An dieses Wort, das ich mir als Primizspruch zu meiner Priesterweihe am 20.05.1994 ausgesucht habe, geht mir in diesen Tagen viel durch den Kopf.
Ich bin nicht der Meinung, dass mit der Vollendung des 60. Lebensjahres eine neue, eigene Etappe in meinem Leben angefangen hat. Doch ich spüre gleichzeitig auch: der Zenit ist überschritten. Fragen nach der eigenen Gesundheit zum Beispiel bekommen auf einmal einen anderen Stellenwert. Bislang ging vieles einfach irgendwie glatt. Als ich aber vor einigen Tagen bei meinem Hausarzt war und ein großes Blutbild anstand, bat ich ihn, auch bestimmte Parameter mit in den Blick zu nehmen, die auf altersbedingte Veränderungen hinweisen konnten. Auch gibt es familiäre Veranlagungen, die ich in diesem Zusammenhang checken wollte, weil daraus im Alter meiner Familienangehörigen Erkrankungen entstanden, bei denen ich das Gefühl habe, dass auch ich nicht davor gefeit bin.
Und meine Gedanken wurden bestätigt und ich erhielt die klare Ansage, dass auch ich entsprechende Dispositionen habe und es Veränderungen gibt, die bei mir ähnliche Krankheitsverläufe im Alter möglich machen.
Kopf und Bauch
Der Kopf hat mir gesagt, dass es gut ist, diese Themen frühzeitig anzugehen und ich habe es ja auch selber initiiert, weil ich Vor- und Fürsorge für mich leisten möchte. Aber wenn ich dann erfahre, dass ich halt auch in dieser Vererbungslinie stehe, dann lässt mich das auch nicht kalt.
Und so schwirren mir die Gedanken durch den Kopf und ich fühle im Bauch eine Unruhe und Nervosität, mit denen ich lernen muss, umzugehen. Der Kopf sagt mir: „Schlage ein neues Kapitel in deinem Leben auf!“ – und der Bauch ist noch nicht so weit. Dennoch spürt auch er, dass es Zeit für Veränderung und Anpassung ist. Denn ich kann nicht den Kopf in den Sand stecken und so tun, als würde ich nicht älter und als könnte ich das Rad der Zeit still stehen lassen.
Ich habe noch Erwartungen und Wünsche an mein Leben. Und sie lassen sich nur verfolgen, wenn ich mich mobilisieren kann, neue Akzente zu setzen und neue Wege zu wagen.
Deshalb kam mir also in diesen Tagen wieder mein Primizspruch in den Sinn. Und er ist so richtig in dieser Phase meines Lebens.
Denn wenn ich meine Lebenszeit als Aufgabe verstehe, die mir von Gott gegeben wurde, dann möchte ich auch, dass er mir dabei hilft, im Lichte seiner Weisheit mein Leben zu leben.
Voll Gesang
Hinter’m Haus ist’s voll von Gesang. Meisen und Rotkehlchen ist’s nicht bang. Auf meinem Balkon lebhaftes Flitzen; und Solitärbienen – in den Ritzen des ‚Bienenhaus‘ – bauen neue Wohnungen aus. (Gerd Wittka, 19.03.2023)
Das ist
LAETARE!
Freuet Euch!
Wünsch mir Frieden …!
1 Kor 1, 1-3: „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“
In süddeutschen Gefilden oder auch in Österreich grüßt man sich oft mit den Worten „Grüß Gott!“
“ … Grüß Gott ist eine Verkürzung aus grüß[e] dich Gott. (…) Die ursprüngliche Bedeutung des Grußes ist „möge dir Gott freundlich begegnen“ oder „Gott segne dich“. Menschen aus dem nördlicheren deutschen Sprachraum kennen meist nur die Form grüß Gott ohne dich und interpretieren den Gruß fälschlich als Aufforderung, Gott zu grüßen, weshalb sie manchmal mit sarkastischen Kommentaren antworten, z. B. Wenn ich ihn sehe; Hoffentlich nicht so bald …“
Trotz der sarkastischen Reaktionen, erfahre ich zumindest, wenn ich diesen Gruß benutze, eine etwas höhere Aufmerksamkeit. Und wenn ich mich ehrlich mache, dann sage ich diesen Gruß eher oberflächlicher als er tatsächlich gemeint ist.
Vielleicht sollte ich ihn mir wieder abgewöhnen. Oder etwa nicht?!
Dieser Gruß erinnert doch sehr stark an den Gruß, den wir gerade eben in der Lesung vernommen haben:
„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“ (1 Kor 1, 1-3)
„Salam aleikum“ = „Friede sei mit dir!“ (arabisch) – Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Assalaam%27alaykum.svg
Noch heute grüßt man sich in Israel mit den Worten: „Shalom Aleichem!“. Im arabischsprachigen Raum heißt der Gruß dann: „Salam aleikum!“
Es ist eigentümlich, dass in manchen Kulturen der Gruß mit einem eindeutigen religiösen Bezug verbunden ist.
Ob religiös oder nicht: die meisten kultivierten Grußformeln beinhalten zumindest einen Wunsch, wie „ Guten Morgen, … Tag, … Abend!“
Wenn Menschen sich begegnen, dann teilen sie Wünsche aus. Das hat durchaus eine wichtige psychologische Komponente, denn wer dem anderen etwas Gutes wünscht, der will diesem Menschen gut sein; wer mir etwas Gutes wünscht, der wird mir nicht feindlich gegenüber gesinnt sein.
Mit der Begrüßung in Verbindung mit guten Wünschen signalisieren wir also dem anderen: Ich will dir nichts Böses!
Das ist ein erster Schritt, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen, was eine fruchtbare Begegnung vorausgeht.
In der Liturgie kennen wir auch einen eigenartigen Gruß: „Der Herr sei mit euch!“ oder „Der Friede sei mit euch!“ – und die Antwort kommt dann meist wie aus der Pistole geschossen: „Und mit deinem Geiste!“. Im Alltag würden wir es aber wohl kaum wagen, uns so auf der Straße zu grüßen.
Warum aber nicht?
Leben wir nicht in Zeiten, wo der Wunsch nach Frieden wieder besonders wertvoll ist? Leben wir als religiöse Menschen, als Christ:innen nicht auch – wenigstens noch etwas – in dem Bewusstsein, dass wir Gott brauchen, um gut durchs Leben zu kommen oder um zumindest einen inneren Frieden mit den Umständen des Lebens zu finden, wenn wir schon viel zu selten Frieden zwischen den Menschen erleben können?
„Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus!“
dieser Gruß des heiligen Paulus jedenfalls tut auch mir gut, wenn ich ihn heute und immer wieder gesagt bekomme.
Er spricht aus, in welcher Gesinnung der lebt, der mich so grüßt und er möchte mich einbeziehen in das, was ihm selber so wertvoll ist: der Glaube, dass Gott seine Gnade allen zuteil werden möchte und der Friede letztlich von Gott allein ausgeht und wir diesen „Frieden von Gott“ so sehr nötig haben.
Was würde passieren, wenn wir uns demnächst mit diesen oder ähnlichen Worten begrüßen würden:
„Der Friede Gottes sei mit dir!“ oder „Friede sei mit dir!“
Am Anfang wäre es sicherlich ungewohnt, vielleicht sogar recht komisch. Aber mit der Zeit würde sich sicherlich etwas verändern: in uns und auch bei jenen, die wir mit diesem Gruß grüßen.
Ich jedenfalls fände es spannend, es mal auszuprobieren!
Sei nicht geknickt…!
Impuls zum Fest ‚Taufe des Herrn‘ am 7./8. Januar 2023
Quelle: pixabay.com
Seit Jahren begleitet mich dieses heutige Wort des Propheten Jesaja in meinem Dienst: „Das geknickte Rohr zerbricht er nicht und den glimmenden Docht löscht er nicht aus. Ja, er bringt wirklich das Recht.“ (Jes. 42,3)
Diese Worte hat später Jesus auf sich bezogen. So lesen wir im Matthäus-Evangelium im 12. Kapitel 15-17.20: „15 Als Jesus das erfuhr, ging er von dort weg. Viele folgten ihm nach und er heilte sie alle. 16 Er gebot ihnen, dass sie ihn nicht bekannt machen sollten, 17 damit erfüllt werde, was durch den Propheten Jesaja gesagt worden ist: (…) 20 Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen / und den glimmenden Docht nicht auslöschen, / bis er dem Recht zum Sieg verholfen hat. …“
Ich liebe beide Texte sehr. Sie wurden für mich zu Schlüsseltexten, wenn ich über die Barmherzigkeit Gottes nachsinne.
Und so mögen Sie es mir verzeihen, wenn ich dieses Thema wiederholt anspreche und Sie diesen Gedanken von mir schon kennen. Ich möchte aber nicht müde werden, diese Worte für unser Leben fruchtbar werden zu lassen. Mein Schlüsselerlebnis mit diesem Wort war ein Gottesdienst als Gefängnisseelsorger, wo diese Lesung in einem Gottesdienst gelesen wurde. Inhaftierte lasen diese Lesung vor und währenddessen schaute ich in die Menge der anderen inhaftierten Frauen und Männer. Über sie alle war Gericht gehalten worden und sie ‚wurden gerichtet‘. Und das Urteil, das über sie gesprochen wurde, hinterließ bei manchen negative Folgen: als geknickte oder sogar gebrochene Menschen fristeten sie ihr Leben. Diese Realitäten müssen wir immer mit berücksichtigen, wenn wir auf der Suche nach ‚gerechter‘ Bestrafung sind! Die alttestamentliche Ansicht: „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ gilt seit Christus nicht mehr.
Denn ER sagt: „Liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen, damit ihr Kinder eures Vaters im Himmel werdet; denn er lässt seine Sonne aufgehen über Bösen und Guten und er lässt regnen über Gerechte und Ungerechte.“ (Mt 5,44-45)
Was für eine Botschaft!
Jesus ist als Mensch in unsere Welt gekommen, um genau das Gegenteil zu bewirken: anstatt zu knicken – aufzurichten, anstatt auszulöschen – zu entfachen.
Das geknickte Rohr, das aufgerichtet wird, kann weiter wachsen und leben. Die glimmende Flut, die nicht gelöscht sondern entfacht wird, kann weiter Wärme und Licht verbreiten. Dazu ist Jesus in die Welt gekommen.
Wo wir Brüche in unserem Leben haben, möchte er aufrichten und festigen, damit wir an den Brüchen nicht zugrunde gehen, sondern das Leben in uns spüren und erleben können.
Wo die Lebensglut in uns zu erkalten droht und nur noch zaghaft glimmt, will er mit dem Brausen der Heiligen Geistkraft unsere Lebensflamme wieder zum lodern bringen.
Und auch, wenn wir uns die Frage stellen, wie wir als Geschwister Jesu Christi in seine Fußstapfen treten können, wie wir IHM nachfolgen können, dürfen wir uns an diesen Worten ein Beispiel nehmen: • Wo wir geknickten Existenzen in unserem Leben begegnen, dürfen wir uns fragen, wie wir diese Menschen in ihrer Situation aufrichten können. Wie können wir sie stärken, damit ihr Leben Sinn behalten kann; damit ihr Leben gelingen kann; damit sie gestärkt werden zu einem Leben mit Zukunft? • Wo wir Menschen begegnen, die zu erkalten drohen, in ihren Gefühlen aber auch in ihrem Handeln; die hartherzig sind. Wie machen wir uns auf die Suche, mit ihnen und in ihnen die glimmende Glut der Liebe, der Sehnsucht nach Frieden und Hoffnung zu entdecken? Wo können wir, diese Glut, die wir finden, vielleicht gemeinsam und mit dem Wehen des Heiligen Geistes neu entfachen, damit in ihnen Herzlichkeit, Liebe, Respekt und Achtung neu entzündet werden kann?
Denn am Ende steht nicht ein Gericht, das zerbricht und auslöscht, sondern DER, der uns aufrichtet, heilt und die Glut des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe in uns lebendig hält.
Größte Herausforderung
Der Tod ist die größte Herausforderung des Menschen. Wer zu Lebzeiten lernen kann, einen guten Umgang mit der eigenen Endlichkeit zu haben, der wird jede andere Herausforderung des Lebens gut meistern können.
Gerd A. Wittka, 2022
Gott tritt für uns ein …
… in dem Zwischenraum der Mächte
Predigt zu Weihnachten 2022
Weihnachten 2022 in Deutschland: unsere Häuser stehen, unsere Heizungen laufen und auch auf den Lichterglanz müssen wir dank funktionierender Kraftwerke nicht verzichten. Materiell fehlt es uns eigentlich an nichts, dieses Fest so zu feiern wie viele andere Jahre zuvor auch. Selbst Corona hat uns nicht mehr so fest im Griff, wie noch die letzten beiden Winter –.
Und dennoch scheint eine ungetrübte Leichtigkeit nicht so leicht zu erkennen.
So unterschiedlich auch die Herausforderungen und Belastungen, das Leid und das Elend ist … eines ist ihnen mindestens gemeinsam:
Die einen sehen zwar, dass wir eigentlich alles haben könnten – nur fehlt ihnen wegen der Inflation das Geld.
Die anderen – und das konnte ich vor einer Woche in unserer Trauergruppe spüren – gehen mit beklemmenden Gefühle in diese Feiertage, weil sie den Tod eines geliebten Menschen betrauern.
Wiederum andere sind mit einer Krankheit konfrontiert, die ihnen die Rückkehr ins alte und gewohnte Leben unmöglich erscheinen lassen. Hier in der Krankenhaus-Kapelle wissen wir uns deshalb ganz besonders mit jenen Menschen verbunden, die dieses Weihnachtsfest hier in diesen Mauern verbringen müssen: als Patient:innen oder als Mitarbeitende.
Ich denke aber auch an jene, die die Katastrophen und die Kriege unserer Erde nicht kalt lassen, die besorgt sind, dass gut 100 Jahre nach dem ersten Weltkrieg wieder ein Krieg auf europäischem Boden tobt. Wieder werden unschuldige Menschen Opfer von Machtwahnsinn und diktatorischen Strukturen.
Ich denke an die verfolgten Menschen, die wegen ihrer Sexualität, Religion oder Weltanschauung verfolgt werden. Ich sehe auch jene, die das Leben und die Freiheit lieben und deshalb mit Haft, Folter und Tod bedroht sind.
Und dann gibt es jene, die solche Verhältnisse umtreibt und die so gerne etwas tun würden, wenn sie nur könnten. Stattdessen bedrückt sie das, was sie tagtäglich in den Medien an schlechten Nachrichten hören. …
Ohnmacht ist eine Erfahrung, die eigentlich alle Menschen kennen, nicht nur jene, von denen ich gerade gesprochen habe. Ohnmacht kennen Pflegekräfte oder ärztliches Personal, wenn sie mit Leiden und Krankheit konfrontiert werden. Ohnmacht ist auch eine Grunderfahrung von uns Seelsorger:innen in Grenzsituationen des Lebens. Zwar meinen viele, dass wir auch in schweren Situationen unseren Dienst leisten können; doch oft werden unsere Handlungen von dem Gefühl begleitet, nicht noch mehr tun zu können. Wir stoßen an unsere Grenzen des Machbaren.
Ohnmacht ist also eine menschliche Grunderfahrung. Und so kann ich das Evangelium des heutigen Festes unter dem Vorzeichen der Ohnmacht lesen. Das ist uns so vertraut, beim direkten Blick auf das Kind. Die Lieder der Weihnacht singen davon, von dem Kind, „… nackt und bloß in einem Krippelein“ oder „wird niedrig und gering…“ usw. usw.!
Die Themen Macht bzw. Ohnmacht tauchen literarisch kunstvoll im Evangelium auf. Anfangs wird uns die weltliche Macht vor Augen geführt. Da ist vom Kaiser Augustus und von seinem Statthalter Quirinius die Rede. Da ist von staatlichem Recht, dem Steuerrecht, die Rede. Hier tritt vor dem Ereignis von Bethlehem die weltliche Macht auf. Und am Ende des Evangeliums ist von einer anderen Macht die Rede, nämlich von der göttlichen Macht. Sie wird verkörpert durch die Engel.
Und genau in diesem Zwischenraum, diesen beiden Mächten, findet die Geburt Jesu statt. Das ist uns ein Zeichen, in dieser Nacht, an diesem Fest.
Jesus wurde also in der „Welt dazwischen“ Mensch. Gott wird in Jesus Christus Mensch in dieser Zwischenwelt, die zugleich oft eine Welt der Ohnmacht ist. Und als sei das noch nicht alles, wählt er dazu eine Umgebung, die nicht nur ohnmächtig, sondern total hilfsbedürftig ist. Was gibt es Hilfe-bedürftigeres als ein neugeborenes Kind unter diesen Umständen?! Was ist das für eine göttliche Weisheit, der weltlichen Macht weltliche Ohnmacht entgegenzusetzen?! Wäre es nicht wirksamer, wenn Gott machtvoll der weltlichen Macht ein Gegengewicht geworden wäre? Ist es nicht genau diese scheinbare Tatenlosigkeit, die Menschen an Gott zweifeln lässt, weil sie sich von ihm im Leiden und in der Ohnmacht ein Zeichen der Stärke erhoffen?!
Warum schreitet er nicht ein gegen himmelschreiendes Unrecht? Warum tut Gott nichts, wenn wir selber nichts tun können, sondern ohnmächtig und hilflos nur zuschauen können?!
Stattdessen nur jubilierende Heerscharen von Engeln! Es ist doch wirklich manchmal zum Verzweifeln, oder?!
Aber so ist es nun mal mit der Botschaft von Weihnachten: Kein heroischer Messias kommt auf die Erde, auch später nicht, wie wir erkennen müssen. Die Hoffnung eines schlagkräftigen Messias wird nicht nur damals bei den Juden enttäuscht, sondern sicherlich auch heute immer wieder bei uns.
Es wäre doch so einfach, wenn Gott einfach dreinschlagen würde. Doch das ist die Crux des christlichen Glaubens. Wer es einfach haben möchte, wer eine ‚einfache‘ Religion oder Weltanschauung sucht, ist bei uns Christen definitiv an der falschen Stelle.
Gibt es dennoch Erfreuliches zu berichten an diesem Abend?
Ja, vielleicht, wenn wir den Mut haben, unsere Erwartungen und unsere Maßstäbe hintenan zu stellen. Und wenn wir die Offenheit besitzen, nicht nur mit den Ohren und unserem Verstand die Botschaft der Weihnacht zu hören, sondern mit dem Herzen und mit unseren Gefühlen.
Dann passiert nämlich etwas mit uns, wenn wir z. B. die Worte der heutigen Lesung, mit dem Herzen, hören:
Menschen in der Finsternis sehen ein Licht. Jene, deren Leben verdunkelt ist, sehen in der Ferne ein Licht. Und dieses Licht löst etwas aus, es bewirkt etwas. Es kann eine Sehnsucht erwachen, die in der Dunkelheit nicht entstehen könnte. Dieses Licht kann uns stärken, um neuen Mut zu schöpfen. Es kann uns darauf aufmerksam machen, dass wir Kräfte in uns tragen, zu hoffen, aus der Hoffnung zu handeln oder wenigstens die erfahrene Ohnmacht auszuhalten und bei Menschen zu bleiben, die unsere Nähe brauchen, weil sie sonst nichts anderes mehr haben. Dieses kleine Licht kann uns lehren, zu hoffen wider alle Hoffnung und unser Leben zu er-tragen, wie es ist.
Dann wird zwar nicht – auf einen Schlag – alles Übel und alle menschenfeindliche weltliche Macht vernichtet, aber unsere Ohnmacht verliert womöglich ihre Schrecken. In der Ohnmacht bleibt die Hoffnung lebendig, dass alles Lebensfeindliche nicht das letzte Wort haben wird, nicht die Welt des Todes, sondern die Welt, die wir nach Möglichkeit mitgestalten und einst von allen Ketten des Leids und des Todes befreit sein wird. Ich möchte glauben: in der weihnachtlichen Botschaft zeigt sich eine Mächtigkeit in der Ohnmacht, die nicht von dieser Welt ist.
Irgendwie scheinen solche Formulierungen paradox. Aber ist Weihnachten an sich und in seiner Szenerie nach menschlichem Dünken nicht ebenso paradox?! Und das ist ein Geheimnis, dass sich so schwer in Worte fassen lässt.
Ich möchte glauben, dass `sich von dieser ‚mächtigen Ohmacht‘ in mir ein innerer tiefer und stiller Friede ausbreitet, der die Dunkelheit dieser Welt nicht ignoriert, sondern damit zu leben lernt, und dies nicht tatenlos und ohne Perspektive hinnimmt! Denn am Ende steht: Ostern!