Erster Bischof von Essen soll sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben
Am 19. September informierte der derzeitige Bischof von Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck, die Öffentlichkeit darüber, dass es ernst zu nehmende Hinweise gibt, dass Bischof Dr. Franz Hengsbach sexuellen Missbrauch begangen hat.
Diese Meldungen erschüttern nicht nur unser Bistum. Auch mich erschüttern sie. Viele Gedanken und Fragen gehen mir durch den Kopf. Sie haben auch etwas damit zu tun, weil ich selber Bischof Hengsbach noch zu meinen Studienzeiten erlebt habe. Er persönlich hatte mich damals ermutigt, das Abendgymnasium zu besuchen, um an einer Universität ein ordentliches Theologie-Studium zu absolvieren. Ich müsste seinen Brief an mich noch in meinen Dokumenten vorliegen haben.
Meine eigene persönliche und berufliche Biographie ist also in bestimmter Weise auch mit der Person von Bischof Hengsbach verbunden.
Deswegen lassen diese Nachrichten auch mich überhaupt nicht kalt.
Ich werde dazu vielleicht noch ausführlicher hier schreiben. – Ich will dieses Thema aber hier schon jetzt auch in meinem persönlichen Blog aufgreifen.
Denn:
Wir dürfen nicht schweigen!
Um der Opfer willen möchte ich auch hier diesem Thema Raum geben, denn ich selber habe immer noch das Gefühl, dass in unserer Kirche, auch in unseren Pfarreien, das Thema „sexualisierte Gewalt“ und „geistlicher Missbrauch“ noch lange nicht den Stellenwert erfährt, den diese Themen haben müssen!
Deshalb möchte ich zu guter Letzt auch die Opfer-Seite zu Wort kommen lassen, mit einem Beitrag der am 24.09.2023 im WDR ausgestrahlt wird:
Heute gibt es eine geniale Auferweckungsgeschichte – die Auferweckung des jungen Mannes aus Nain. Vielen von uns wird sie bekannt sein. Aber ist uns auch bewusst, welche Tragweite die Botschaft dieser recht unspektakulären Auferweckungsgeschichte in sich birgt? Ich habe es schon oben in der Überschrift angedeutet. Lesen wir aber erst einmal den Text, der im Lukas-Evangelium im 7. Kapitel VV. 11-17 steht!
Die Witwe ist in einer prekären Situation. Der Mann, der für den Lebensunterhalt sorgen musste, ist verstorben. Damit beginnt eine Phase der wirtschaftlichen Bedrängnis für diese Witwe. Deshalb betont auch schon das Alte Testament immer wieder, wie wichtig die Almosen, gerade für die Witwen und Waisen sind. Denn ein Sozialversicherungssystem mit Witwen- und Waisenrenten gab es damals nicht.
Auch war die Witwe nicht automatisch Erbin, sofern sie selber vom Erblasser nicht vorher als Erbin eingesetzt wurde.
Einzig der Erstgeborene männliche Nachkomme – ihr Sohn also – war gesetzlicher Erbe. Gab es auch ihn nicht fiel das Erbe an den nächsten männlichen Angehörigen des Verstorbenen. Diese Witwe in dieser Auferweckungsgeschichte hatte also noch ‚Glück‘; sie hatte einen Sohn, der Erbe des verstorbenen Ehemanns ist. Dementsprechend durfte die Witwe darauf hoffen, dass auch ihr Einkommen gesichert war.
Der Sohn
Der erstgeborene Sohn war der gesetzliche Erbe. In diesem Fall war der Sohn der Witwe der Erbe und so konnte auch die Lebensgrundlage der verwitweten Mutter gesichert sein – solange der Sohn selber lebte. Würde er sterben, würden sein Sohn wiederum erben. Gibt es aber (noch) keinen Sohn, dann würde der nächste erstgeborene Verwandte erben. Mit dem Tod des Sohnes starb also auch die Grundlage auf wirtschaftliche Absicherung der verwitweten Mutter. Mit dem Tod des Sohnes starb aber auch die Hoffnung auf eine Generationenfolge dieser Familie. Dieser Zweig der Familie würde also aussterben, hätte selber keine Zukunft.
Die erlösende Auferweckung
Mir imponiert, wie Jesus mit dieser Totenerweckung in dreifacher Dimension Heil schafft. Zuerst erweckt er natürlich den jungen Mann zum Leben. Er schenkt ihm das Leben zurück. Wenn wir vom Tod junger Menschen erfahren, sagen manche: „Er/sie hatte ja noch sein ganzes Leben vor sich!“ – Jesus sorgt dafür, dass dieser junge Mann wieder sein ganzes Leben vor sich hat. Er rettet ihn vom Tod, schenkt ihm das Leben wieder und damit auch eine ganz persönliche Zukunft.
Als Zweites rettet Jesus die Witwe. Ohne ihren Sohn würde sie wahrscheinlich am Bettelstab enden und wäre auf Almosen angewiesen, wie viele andere Witwen vor und nach ihr. Die Auferweckung des jungen Mannes von Nain, schenkt auch der Witwe ihr ‚altes‘ Leben zurück, dass versorgt ist durch die Erbschaft ihres Mannes, die nun ihr einziger Sohn antreten kann. Und als Sohn wird er – darauf darf sie vertrauen – auch für sie sorgen. Und somit bekommt sie nicht nur die Sicherheit ihres vorherigen Lebens, sondern auch durch ihren Sohn eine Zukunft geschenkt und mit dieser Zukunft auch ein ’neues‘ Leben.
Als Drittes rettet aber Jesus auch diesen Strang der Familie, denn nun kann der junge Mann die Generationenfolge seiner eigenen Familie sicherstellen. Die ganze Familie und nachfolgende Generationen von ihr haben durch die Auferweckung des jungen Mannes nun auch wieder eine Hoffnung auf Zukunft. So bricht mit dem Tod des jungen Mannes also nicht eine ganze Familiengeschichte ab sondern es eröffnet sich für diese Familiengeschichte eine neue Zukunft.
Mich lehrt dieses Auferweckungswunder, dass Jesus sehr sensibel dafür ist, wer Heilung und Rettung nötig hat.
Und sein Heilsangebot ist nicht oberflächlich und vordergründig, wie es zum Beispiel eine Witwen- und Waisenrente als soziale-wirtschaftliche Absicherung sein könnte. Sein Heilswillen geht darüber hinaus. Es wirkt nicht nur unmittelbar sondern bezieht auch die Menschen drum herum mit ein und nicht nur die Menschen drum herum, die jetzt da sind, sondern nimmt auch die Menschen in den Blick, die zum Zeitpunkt der Rettung noch gar nicht auf Erden sind. Der Segen und das Heil, das Jesus Christus schenken will, geht über unsere eigene Generation hinaus. Wer von ihm Heil erfahren hat und aus dieser Erfahrung lebt, dessen Leben wird sich auch heilsam für nachfolgende Generationen auswirken.
Die Dimension der Rettung durch Jesus ist so weitreichend und tiefgreifend, dass ich nur staunen kann und weiter darüber sinnieren kann, was alles möglich ist, wenn ich selber Heilung und Rettung von IHM erfahren habe.
Lasse ich mich von Jesus Christus berühren und ansprechen, dann habe ich vielleicht ein altes Leben hinter mir, aber ein neues Leben eröffnet sich mit ungeahnten Chancen und Möglichkeiten, nicht nur für mich, sondern auch für Menschen die mir nahestehen und sogar für Menschen, die nach mir kommen.
Die Auferweckung des jungen Mannes von Nain sagt mir, dass die Veränderungen, die Jesus Christus in meinem Leben bewirkt, nicht folgenlos sein können, für mich und für andere.
Das ist vielleicht irritierend-erschreckend, aber vielleicht auch sehr ermutigend und hoffnungsvoll.
Heilung
anders als du denkst
Wer krank ist, wünscht sich fast immer, die Krankheit zu überwinden und nach der Behandlung nichts mehr von der Krankheit zu spüren. Das Ziel einer solchen Behandlung ist Genesung und Gesundheit.
In einer Krankheit hat das bisherige Leben eine Wendung bekommen. Manchmal nur kurzzeitig, wenn wir, wie zum Beispiel bei einem grippalen Infekt, einige Tage das Bett hüten müssen.
Schwere oder hartnäckige Erkrankungen führen nicht selten zu einem massiven Bruch mit unserem bisherigen Alltag.
Dazu kommt womöglich die Erfahrung, auf Hilfe anderer angewiesen zu sein, auch wenn ich vorher sehr selbständig und selbstbestimmt mein Leben geführt habe. Das allein ist mitunter schon eine riesige Herausforderung – ich weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich schreibe! Als ich vor 10 Jahren einen massiven Beinbruch hatte, konnte ich noch nicht einmal allein zur Toilette gehen. Das war so krass!
In Gesprächen mit Patient:innen, die körperlich oder seelisch schwer erkrankt sind, bekomme ich von ihnen oft zu hören: „Ich möchte wieder mein altes Leben zurück!“
In der Krankheit erfahren sie ihr Leben als begrenzt oder eingeschränkt; die Sehnsucht ist: das volle Leben.
Aus den Heilungserzählungen, die mir von Jesus berichtet werden, erfahre ich, wie die Menschen, die durch Jesus geheilt wurden, wieder am Leben teilnehmen können.
Ausgrenzungen gegenüber anderen Menschen und aus Gemeinschaften werden überwunden. Geheilte Menschen spüren auf einmal: Sie sind am Leben!
Nun lehrt uns das Leben zugleich, dass manche Krankheit nicht wieder verschwindet, sie ist chronisch, wird unser ganzes Leben begleiten, womöglich auch zu unserem Tod führen!
So kann die Frage aufkommen: Haben wir dann keine Chance mehr auf Heilung?
Doch! Denn Heilung kann mehr bedeuten, als wieder ohne Krankheit leben zu können.
Häufig erlebe ich Patient:innen, die nach einer Phase innerer Auseinandersetzung mit Höhen und Tiefen lernen, mit ihrer Krankheit zu leben.
Oft ist es dann nicht „das alte Leben“ aber ein anderes, verändertes Leben, dem sie weiterhin viel Gutes und Frohes abgewinnen können.
So gesehen kann Heilung bedeuten, dass wir trotz einer Erkrankung zurück ins Leben finden, weil wir in der Krankheit eine neue Lebendigkeit spüren, die uns zeigt: Wir leben!
Die heutige Lesung mündet in dem alles entscheidenden Satz:
„Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“
Röm 13,10
Was für ein Wort! – Das dürfen wir uns auf der Zunge zergehen lassen!
„Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“ – erinnert mich an ein Wort des heiligen Augustinus.
Augustinus war im 4. Jahrhundert Bischof von Hippo Regio, von ihm stammen folgende Worte:
“ … Ihr seht, was wir euch nahelegen wollen: die Taten der Menschen lassen sich nur von der Wurzel der Liebe her werten. Denn vieles kann man tun, was guten Anschein hat, aber nicht aus der Wurzel der Liebe hervorgeht. (…) Einmal für alle wird dir also ein kurzes Gebot aufgestellt: „Liebe, und was du willst, das tu!“ Schweigst du, so schweige aus Liebe; sprichst du, so spreche aus Liebe; rügst du, so rüge aus Liebe; schonst du, so schone aus Liebe: innen sei die Wurzel Liebe, nur Gutes kann dieser Wurzel entsprießen. …“
(Augustinus von Hippo)
Die Liebe allein ist es, die den Unterschied macht, ob unsere Gedanken und Werke der Forderung des Evangeliums gerecht werden!
Und das ist beileibe kein Nebenthema. Die Liebe ist DAS Thema all unserer christlichen Existenz.
Egal wann und wo wir unserem Leben eine kritische Selbstreflexion unterziehen wollen (oder auch müssen, weil wir Kritik von außen erfahren!), wird es um die Frage gehen, ob unser Denken und Handeln allein von der Liebe bestimmt wird.
Das fängt schon so banal an, wie jetzt, da wir zu diesem Gottesdienst gekommen sind. Wie bin ich heute hier und in welcher Haltung möchte ich heute Gottesdienst feiern und all den anderen hier in der Kapelle begegnen? Wünsche ich uns allen, dass dieser Gottesdienst für uns alle erbaulich und ein Ort wertschätzender Begegnung wird? Oder bin ich hier, weil ich meine, Erwartungen und Ansprüche befriedigen zu müssen: Erwartungen oder Ansprüche, die irgendwie in mir selber drin sind oder die von außen an mich herangetragen werden, wie z.B. die sogenannte Sonntagspflicht?
Und da sind wir schon bei dem Thema ‚Regeln und Liebe‘.
In unserer Kirche gibt es Regeln. Manchmal kann man den Eindruck bekommen – auch heute noch -, dass Regeln wichtiger sind als alles andere.
Da ist irgendwo etwas bestimmt worden, sei es im Kirchenrecht oder Verlautbarungen des Papstes, des Bischofs, des Pfarrers, eines Pastoralteams, des Pfarrgemeinderates. Bisweilen sind diese Regelungen sehr konkret. Das Liebesgebot, das uns heute noch einmal ausdrücklich in Erinnerung gerufen wird, fordert uns auf, diese Regelungen und Entscheidungen unter das Primat der Liebe zu stellen.
Denn wir wissen, dass Regelwerk und Regelwut nicht immer mit dem Primat der Liebe vereinbar sind. Manchmal entstehen Regeln aus Ängstlichkeit, manchmal aus dem vermeintlichen Besserwissertum, aus übertriebener und entmündigender Fürsorge oder auch einfach nur aus Machtwillen.
Um überprüfen zu können, ob Entscheidungen oder Regeln dem Primat der Liebe entsprechen, ist es sinnvoll und nötig, nach den Gründen der Entscheidungen oder Regeln zu fragen!
Jene, die Regeln aufstellen oder sie auch nur vertreten, sind stets verpflichtet, diese Regeln zu begründen – und zwar so zu begründen, damit sie für andere verstehbar und plausibel erscheinen.
Wer Entscheidungen trifft oder Regeln aufstellt, hat die kritische Anfrage und das kritische Hinterfragen von Regeln zu akzeptieren und ist der Rechenschaft schuldig.
Wir erleben eine historisch bedeutsame Phase der Kirchengeschichte; unsere Kirche ist – durch innere und äußere Einflüsse – dermaßen im Umbruch, dass bestehende Gewissheiten und Gewohnheiten hinterfragt werden müssen.
In diesem Prozess der Veränderungen gibt es viel Entscheidungs- und Regelungsbedarf.
In Zukunft wird es weiterhin zu Neuregelungen und Absprachen kommen müssen. Unter dem Diktat von fehlenden Finanzen oder fehlendem Personal ist viele im Fluss, was noch vor Jahren eher wie in Stein gemeißelt wirkte. Das ist eine Zumutung und sicherlich für alle nicht immer leicht. Wenn Vieles im Umbruch ist, kann das verunsichern. Um so wichtiger ist es, diese nötigen Veränderungen, die zu neuen Regelungen führen, uneingeschränkt ebenfalls dem Liebesgebot zu unterstellen.
Dabei ist das Liebesgebot inhaltlich als auch strukturell zu beachten.
Inhaltlich heißt das, dass alles, was wir in der Kirche tun, begründbar sein muss mit der frohen und befreienden Botschaft des Evangeliums in Einklang stehen muss. Ich nenne nur ein paar Schlagworte: „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“, „Auferbauung der Gemeinde“ (wie es der hl. Paulus immer wieder fordert, Förderung der Gottesbeziehung, Stärkung des geistlichen Lebens, Befreiung von Angst und Befreiung zur Gott geschenkten Freiheit, …
Strukturell bedeutet das Liebesgebot, dass wir in der Kirche ein Miteinander zu pflegen haben – auch bei der Beratung und Entscheidung über Regelungen -, welches wertschätzend und nicht bevormundend ist.
Es bedarf in unserer Kirche Strukturen, die von der Überzeugung geprägt sind, dass der Heilige Geist in jeder Person wirkt und dieses Verständnis bei der Erörterung von Fragen und bei der Entscheidungsfindung angemessen berücksichtigt wird.
Strukturell bedeutet es: die hierarchischen Strukturen in unserer Kirche haben immer dienende, niemals herrschende Funktion, denn Jesus Christus selber ist kommen als einer der dient (vgl. Lk 22,27). Insofern ist Kirche und sind Amtsträger:innen in der Kirche immer Dienende. Der „Pfarrer“ = „Pfarr-Herr“ als feudal verstandenes Amt, hat keine Berechtigung in unserer Kirche, denn niemand ist Herr über uns, außer Gott selber.
Mir persönlich ist es wichtig, gerade in dieser Zeit gewaltiger Umbrüche in unserer Kirche, immer wieder an dieses Grundverständnis unseres christlichen Glaubens zu erinnern.
Das Liebesgebot darf in Zeiten der Umbrüche und Transformation weder relativiert noch ausgesetzt werden, denn es gilt absolut! Es gibt keine Stelle in Neuen Testament, in dem Christus selber oder auch nur die anderen Schriften das Liebesgebot relativiert hätten. Der Grund liegt in Gott selber, der nach unserem Verständnis absolut ist und der die Liebe schlechthin ist.
Liebe Geschwister, exemplarisch habe ich am Leben der Kirche versucht, aufzuzeigen, was die heutige Lesung konkret bedeuten könnte.
Doch all das können wir übertragen auf unser Zusammenleben in Freundschaften, Partnerschaft und Familie, am Arbeitsplatz und in Betrieben, in Vereinen und Verbänden, in nachbarschaftlichen Beziehungen, in Gesellschaft und Staat und innerhalb internationaler Staatengemeinschaften.
Doch zuallererst beginnt das Liebesgebot bei uns selbst. Denn Gottes- und auch Nächstenliebe ist nicht wirklich realisierbar, wenn die echte Liebe nicht zuerst bei uns selber beginnt, in der Selbstliebe.
Verwandelt durch Erneuerung
„Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!“
(Röm 12,2)
Vor 30 Jahren, als wir unsere Exerzitien zur Diakonenweihe hatten, hatte sich mein Weihekurs in ein Kloster zurück gezogen. Uns wurde damals eine Ordensschwester ans Herz gelegt, die uns auf die Weihe vorbereiten könnte.
Symbolbild, www.pixabay.com
Das Kloster lag in Köln und die Gemeinschaft sind Benediktinerinnen vom heiligsten Sakrament. Ich hatte bislang von denen nie was gehört. Dann erfuhr ich, dass sie sich auch „Anbetungsbenediktinerinnen“ nennen, die sehr kontemplativ leben. Sofort dachte ich an ein Kloster, irgendwo abseits gelegen, am Rande von Köln, da, wo „Hase und Igel sich ‚Gute-Nacht‘ sagen“.
Doch als wir nach Köln fuhren, führte uns der Weg Richtung Innenstadt. Zuerst dachte ich, wir hätten uns verfahren, aber wir waren auf dem richtigen Weg.
Das Ziel war die „Brühler Str. 74“, unweit des Raderthalgürtels, in der Nähe des Vorgebirgsparks. Wer sich in Köln auskennt, weiß, dass das knapp 20 Minuten fußläufig von der Altstadt entfernt ist.
Wir fuhren durch eine zweispurige Straße, dicht bebaut mit Wohnungen, Handwerksbetrieben und Geschäften …
Hier sollte ein kontemplatives Kloster sein? Und dann sahen wir das Grundstück, eingezäunt mit einer halbhohen Ziegelmauer, die ein hohes Gitter krönte. Das Tor war offen und wir fuhren auf einen asphaltierten Platz, vor uns eine Front des Klosters aus dem 1890er Jahren. Geradeaus eine alte Holztür, einige Fenster und links eine weitere Holztür, welche der Zugang zur Kapelle war.
Wir klingelten, eine freundliche Ordensfrau öffnete uns die Tür und bat uns herein. Wir standen in einer kleinen neugotischen Halle, mit einigen Türen, davon eine doppelflügelige Tür mit der Aufschrift „Klausur“ und eine Treppe, die nach oben führte.
Es roch, wie es in so alten Gebäuden gewohnt ist, zu riechen, etwas auch nach Bohnerwachs. … dann schloss sich hinter uns die Pfortentür … und wir waren in der Stille.
Gerade noch durch eine geschäftige Wohn- und Einkaufsstraße gekommen, schirmte uns diese alte Tür von der Geschäftigkeit da draußen ab.
Für mich war das eine krasse Erfahrung: so sang- und klanglos standen wir buchstäblich in der Stille, nur die einladenden Worte der Klosterfrau war zu vernehmen.
Wir bekamen unsere Zimmerschlüssel und stiegen zwei Stockwerke hinauf. Gut 30 Ordensschwestern sollen hier in diesem Kloster leben – doch wir hörten nichts, nicht einmal irgendwo Schritte oder Türen. Und von draußen drangen auch keine Geräusche ins Kloster.
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Mein Zimmer – es war eher eine kleine Zelle mit einem Bett, einem Tisch, einem Stuhl, einem Schrank und einer Waschstelle – lag direkt unter dem Dach. Eine Dachgaube gab den Blick frei in den Innenhof des Klosters, der vom Kreuzgang begrenzt wurde. Spatzen tschirpten und Mauersegler flogen über das Dach. Wir erfuhren, dass die Kontemplation (Betrachtung) und das Gebet Mitte der Spiritualität dieser Benediktinerinnen sei.
Sie haben dort einen großen Garten, damals noch eine eigene Kuh, bestreiten ihren Unterhalt durch eine Hostienbäckerei und durch Herstellung von Paramenten (liturgische Texitilien) für Gottesdienste. Dazu bieten sie noch geistliche Begleitungen an.
Ordensfrauen, die mitten in der Welt sich in die Stille zurückziehen. Ist das Weltflucht?
Auf dem ersten Blick könnte es so aussehen, als wollten sie mit „denen da draußen nichts zu tun haben“, zumal sie auch nicht ohne Erlaubnis der Oberin das Kloster verlassen durften. Nur die Nonne an der Pforte pflegte den Kontakt nach draußen.
Doch ich erfuhr, dass diese Ordensschwestern sehr wohl und sehr gut informiert waren darüber, was da draußen los war. Sie waren vollständig und sehr genau im Bilde, was die Themen der Nachrichten und der Menschen in der Zeit waren.
Das imponierte mich sehr. Damals begleitete uns durch die Exerzitien Sr. Otgera Krämer OSB. (Und wir entschieden uns, auch ein Jahr später unsere Exerzitien zur Priesterweihe wieder dort zu halten.) Nach meiner Priesterweihe wurde Otgera für einige Jahre meine geistliche Begleiterin.
Diese Erinnerungen kamen mir in den Sinn, als ich über das Wort des heiligen Paulus in der heutigen Lesung nachdachte.
„Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern lasst euch verwandeln durch die Erneuerung des Denkens, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist: das Gute, Wohlgefällige und Vollkommene!“ ( Röm 12,2 )
Für mich sind diese Benediktinerinnen von Köln-Raderberg ein Beispiel, wie man die Worte des hl. Paulus ins heutige Leben übertragen kann.
Nun ist es weder mir noch Ihnen gegeben, so klaustriert zu leben, wie die Schwestern in Raderberg.
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Aber dennoch können sie für uns ein ermutigendes Beispiel sein, was es heißt, sich nicht dieser Welt anzupassen, sondern sich verwandeln zu lassen durch die Erneuerung im Denken, um zu erkennen, was der Wille Gottes ist.
Die Herausforderungen der Christ:innen in der Welt
Unsere Herausforderung ist es, mitten in der Hektik des Alltags und den Erfahrungen der Welt um uns herum, in der Welt und auch bei den Menschen zu sein, aber zugleich einen heilsamen Abstand zur Welt zu gewinnen, damit wir immer wieder auch Raum lassen können, um nach dem Willen Gottes zu fragen.
Was die Frauen des Benediktinerinnen-Klosters in strenger Form und Tag für Tag leben, dass können wir auch in unserem Alltag versuchen:
• Inseln des Rückzugs zu finden, wo wir uns Räume und Zeiten schaffen, um Abstand von der Welt zu bekommen.
• Zeiten und Zeiträume zu sichern, um uns ins Gebet oder in die Betrachtung zurück zu ziehen. Dabei können uns auch geistliche Impuls helfen, die wir in Büchern finden oder auch im Internet.
• Rituale zu entwickeln, die wir einzig und allein für diesen Rückzug reservieren: eine Kerze oder ein Räucherstäbchen zu entzünden, ein religiöses Bild hinzustellen oder gar einen festen Platz in unserer Wohnung einzuräumen, meditative Musik einzuschalten, in Familien ein Schild „bitte nicht stören“ aufzuhängen, ein Fenster zu öffnen, um den Gesang der Vögel wahrzunehmen, oder auch ein Fenster bewusst zu schließen, um Geräusche von außen auszuschließen, … und viele andere Rituale mehr, die wir für uns selber finden und die uns gut tun.
• geistliche Schriften oder Bilder zur Hand nehmen, anhand derer wir unsere Gedanken sammeln und unser Gespräch mit Gott starten können …
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Stille und Gebet mitten im Alltag
Stille, Gebet und Kontemplation ist in der Regel nicht anstrengend, sondern sind Räume und Zeiten, der geistigen und geistlichen Regeneration. Sie ermöglichen uns, uns auf die Beziehung zu Gott zu konzentrieren. Dabei ist es auch hilfreich, sich konkret zu entscheiden, wer genau mein Gegenüber ist. Gott Vater, sein Sohn Jesus Christus oder der Heilige Geist? – Wir Menschen haben unterschiedliche Zugänge zu einem dieser dreifaltigen Personen. Und das können wir uns zu Nutze machen.
Wenn ich heute die Sätze des heiligen Paulus lese, dann kommt mir als erstes in den Sinn, dass ein Schwerpunkt unserer geistlichen Existenz es ist, meiner Beziehung mit Gott im Alltag Raum zu geben.
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Das kann bedeuten, sich nicht der Welt anzugleichen, in der Zeit für Gott im öffentlichen Raum kaum noch vorkommt.
Mit einer Ermutigung des christlichen Philosophen Sören Kirkegaard möchte ich enden:
„… Als sein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte er immer weniger und weniger zu sagen; zuletzt wurde er ganz still. Er wurde still, ja, was womöglich ein noch größerer Gegensatz zum Reden ist, er wurde ein Hörer. Er meinte erst, beten sei reden; er lernte, dass beten nicht bloß ist schweigen, sondern hören. Und so ist es; beten heißt nicht sich selbst reden hören, beten heißt stille werden und stille sein und harren bis der Betende Gott hört….“