„Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er…“ (Hebr. 12, 6)

Am 21. Sonntag im Jahreskreis des Lesesjahres C wird uns in der zweiten Lesung ein Text aus dem Hebräer-Brief vorgelegt: Hebr. 12, 5-7.11-13.
Dieser Text ist für heutige Menschen eher verstörend, passt er doch so gar nicht in ein Verständnis heutiger moderner Erziehungsmethoden.
Und auch das Gottesbild, dass dort präsentiert wird, mag nicht so recht in das Bild eines Gottes passen, der seine Kinder liebt.
Zugleich ist dieser Text gesetzt und für mich als Prediger eine Herausforderung, der ich mich – auch aus professioneller und spiritueller Hinsicht – stellen will und muss.
Heute möchte ich zu dieser Textstelle meine Predigt-Gedanken präsentieren.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Zeilen und Gedanken lesen und mir gerne Ihre Gedanken dazu schenken würden.



Anstiftung zur Züchtigung?

Tut mir leid, liebe Schwestern und Brüder,
aber in meinen Ohren hören sich die Worte der heutigen Lesung echt grauenvoll an.
„Wen der Herr liebt, den züchtigt er!“ – das ist schon fast ein geflügeltes Wort und galt – gerade auch in früherer Zeit – als moralische Legitimation, dass Eltern ihre eigenen Kinder züchtigten. Das bedeutet, dass sie ihnen körperliche Gewalt antaten mit der Absicht oder Überzeugung, damit ihre Kinder zu guten Menschen erziehen zu können.

Für unser heutiges Verständnis ist es schon ein starkes Stück, dass ein biblischer Text für die körperliche Gewalt gegenüber Kindern herhalten muss.

Aber es wundert doch nicht, denn schließlich malt Paulus hier ein Bild von Gott, der es selbst als angemessen hält, seine „Kinder“ zu züchtigen, in dem er sie zurechtweist und sie „schlägt mit der Rute“.

Kommen dem einen oder der anderen von uns da nicht eigene Gedanken oder Erinnerungen hoch. Erinnern sie – gerade vornehmlich die Älteren unter uns – sich nicht noch an Zeiten, wo auch unsere Eltern oder Großeltern Schläge oder die verniedlichende „Backpfeife“ als adäquates Erziehungsmittel hielten?!

Heute gibt es mehrheitlichen Konsens, dass die Züchtigung von Kindern kein angemessenes Mittel ist.
Heute herrscht die Überzeugung vor, dass man Kinder nicht mit Gewalt erziehen kann. Dies gilt übrigens nicht nur für körperliche sondern auch psychische Gewalt, wie z.B. Liebesentzug.
Heute trägt unser Staat dem Rechnung, insofern es ein Züchtigungsverbot gibt und Gewalt gegenüber Kinder, auch als zweifelhaftes Erziehungsmittel, unter Strafe steht.

Es ist gut, dass diese Zeiten – zumindest in Deutschland – vorbei sind und ich hoffe, dass das auch so bleibt!

Provokante Konfrontation

Aber das, liebe Schwestern und Brüder, ändert nichts an der Tatsache, dass uns heute diese Lesung vorgelegt wird.

Wenn Sie häufiger meinen Predigten gelauscht haben, dann wissen Sie vielleicht schon, dass ich gerade bei sperrigen Texten frage, ob ich auch den Kern der „frohen Botschaft“ dort entdecken kann.
Ich suche den Schlüssel zum Verständnis eines Textes, den wir offenbar so wortwörtlich nicht mehr in unsere Zeit übernehmen können und dürfen.
Ich suche dann immer nach der Relevanz des Textes für unsere heutige Zeit und für mein Leben.

Und dann finde ich diesen berühmten ‚springenden Punkt‘ am Ende der Lesung:
„Mach die erschlafften Hände und die wankenden Knie stark, schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder (…) geheilt werden.“

Soteriologische ‚Mitte‘

DAS ist es.
Hier finden wir die Zielaussage.

Paulus will den Leser ermutigen.
Er will den Leser ermutigen, der sich in seinem Leben kraftlos fühlt, der das Gefühl hat, dass die Knie wegsacken.
Er hat Menschen vor Augen, die offenbar vor sich steinige und steile Wege erleben, die es ihnen schwer machen, mit lahmen Gliedern bezwungen zu werden.

Die Lesung ist eine Mutmachlesung.

Und Paulus deutet uns an, dass wir in unserem Leben gestärkt werden sollen, für die Widrigkeiten des Lebens.

Und – was als Erstes – widersprüchlich anmutet, ist der Gedanke, dass diese Stärkung durch Leid erfolgen kann.

Auch diese Logik wirkt erst einmal ziemlich befremdlich, vor allem, wenn Gott dieses Leid bringen sollte, um uns zu stärken.

Dieser Gedankengang ist aber der damaligen Zeit geschuldet. Damals glaubten noch viel mehr Menschen, dass das Leid von Gott geschickt und gewollt sei.
Da aber schon Paulus an einen liebenden Gott geglaubt hat, der uns retten will, war es für ihn folgerichtig, dass dieses Leid uns zum Heil führen soll.
So ist nach damaligem Denken gottgewolltes Leid ein Mittel zum Heil.
Um ganz klar zu sein, liebe Schwestern und Brüder,
dieser Gedankengang ist heute nicht mehr Gegenstand unseres Glaubens an einen liebenden Gott.

Durch Leid und Not wachsen und reifen

Und dennoch sollten wir diesen Text nicht vorschnell verwerfen.

Denn, wenn wir einmal davon absehen, dass das Leid von Gott gewollt und von ihm uns geschickt wurde – dann können wir dennoch auch erkennen, dass wir manchmal durch das Leid, was wir verarbeitet und überwunden haben, gestärkt wurden.

Bleiben wir doch einmal bei diesem Gedanken und denken darüber nach, wo wir in unserem Leben leidvolle Erfahrungen gemacht haben?
Denken wir einmal darüber nach, wie es uns ergangen ist, als wir uns diesem Leid gestellt und nachdem wir es überwunden haben?

Hat sich dadurch nicht auch unsere Sicht auf unser Leben und auch unser Verständnis vom Leben verändert? —-

Ich bleibe mal bei zwei wichtigen Leiderfahrungen meines Lebens.
Da ist einmal die langjährige Krankheit meines Vaters, der mit 38 Jahren an einen Hirntumor erkrankte und dann mit 45 Jahre 1981 starb; da war ich 18. Wir haben unseren Vater in den letzten Jahren gemeinsam in unserer Familie gepflegt. Seine Krankheit hat mich auch eines wichtigen Teils meiner Jugend beraubt. Schon sehr früh wurde ich als Pubertierender in die Mitverantwortung und Mitpflege meines Vaters eingebunden – wie meine anderen Brüder auch.

Der Tod meines Vaters, obwohl absehbar, war für mich eine Zeit großen Schmerzes. Neben der Dankbarkeit, dass sein Leiden überwunden war, hatte ich Wut auf Gott: „Warum?!“ – und ich war sauer, dass ich Gott nicht begreifen konnte.

Oder als im Oktober 2013 mein zweitjüngster Bruder im Alter von 48 Jahren ganz plötzlich an einem geplatzten Aneurysma im Kopf starb.

Es gibt Vieles, was ich aus diesen Erlebnissen für mein Leben lernen konnte. Dazu gehört als wichtigste „Lehre“, dass mein Leben einmalig und kostbar ist und es jeder Tag es wert ist, dankbar dafür zu sein.

Diese Dankbarkeit stärkt mich in so machen anderen Situation, wo das Leben oder auch die Arbeit für mich schwer wird. Diese Dankbarkeit zeigt mir auch, was Wesentlich in meinem Leben ist, wofür es sich lohnt, zu leben, zu lieben und zu kämpfen.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich möchte die Wahrheitsdeutung des heutigen Lesungstextes nicht für mich pachten, aber wenn ich vor dem Hintergrund meiner leidvollen Erfahrungen, wo ich durch Schmerz und Trauer zu einer neuen Ebene der Reifung in meinem Leben geführt wurde, diesen Text lese, dann kann ich ihm einen gewissen Sinn und auch eine gewisse Berechtigung abgewinnen.

Wir können durch erfahrenes und überwundenes Leid wachsen und lernen und stärker werden für unser Leben. Und darin kann dann auch so etwas wie „Heil im Leiden“ stecken.
Davon bin ich heute überzeugt.

Und Sie?


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Angefragt: Assistierter Suizid

Bild von silviarita auf Pixabay

Eine herausfordernde offene Frage an mich persönlich gestellt

Auf einen Kommentar, den ich auf Facebook zum Thema „Assistierter Suizid“ gegeben habe, meldet sich ein 34-Jahre junger Mann, der erklärt, das es für ihn schon seit dem 14. Lebensjahr feststeht, dass er Suizid begehen wird, obwohl er derzeitig ‚kerngesund‘ sei.
Aber es gebe für ihn Voraussetzungen, von den er es abhängig macht, weiterzuleben oder nicht. In einem weiteren Kommentar erklärt er, dass er sich sicher ist, dass diese Voraussetzungen für den Suizid schon vor dem 65. Lebensjahr erfüllt sein würden.

Und dann fordert er mich heraus …



Er schlägt ein Verfahren vor, dass der Gesetzgeber billigen solle, nachdem er zum Hausarzt ginge und ihm sage, dass er nicht mehr leben wolle.
„Daraufhin muss man sich für 6 Monate in psychologischer Behandlung geben. Ist nach einem halben Jahr der Wunsch immer noch da, bekommt man vom Hausarzt eine Pille. ..“
Und dann stellte er an mich direkt die offene Frage: „Was halten Sie [von dem] Vorschlag, Herr Gerd A. Wittka?“

Diese offene Frage fand ich sehr mutig und ehrlich.
Und da ich erlebt habe, dass man manche Kommentar von mir einfach so missbilligt hatte, dies aber bei diesem jungen Mann so ehrlich und aufrichtig rüberkam, war es für mich sehr wichtig, ihn ernst zu nehmen und es zu wagen, ihm – in diesem öffentlichen Raum von Facebook aber doch auch persönlich – eine Antwort zu geben.

Ich habe ihm geantwortet:

„Ich weiß nicht, womit ich beginnen soll, auf Ihre Frage zu antworten. Das Thema ist so komplex, dass es sich eigentlich nur in einem persönlichen Austausch erörtern ließ. Nur einige Aspekte, die mir einfallen:

  1. Ich kenne sehr viele Menschen, die jenseits der 65 sind und gerne leben, auch wenn es Einschränkungen des Alters oder sogar von Krankheiten gibt. Können wir heute schon wissen, wie wir mit 65+ denken und fühlen?
  2. Woher kommt JETZT der Wunsch, unter bestimmten Voraussetzungen den Suizid wählen zu wollen? Gibt es Sorgen, was ansonsten passieren könnte? Wie kann ich sonst noch mit diesen Sorgen und Fragen umgehen? Brauche ich noch Antworten auf offene Fragen? Wo bekomme ich Antworten?
  3. Die eigene persönliche Einstellung zum Leben. Da bin ich jetzt persönlich bei mir. Ich bin persönlich immer noch der Überzeugung, dass mein Leben ein Geschenk ist und dass es auch einen Sinn hat, wenn ich nicht mehr fit sein sollte, vielleicht sogar krank, auch sterbenskrank. Das ist aber jetzt meine Einstellung. Wie meine Einstellung dann wirklich sein wird, weiß ich jetzt noch nicht. Und ich bin auch nicht so vermessen, zu behaupten, dass das meine Einstellung bis zum natürlichen Lebensende bleiben wird, auch wenn ich es mir sehr gerne wünsche. In meinem 56-jährigen Leben habe ich selbst und auch bei anderen Menschen immer wieder erfahren, dass das Leben und die Einstellung zum Leben dynamisch und nicht statisch ist. Heute kann ich nur so denken und fühlen, wie es heute ist. Morgen kann es schon ganz anders sein. Da spielen sicherlich auch noch weitere Erfahrungen, die ich machen werde, eine wichtige Rolle.
  4. Daraus folgt für mich ganz persönlich. Ihr Vorschlag ist für mich derzeitig keine Option. Aber ich weiß auch, dass es für andere – wie für Sie? – durchaus eine Option sein kann.
  5. Die Frage, wie der Staat dann mit solchen Optionen seiner BürgerInnen umgeht, ist wiederum eine andere Frage und wird sicherlich auch dadurch beantwortet werden müssen, inwieweit sich der Staat juristisch und moralisch verpflichtet sieht, das Leben – in welcher Situation und Lebensphase auch immer – zu schützen?
  6. Ein Leben im Alter und in Krankheit ist sicherlich auch eine große Herausforderung und auch eine Aufgabe. Die Frage, die jede/r für sich beanworten muss, ist, ob er/sie sich dieser Herausforderung stellen will?
    Joachim (Blacky) Fuchsberger ist dieser Frage anhand seiner ganz persönlichen Lebenserfahrungen nachgegangen und kommt in seinem Buch zu dem (sicherlich auch provokanten) Resümee: „Altwerden ist nichts für Feiglinge“.
    https://www.youtube.com/watch?v=DZdS87BQmCQ

Ich würde das vielleicht so nicht formulieren, aber ich würde auch formulieren: Alt und krank zu werden/zu sein erfordert Mut, sehr viel Mut …

LEBENSMUT!




Unzerstörbar

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Die brennende Kathedrale von Paris zeigt mir, dass ich von der Vergänglichkeit umgeben bin. –
Dies zu bedenken, hilft vielleicht auch, zu erkennen, was wirklich in meinem Leben zählt?
Und das sind nicht Dinge, so großartig und bestaunenswert sie auch sind.
Was für mich wirklich zählt sind Menschen, die ich liebe und die mich lieben.
Und diese Liebe überdauert selbst den Tod!




heutige heimsuchungen

Bild von photosforyou auf Pixabay

Ich muss es zwar nicht ausdrücklich tun, aber mir ist es ein Herzensanliegen, dass ich mich von den überaus abstrusen Erklärungsversuchen des Ex-Papstes Benedikt XVI. zur sexualisierten Gewalt in der Katholischen Kirche massiv distanziere!

Es ist für mich unfassbar, wie diese Gedanken dem Hirn des Ex-Pontifex entweichen und dann auch noch veröffentlicht werden konnten?!

Nein! Die Verantwortung und die Ursache für dieses abscheuliche Kapitel katholischer Kirchengeschichte trägt weder die 68er-Revolution noch die moderne staatliche Sexualkunde.



Die Schuld, die Verantwortung und die Ursache, dass diese Verbrechen in diesem Ausmaß geschehen konnten, liegen – meiner Überzeugung nach – allein bei den Tätern und zu einem gehörigen Maß auch bei Verantwortlichen in der Kirche die dies gedeckt und zugelassen oder sogar gefördert haben!!!

Die Bitte um die Gaben des Heiligen Geistes für die Kirche waren wohl noch nie so dringlicher zu meinen Lebzeiten wie heute!

Zu den Abscheulichkeiten der Taten kommen nun noch solche ungeheuerlichen verbale Ergüsse dazu.

Spirituell kann ich nur von Heimsuchung sprechen: es ist eine Prüfung für so manchen Christenmenschen, ob und wie tief er in Christus verwurzelt ist.