Viele verbinden mit dem Namen des Bernhard von Clairvaux den Aufstieg des Zisterzienserordens, doch seinen Predigten und seiner Propaganda folgt eine Blutspur.
Heute, dem 20.08. begehen wir den Gedenktag des ‚heiligen‘ Bernhard von Clairvaux, der im 19. Jahrhundert sogar zum Kirchenlehrer ernannt wurde.
Doch scheint es mir ratsam, seiner Verehrung mit einer hohen Skepsis und Vorsicht zu begegnen, denn er war offenbar ein Mann des Wortes, doch seinen Worten folgten grausame Blutspuren.
So lesen wir im Heiligenlexikon über ihn:
„… Bernhard war berühmt für seine große Predigtbegabung, die er – im Auftrag von Papst Eugen III. – nicht zuletzt in den Dienst der Anwerbung für die Kreuzzüge einsetzte; er entfachte in ganz Europa einen Rausch der Begeisterung für die Kreuzzüge.(…) 1146 rief er in Vézelay zum 2. Kreuzzug auf, diese Predigt von Vézelay löste in ganz Frankreich Begeisterung aus;(…) Das ritterliche Ideal der Kreuzzüge sah das Sterben für den himmlischen Herrn als besonderen Verdienst; so formulierte Bernhard: Ein Ritter Christi tötet mit gutem Gewissen; noch ruhiger stirbt er. Wenn er stirbt, nützt er sich selber; wenn er tötet, nützt er Christus. Die schrecklichen Folgen solcher Worte betrafen nicht nur die Menschen im Nahen Osten, sondern auch die mittelalterlichen jüdischen Gemeinden. Der Misserfolg des Kreuzzugs traf Bernhard schwer; seine erneute Kreuzzugsinitiative 1150 blieb erfolglos.(…) Kompromisslos bekämpfte Bernhard die Katharer,(…) ebenso bekämpfte er die Reformation des Petrus Waldus (Anm.von mir: siehe „Waldenser“)…“
Auch gilt Bernard von Clairvaux als Mitinitiator des Kreuzzuges gegen die Wenden:
„… Bernhard von Clairvaux verfasste im März 1147 einen Aufruf zum Wendenkreuzzug, in dem er die Auslöschung des gesamten Wendenvolkes zur Zielsetzung machte…“
Ihm ging es offenbar um eine ‚Gewaltmission‚, die aber schon damals kontrovers geführt wurde. Bernhard soll diesen Wenden-Kreuzzug damit als Verteidigungskriegproklamiert haben. Dies erinnert sehr stark an die heutige‚putinistische Ideologie‘, mit der Putin den Angriffskrieg gegen die Ukraine rechtfertigen will.
Auch literarische Lichtblicke
Ja, es gibt auch gedankliche Lichtblicke des Bernhard von Clairvaux. Eine seiner bekanntesten Texte finden sich in einem Brief an seinen früheren Mönchen, Papst Eugen III.:
„… Wenn also alle Menschen ein Recht auf dich haben, dann sei auch du selbst ein Mensch, der ein Recht auf sich selbst hat. Warum solltest einzig du selbst nichts von dir haben? Wie lange noch schenkst du allen anderen deine Aufmerksamkeit, nur nicht dir selber? Bist du dir etwa selbst ein Fremder? Bist du nicht jedem fremd, wenn du dir selber fremd bist? Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wie kann der gut sein? Denke also daran: Gönne dich dir selbst. Ich sage nicht: Tu das immer. Ich sage nicht: Tu das oft. Aber ich sage: Tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen. …“
https://www.aphorismen.de/zitat/75035
Doch darf dieses nicht darüber hinwegtäuschen, dass Bernhard der ideologische Wegbereiter von Kreuzzügen und gewalttätigen Verfolgungen christlicher Glaubensrichtungen war, die er selber ablehnte und deshalb bekämpfte.
Bernhard von Clairvaux und sein Verhältnis zu Juden
Besonders erwähnenswert erscheint mir die Haltung Bernhards gegenüber den Juden zu sein. Bernhard scheint kein Gegner des Judentums gewesen zu sein, was zur damaligen Zeit eher selten zu finden war. Dennoch begegnete er der jüdischen Religion nicht auf Augenhöhe und seine Toleranz gegenüber den Juden war eher wirtschaftlich-materieller Überlegung zu verdanken, denn einer Toleranz gegen die jüdische Religion. Hierzu empfehle ich die Hausarbeit „Bernhard und die Juden“ von Johan Thienard.
Resümee
Erstaunlich erscheint mir, dass Bernhard von Papst Pius VIII., der als moderner Papst galt, zum Kirchenlehrer ernannt wurde. Dies war 1820.
„Ich sehe was, was du nicht siehst – Vielfalt wahrnehmen!“ – so das Motto des diesjährigen ökumenischen Gottesdienstes am Freitag, den 05.08.2022 um 18.00 Uhr in der evangelischen Marktkirche in Essen-Mitte.
In unserem Vorbereitungskreis, bei dem die Aidshilfe Essen e.V., die katholische Beratungsstelle „Die Schleife“, die alt-katholische Kirche, die evangelische Kirche und die römisch-katholische Kirche mit von der Partie sind, haben wir uns davon ansprechen lassen, dass viele Queer-People sich nicht gemeint fühlen, wenn von Queer-People die Rede ist. Wir denken da an Trans-, Inter, Bi-, A-sexuelle, nonbinäre Personen und viele andere mehr.
Die Vielfalt der verschiedenen Banner für diese Sexualitäten zeigt dies sehr deutlich. Mittlerweile ist daraus die so genannte „Progress Pride Flag“ entstanden:
Progress pride flag
Wir erkennen, dass diese Vielfalt unter den queerpeople auch wahrgenommen werden will.
Mit unserem Gottesdienst wollen wir auf diese gottgewollte Vielfalt aufmerksam machen und für Respekt und Anerkennung dieser Vielfalt werben.
Immer wieder flattern bei mir Angebote oder Hinweise von Versicherungen rein: „Denken Sie an ausreichenden Versicherungsschutz!“ – „Haben Sie schon genügend für Ihren Ruhestand vorgesorgt?“ usw.
Versicherung und Vorsorge: sicherlich wichtige Themen, wenn wir auf eine mögliche Zukunft blicken. Ganze Wirtschaftszweige wollen uns glauben machen, dass das mit die wichtigsten Fragen sind: Denkt an die Zukunft!
Wer also nicht das Leben eines Bohême führen möchte, wer sein Leben nicht durch ein scheinbares In-den-Tag-Hinein-Leben führen möchte, wird an diesen Fragen der Zukunftsvorsorge nicht vorbei kommen.
Im heutigen Evangelium zeichnet Jesus ein Gleichnis von einem Mann, der seine Zukunftsvorsorge sehr ernst nimmt. Er spart sich vieles fast vom „Munde ab“, in der Hoffnung, dass er es sich dann im Alter gut gehen lassen kann.
Doch wir alle wissen: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! – Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt. Statistische Daten über die durchschnittlicher Lebenserwartung sind eben nur relativ und nicht absolut! Am krassen Beispiel eines viel zu frühen Todes macht Jesus deutlich, wie nutzlos solche Vorsorge schnell werden kann. Allenfalls freuen sich die erbenden Hinterbliebenen.
Das heißt aber nicht, dass Jesus Vorsorge ablehnt. Genau das Gegenteil ist der Fall.
Er möchte nur unseren Blickwinkel weiten.
Sein Wort: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein!“ zeigt, auf welche Dimension er uns aufmerksam machen möchte. Es gibt für uns eine Zukunft, wo das Irdische keine Bedeutung hat und wo das, was wir hier auf Erden an materieller Vorsorge geleistet haben, vergänglich ist.
Materieller Reichtum allein, auch als Vorsorge, macht nicht wirklich reich, so will Christus uns heute auf den Weg geben.
Die Fülle eines reichen Lebens liegt auch im Nichtmateriellen.
Sie liegen darin, dass wir uns fragen, was unserem Leben tieferen Sinn gibt? Sie liegt darin, dass wir eine Fülle des Lebens finden, die durch erfüllte Beziehungen, durch Gemeinschaft und durch Engagement für andere Anliegen bereichert wird, wie z.B. im sozial-caritativen Bereich oder in den Bereichen von Naturschutz, Engagement für Kunst, Kultur und Sport oder Politik oder anderswo …
Überall, wo Menschen den Mehrwert eines erfüllten menschlichen Lebens entdecken und sich womöglich auch dort engagieren (soweit es in ihrer Kraft steht), da kann der Mensch reich werden vor Gott.
Noch ein anderer Aspekt könnte uns helfen.
Es gibt so Vieles, was uns bewirbt, weil uns suggeriert wird, es sei wichtig für unser Leben. Aber wenn man genauer und kritischer hinschaut, sind diese Dinge das, was in dem Roman von Michael Ende: „MOMO“ die grauen Männer sind, die sich selber als „Agenten der Zeitsparkasse“ bezeichnen, aber in Wirklichkeit Zeitdiebe sind, die einem nehmen, was man niemals mehr wiederbekommen wird: Lebenszeit.
Lebenszeit kann man nicht ansparen. Und alles Sinnvolle, was man mit seiner Lebenszeit machen kann, kann man eigentlich nicht verschieben. Denn das Verschieben birgt die Gefahr, dass man es verliert.
Aber wir können unser Leben verwarten, weil wir sagen: „Später!“ oder „Morgen!“ oder „Wenn ich in Rente bin…“
Doch das Leben findet immer nur im Jetzt statt. Das frühere Leben: es war und kommt nicht mehr wieder. Das zukünftige Leben: es ist noch nicht und könnte auch nicht sein. Es kommt also auf das Heute an.
Zwei neuere geistliche Lieder fassen dies sehr gut in Worte: „ Die Zeit zu beginnen ist jetzt, der Ort für den Anfang ist hier…. Hier und Jetzt, Hier und Jetzt“ oder auch das Lied: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde, heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn ER kommt…“
Eine alte Botschaft, die an Aktualität nichts verloren hat.
Kirchweihfest im Jahre 2022
Wie kann man heute noch Kirchweihfest feiern, wenn allenthalben Kirchen geschlossen werden und unsere Kirche von Skandalen in ihren Grundfesten erschüttert werden? Ein Impuls zu einem gestrigen Kirchweihfest einer Kirche in Oberhausen-Schmachtendorf.
Kirchweihfest, heute, an diesem Sonntag in St. Josef. Kein wirklich üppiges Fest – Gemeindefest wurde ja schon vor einigen Wochen, vor den Ferien gefeiert.
Kirchweihfest – In Zeiten, wo Kirchen geschlossen werden, schon etwas besonders. Diese Kirche scheint ‚gerettet‘ – A-Standort. Dafür gibt es viele gute Gründe.
Aber der A-Standort sagt nichts darüber aus, was Kirche St. Josef heute ist. A-Standort ist mehr eine Festlegung auf die Zukunft hin.
Die Verantwortlichen haben sich gedacht: hier, an diesem Ort, könnte sich eine Vision von Kirche der Zukunft entwickeln, gerade in diesem Ortsteil, der so vielfältig ist, wo die Menschen wohnen, zur Arbeit oder zur Schule gehen, aber auch ihre Ärzte aufsuchen, ihre Blumen kaufen und Autos auftanken. Hier in Schmachtendorf gibt es eigentlich die ganze Bandbreite gesellschaftlichen Lebens und Zusammenlebens. Da – so die Überzeugung unseres Bischofs – darf auch unsere Kirche nicht fehlen.
Ein Grund warum St. Josef A-Standort ist. Aber kein Grund, sich auszuruhen, so nach dem Motto: „Der Kelch ist an uns noch einmal vorüber gegangen.“
Kirchweihfest 2022 in St. Josef bedeutet – nicht nur für die Menschen hier aus St. Josef sondern in der ganzen Pfarrei – diesen Standort weiter zu entwickeln, Visionen in Handlungen umzusetzen. Einen Ort den Menschen in der heutigen Zeit zur Verfügung zu stellen, wo sie zur Ruhe kommen, ausruhen, geistlich auftanken und beten können.
Kirchweihfest bezieht sich zwar auf dieses Gebäude aus Steinen. Aber ich denke, dass dieses Fest angesichts der derzeitigen Situation in unserer Kirche deutlicher umgedeutet werden muss auf die Kirche, die aus ‚lebendigen Steinen erbaut‘ ist.
Und dann hält das heutige Evangelium nämlich auch zu diesem Kirchweihfest eine wichtige Botschaft bereit: Kirche ist die Gemeinschaft derer, die sich immer wieder zu Füßen Jesu setzt, ganz bewusst und auch als Gemeinschaft und sich von ihm her inspirieren lässt um dann zu anderer Zeit deutlich zu machen, dass Kirche sich nicht sich selbst genügen kann, sondern eine Kirche mitten unter den Menschen ist.
So gewinnt unsere Kirche aus lebendigen Stein vor Ort hier in Schmachtendorf und für die Menschen in Schmachtendorf eine neue, ganz konkrete Bedeutung.
Nachbemerkung:
Als der Organist, der gestern Abend Dienst tat, vorschlug, am Ende des Gottesdienstes das sehr triumphalistische Lied: „Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land …“ singen zu lassen, habe ich ihn gebeten, auf dieses Lied zu verzichten. Angesichts der derzeitigen Lage in der Kirche mit den noch immer mangelhaft aufgearbeiteten Missbrauchsfällen sexualisierter Gewalt, halte ich solche Lieder für fehl am Platze.
Braucht es noch Erntehelfer:innen im Acker Gottes?
Am 14. Sonntag (2./3.7.2022) hören wir im Evangelium von der Aufforderung Jesu, für Erntehelfer:innen im Acker Gottes zu beten. Doch ist dieses Gebet überhaupt noch nötig in der gegenwärtigen Zeit der Kirche und angesichts massiver Kirchenaustritte? Dazu meine Predigt an diesem Sonntag, die ich hier etwas mehr mit konkreten Beispielen ‚unterfüttert‘ habe.
„Zeitenwende“ – so nennt Olaf Scholz das, was in mir Erinnerungen der 1970er und 80er Jahre hervorruft: Strategie der Abschreckung, NATO-Doppelbeschluss, Kalter Krieg, Angst vor einem Atomkrieg…
Viele von uns, die wir hier heute sitzen, dürften diese Begriffe bekannt sein.
Diejenigen, denen diese Begriffe nichts mehr sagen, fehlen zumeist auch heute hier in der Kirche, denn auch in unserer Kirche leben wir seit einigen Jahren in einer Zeitenwende. Jüngere Menschen erreichen wir an unseren ‚Pastoralen Standorten‘, wie wir es heute nennen, nur noch sehr schwer.
Erst vor wenigen Tagen kam die Meldung, dass weniger als 50% der Bevölkerung in Deutschland einer der beiden großen Kirchen (römisch-katholisch oder evangelisch) angehören.
Innerhalb unserer eigenen Kirche in Deutschland gibt es eine große Unruhe und viel Bewegung. Wir erleben in unserer Kirche eine historische Phase, die zuletzt wohl nur mit der Zeit der Reformation verglichen werden kann.
Mit einem Unterschied: damals gehörten fast alle Menschen in Deutschland zu einer christlichen Kirche, wenn sie nicht zum Judentum gehörten.
Wenn wir die aktuellen Kirchenaustrittszahlen sehen, stellen Viele als erstes die Frage, wie das gestoppt werden kann?!
Eine fatale Frage, weil sie versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Viel wichtiger scheint mir, erst einmal zu schauen, warum die Menschen aus der Kirche austreten!
Denn, die schwindende Akzeptanz der Kirche(n) ist Folge einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Kirchen.
Es wäre ein Irrtum, daraus auf eine zunehmende Bedeutungslosigkeit des Glaubens oder des Religiösen zu schließen.
Im Gegenteil: heute suchen die Menschen mehr denn je nach religiösen Angeboten. Die Esoterik hat seit vielen Jahren großen Zulauf.
Ich denke oft, die Menschen sind nicht weniger religiös, sondern weniger kirchlich geworden.
Woran kann das liegen?
Eine vollständige Analyse lässt sich hier nicht liefern.
Aber ich möchte einen Aspekt mal heraus greifen, der symptomatisch für die Situation in unserer Kirche ist.
Wir setzen oft amtskirchliche Lehraussagen mit Glauben gleich. Doch das ist ein Irrtum!
Kritiker, die die heutige Reformbewegungen (z.B. Synodaler Weg) in unserer Kirche ablehnen, sind sehr schnell mit Äußerungen bei der Hand, dass man sich von den Glaubenswahrheiten entferne, die in unserer Kirche gelten.
Dabei geht es den Menschen heute gar nicht um diese Glaubenswahrheiten, sondern es geht ihnen um ihren Glauben, um ihre eigene und persönliche Religiösität.
Ob sie zur Geltung kommen kann, entscheidet oft darüber, ob Menschen in der Kirche bleiben oder nicht. Oder anders ausgedrückt: ob die Menschen in unserer Kirche eine religiöse Heimat finden, ist das oft das Entscheidende, nicht, ob sie den Aussagen des Lehramtes zustimmen.
Vor einigen Tagen habe ich begonnen, ein kleines Büchlein zu lesen. Es trägt den Titel: „Wie werde ich ein Christ?“ – Es gibt auszugsweise Texte des christlichen Philosophen Sören Kierkegaard (aus Dänemark) wider.
Sören Kierkegaard um 1840. Bild: gemeinfrei
„Was mir eigentlich fehlt, ist, dass ich mit mir selbst ins reine darüber komme, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll. (…) Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, das ich tun solle; es gilt, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will. Und was nützte es mir dazu, wenn ich eine sogenannte objektive Wahrheit ausfindig machte; wenn ich mich durch die Systeme der Philosophen hindurcharbeitete (…) was nützte es mir, dass ich die Bedeutung des Christentums entwickeln und viele einzelne Erscheinungen erklären könnte, wenn es für mich selbst und mein Leben keine tiefere Bedeutung hätte?…“
„Wie werde ich ein Christ – Sören Kierkegaard – Texte vom Glauben, Präsenzverlag 2013, S. 29f. *1
Sören Kierkegaard unterscheidet hier ganz deutlich zwischen religiösen Wahrheiten und einem persönlichen Glauben, der für das ganz persönliche und individuelle Leben bedeutsam ist.
Und genau an dieser Stelle bricht Kirchlichkeit und persönliche Religiosität heutzutage auseinander.
Und in ihrer persönlichen Religiosität sind die Menschen auch heute immer noch Suchende.
Diese Suche nach Gott ist übrigens schon für Benedikt von Nursia das entscheidende Kriterium dafür, zu entscheiden, ob Anwärter in ein Kloster aufgenommen werden können. Die Suche nach Gott geht nämlich einer Sehnsucht nach Gott voraus, die sich konkretisiert in religiösen Fragen und auch praktischem religiösen Tun.
Im Psalm 14 finden wir das Wort: „Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht.“
Suchen wir also in unserer Kirche, in unseren Gemeinschaften, an unseren ‚Standorten kirchlichen Lebens‘ noch die Menschen, die Gott suchen? Gehen wir dabei über die Kreise der Menschen hinaus, die sowieso immer noch zu uns kommen?
Hier deutet sich schon an: konkrete Nachfolge ist auch das Suchen und Aufsuchen der Menschen, die auf der Gottsuche sind.
Natürlich können wir dabei bei uns selber anfangen, aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, dürfen keine Nabelschau betreiben.
Die eigene Gottsuche, aber auch die der anderen – teils unbekannten Menschen – ist die Suche nach der Bedeutung und Alltagstauglichkeit meines Glaubens, unseres Glaubens.
Wenn die Kirche und ihr Dienst für die Menschen nicht mehr für deren konkretes Leben bedeutsam sind, dann werden die Kirchen überflüssig und bedeutungslos.
Der französische Bischof Jaques Gaillot hat einmal den Satz getan: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!“
Eine Kirche also, die die Lebensrealitäten der Menschen nicht wahrnimmt oder sie sogar nach ihrer eigenen Doktrin umzumodeln versucht, ist fehl am Platze.
Und da sind wir bei vielen konkreten Beispielen in unserer Gesellschaft.
Wenn es z.B.
um die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit geht,
wenn es darum geht, wie Menschen heute gut und sinnvoll leben könnten,
wenn Angst und Sorgen der Menschen auch Auswirkungen hat auf gegenseitige und gesellschaftliche Solidarität,
wenn Menschen versuchen, ihrer Geschlechtlichkeit auf die Spur zu kommen und merken, dass es nicht nur Mann und Frau gibt, sondern eine große biologische Vielfalt, die für betroffene Menschen zu einer echten Herausforderung wird, sich selber zu finden.*2
Wenn es darum geht, das Thema „sexualisierte Gewalt“ konkret vor Ort auch zu behandeln, also in unseren Gemeinschaften offen und ohne Tabus darüber zu sprechen und in der Breite die Verhinderung solcher Verbrechen zum Thema zu machen.
Wenn es darum geht, dass Menschen sich die Frage stellen, ob und wie lange sie sich dem unheilbaren Leiden am Leben und an einer Krankheit aussetzen müssen, ohne für sich entscheiden zu dürfen, wann es gut ist.
Allein diese letzte Frage, ist so brandaktuell und ich kann nicht sehen, dass wir uns in unseren kirchlichen Gemeinschaften vor Ort damit beschäftigen. Dabei geht es überhaupt nicht zuerst um die Frage des „assistierten Suizids“, sondern schon allein um die Frage, ob wir Menschen zur Seite stehen, die durch passive Verhaltensweisen sagen: „Nun ist es genug!“ – Gemeint ist das sogenannte „Sterbefasten“. – Haben Sie schon mal etwas davon gehört?! – Nein?
Kurzer Exkurs zu „Sterbefasten“
Beim Sterbefasten geht es um ein Verhalten von alten und/oder kranken Menschen, die sich ähnlich – wie Eliah (s.u.!) – sagen: „Nun ist es genug!“ und durch bewussten Verzicht auf Nahrung und Trinken ihren Sterbeprozess unterstützen wollen. Für Zugehörige oft eine krasse Situation, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil sie sich nicht die Frage gestellt haben, ob ein solches selbstbestimmtes Sterben auch ethisch und moralisch akzeptabel sein kann. Viel Leid entsteht durch eine solche Verunsicherung auf beiden Seiten.
Ich nenne nur ein Beispiel: eine demenzerkrankte Person verweigert bewusst die Aufnahme von Essen und Trinken. Ist es da wirklich ethisch und moralisch geboten, diese Person gegen ihren eigenen Willen über eine Magensonde mit Nahrung oder über eine Infusion mit Flüssigkeit zu versorgen?
[1 Kön 19,4-5: Er selbst (Eliah) ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.]
Selbst für den gottesfürchtigen Propheten Eliah gab es die Option, sein Leben durch Nahrungs- und Getränkeverweigerung ein Ende zu setzen. Allein der Hinweis Gottes, dass ER noch einen Auftrag für ihn habe, durchkreuzte Eliahs Pläne.
An dieser Stelle möchte ich keine voreilige ethische Bewertung zu diesem Themenkomplex vornehmen, sondern möchte dafür sensibilisieren, dass das konkrete Fragen und Herausforderungen heutiger Menschen mitten unter uns sind. Vielleicht stellen Sie sich sogar selber solche Fragen? Wo sind wir also als Kirche bei den Menschen und in solchen Fragestellungen?!
Und so sehen wir, dass wir in unserem etablierten kirchlichen Leben oft nur Platz haben für ganz bestimmte Vorstellungen und Arten von kirchlichem Leben und Themen und die Frage nach der persönlichen Religiosität quasi keinen adäquaten Platz findet.
Wenn Jesus uns als heute uns also auffordert: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter:innen für seine Ernte auszusenden!“ – dann müssen wir wohl gleichzeitig darum beten, dass wir die Augen dafür geöffnet bekommen, wo die Menschen um uns herum (uns selber eingeschlossen) nach Gott in ihrem Leben suchen und in ihrer konkreten Lebenssituation religiöse Fragen haben und Antworten suchen.
*1: Ursprüngliche Quelle:
Das Zitat stammt aus seinen Tagebüchern Band 1, S. 16f (Tagebucheintrag „Gilleleie, den 1. Aug. 1835“)
erschienen in: Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke und Tagebücher, übersetzt und herausgegeben von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, Grevenberg Verlag Dr. Ruff & Co. OHG, Band 28: Die Tagebücher, Erster Band, Simmerath 2003.