Stärker als jeder absolutistischer Herrscher: Christus König

Impuls zum Christ-König-Sonntag 2022

Erinnern Sie sich an die Staatstrauer und an die Beisetzung von Queen
Elizabeth II. vor einigen Wochen?
Ich war da gerade in Urlaub und ich wollte eigentlich nicht viel davon sehen.
Aber irgendwie kommt man dann doch nicht ganz daran vorbei.
In den Medien sah man Bilder der Queen, von ihren jungen Jahren, von
ihrer Krönung, in anderen festlichen Roben, geschmückt mit Diademen,
Kronen und Juwelen.
Und auch während der Staatstrauer: ihre Krone, der Reichsapfel und das
Zepter auf ihrem Sarg.
Am Ende der Trauerfeier, bevor der Sarg von ihr herabgelassen wurde,
entfernte man feierlich diese Insignien ihrer Königinnenschaft.

Das waren Bilder vom Tod einer Königin in heutiger Zeit.



Wie man sich zu mancher Zeit "Christ-König" vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber?
Wie man sich zu mancher Zeit „Christ-König“ vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber? Quelle: Bild von AJ jaanko auf Pixabay

Ganz anders das Bild des Mannes, den wir heute als Christ-König feiern: Jesus Christus.
Geschunden, gemartert, verhöhnt, entehrt, bestialisch hingerichtet ziert sein Haupt keine Krone aus Edelmetall und Edelsteinen, sondern eine Dornenkrone, deren langen Dornen sich in die Kopfhaut eingebohrt haben.

Bild einer Dornenkrone
Bild von Jeff Jacobs auf Pixabay

Die Bilder aus London waren schön, voller Pracht – für viele eine Augenweide.
Die Bilder aus Jerusalem, das Bild des getöteten Christus: wer mag das ansehen wollen?

Gegenbild: Gekreuzigter Christus des Isenheimer Altars

Solidarität I

Mathis Gothart Grünewald 022.jpg

Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/Mathis_Gothart_Gr%C3%BCnewald_022.jpg

Der Maler Matthias Grünewald hat mit dem Isenheimer-Altar die Kreuzigungszene für den Bettensaal eines mittelalterlichen Krankenhospiz gemalt, die wir heute noch verstörend empfinden können.
Matthias Grünewald hat versucht, den leidenden Menschen seiner Zeit einen durch und durch ebenbürtigen mitleidenden Christus buchstäblich gegenüberzustellen.

Aber dies tat er nicht, um die Kranken noch mehr zu belasten, sondern aus einem anderen Grund:

Wie oft höre ich von ziemlich kranken Menschen Worte wie: „Aber ich kann ja nicht klagen. Anderen Menschen geht es noch schlechter!“

Solche Sätze sagen mir: im eigenen Leid blicken manche Menschen auf das Leid anderer und setzen ihr eigenes Leid im Verhältnis zum Leid der anderen.
Das ist kein Tipp, den ich als Außenstehender geben würde und kann.
Aber für jene Kranke, die das tun, kann sich die Sicht auf das eigene Leid verändern.

Bitte: Niemals als Ratschlag!

Auf das Leid der anderen zu blicken im eigenen Leid, kann das eigene Leid erträglicher machen.

Ich sage das nicht, als Ratschlag oder als Tipp. Ich sage das nur als Wahrnehmung.

Denn als Außenstehende müssen wir uns davor hüten, kranken und leidenden Menschen zu sagen: „Schau mal, anderen geht es doch viel schlechter als dir!“
Relativierung des Leids steht jenen, die leidende Menschen begleiten, nicht an und es ist nicht hilfreich, sondern oft genau das Gegenteil.
Der leidende Mensch kann das so verstehen, dass ein eigenes Leid nicht ernst genommen wird.
Nur der Leidende selbst kann für sich den Vergleich mit anderen leidenden Personen anstellen und das in aller Freiheit.

Dann aber kann es passieren, dass das eigene Leid als nicht mehr so arg wahrgenommen wird.

Das ist eine Art Solidarisierung der Leidenden unter einander, auch wenn sie gegenseitig davon nichts wissen.

Solidarität II

Der Isenheimer Altar thematisiert aber noch eine andere Solidarisierung: die göttliche Solidarisierung!

Den kranken Menschen wird mit dem Altarbild ein Bild von leidenden Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der ganz und gar in der Geburt in Betlehem Mensch wurde, gezeigt.

Damit will dieses Bild den kranken und leidenden Menschen sagen:
Dein Gott, an dem du auch in deinem Leid glaubst und dem du vertrauen willst, hat sich als Mensch selber dem menschlichen Leiden ausgeliefert.
Auch wenn sein Leid und dein Leid immer getrennt voneinander sein werden, so möchte dies ein Zeichen sein:

Gott liebt dich so sehr und möchte so sehr um die liebende Beziehung mit dir werben, dass er sich selber nicht verschont hat, sondern wie es bei Paulus heißt:
Jesus Christus

„… war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz….“

(Phil 2,5-8)

Der Schächer, der neben Jesus Christus am Kreuz hing, hat das erkannt und sich in einem letzten Augenblick seines eigenen Lebens dazu bekannt.
So wurde für ihn das Bekenntnis zum leidenden Gott, zum mit-leidenden Gott die Quelle der eigenen Erlösung.

‚Jesus Christus und der Schächer‘. Bild: Privatbesitz Gerd Wittka, © Gerd Wittka, 2022

Für mich ist das ein Bild, ein Vor-Bild, damit ich lernen kann, dass er auch mich im Leiden und im Tod nicht fallen lässt.

Die Monarchie in Großbritannien und viele andere Monarchien sind Monarchien mit viel Glanz und Pomp, aber ohne wirkliche Macht.

Die Monarchie des Christus unseres Königs ist genau das Gegenteil davon: eine Monarchie ohne Glanz und Pomp, aber mit viel Macht, wenn auch nicht irdischer Macht; aber mit der Macht uns von dem zu befreien, was für Viele oft das Ende des eigenen Lebens zu sein scheint: der Macht, uns vom Tode zu befreien.




Wenn aus Hoffnung Glaube wird …

Ansprache am 32. Sonntag im Jahreskreis – C – 2022

Bild von ShonEjai auf Pixabay

Erinnern Sie sich daran, wann Sie das letzte Mal mit jemandem über unseren Glauben an die Auferstehung gesprochen haben, so richtig gesprochen im Alltag?
Erinnern Sie sich, was der Grund dafür war?

Als Krankenhaus-Seelsorger ploppt dieses Thema bei mir immer wieder in der Begegnung mit Patient:innen auf, gerade auch dann, wenn es um die Frage nach dem Ende des eigenen Lebens und den eigenen Tod geht.

„Was kommt danach?“ oder „Glauben Sie persönlich an die Auferstehung?“

Natürlich fordern mich solche Fragen heraus. Es wäre billig, einfach nur zu behaupten, dass ich schon eine sehr klare und persönliche Antwort habe, weil ich ja christlicher Seelsorger und Priester bin.

Natürlich ist die Frage nach der Auferstehung und dem Leben nach dem Tod Dreh- und Angelpunkt meines christlichen Glaubens.

Dennoch antworte ich lieber: „Ich hoffe auf die Aufstehung!“ – Damit erkenne ich an, dass es auch immer noch offene Fragen gibt oder vielleicht sogar ein Fünkchen Zweifel.

Im Erinnerungsgottesdienst am Donnerstag für die Verstorbenen, der an jedem ersten Donnerstag in unserer Pfarrei stattfindet, war die Schriftlesung aus dem Römerbrief, die wir gerade auch als Lesung gehört haben: „…. Darauf können wir zunächst nur hoffen und warten, obwohl wir schon gerettet sind….“

Als berufsmäßiger Verkündiger der Frohen Botschaft fühle ich mich bei diesen Worten des heiligen Paulus gut aufgehoben.
Wenn wir über unseren eigenen Glauben an die Auferstehung sprechen, kommen wir an der Frage des eigenen Sterbens und Todes nicht vorbei, denn Auferstehung gibt es nicht ohne Sterben und Tod.

Kein Wunder also, dass diese Frage schon zu Zeiten Jesu zu theologischen Streitgesprächen geführt hat.

Ich möchte mich heute nicht an diesem Streit aus dem Evangelium abarbeiten.
Ich möchte vielmehr darauf hören, was Jesus den Sadduzäern und somit mir und uns sagt:
Gott ist ein Gott der Lebenden und nicht der Toten.

Welche Antworten und welche Bilder für uns selber hilfreich sind, diese Zusage Jesu zu verinnerlichen, das liegt in unserer Verantwortung.

Ich möchte dazu ermutigen, sich auf die Suche solcher Antworten, Bilder und Gleichnisse zu machen, weil sie unsere Hoffnung nähren auf das, was wir noch nicht sehen, aber uns zuversichtlich darauf warten lassen, dass sich diese Hoffnung erfüllt, wie der Römerbrief sagt.

„spes“ (lat.) = „Hoffnung“ – Bild von falco auf Pixabay

Schauen wir einfach mal nach Bildern oder Gleichnissen, die uns spontan dazu einfallen:

Mir fallen dazu spontan die drei Folgenden ein:

  1. Das Bild von der Raupe und dem Schmetterling. Die Raupe führt ein mühsames Dasein, frisst und schläft und weiß nichts von der zukünftigen Verwandlung. Aber wir ‚wissen‘, was nach dem Ende des Raupendaseins kommen wird.

  1. Der Vergleich mit den Ungeborenen im Mutterleib. Damals, als wir noch im Bauch unserer Mutter waren, wussten und ahnten wir noch nicht, was da kommen würde. Dort, im Bauch, hatten wir alles, was wir zum leben brauchten: Nahrung, Geborgenheit, Fürsorge der Mutter, Schutz …! Dann der schmerzhafte Geburtsvorgang. Doch was danach kam, hätten wir uns in den kühnsten Träumen im Mutterleib nicht vorstellen können. Und heute? – Würden wir wieder zurück wollen in den Leib der Mutter, der damals für uns alles, unsere ganze Welt war?

  1. Oder das Bild vom Haus mit den verschiedenen Zimmern.
    Die einen Zimmer stehen für das Diesseits. Und jene, die sterben, durchschreiten eine weitere Tür in ein anderes, unbekanntes Zimmer, aus dem noch niemand zurück ins alte Zimmer gekommen ist. Aber wir wissen, dass wir alle in dem einen gemeinsamen Haus bleiben, nur halt durch eine Tür getrennt. Und was sich hinter der Tür verborgen hält, wissen wir nicht, sondern können wir nur erahnen.

Ich möchte uns alle ermutigen, solche Bilder und Vergleich zu suchen, die uns helfen, die Hoffnung auf Auferstehung und das ewige Leben in uns wach zu halten und damit zuversichtlich Krisen zu überwinden.

Und dann, eines Tages, werden wir es selber erleben … so, dass aus einer Hoffnung eine Gewissheit werde!




Sorge, Sorge, Vorsorge ?!

Bild von Wilfried Pohnke auf Pixabay

Impuls zum Evangelium des 18. Sonntags im Jahreskreis – 30./31.7.2022

Immer wieder flattern bei mir Angebote oder Hinweise von Versicherungen rein: „Denken Sie an ausreichenden Versicherungsschutz!“ – „Haben Sie schon genügend für Ihren Ruhestand vorgesorgt?“ usw.

Versicherung und Vorsorge: sicherlich wichtige Themen, wenn wir auf eine mögliche Zukunft blicken.
Ganze Wirtschaftszweige wollen uns glauben machen, dass das mit die wichtigsten Fragen sind: Denkt an die Zukunft!

Wer also nicht das Leben eines Bohême führen möchte, wer sein Leben nicht durch ein scheinbares In-den-Tag-Hinein-Leben führen möchte, wird an diesen Fragen der Zukunftsvorsorge nicht vorbei kommen.

Bild von Tumisu, please consider ☕ Thank you! 🤗 auf Pixabay

Im heutigen Evangelium zeichnet Jesus ein Gleichnis von einem Mann, der seine Zukunftsvorsorge sehr ernst nimmt. Er spart sich vieles fast vom „Munde ab“, in der Hoffnung, dass er es sich dann im Alter gut gehen lassen kann.

Doch wir alle wissen: Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt! – Wir wissen nicht, was uns die Zukunft bringt.
Statistische Daten über die durchschnittlicher Lebenserwartung sind eben nur relativ und nicht absolut!
Am krassen Beispiel eines viel zu frühen Todes macht Jesus deutlich, wie nutzlos solche Vorsorge schnell werden kann. Allenfalls freuen sich die erbenden Hinterbliebenen.

Das heißt aber nicht, dass Jesus Vorsorge ablehnt.
Genau das Gegenteil ist der Fall.

Er möchte nur unseren Blickwinkel weiten.

Sein Wort: „Der Mensch lebt nicht nur vom Brot allein!“ zeigt, auf welche Dimension er uns aufmerksam machen möchte.
Es gibt für uns eine Zukunft, wo das Irdische keine Bedeutung hat und wo das, was wir hier auf Erden an materieller Vorsorge geleistet haben, vergänglich ist.

Materieller Reichtum allein, auch als Vorsorge, macht nicht wirklich reich, so will Christus uns heute auf den Weg geben.

Die Fülle eines reichen Lebens liegt auch im Nichtmateriellen.

Bild von Ruth Becerro auf Pixabay

Sie liegen darin, dass wir uns fragen, was unserem Leben tieferen Sinn gibt?
Sie liegt darin, dass wir eine Fülle des Lebens finden, die durch erfüllte Beziehungen, durch Gemeinschaft und durch Engagement für andere Anliegen bereichert wird, wie z.B. im sozial-caritativen Bereich oder in den Bereichen von Naturschutz, Engagement für Kunst, Kultur und Sport oder Politik oder anderswo …

Überall, wo Menschen den Mehrwert eines erfüllten menschlichen Lebens entdecken und sich womöglich auch dort engagieren (soweit es in ihrer Kraft steht), da kann der Mensch reich werden vor Gott.

Noch ein anderer Aspekt könnte uns helfen.

Es gibt so Vieles, was uns bewirbt, weil uns suggeriert wird, es sei wichtig für unser Leben.
Aber wenn man genauer und kritischer hinschaut, sind diese Dinge das, was in dem Roman von Michael Ende: „MOMO“ die grauen Männer sind, die sich selber als „Agenten der Zeitsparkasse“ bezeichnen, aber in Wirklichkeit Zeitdiebe sind, die einem nehmen, was man niemals mehr wiederbekommen wird: Lebenszeit.

Lebenszeit kann man nicht ansparen. Und alles Sinnvolle, was man mit seiner Lebenszeit machen kann, kann man eigentlich nicht verschieben. Denn das Verschieben birgt die Gefahr, dass man es verliert.

Aber wir können unser Leben verwarten, weil wir sagen: „Später!“ oder „Morgen!“ oder „Wenn ich in Rente bin…“

Doch das Leben findet immer nur im Jetzt statt.
Das frühere Leben: es war und kommt nicht mehr wieder.
Das zukünftige Leben: es ist noch nicht und könnte auch nicht sein. Es kommt also auf das Heute an.

Bild von Alex S. auf Pixabay

Zwei neuere geistliche Lieder fassen dies sehr gut in Worte:
„ Die Zeit zu beginnen ist jetzt, der Ort für den Anfang ist hier…. Hier und Jetzt, Hier und Jetzt“ oder auch das Lied: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde, heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt, wenn ER kommt…“

Eine alte Botschaft, die an Aktualität nichts verloren hat.




Kirchweihfest im Jahre 2022

Wie kann man heute noch Kirchweihfest feiern, wenn allenthalben Kirchen geschlossen werden und unsere Kirche von Skandalen in ihren Grundfesten erschüttert werden?
Ein Impuls zu einem gestrigen Kirchweihfest einer Kirche in Oberhausen-Schmachtendorf.

http://www.glasmalerei-ev.de/pages/b867/b867_a.jpg



Bibeltextstelle: Lukas-Evangelium 10, 38-41

Kirchweihfest, heute, an diesem Sonntag in St. Josef.
Kein wirklich üppiges Fest – Gemeindefest wurde ja schon vor einigen Wochen, vor den Ferien gefeiert.

Kirchweihfest – In Zeiten, wo Kirchen geschlossen werden, schon etwas besonders.
Diese Kirche scheint ‚gerettet‘ – A-Standort.
Dafür gibt es viele gute Gründe.

Aber der A-Standort sagt nichts darüber aus, was Kirche St. Josef heute ist.
A-Standort ist mehr eine Festlegung auf die Zukunft hin.

Die Verantwortlichen haben sich gedacht: hier, an diesem Ort, könnte sich eine Vision von Kirche der Zukunft entwickeln, gerade in diesem Ortsteil, der so vielfältig ist, wo die Menschen wohnen, zur Arbeit oder zur Schule gehen, aber auch ihre Ärzte aufsuchen, ihre Blumen kaufen und Autos auftanken.
Hier in Schmachtendorf gibt es eigentlich die ganze Bandbreite gesellschaftlichen Lebens und Zusammenlebens.
Da – so die Überzeugung unseres Bischofs – darf auch unsere Kirche nicht fehlen.

Ein Grund warum St. Josef A-Standort ist.
Aber kein Grund, sich auszuruhen, so nach dem Motto: „Der Kelch ist an uns noch einmal vorüber gegangen.“

Kirchweihfest 2022 in St. Josef bedeutet – nicht nur für die Menschen hier aus St. Josef sondern in der ganzen Pfarrei – diesen Standort weiter zu entwickeln, Visionen in Handlungen umzusetzen. Einen Ort den Menschen in der heutigen Zeit zur Verfügung zu stellen, wo sie zur Ruhe kommen, ausruhen, geistlich auftanken und beten können.

Kirchweihfest bezieht sich zwar auf dieses Gebäude aus Steinen.
Aber ich denke, dass dieses Fest angesichts der derzeitigen Situation in unserer Kirche deutlicher umgedeutet werden muss auf die Kirche, die aus ‚lebendigen Steinen erbaut‘ ist.

Und dann hält das heutige Evangelium nämlich auch zu diesem Kirchweihfest eine wichtige Botschaft bereit: Kirche ist die Gemeinschaft derer, die sich immer wieder zu Füßen Jesu setzt, ganz bewusst und auch als Gemeinschaft und sich von ihm her inspirieren lässt um dann zu anderer Zeit deutlich zu machen, dass Kirche sich nicht sich selbst genügen kann, sondern eine Kirche mitten unter den Menschen ist.

So gewinnt unsere Kirche aus lebendigen Stein vor Ort hier in Schmachtendorf und für die Menschen in Schmachtendorf eine neue, ganz konkrete Bedeutung.


Nachbemerkung:

Als der Organist, der gestern Abend Dienst tat, vorschlug, am Ende des Gottesdienstes das sehr triumphalistische Lied: „Ein Haus voll Glorie schauet weit über alle Land …“ singen zu lassen, habe ich ihn gebeten, auf dieses Lied zu verzichten. Angesichts der derzeitigen Lage in der Kirche mit den noch immer mangelhaft aufgearbeiteten Missbrauchsfällen sexualisierter Gewalt, halte ich solche Lieder für fehl am Platze.




Braucht es noch Erntehelfer:innen im Acker Gottes?

Bild von Franz W. auf Pixabay

Am 14. Sonntag (2./3.7.2022) hören wir im Evangelium von der Aufforderung Jesu, für Erntehelfer:innen im Acker Gottes zu beten. Doch ist dieses Gebet überhaupt noch nötig in der gegenwärtigen Zeit der Kirche und angesichts massiver Kirchenaustritte?
Dazu meine Predigt an diesem Sonntag, die ich hier etwas mehr mit konkreten Beispielen ‚unterfüttert‘ habe.




„Zeitenwende“ – so nennt Olaf Scholz das, was in mir Erinnerungen der 1970er und 80er Jahre hervorruft: Strategie der Abschreckung, NATO-Doppelbeschluss, Kalter Krieg, Angst vor einem Atomkrieg…

Viele von uns, die wir hier heute sitzen, dürften diese Begriffe bekannt sein.

Diejenigen, denen diese Begriffe nichts mehr sagen, fehlen zumeist auch heute hier in der Kirche, denn auch in unserer Kirche leben wir seit einigen Jahren in einer Zeitenwende. Jüngere Menschen erreichen wir an unseren ‚Pastoralen Standorten‘, wie wir es heute nennen, nur noch sehr schwer.

Erst vor wenigen Tagen kam die Meldung, dass weniger als 50% der Bevölkerung in Deutschland einer der beiden großen Kirchen (römisch-katholisch oder evangelisch) angehören.

Innerhalb unserer eigenen Kirche in Deutschland gibt es eine große Unruhe und viel Bewegung. Wir erleben in unserer Kirche eine historische Phase, die zuletzt wohl nur mit der Zeit der Reformation verglichen werden kann.

Mit einem Unterschied: damals gehörten fast alle Menschen in Deutschland zu einer christlichen Kirche, wenn sie nicht zum Judentum gehörten.

Bild von BPBricklayer auf Pixabay

Wenn wir die aktuellen Kirchenaustrittszahlen sehen, stellen Viele als erstes die Frage, wie das gestoppt werden kann?!

Eine fatale Frage, weil sie versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Viel wichtiger scheint mir, erst einmal zu schauen, warum die Menschen aus der Kirche austreten!

Denn, die schwindende Akzeptanz der Kirche(n) ist Folge einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Kirchen.

Es wäre ein Irrtum, daraus auf eine zunehmende Bedeutungslosigkeit des Glaubens oder des Religiösen zu schließen.

Im Gegenteil: heute suchen die Menschen mehr denn je nach religiösen Angeboten. Die Esoterik hat seit vielen Jahren großen Zulauf.

Ich denke oft, die Menschen sind nicht weniger religiös, sondern weniger kirchlich geworden.

Woran kann das liegen?

Eine vollständige Analyse lässt sich hier nicht liefern.

Aber ich möchte einen Aspekt mal heraus greifen, der symptomatisch für die Situation in unserer Kirche ist.

Wir setzen oft amtskirchliche Lehraussagen mit Glauben gleich. Doch das ist ein Irrtum!

Kritiker, die die heutige Reformbewegungen (z.B. Synodaler Weg) in unserer Kirche ablehnen, sind sehr schnell mit Äußerungen bei der Hand, dass man sich von den Glaubenswahrheiten entferne, die in unserer Kirche gelten.

Dabei geht es den Menschen heute gar nicht um diese Glaubenswahrheiten, sondern es geht ihnen um ihren Glauben, um ihre eigene und persönliche Religiösität.

Ob sie zur Geltung kommen kann, entscheidet oft darüber, ob Menschen in der Kirche bleiben oder nicht. Oder anders ausgedrückt: ob die Menschen in unserer Kirche eine religiöse Heimat finden, ist das oft das Entscheidende, nicht, ob sie den Aussagen des Lehramtes zustimmen.

Vor einigen Tagen habe ich begonnen, ein kleines Büchlein zu lesen. Es trägt den Titel: „Wie werde ich ein Christ?“ – Es gibt auszugsweise Texte des christlichen Philosophen Sören Kierkegaard (aus Dänemark) wider.

Sören Kierkegaard um 1840.
Bild: gemeinfrei

„Was mir eigentlich fehlt, ist, dass ich mit mir selbst ins reine darüber komme, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll. (…) Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, das ich tun solle; es gilt, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will. Und was nützte es mir dazu, wenn ich eine sogenannte objektive Wahrheit ausfindig machte; wenn ich mich durch die Systeme der Philosophen hindurcharbeitete (…)
was nützte es mir, dass ich die Bedeutung des Christentums entwickeln und viele einzelne Erscheinungen erklären könnte, wenn es für mich selbst und mein Leben keine tiefere Bedeutung hätte?…“

„Wie werde ich ein Christ – Sören Kierkegaard – Texte vom Glauben, Präsenzverlag 2013, S. 29f. *1

Sören Kierkegaard unterscheidet hier ganz deutlich zwischen religiösen Wahrheiten und einem persönlichen Glauben, der für das ganz persönliche und individuelle Leben bedeutsam ist.

Und genau an dieser Stelle bricht Kirchlichkeit und persönliche Religiosität heutzutage auseinander.

Und in ihrer persönlichen Religiosität sind die Menschen auch heute immer noch Suchende.

Diese Suche nach Gott ist übrigens schon für Benedikt von Nursia das entscheidende Kriterium dafür, zu entscheiden, ob Anwärter in ein Kloster aufgenommen werden können. Die Suche nach Gott geht nämlich einer Sehnsucht nach Gott voraus, die sich konkretisiert in religiösen Fragen und auch praktischem religiösen Tun.

Im Psalm 14 finden wir das Wort: „Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht.“

Suchen wir also in unserer Kirche, in unseren Gemeinschaften, an unseren ‚Standorten kirchlichen Lebens‘ noch die Menschen, die Gott suchen?
Gehen wir dabei über die Kreise der Menschen hinaus, die sowieso immer noch zu uns kommen?

Hier deutet sich schon an: konkrete Nachfolge ist auch das Suchen und Aufsuchen der Menschen, die auf der Gottsuche sind.

Natürlich können wir dabei bei uns selber anfangen, aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, dürfen keine Nabelschau betreiben.

Die eigene Gottsuche, aber auch die der anderen – teils unbekannten Menschen – ist die Suche nach der Bedeutung und Alltagstauglichkeit meines Glaubens, unseres Glaubens.

Wenn die Kirche und ihr Dienst für die Menschen nicht mehr für deren konkretes Leben bedeutsam sind, dann werden die Kirchen überflüssig und bedeutungslos.

Der französische Bischof Jaques Gaillot hat einmal den Satz getan: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!“

Eine Kirche also, die die Lebensrealitäten der Menschen nicht wahrnimmt oder sie sogar nach ihrer eigenen Doktrin umzumodeln versucht, ist fehl am Platze.

Bild von Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay

Und da sind wir bei vielen konkreten Beispielen in unserer Gesellschaft.

Wenn es z.B.

  • um die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit geht,
  • wenn es darum geht, wie Menschen heute gut und sinnvoll leben könnten,
  • wenn Angst und Sorgen der Menschen auch Auswirkungen hat auf gegenseitige und gesellschaftliche Solidarität,
  • wenn Menschen versuchen, ihrer Geschlechtlichkeit auf die Spur zu kommen und merken, dass es nicht nur Mann und Frau gibt, sondern eine große biologische Vielfalt, die für betroffene Menschen zu einer echten Herausforderung wird, sich selber zu finden.*2
  • Wenn es darum geht, das Thema „sexualisierte Gewalt“ konkret vor Ort auch zu behandeln, also in unseren Gemeinschaften offen und ohne Tabus darüber zu sprechen und in der Breite die Verhinderung solcher Verbrechen zum Thema zu machen.
  • Wenn es darum geht, dass Menschen sich die Frage stellen, ob und wie lange sie sich dem unheilbaren Leiden am Leben und an einer Krankheit aussetzen müssen, ohne für sich entscheiden zu dürfen, wann es gut ist.

Allein diese letzte Frage, ist so brandaktuell und ich kann nicht sehen, dass wir uns in unseren kirchlichen Gemeinschaften vor Ort damit beschäftigen.
Dabei geht es überhaupt nicht zuerst um die Frage des „assistierten Suizids“, sondern schon allein um die Frage, ob wir Menschen zur Seite stehen, die durch passive Verhaltensweisen sagen: „Nun ist es genug!“ – Gemeint ist das sogenannte „Sterbefasten“. – Haben Sie schon mal etwas davon gehört?! – Nein?

Kurzer Exkurs zu „Sterbefasten“

Beim Sterbefasten geht es um ein Verhalten von alten und/oder kranken Menschen, die sich ähnlich – wie Eliah (s.u.!) – sagen: „Nun ist es genug!“ und durch bewussten Verzicht auf Nahrung und Trinken ihren Sterbeprozess unterstützen wollen. Für Zugehörige oft eine krasse Situation, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil sie sich nicht die Frage gestellt haben, ob ein solches selbstbestimmtes Sterben auch ethisch und moralisch akzeptabel sein kann. Viel Leid entsteht durch eine solche Verunsicherung auf beiden Seiten.

Ich nenne nur ein Beispiel: eine demenzerkrankte Person verweigert bewusst die Aufnahme von Essen und Trinken. Ist es da wirklich ethisch und moralisch geboten, diese Person gegen ihren eigenen Willen über eine Magensonde mit Nahrung oder über eine Infusion mit Flüssigkeit zu versorgen?

Bild von Peggychoucair auf Pixabay

[1 Kön 19,4-5: Er selbst (Eliah) ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.]

Selbst für den gottesfürchtigen Propheten Eliah gab es die Option, sein Leben durch Nahrungs- und Getränkeverweigerung ein Ende zu setzen. Allein der Hinweis Gottes, dass ER noch einen Auftrag für ihn habe, durchkreuzte Eliahs Pläne.

An dieser Stelle möchte ich keine voreilige ethische Bewertung zu diesem Themenkomplex vornehmen, sondern möchte dafür sensibilisieren, dass das konkrete Fragen und Herausforderungen heutiger Menschen mitten unter uns sind. Vielleicht stellen Sie sich sogar selber solche Fragen? Wo sind wir also als Kirche bei den Menschen und in solchen Fragestellungen?!


Bild von Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay

Und so sehen wir, dass wir in unserem etablierten kirchlichen Leben oft nur Platz haben für ganz bestimmte Vorstellungen und Arten von kirchlichem Leben und Themen und die Frage nach der persönlichen Religiosität quasi keinen adäquaten Platz findet.

Wenn Jesus uns als heute uns also auffordert: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter:innen für seine Ernte auszusenden!“ – dann müssen wir wohl gleichzeitig darum beten, dass wir die Augen dafür geöffnet bekommen, wo die Menschen um uns herum (uns selber eingeschlossen) nach Gott in ihrem Leben suchen und in ihrer konkreten Lebenssituation religiöse Fragen haben und Antworten suchen.


*1: Ursprüngliche Quelle:

Das Zitat stammt aus seinen Tagebüchern Band 1, S. 16f (Tagebucheintrag „Gilleleie, den 1. Aug. 1835“)

erschienen in: Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke und Tagebücher, übersetzt und herausgegeben von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, Grevenberg Verlag Dr. Ruff & Co. OHG, Band 28: Die Tagebücher, Erster Band, Simmerath 2003.

*2 Mann-Frau-Schema ist nicht eindeutig.