Seit nun über zwei Monaten bin ich dienstunfähig. Ich sehne mich danach, wieder zu arbeiten und meinen Dienst zu übernehmen. Ich sehne mich danach, wieder für andere da sein zu können.
Doch noch scheint es nicht so weit zu sein. Die Auszeit, die mir die Erkrankung gibt, lässt mich ahnen:
Es geht nicht nur darum, dass ich wieder ‚repariert‘ werde und dann wieder ‚funktioniere‘ wie vorher.
Intuitiv spüre ich: wenn diese Phase der Krankheit nicht auch Folgen und Veränderungen für mich bringt, dann ist ihre Chance für mich vertan.
Die Krankheit wirft mich zurück auf Fragen, die mein Leben berühren:
Was erwarte ich (noch und) in Zukunft von meinem Leben?
Will die Krankheit mich in eine tiefere Dimension meines Lebens und meiner Spiritualität führen?
Worauf macht sie mich aufmerksam?
Führt sie mich in Bereiche, in die ich ohne sie nicht hätte gehen wollen?
Stellt sie mir nicht auch eine gewisse Unausweichlichkeit vor Augen?
Ich kann nicht nur einfach in das ‚alte‘ Leben zurück.
Die Krankheit weist mich auf einen nötigen und notwendigen Wandel in meinem Leben hin.
Vielleicht kein ‚Zufall‘, dass sie mich in meinem 57. Lebensjahr erreicht.
ICH
WERDE!
In welchem Land …?
… wollen wir leben?
Mit Entsetzen schauen wir in diesen Tagen nach Hanau, wo ein rechtsterroristischer Anschlag jäh und grausam das Leben vieler Menschen vernichtet hat.
Neben der Sorge und Trauer, dass sowas in unserem Land geschieht, steht auch immer wieder das
WHY?
im Raume.
Warum dieser Hass? Warum diese Ablehnung von Menschen verschiedener Religionen, Herkünfte, sexueller Orientierung?
Ja, es wird betont, dass kaum 72 Stunden nach einem solchem Verbrechen zuvörderst unsere Gedanken bei den Opfern und Hinterbliebenen sind.
Aber wir müssen uns zugleich dringend die Frage beantworten, wo die Quellen und die Wurzeln solchen Terrors liegen? Denn wir müssen den Kampf gegen Terror und Rassismus noch viel entschiedener führen; vor allem auch deshalb, weil gerade aus dem rechten Lager auch dieser Mord versucht wird, zu relativieren, es als ‚Tat eines gestörten Einzelmenschen‘ ab zu tun.
Dabei wissen wir genau, dass die Gesinnung des Mörders genährt wird durch die Propaganda aus rechtspopulistischen Kreisen, deren Arm durch die AfD bis in unsere Parlamente reicht.
Wie perfide dabei die AfD vorgeht, zeigt ein Beispiel aus Nordrhein-Westfalen. Dort ist ein Ausmalbuch für Kinder der AfD NRW erschienen, dessen Inhalb mehr als verstörend ist und die unverhohlen die subtile Manipulation unserer Kinder aufzeigt. Ein Beitrag aus der Redaktion „der westen“ veranschaulicht das sehr eindrücklich: https://www.derwesten.de/region/afd-nrw-malbuch-skandal-krefeld-partei-rassistisch-hanau-id228466761.html
Kampf gegen Hass, Hetze und Menschenverachtung
Der Mordanschlag von Hanau zeigt einmal mehr, dass die Ablehnung der politischen Inhalte der AfD nicht ausreicht. Sie stellen sich immer wieder als Opfer dar, versuchen – wie Thüringen zeigt – mit perfiden Mitteln unsere parlamentarische Demokratie lächerlich zu machen und auszuhebeln. (Das erinnert sehr stark an die Strategie der NSDAP in Nazideutschland.)
Dies ist unser Land!
In der Auseinandersetzung mit rechten, nationalistischen und rassistischen Strömungen in unserem Land meine ich, deutlicher machen zu müssen, wofür WIR stehen und wie wir UNSER Land, das Heimatland für viele Menschen aus unterschiedlichen Ländern und Nationen, aus verschiedenen Religionen und Kulturkreisen, mit unterschiedlichen sexuellen Orientierungen ist, gestaltet haben wollen?
Mit Stolz freiheitliche-demokratische Gesinnung demonstrieren
Ich finde, es ist höchste Zeit, dass alle DemokratInnen in unserem Land mit Stolz für unsere freiheitliche und offene Gesellschaft eintreten. Wir müssen mehr denn je deutlich machen, dass das UNSER DEUTSCHLAND ist, in dem wir leben wollen!
Und damit wir wieder mit Stolz und Hochachtung für diese Werte eintreten können, müssen wir stärker denn je auch uns gemeinsam dieser Werte versichern: in Diskussionen, in persönlichen Gesprächen, in Wort und Tat in unserem Alltag.
Ja, ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Juden und auch Moslems sich angstvoll fragen, ob sie noch sicher sind in unserem Land.
Umsomehr muss es jetzt darum gehen, dass wir auch im Alltag die Gemeinschaft suchen, dass wir uns vernetzen, uns als Menschen und NachbarInnen begegnen und uns unserer gemeinsamen Stärke bewusst werden, die echte Solidarität im gemeinsamen Kampf gegen rechts und gegen Faschismus ermöglicht.
Vor einigen Wochen erschütterte auch das Bekanntwerden eines Missbrauchsskandals durch einen Priester unseres Bistums. Ein pädophiler Priester, der in verschiedene Bistümer versetzt wurde, hatte viele Missbrauchsfälle begangen. Dieser Priester war Kaplan in Bottrop und dann kurze Zeit später in Essen. Danach wurde er ins Bistum München versetzt.
Das Recherchenetzwerk ‚correctiv‘ und die ZDF-Sendung ‚frontal21‘ haben intensiv zu diesem Fall recherchiert. Am Mittwoch, den 18. Februar 2020 ist in der Sendung ‚frontal21‘ dazu ein Beitrag erschienen. In diesem Beitrag zeigen sie Spuren auf, die auch zu dem damaligen Bischof von München und des späteren Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger führen.
Während der Recherche meldeten sich weitere Missbrauchsopfer bei ‚correctiv‘ und ‚frontal21‘.
Ich setze mich ganz bewusst für diese Recherche ein und veröffentliche deshalb diese Beiträge, um mich für Opfer und Betroffene einzusetzen, um ihnen Gehör zu verschaffen, um weitere – bislang unbekannte – Opfer zu ermutigen, sich ebenfalls zu melden und Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Ich setze mich aber auch ganz bewusst für die Veröffentlichung dieses Beitrags ein, um auch in unserer eigenen katholischen Kirche darauf aufmerksam zu machen, dass wir nicht schweigen dürfen.
Ich habe immer noch den Eindruck, dass dieses Thema konkret in Pfarreien und Gemeinden viel zu wenig behandelt wird.
Ja, es ist eine Zumutung! Ja, es schockiert und entsetzt! Ja, es mag auch Nicht-Betroffene verstören!
Denken Sie aber immer auch daran:
Opfer und Betroffene verstört diese Erfahrung und dieses Thema nicht nur. Es zerstört mitunter deren Leben, deren Zukunft, deren Seele!
Wenn ich in Erinnerungen schwelge, dann passiert etwasin mir. Gedanken, Bilder, Gefühle, manchmal sogar Gerüchte kommen IN MIR vor, werden wieder lebendig. Sie werden gegenwärtig; zwar anders als damals, als ich es erlebt habe, aber es ist eine Art von Vergegenwärtigung, wenn ich meinen Erinnerungen nachgehe.
Bei der Erinnerung vollzieht MEIN Hirn eine Leistung, die etwas IN MIR bewirkt.
Vielleicht wundern Sie sich, dass ich „in mir“ zwei mal groß geschrieben habe.
Das hat etwas mit meinem Sprachgebrauch zu tun.
Ich erinnere MICH nämlich, während immer mehr Menschen, SICH nicht mehr erinnern.
Sich erinnern …
Wenn ich schreibe, manche erinnern SICH nicht mehr, dann meine ich, dass immer mehr Menschen nur noch sagen oder schreiben: „Ich erinnere…“
Damit komme ich nicht klar. Das hört sich für mich irgendwie halb oder unvollständig an.
Es gibt für mich nämlich im Zusammenhang mit dem Wort „erinnern“ zwei Richtungen, die in dem einen Fall die reflexive Form sinnvoll macht.
In mir werden Erinnerungen wach. Das drücke ich immer damit aus, indem ich sage oder schreibe: „Ich erinnere MICH!“ – Denn, wie ich oben bereits geschrieben haben, ist das eine kognitive Leistung, die von mir ausgeht und sich in mir abspielt. Die Richtung ist also ganz klar reflexiv.
Ich mache jemand auf etwas aufmerksam. In diesem Fall sage oder schreibe ich (zu) jemandem: „Ich möchte in diesem Zusammenhang daran erinnern…“ – In diesem Fall unterlasse ich die reflexive Form. Genauer ist aber dieser Aspekt der Aufforderung, wenn ich sage: „Ich möchte DICH dran erinnern!“ – Dann ist die Erinnerungsaufforderung ganz klar teleologischer Natur. Sie bekommt eine andere Richtung, die außerhalb meiner selbst liegt, gemeint ist nämlich mein Gegenüber.
Die deutsche Sprache gibt uns diese Möglichkeit der sprachlichen und sachlichen Unterscheidung.
Ich für mein Teil, werde mich daran erinnern, wie ich es gelernt habe, wenn Erinnerungen in mir wach werden: dann erinnere ICH MICH, mal mit Freude, mal mit Trauer.
Klarheit
Evangelium: Mt 5,17-37
Das Evangelium vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A ist eine echte Herausforderung, besonders für eine Person, die darüber zu predigen hat. Es ist die Klarheit und Eindeutigkeit und zugleich der hohe Anspruch, der in diesem Ausschnitt aus der Bergpredigt zu Tage tritt. Dieser Text ist einer der neutestamentlichen Texte, die deutlich macht, dass christliche Ethik nicht die Ethik des Alten Testamentes aufhebt, sondern sie sogar nocht perfektioniert. Die Folge ist, dass christliche Ethik zum Beispiel nicht bei der Beachtung des Dekalogs (10 Gebote) stehen bleiben kann. Christsein ist kein Zuckerschlecken …
„Schwört überhaupt nicht (…), eure Rede sei: Ja ja, nein nein;…“
Seit meinem Studium Ende der 1980er Jahre, als ich im kirchenrechtlichen Hauptseminar über die Praxis des Eides in der Kirche gearbeitet habe, sitzt dieses Wort in meinem Geist, wie ein Stachel im Fleisch. Denn allein die kirchliche Praxis mit z.B. ihrem Treueeid steht dem (scheinbar?) gegenüber. Aber das ist für meine seelsorgliche Arbeit heute eher nicht relevant.
Viel wichtiger erscheint mir die Haltung: „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ in Alltag relevanter zu sein.
Dies ist nämlich eine Position der Klarheit und Eindeutigkeit, die Jesu von uns erwartet. Aber der Alltag sieht oft anders aus: da wird herumgeredet, da bleibt man im ‚Ungefähren‘, da will man sich nicht festlegen und verschiebt Entscheidungen.
Solche Haltungen und Umgangsweisen sind auf Dauer destruktiv, weil sie Vertrauen zerstören und Unsicherheiten schüren.
In einer meiner früheren Gemeinden durfte ich einen Kollegen kennenlernen, der „kein Blatt vor dem Mund nahm“, wie man so sagt. Er war frei heraus und so eindeutig, dass es manchmal für die Menschen um ihn herum schmerzhaft war. Er war auch keineswegs immer ‚gefällig‘ und versuchte sich nicht anzubiedern. So kam es, dass ich aus der Gemeinde auch hier und da Rückmeldungen bekam, die mit dieser Art nicht zurecht kamen. Aber – wie Sie sich sicher denken können – war das nicht sein Problem, sondern ihr eigenes. Denn ihnen schien Indifferentismus lieber zu sein, als Klarheit.
Ich pflegte dann oft darauf zu entgegen, dass der Umgang mit meinem Kollegen nicht immer einfach sei. Aber was ich an ihm schätze ist seine Klarheit, die ohne Falschheit daher kommt. Bei ihm wisse ich immer, wo ich dran bin ….
Und es wundert nicht, dass ich genau das nämlich bei anderen Menschen nicht immer unbedingt weiß.
Glaubwürdigkeit und Klarheit
Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich auch diese Klarheit. Mein o.g. Kollege hat mir in seiner Art imponiert. Ich selber spüre, dass mir diese Klarheit auch lieber ist, als das ganze Drumherumgerede.
Ich spüre aber auch, dass diese Klarheit, insbesondere wenn sie auf andere Auffassungen trifft, nicht gerade geschätzt wird.
Wer klar und eindeutig ist, der unterliegt auch einer größeren Gefahr, angefeindet zu werden.
Durch meine vielfältigen Lebens- und Berufserfahrungen habe ich für mich einen Wertekanon entdeckt, der sich – je älter ich werde – immer deutlicher und eindeutiger wird.
Diese Eindeutigkeit wird aber zugleich immer grundsätzlicher; sie verzettelt sich nicht im Klein-klein. Sie ist vielmehr geprägt vom dreifachen Liebesgebot ableitet, das sich im gegenseitigen Respekt, in Barmherzigkeit und Wohlwollen anderen gegenüber und der Anerkennung der menschlichen Freiheit als Gottes Geschenk ausdrückt.
Sie ist geprägt vom Glauben an die Kraft des Heiligen Geistes, der mir die Möglichkeit gibt, offener und mit einem größeren Gottvertrauen in die Zukunft geht, weil ich weiß, dass ich weder die Welt, noch die Kirche noch den christlichen Glauben oder sonst was retten muss (und auch nicht kann!).
Ich weiß, dass ich damit gerade auch in konservativ-reaktionären Kreisen unserer Kirche auf wenig Gegenliebe bis Ablehnung stoße. So what?! – Das muss ich wohl in Kauf nehmen.
Das heutige Evangelium jedenfalls ermutigt mich dazu, mich um eine gewisse Gradlinigkeit und Klarheit zu bemühen.
Heilen, nicht krank machen …
„Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, (…) heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ (Lk 10,9)
In Zeiten eigener Krankheit lohnt es sich, in sich selbst hinein zu hören, wonach man sich selbst sehnt. In Begleitung von Kranken bekomme ich manchmal – sogar sehr deutlich – Hinweise: „Ich möchte wieder mein altes Leben zurück!“ – „Ich möchte wieder aktiv werden können!“ – „Ich wünsche mir, meine Antriebslosigkeit zu überwinden!“
Ja, Kranke – so man ihnen offen begegnet und zuhört – können sehr klar formulieren, was ‚ihnen fehlt‘! BTW: Kennen Sie das auch noch? Sie gehen zum Arzt und er fragt Sie: „Was fehlt Ihnen!“?
Kranksein bedeutet also oft Mangel. Es bedeutet, dass den Menschen etwas fehlt; dass sie etwas vermissen, was sie vorher hatten. Kranksein wird also als eine Reduktion verstanden; ein Zurückgeführt werden, was von den erkrankten Menschen aber als Mangel wahrgenommen wird. [An dieser Stelle möchte ich mich nicht mit der Frage beschäftigen, ob eine Re-duktion manchmal auch sinnvoll sein kann! – Ich möchte mich heute darauf beschränken, dass die Reduktion, die Kranke in ihrer Krankheit erfahren, oft als etwas wahrgenommen wird, das sie mit einem ‚Mangel‘ beschreiben oder sogar gleichsetzen würden.]
Die Sehnsucht von Kranken ist daher nur all zu verständlich: die Sehnsucht nach der Wiederherstellung eines frühen Zustands!
In der heutigen Tageslesung lese ich das Wort bei Lukas 10,9 aus dem Munde Jesu: „Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, (…) heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe.“ (Lk 10,9)
Jesus sagt uns hier also: – Fragt die Menschen: „Was fehlt dir?“! – Fragt die Menschen, was sie in ihrem Leben vermissen!
Die jesuanische Haltung der Christen ist also jene, die nach dem Menschen schaut, die ihn buchstäblich ‚in den Blick nimmt‘ und ihm so An-Sehen verschafft.
Doch die Haltung, wie Kirche und Christen oft anderen Menschen begegnet, ist nicht selten von Erwartungen geprägt, die an die anderen gestellt werden: sie sollten, sie müssten, ….
Die Haltung Jesu im heutigen Evangelium ist doch eine ganz andere. Seine Haltung ist die heilsame Haltung eines Arztes, der die Menschen fragt: „Was fehlt dir?“
Damit spricht Jesus auch den Menschen eine Kompetenz zu, nämlich die Kompetenz, sich selbst am Besten auf die Spur zu kommen, was sie zu ihrem Heil, zu ihrer Heilung brauchen.
Ich wünsche mir mehr von dieser Haltung Jesu Christi in unseren Kirchen und bei den ChristInnen dieser Zeit: Haben wir den Mut, mit den Augen des Herrn auf die Menschen zu schauen, ihn in den Blick zu nehmen und seine Sehnsüchte nach Heil und Heilung.
Und genau für diese Arbeit sucht er auch heute Menschen, wenn er einige Verse zuvor sagt: „Die Ernte ist groß (…). Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter für seine Ernte auszusenden…“ (vgl Lk 10, 1ff.)
Ich träume von einer Kirche, die den Menschen nicht sagt, was sie zu tun oder zu lassen haben, sondern die sie – wie der Herr selbst – fragt: „Was willst du, das ich dir tue!“ (vgl. Lk 18,41)