Leser ermutigen, der sich in seinem Leben kraftlos fühlt, der das Gefühl hat, dass die Knie wegsacken. Er hat Menschen vor Augen, die offenbar vor sich steinige und steile Wege erleben, die es ihnen schwer machen, mit lahmen Gliedern bezwungen zu werden.
Die Lesung ist eine Mutmachlesung.
Und Paulus deutet uns an, dass wir in unserem Leben gestärkt werden sollen, für die Widrigkeiten des Lebens.
Und – was als Erstes – widersprüchlich anmutet, ist der Gedanke, dass diese Stärkung durch Leid erfolgen kann.
Auch diese Logik wirkt erst einmal ziemlich befremdlich, vor allem, wenn Gott dieses Leid bringen sollte, um uns zu stärken.
Dieser Gedankengang ist aber der damaligen Zeit geschuldet. Damals glaubten noch viel mehr Menschen, dass das Leid von Gott geschickt und gewollt sei. Da aber schon Paulus an einen liebenden Gott geglaubt hat, der uns retten will, war es für ihn folgerichtig, dass dieses Leid uns zum Heil führen soll. So ist nach damaligem Denken gottgewolltes Leid ein Mittel zum Heil. Um ganz klar zu sein, liebe Schwestern und Brüder, dieser Gedankengang ist heute nicht mehr Gegenstand unseres Glaubens an einen liebenden Gott.
Durch Leid und Not wachsen und reifen
Und dennoch sollten wir diesen Text nicht vorschnell verwerfen.
Denn, wenn wir einmal davon absehen, dass das Leid von Gott gewollt und von ihm uns geschickt wurde – dann können wir dennoch auch erkennen, dass wir manchmal durch das Leid, was wir verarbeitet und überwunden haben, gestärkt wurden.
Bleiben wir doch einmal bei diesem Gedanken und denken darüber nach, wo wir in unserem Leben leidvolle Erfahrungen gemacht haben? Denken wir einmal darüber nach, wie es uns ergangen ist, als wir uns diesem Leid gestellt und nachdem wir es überwunden haben?
Hat sich dadurch nicht auch unsere Sicht auf unser Leben und auch unser Verständnis vom Leben verändert? —-
Ich bleibe mal bei zwei wichtigen Leiderfahrungen meines Lebens. Da ist einmal die langjährige Krankheit meines Vaters, der mit 38 Jahren an einen Hirntumor erkrankte und dann mit 45 Jahre 1981 starb; da war ich 18. Wir haben unseren Vater in den letzten Jahren gemeinsam in unserer Familie gepflegt. Seine Krankheit hat mich auch eines wichtigen Teils meiner Jugend beraubt. Schon sehr früh wurde ich als Pubertierender in die Mitverantwortung und Mitpflege meines Vaters eingebunden – wie meine anderen Brüder auch.
Der Tod meines Vaters, obwohl absehbar, war für mich eine Zeit großen Schmerzes. Neben der Dankbarkeit, dass sein Leiden überwunden war, hatte ich Wut auf Gott: „Warum?!“ – und ich war sauer, dass ich Gott nicht begreifen konnte.
Oder als im Oktober 2013 mein zweitjüngster Bruder im Alter von 48 Jahren ganz plötzlich an einem geplatzten Aneurysma im Kopf starb.
Es gibt Vieles, was ich aus diesen Erlebnissen für mein Leben lernen konnte. Dazu gehört als wichtigste „Lehre“, dass mein Leben einmalig und kostbar ist und es jeder Tag es wert ist, dankbar dafür zu sein.
Diese Dankbarkeit stärkt mich in so machen anderen Situation, wo das Leben oder auch die Arbeit für mich schwer wird. Diese Dankbarkeit zeigt mir auch, was Wesentlich in meinem Leben ist, wofür es sich lohnt, zu leben, zu lieben und zu kämpfen.
Liebe Schwestern und Brüder,
ich möchte die Wahrheitsdeutung des heutigen Lesungstextes nicht für mich pachten, aber wenn ich vor dem Hintergrund meiner leidvollen Erfahrungen, wo ich durch Schmerz und Trauer zu einer neuen Ebene der Reifung in meinem Leben geführt wurde, diesen Text lese, dann kann ich ihm einen gewissen Sinn und auch eine gewisse Berechtigung abgewinnen.
Wir können durch erfahrenes und überwundenes Leid wachsen und lernen und stärker werden für unser Leben. Und darin kann dann auch so etwas wie „Heil im Leiden“ stecken. Davon bin ich heute überzeugt.
Jahrhundertsommer 2018. Weite Teile Deutschlands sind von brütender Hitze gefangen. Die Felder dörren total aus, Regen wäre bitter nötig. Die Waldbrandgefahr in Wäldern ist auf höchster Stufe ausgerufen. Das Rauchen am und im Wald sowie Lagerfeuer und Grillen sind strengstens verboten. Doch dann fliegt er, diese eine Funke, der das Feuer entzündet. Lichterloh schlagen die Feuerzungen gen Himmel, eine Rauchsäule ist kilometerweit zu sehen. In Ostdeutschland brennt ein Wald. Fast zeitgleich wüten gigantische Waldbrände in Kalifornien. Menschen verlassen ihr zuhause – manche zu spät und kommen in den Flammen um. Die Luftzirkulation, die durch die Hitze entfacht wird, verstärkt die Winde, die das Feuer über riesige Wald- und Steppenflächen treibt.
Hier wie dort, sind die Menschen in Angst und Schrecken, fürchten um ihr nacktes Überleben. Ihr bis dahin sicher geglaubtes Leben wird nun existentiell bedroht.
Am letzten Montag dann die Unwetterwarnung für unsere Stadt: heftigste Gewitter und Unwetter mit Starkregen, Hagel und Sturm. Ich denke: jetzt muss ich doch wieder um die Pflanzen auf meinen Balkon bangen und hoffe, dass der Sturm nicht wieder alles durcheinander wirbelt. Im letzten Jahr fiel ein großer Baum direkt vor unserem Haus, aber – Gott sei Dank – weder auf das Haus noch auf Passanten.
Jemand sagte mir am Mittwoch: „Bei dem Gewitter in der Nacht von Montag auf Dienstag habe ich es schon etwas mit der Angst bekommen.“
Angst hatten auch die Jüngerinnen und Jünger Jesu, als sie sich nach der Himmelfahrt Jesu in das Obergemach zurückzogen und sich verbarrikadierten. Sie hatten Angst, auch Angst um ihr Leben und dass die Juden ihnen nach dem Leben trachten könnten, jetzt, da ihr Herr nicht mehr unter ihnen war. Und sie beteten. Sie taten es so, wie der Herr ihnen aufgetragen hatten. Aber: sie hatten Angst.
Und dann geschah dieses unglaubliche Ereignis, das die Apostelgeschichte umschreibt mit den Bildern von Feuerzungen und Sturmesbraus.
Gelesen hört sich das so harmlos an. Und auch so manche Bilder von Pfingsten, wo die Christengemeinde einmütig zusammensteht und über ihnen die Feuerzungen zu sehen sind – geradezu idyllisch.
Aber, liebe Schwestern und Brüder, ich ahne mehr und mehr, dass dem nicht so war.
So, wie sich Menschen im letzten Jahr vor dem Feuer und dem Sturm fürchteten und Angst um ihr Leben haben mussten, so kann auch das Wirken des Heiligen Geistes bedrohlich und zerstörerisch empfunden werden.
Ich glaube, wir tun gut daran, das Pfingstereignis damals – und auch heute – nicht als ein harmloses Geschehen zu betrachten.
Auch heute leben wir in einer Zeit und in einer Kirche, wo es zu massiven Auseinandersetzungen kommt. Es bilden sich Lager, die sich offenbar oder vermeintlich gegenüber stehen.
Manche befürchten gar eine Kirchenspaltung. Und so dreschen welche aus dem konservativ-traditionalistischem Lage auf jene ein, die Kritik üben und sich das selbständige Denken nicht verbieten lassen wollen.
Auch hier zeigt sich Angst. Und in diese Angst hinein will der Heilige Geist heute zu uns kommen. Aber zuerst nicht beschwichtigend und beruhigend, sondern auch hier und heute kann es richtig rund gehen in unserer Kirche, wenn der Sturm des Heiligen Geistes Bestehendes durcheinander wirbelt und wenn die Feuersglut des Heiligen Geistes von Menschen Erbautes niederbrennt. Ich persönlich mache mich schon lange darauf gefasst, dass wir mittendrin sind in einer stürmischen Zeit. Und ich hoffe darauf, dass sich in diesem Sturm – der sich durchaus auch auf manche von uns beängstigend auswirkt – der Heilige Geist selber am Werk ist.
Vielleicht zerstört der Heilige Geist sogar unsere ganzen bisherigen Sicherheiten und Zufluchtsorte und drängt uns, das sichere Umfeld zu verlassen und hinaus zu gehen, in die Welt, in die Sorgenwelten der Menschen, in die Angst und Not dieser Zeit.
Vielleicht ist es gerade das stürmische Wirken des Heiligen Geistes, das uns eine neue, eine andere Sprache, finden lässt in dieser Welt und für diese Welt.
Denn das ist für mich das Tröstliche des heutigen Tages: Feuer und Sturm können als Bedrohung erfahren werden, aber sie setzen etwas frei – Energie und Engagement. Sie setzen in uns Fähigkeiten frei, die wir bislang zu wenig oder gar nicht mehr genutzt haben, nämlich zum Beispiel, wieder zu lernen, die Sprache der Menschen um uns herum zu sprechen und nicht in unserem kirchlichen Jargon zu bleiben, den – außer uns – sowieso keiner mehr versteht.
Das Tröstliche für mich ist, dass diese neue Sprache offenbar von den Menschen verstanden wird und sie selbst am meisten darüber erstaunt sind, dass sie uns (wieder) verstehen! Denn: geglaubt haben sie es eigentlich nimmer mehr, dass die Christen in der heutigen Zeit der Welt noch etwas mitzuteilen und zu geben haben.
Tröstlich für mich ist auch, dass aus einer bedrohlichen Kraft die Menschen spüren, dass dahinter etwas sehr Konstruktives und Kreatives steckt, nämlich die Schöpferkraft des Heiligen Geistes.
Ich wünsche uns allen, dass wir uns von dieser Kraft des Heiligen Geistes vertrauensvoll anstecken lassen und darauf vertrauen, dass das Pfingstereignis damals in Jerusalem kein einmaliges Pfingstwunder war. Es kann und – daran glaube ich ganz fest – es wird auch heute in unserer Zeit wieder geschehen. Lassen wir es zu und hindern wir den Heiligen Geist nicht, das göttliche Werk zu vollenden.
Welttag der geistlichen Berufe – Predigt
Bayerischer Rundfunk – Meldung: 08.05.2019, 15:26 Uhr „Papst: Keine schnelle Entscheidung beim Diakonat der Frau Eine schnelle Entscheidung zur Einführung eines Frauendiakonats in der Katholischen Kirche wird es so bald nicht geben. Das bestätigte Franziskus auf dem Rückflug von seiner dreitägigen Balkan-Reise gegenüber mitreisenden Journalisten. Die von ihm eingesetzte Kommission, die seit zweieinhalb Jahren den kirchengeschichtlichen Hintergrund aufklären sollte, habe ihre Arbeit beendet, sei aber nicht in allen wichtigen Punkten zu einer einheitlichen Sichtweise gekommen….“ (zitiert nach: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/papst-katholische-frauen-werden-nicht-so-bald-diakonin,RPrXJi4 )
ich sehe schon wieder die enttäuschten Gesichter derer vor mir, die sich möglichst schnell und kurzfristig eine Entscheidung des Papstes für das Diakonenamt der Frau in unserer Kirche gewünscht hätten.
Die Frage nach der Zulassung zum Weiheamt in unserer Kirche wird seit Jahrzehnten diskutiert und hat durch das „Basta“ von Papst Johannes Paul II. nur eine kurzfristige Abschwächung erlebt. Aber in den letzten Monaten brandet dieses Diskussion wieder auf. Und selbst Bischöfe kommen aus ihren Büschen und wagen vorsichtig zustimmende Äußerungen in den Fragen, sei es die Zulassung von verheirateten Männern zum Priesteramt oder die Abschaffung des Pflicht-Zölibates oder die Zulassung der Frauen zu Diakonen- und sogar Priesteramt.
Und ja, ich wäre einer der Ersten mit, der sich über Veränderungen in diesem Bereich freuen würde. Ich würde mich über verheiratete Priester genauso freuen wie über Frauen im Diakoninnen- und Priesterinnen-Amt. Ich bin aber nicht dafür, nur weil wir „so wenig Priesternachwuchs“ haben.
Diese „5.-Rad-am-Wagen-Mentalität“ in unserer Kirche muss aufhören. Das habe ich schon damals kritisiert, als es um die Frage der Messdienerinnen ging und das kritisiere ich auch heute wieder.
Was ist das für eine Haltung?! – Damit wird keine grundsätzliche Wertschätzung zum Ausdruck gebracht!
Apropos ‚Wertschätzung‘! Die Frage nach der mangelnden Wertschätzung dürfen wir auch für andere kirchlichen Ämter in den Blick nehmen. Noch immer gilt der Dienst eines Priesters – sei es bei Taufe, Trauung oder Beerdigung – mehr als der Dienst eines Diakons oder einer Gemeindereferentin oder eines Pastoralreferenten.
Noch immer gibt es Menschen, die die Kommunion in der Eucharistie lieber ‚aus der Hand eines Priesters‘ als aus der Hand einer Kommunionhelferin empfangen. Da muss man sich doch an den Kopf fassen: Geht es etwa um meine – diese – Hände hier? Oder geht es um den Herrn, der in der Form des geweihten Brotes uns allen in die Hände gegeben wird und der zu uns allen gleichermaßen kommen will?!
Wir können also nicht nur eine mangelnde Wertschätzung ‚von oben‘ sondern auch ‚von unten‘ erkennen und beklagen.
Dabei gibt es so viele gute und kompetente Kolleginnen und Kollegen in den verschiedensten Diensten und kirchlichen Berufen, deren Einsatz ich nicht missen möchte, die ich sehr schätze und die ich als eine unschätzbare Bereicherung empfinde. Aber die Frage nach den Zulassung zu den Weihämtern oder die Frage, welche Aufgaben auch Kolleginnen und Kollegen im Verkündigungsdienst ohne Weihe übernehmen können, ist doch nicht alles entscheidend.
Ich denke da an so manche Situation, in der jemand beklagte, dass die Zahlen der Priester immer weiter zurück gehe. Im Gegenzug frage ich dann meistens: „Wieviele Priester sind denn aus Ihrer Familie hervorgegangen?“ oder: „Welcher Ihrer Söhne interessiert sich denn für den Priesterberuf?“
Sie können es sich denken: da ist dann meistens Schweigen-im-Walde!
Und genau das ist es, was mich seit Jahren umtreibt: Wie sieht es bei uns in der Gemeinde, in der Pfarrei aus mit der Atmosphäre, in der geistliche Berufungen wachsen, gefördert und erkannt werden können?
Wie sieht es damit aus, zu begreifen, unter welchen erschwerten Bedingungen heute sich jemand zum priesterlichen Dienst entscheiden muss?
Vor fünfundzwanzig Jahren, als ich zum Priester geweiht wurde, sahen meine Perspektiven noch ganz anders aus. Hätte ich damals gewusst, was heute auf mich und uns allen im Verkündigungsdienst zugekommen ist, ich hätte meine Entscheidung von ganz anderen Faktoren und Überlegungen abhängig machen müssen. Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht wieder dazu entschieden hätte.
Heute glaube ich; ich hätte mich wieder dazu entschieden.
Und ich möchte Ihnen auch sagen warum: • Nicht, weil die Kirche ein so toller Arbeitgeber ist; • nicht, weil es mir die Menschen in den verschiedenen Gemeinden immer so leicht gemacht haben (wobei es viele gab, die mich gestärkt haben), …
… sondern allein weil ich damals eine Berufung von Christus her gespürt habe und von der ich mich auch heute – mal mehr und mal weniger – getragen fühle.
Heute, am Weltgebetstag um geistliche Berufungen, geht es für mich allein um die entscheidende Frage:
Wo und wie können Menschen heute noch gefördert, ermutigt und bestärkt werden, eine echte, lebendige, tiefgreifende Christusfreundschaft zu entwickeln?
Und allein daraus, wird dann der oder die Einzelne für sich erkennen, wohin ihr/sein Weg geht und wozu er/sie berufen ist:
ob zum Dienst in einem Weiheamt oder
zu einem Leben im Orden oder
zum Verkündigungsdienst ohne Weihe
aber auch
zu einem ehrenamtlichen Dienst der Verkündigung und der Gemeindeleitung und nicht zuletzt auch
zu einem Leben in einer christlichen Partnerschaft oder Familie.
Eine liebe Kollegin, eine Gemeindereferentin in der Krankenhaus-Seelsorge, hat in einem geistlichen Wort zu den Pfarrnachrichten ihrer Pfarrei an diesem Sonntag geschrieben:
„Es gilt, füreinander zu sorgen und beim Anderen Fähigkeiten und Talente zu entdecken. In unserem Alltag mit Hektik und Lärm fällt es uns nicht immer leicht, Christus und seinen Ruf zu vernehmen. Eher in der Stille sind wir empfänglich für die Frage: Was ist der Ruf an mich? Die Berufung des Menschen ist ein Geheimnis, das in der Tiefe seiner Person verborgen ist. Jugendliche und Kinder und auch wir Erwachsene brauchen Offenheit und Vertrauen und sogenannte Türöffner, die uns zum Beispiel in einem Gespräch helfen, den Sinn und die uns gestellte Lebensaufgabe (neu) zu entdecken, die Aufgabe, die uns „voll macht“, damit wir „Leben in Fülle“ haben.“ (aus: Dorothea Bertz, Ruf- Beruf – Berufung, Pfarrnachrichten St. Marien, Oberhausen, Nr. 9/2019 vom 12.05.2019)
Man stelle sich folgende Situation vor: In einer Ehe, einer Partnerschaft oder Beziehung fragt der eine Teil den anderen: „Liebst du mich?!“
Diese Frage würde aufhorchen lassen. Würde diese Frage abgewandelt: „Liebst du mich überhaupt noch?“, dann könnte es sein, dass die gefragte Person schon mal die Kontaktdaten eine Ehe- oder Beziehungsberatungsstelle heraussucht. Ähnliches gilt sicherlich auch für Freundschaften oder für andere sehr vertraute Beziehungen.
„Liebst du mich?“ – „Bin ich immer noch dein (bester) Freund/deine (beste) Freundin?“
Wer solche Frage dann gleich dreimal gestellt bekommt, dessen Gefühle werden wohl beginnen Achterbahn zu fahren
Fragen stellen sich in den Raum:
Kriselt es in unserer Beziehung?
Habe ich was falsch gemacht?
Was habe ich falsch gemacht?
Werde ich dem/der anderen nicht mehr gerecht?
…
und damit können auch Gefühle verbunden sein:
Unsicherheit
Hilflosigkeit
Traurigkeit
vielleicht sogar Ärger und Wut.
Fragen in einer Beziehung zu stellen, die die Beziehung betreffen, sind immer gefährlich; gefährlich deshalb, weil sie Missverständnissen Tür und Tor öffnen können.
Mit solchen Fragen sollte man deshalb behutsam umgehen und sich sorgfältig überlegen, in welchem Setting, in welcher Situation, man solche Fragen stellt.
Kein Wunder, dass die dreimalige Frage Jesu an Petrus: „Liebst du mich?“ ihn ‚traurig‘ gemacht hat, wie es in der Schriftstelle heißt.
Kann Jesus sich denn nicht denken, dass er (Petrus) ihn liebt?Was mir auffällt, ist, dass Jesus und Petrus in ihrer Beziehung so unkompliziert von „Liebe“ sprechen können.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass in den biblischen Texten Jesus von Liebe spricht, wenn er über seine Beziehung zu den Jüngerinnen und Jüngern redet.
In unseren eigenen Beziehungen verwenden wir den Begriff ‚Liebe‘ doch nur sehr exklusiv: wir können sagen dass wir unsere PartnerIn lieben, vielleicht auch noch unsere Eltern und Großeltern oder unsere Geschwister.
Aber können wir auch bei den anderen Menschen in unserem Leben, zu denen wir ein vertrauliches Verhältnis haben, von „Liebe“ sprechen?
(Sie können ja mal ein Experiment machen, in dem Sie Ihrer Freundin oder Ihrem Freund sagen, dass sie sie/ihn lieben. Es könnte zu überraschenden oder irritierenden Reaktionen kommen. Warum?)
Ich denke, dass fällt uns eher schwer, weil das in unserer Kultur so nicht üblich ist.
In der Kultur Jesu und auch parallel dazu in der antiken römischen Kultur hatte man damit aber keine Probleme.
Der antike Schriftsteller Cicero hat sich zu diesem Thema in seiner Schrift „Laelius de amicitia“ ausgelassen. Darin beschreibt er unter anderem das Wesen der Freundschaft. Das lateinische Wort „amicitia“ beinhaltet den Wortstamm „amare“ der „lieben“ bedeutet.
Der Alte Lateiner kannte also noch ganz selbstverständlich den Zusammenhang von „Freundschaft und Liebe“
Warum ich das so weit ausführe? Weil ich deutlich machen möchte, dass die selbstverständliche Rede in der Bibel für unseren Alltag heute gar nicht so selbstverständlich ist und daher die Quelle von Missverständnissen sein kann.
Wenn Jesus also im Evangelium Petrus heute fragt: „Liebst du mich?“, dann will er den Kern dieser Freundschaft in den Blick nehmen; das, was diese Beziehung prägt und auch zusammenhält.
Und ja, er geht damit ans Eingemachte!
Warum? Weil Jesus vielleicht ahnt, dass die Beziehung zwischen ihm und Petrus Einiges wird aushalten müssen, wenn sie nicht zerbrechen will?
Vielleicht, weil er Petrus genau darauf mental vorbereiten will?
Diese Frage ist also nicht so sehr eine Vergewisserung für Jesus, sondern eine Selbstvergewisserung für Petrus?
Und so gesehen dürfen wir uns selbst von Jesus auch immer wieder diese Frage stellen lassen, ohne unsicher oder traurig zu werden.
Auch unsere Beziehung zu Jesus Christus wird immer wieder herausgefordert werden.
Sie kann zur Belastung werden, wenn die Botschaft Christi für unser konkretes Leben unbequem wird.
Sie kann nur Belastung werden, wenn wir hoffen, auf Christus ganz und gar vertrauen zu können, aber Zeiten der Zweifel auftreten.
Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, dieser Frage, der die frohe und schöne Seite unserer Christus-Beziehung in den Blick nimmt.
Wenn Menschen sich wichtig sind, dann – hoffe ich – dass sie sich immer wieder gegenseitig sagen können, dass sie sich lieben.
Dieses Liebesbekenntnis ist nicht nur wichtig für den Teil, dem dieses Bekenntnis gesagt wird.
Es ist mindestens genau so wichtig für den selber, der es sagt.
Denn indem wir jemand anderem sagen können: • dass er oder sie unser tiefstes Vertrauen genießt, • dass wir ihn oder ihr einen ganz besonderen Platz in unserem Leben geben, • dass ohne ihn oder sie unser Leben nur halb so schön und lebenswert ist • dass er oder sie tiefe Freude und Lebenslust weckt,
hat das auch eine tiefgreifende Wirkung auf jenen, der das Bekenntnis abgibt.
Dann kann dieser Mensch mit tiefer Freude und Stolz erfüllt werden, dass es für ihn diesen Menschen gibt.
Und aus dieser Freude und diesem Stolz erwächst auch Kraft und Motivation für das eigene Leben. So kann die Frage Jesu an Petrus auch verstanden werden: Jesus möchte Petrus helfen, sich seiner Freude und Stärke bewusst zu werden, die für ihn selbst aus der Liebesbeziehung zu Jesus Christus entspringt.
Liebe Schwestern und Brüder, ich wünsche uns für unser Leben, dass wir alle solche erfüllenden Liebesbeziehungen finden, ob bei Partnerinnen und Partnern, ob bei Eltern und Geschwistern oder bei vertrauten Freunden und Freundinnen.
Und ich wünsche uns, dass wir alle auch dieses in unserer Liebesbeziehung zu Jesus Christus finden.