Stärker als jeder absolutistischer Herrscher: Christus König
Impuls zum Christ-König-Sonntag 2022
Erinnern Sie sich an die Staatstrauer und an die Beisetzung von Queen Elizabeth II. vor einigen Wochen? Ich war da gerade in Urlaub und ich wollte eigentlich nicht viel davon sehen. Aber irgendwie kommt man dann doch nicht ganz daran vorbei. In den Medien sah man Bilder der Queen, von ihren jungen Jahren, von ihrer Krönung, in anderen festlichen Roben, geschmückt mit Diademen, Kronen und Juwelen. Und auch während der Staatstrauer: ihre Krone, der Reichsapfel und das Zepter auf ihrem Sarg. Am Ende der Trauerfeier, bevor der Sarg von ihr herabgelassen wurde, entfernte man feierlich diese Insignien ihrer Königinnenschaft.
Das waren Bilder vom Tod einer Königin in heutiger Zeit.
Wie man sich zu mancher Zeit „Christ-König“ vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber? Quelle: Bild von AJ jaanko auf Pixabay
Ganz anders das Bild des Mannes, den wir heute als Christ-König feiern: Jesus Christus. Geschunden, gemartert, verhöhnt, entehrt, bestialisch hingerichtet ziert sein Haupt keine Krone aus Edelmetall und Edelsteinen, sondern eine Dornenkrone, deren langen Dornen sich in die Kopfhaut eingebohrt haben.
Die Bilder aus London waren schön, voller Pracht – für viele eine Augenweide. Die Bilder aus Jerusalem, das Bild des getöteten Christus: wer mag das ansehen wollen?
Gegenbild: Gekreuzigter Christus des Isenheimer Altars
Der Maler Matthias Grünewald hat mit dem Isenheimer-Altar die Kreuzigungszene für den Bettensaal eines mittelalterlichen Krankenhospiz gemalt, die wir heute noch verstörend empfinden können. Matthias Grünewald hat versucht, den leidenden Menschen seiner Zeit einen durch und durch ebenbürtigen mitleidenden Christus buchstäblich gegenüberzustellen.
Aber dies tat er nicht, um die Kranken noch mehr zu belasten, sondern aus einem anderen Grund:
Wie oft höre ich von ziemlich kranken Menschen Worte wie: „Aber ich kann ja nicht klagen. Anderen Menschen geht es noch schlechter!“
Solche Sätze sagen mir: im eigenen Leid blicken manche Menschen auf das Leid anderer und setzen ihr eigenes Leid im Verhältnis zum Leid der anderen. Das ist kein Tipp, den ich als Außenstehender geben würde und kann. Aber für jene Kranke, die das tun, kann sich die Sicht auf das eigene Leid verändern.
Bitte: Niemals als Ratschlag!
Auf das Leid der anderen zu blicken im eigenen Leid, kann das eigene Leid erträglicher machen.
Ich sage das nicht, als Ratschlag oder als Tipp. Ich sage das nur als Wahrnehmung.
Denn als Außenstehende müssen wir uns davor hüten, kranken und leidenden Menschen zu sagen: „Schau mal, anderen geht es doch viel schlechter als dir!“ Relativierung des Leids steht jenen, die leidende Menschen begleiten, nicht an und es ist nicht hilfreich, sondern oft genau das Gegenteil. Der leidende Mensch kann das so verstehen, dass ein eigenes Leid nicht ernst genommen wird. Nur der Leidende selbst kann für sich den Vergleich mit anderen leidenden Personen anstellen und das in aller Freiheit.
Dann aber kann es passieren, dass das eigene Leid als nicht mehr so arg wahrgenommen wird.
Das ist eine Art Solidarisierung der Leidenden unter einander, auch wenn sie gegenseitig davon nichts wissen.
Solidarität II
Der Isenheimer Altar thematisiert aber noch eine andere Solidarisierung: die göttliche Solidarisierung!
Den kranken Menschen wird mit dem Altarbild ein Bild von leidenden Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der ganz und gar in der Geburt in Betlehem Mensch wurde, gezeigt.
Damit will dieses Bild den kranken und leidenden Menschen sagen: Dein Gott, an dem du auch in deinem Leid glaubst und dem du vertrauen willst, hat sich als Mensch selber dem menschlichen Leiden ausgeliefert. Auch wenn sein Leid und dein Leid immer getrennt voneinander sein werden, so möchte dies ein Zeichen sein:
Gott liebt dich so sehr und möchte so sehr um die liebende Beziehung mit dir werben, dass er sich selber nicht verschont hat, sondern wie es bei Paulus heißt: Jesus Christus
„… war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz….“
(Phil 2,5-8)
Der Schächer, der neben Jesus Christus am Kreuz hing, hat das erkannt und sich in einem letzten Augenblick seines eigenen Lebens dazu bekannt. So wurde für ihn das Bekenntnis zum leidenden Gott, zum mit-leidenden Gott die Quelle der eigenen Erlösung.
Für mich ist das ein Bild, ein Vor-Bild, damit ich lernen kann, dass er auch mich im Leiden und im Tod nicht fallen lässt.
Die Monarchie in Großbritannien und viele andere Monarchien sind Monarchien mit viel Glanz und Pomp, aber ohne wirkliche Macht.
Die Monarchie des Christus unseres Königs ist genau das Gegenteil davon: eine Monarchie ohne Glanz und Pomp, aber mit viel Macht, wenn auch nicht irdischer Macht; aber mit der Macht uns von dem zu befreien, was für Viele oft das Ende des eigenen Lebens zu sein scheint: der Macht, uns vom Tode zu befreien.
Ökum. Gottesdienst zum Ruhr-Pride 2022
„Ich sehe was, was du nicht siehst – Vielfalt wahrnehmen!“ – so das Motto des diesjährigen ökumenischen Gottesdienstes am Freitag, den 05.08.2022 um 18.00 Uhr in der evangelischen Marktkirche in Essen-Mitte.
In unserem Vorbereitungskreis, bei dem die Aidshilfe Essen e.V., die katholische Beratungsstelle „Die Schleife“, die alt-katholische Kirche, die evangelische Kirche und die römisch-katholische Kirche mit von der Partie sind, haben wir uns davon ansprechen lassen, dass viele Queer-People sich nicht gemeint fühlen, wenn von Queer-People die Rede ist. Wir denken da an Trans-, Inter, Bi-, A-sexuelle, nonbinäre Personen und viele andere mehr.
Die Vielfalt der verschiedenen Banner für diese Sexualitäten zeigt dies sehr deutlich. Mittlerweile ist daraus die so genannte „Progress Pride Flag“ entstanden:
Progress pride flag
Wir erkennen, dass diese Vielfalt unter den queerpeople auch wahrgenommen werden will.
Mit unserem Gottesdienst wollen wir auf diese gottgewollte Vielfalt aufmerksam machen und für Respekt und Anerkennung dieser Vielfalt werben.
Braucht es noch Erntehelfer:innen im Acker Gottes?
Am 14. Sonntag (2./3.7.2022) hören wir im Evangelium von der Aufforderung Jesu, für Erntehelfer:innen im Acker Gottes zu beten. Doch ist dieses Gebet überhaupt noch nötig in der gegenwärtigen Zeit der Kirche und angesichts massiver Kirchenaustritte? Dazu meine Predigt an diesem Sonntag, die ich hier etwas mehr mit konkreten Beispielen ‚unterfüttert‘ habe.
„Zeitenwende“ – so nennt Olaf Scholz das, was in mir Erinnerungen der 1970er und 80er Jahre hervorruft: Strategie der Abschreckung, NATO-Doppelbeschluss, Kalter Krieg, Angst vor einem Atomkrieg…
Viele von uns, die wir hier heute sitzen, dürften diese Begriffe bekannt sein.
Diejenigen, denen diese Begriffe nichts mehr sagen, fehlen zumeist auch heute hier in der Kirche, denn auch in unserer Kirche leben wir seit einigen Jahren in einer Zeitenwende. Jüngere Menschen erreichen wir an unseren ‚Pastoralen Standorten‘, wie wir es heute nennen, nur noch sehr schwer.
Erst vor wenigen Tagen kam die Meldung, dass weniger als 50% der Bevölkerung in Deutschland einer der beiden großen Kirchen (römisch-katholisch oder evangelisch) angehören.
Innerhalb unserer eigenen Kirche in Deutschland gibt es eine große Unruhe und viel Bewegung. Wir erleben in unserer Kirche eine historische Phase, die zuletzt wohl nur mit der Zeit der Reformation verglichen werden kann.
Mit einem Unterschied: damals gehörten fast alle Menschen in Deutschland zu einer christlichen Kirche, wenn sie nicht zum Judentum gehörten.
Wenn wir die aktuellen Kirchenaustrittszahlen sehen, stellen Viele als erstes die Frage, wie das gestoppt werden kann?!
Eine fatale Frage, weil sie versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Viel wichtiger scheint mir, erst einmal zu schauen, warum die Menschen aus der Kirche austreten!
Denn, die schwindende Akzeptanz der Kirche(n) ist Folge einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Kirchen.
Es wäre ein Irrtum, daraus auf eine zunehmende Bedeutungslosigkeit des Glaubens oder des Religiösen zu schließen.
Im Gegenteil: heute suchen die Menschen mehr denn je nach religiösen Angeboten. Die Esoterik hat seit vielen Jahren großen Zulauf.
Ich denke oft, die Menschen sind nicht weniger religiös, sondern weniger kirchlich geworden.
Woran kann das liegen?
Eine vollständige Analyse lässt sich hier nicht liefern.
Aber ich möchte einen Aspekt mal heraus greifen, der symptomatisch für die Situation in unserer Kirche ist.
Wir setzen oft amtskirchliche Lehraussagen mit Glauben gleich. Doch das ist ein Irrtum!
Kritiker, die die heutige Reformbewegungen (z.B. Synodaler Weg) in unserer Kirche ablehnen, sind sehr schnell mit Äußerungen bei der Hand, dass man sich von den Glaubenswahrheiten entferne, die in unserer Kirche gelten.
Dabei geht es den Menschen heute gar nicht um diese Glaubenswahrheiten, sondern es geht ihnen um ihren Glauben, um ihre eigene und persönliche Religiösität.
Ob sie zur Geltung kommen kann, entscheidet oft darüber, ob Menschen in der Kirche bleiben oder nicht. Oder anders ausgedrückt: ob die Menschen in unserer Kirche eine religiöse Heimat finden, ist das oft das Entscheidende, nicht, ob sie den Aussagen des Lehramtes zustimmen.
Vor einigen Tagen habe ich begonnen, ein kleines Büchlein zu lesen. Es trägt den Titel: „Wie werde ich ein Christ?“ – Es gibt auszugsweise Texte des christlichen Philosophen Sören Kierkegaard (aus Dänemark) wider.
Sören Kierkegaard um 1840. Bild: gemeinfrei
„Was mir eigentlich fehlt, ist, dass ich mit mir selbst ins reine darüber komme, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll. (…) Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, das ich tun solle; es gilt, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will. Und was nützte es mir dazu, wenn ich eine sogenannte objektive Wahrheit ausfindig machte; wenn ich mich durch die Systeme der Philosophen hindurcharbeitete (…) was nützte es mir, dass ich die Bedeutung des Christentums entwickeln und viele einzelne Erscheinungen erklären könnte, wenn es für mich selbst und mein Leben keine tiefere Bedeutung hätte?…“
„Wie werde ich ein Christ – Sören Kierkegaard – Texte vom Glauben, Präsenzverlag 2013, S. 29f. *1
Sören Kierkegaard unterscheidet hier ganz deutlich zwischen religiösen Wahrheiten und einem persönlichen Glauben, der für das ganz persönliche und individuelle Leben bedeutsam ist.
Und genau an dieser Stelle bricht Kirchlichkeit und persönliche Religiosität heutzutage auseinander.
Und in ihrer persönlichen Religiosität sind die Menschen auch heute immer noch Suchende.
Diese Suche nach Gott ist übrigens schon für Benedikt von Nursia das entscheidende Kriterium dafür, zu entscheiden, ob Anwärter in ein Kloster aufgenommen werden können. Die Suche nach Gott geht nämlich einer Sehnsucht nach Gott voraus, die sich konkretisiert in religiösen Fragen und auch praktischem religiösen Tun.
Im Psalm 14 finden wir das Wort: „Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht.“
Suchen wir also in unserer Kirche, in unseren Gemeinschaften, an unseren ‚Standorten kirchlichen Lebens‘ noch die Menschen, die Gott suchen? Gehen wir dabei über die Kreise der Menschen hinaus, die sowieso immer noch zu uns kommen?
Hier deutet sich schon an: konkrete Nachfolge ist auch das Suchen und Aufsuchen der Menschen, die auf der Gottsuche sind.
Natürlich können wir dabei bei uns selber anfangen, aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, dürfen keine Nabelschau betreiben.
Die eigene Gottsuche, aber auch die der anderen – teils unbekannten Menschen – ist die Suche nach der Bedeutung und Alltagstauglichkeit meines Glaubens, unseres Glaubens.
Wenn die Kirche und ihr Dienst für die Menschen nicht mehr für deren konkretes Leben bedeutsam sind, dann werden die Kirchen überflüssig und bedeutungslos.
Der französische Bischof Jaques Gaillot hat einmal den Satz getan: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!“
Eine Kirche also, die die Lebensrealitäten der Menschen nicht wahrnimmt oder sie sogar nach ihrer eigenen Doktrin umzumodeln versucht, ist fehl am Platze.
Und da sind wir bei vielen konkreten Beispielen in unserer Gesellschaft.
Wenn es z.B.
um die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit geht,
wenn es darum geht, wie Menschen heute gut und sinnvoll leben könnten,
wenn Angst und Sorgen der Menschen auch Auswirkungen hat auf gegenseitige und gesellschaftliche Solidarität,
wenn Menschen versuchen, ihrer Geschlechtlichkeit auf die Spur zu kommen und merken, dass es nicht nur Mann und Frau gibt, sondern eine große biologische Vielfalt, die für betroffene Menschen zu einer echten Herausforderung wird, sich selber zu finden.*2
Wenn es darum geht, das Thema „sexualisierte Gewalt“ konkret vor Ort auch zu behandeln, also in unseren Gemeinschaften offen und ohne Tabus darüber zu sprechen und in der Breite die Verhinderung solcher Verbrechen zum Thema zu machen.
Wenn es darum geht, dass Menschen sich die Frage stellen, ob und wie lange sie sich dem unheilbaren Leiden am Leben und an einer Krankheit aussetzen müssen, ohne für sich entscheiden zu dürfen, wann es gut ist.
Allein diese letzte Frage, ist so brandaktuell und ich kann nicht sehen, dass wir uns in unseren kirchlichen Gemeinschaften vor Ort damit beschäftigen. Dabei geht es überhaupt nicht zuerst um die Frage des „assistierten Suizids“, sondern schon allein um die Frage, ob wir Menschen zur Seite stehen, die durch passive Verhaltensweisen sagen: „Nun ist es genug!“ – Gemeint ist das sogenannte „Sterbefasten“. – Haben Sie schon mal etwas davon gehört?! – Nein?
Kurzer Exkurs zu „Sterbefasten“
Beim Sterbefasten geht es um ein Verhalten von alten und/oder kranken Menschen, die sich ähnlich – wie Eliah (s.u.!) – sagen: „Nun ist es genug!“ und durch bewussten Verzicht auf Nahrung und Trinken ihren Sterbeprozess unterstützen wollen. Für Zugehörige oft eine krasse Situation, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil sie sich nicht die Frage gestellt haben, ob ein solches selbstbestimmtes Sterben auch ethisch und moralisch akzeptabel sein kann. Viel Leid entsteht durch eine solche Verunsicherung auf beiden Seiten.
Ich nenne nur ein Beispiel: eine demenzerkrankte Person verweigert bewusst die Aufnahme von Essen und Trinken. Ist es da wirklich ethisch und moralisch geboten, diese Person gegen ihren eigenen Willen über eine Magensonde mit Nahrung oder über eine Infusion mit Flüssigkeit zu versorgen?
[1 Kön 19,4-5: Er selbst (Eliah) ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter.Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.]
Selbst für den gottesfürchtigen Propheten Eliah gab es die Option, sein Leben durch Nahrungs- und Getränkeverweigerung ein Ende zu setzen. Allein der Hinweis Gottes, dass ER noch einen Auftrag für ihn habe, durchkreuzte Eliahs Pläne.
An dieser Stelle möchte ich keine voreilige ethische Bewertung zu diesem Themenkomplex vornehmen, sondern möchte dafür sensibilisieren, dass das konkrete Fragen und Herausforderungen heutiger Menschen mitten unter uns sind. Vielleicht stellen Sie sich sogar selber solche Fragen? Wo sind wir also als Kirche bei den Menschen und in solchen Fragestellungen?!
Und so sehen wir, dass wir in unserem etablierten kirchlichen Leben oft nur Platz haben für ganz bestimmte Vorstellungen und Arten von kirchlichem Leben und Themen und die Frage nach der persönlichen Religiosität quasi keinen adäquaten Platz findet.
Wenn Jesus uns als heute uns also auffordert: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter:innen für seine Ernte auszusenden!“ – dann müssen wir wohl gleichzeitig darum beten, dass wir die Augen dafür geöffnet bekommen, wo die Menschen um uns herum (uns selber eingeschlossen) nach Gott in ihrem Leben suchen und in ihrer konkreten Lebenssituation religiöse Fragen haben und Antworten suchen.
*1: Ursprüngliche Quelle:
Das Zitat stammt aus seinen Tagebüchern Band 1, S. 16f (Tagebucheintrag „Gilleleie, den 1. Aug. 1835“)
erschienen in: Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke und Tagebücher, übersetzt und herausgegeben von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, Grevenberg Verlag Dr. Ruff & Co. OHG, Band 28: Die Tagebücher, Erster Band, Simmerath 2003.
Kirchenfenster Kathedrale von Lüttich – Bild von Thomas B. auf Pixabay
Am 12. Juni 2022 begehen wir den Dreifaltigkeits-Sonntag. Dahinter steckt eine Glaubensüberzeugung, die sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus konkret ausgeformt hat.
Heute sehen wir, dass das Christentum unter den Religionen der Welt wirklich eigenartig ist.
In den Religionen gibt es manche, die an Gott resp. an Gött:innen glauben und jene, die in ihrer Religion keinen Gott kennen.
Zur letzteren Gruppe gehört der Buddhismus. Buddha gilt zwar als ‚Erleuchteter‘, aber er ist kein Gott. Ebenfalls der Taoismus gehört dazu.
Dann gibt es noch die Religionen, die an einen Gott resp. Gött:innen glauben. Am Einfachsten lässt sich dies an religiösen Handlungen fest machen. Während Taoismus und Budhhismus zwar eine göttlicher Macht kennen, werden sie sich in ihren Gebeten nicht an ein ‚Gegenüber‘ wenden; ihre ‚Gebete‘ sind mehr schweigend, meditierend.
Die Religionen, die Gott kennen, haben im Gebet ein Gegenüber: nämlich Gott oder die Gött:innen.
So besitzt z.B. der „Gott Abrahams“ (Juden, Christen, Moslems) Eigenschaften, die es ihm ermöglichen, mit den Menschen in Kontakt und Beziehung zu sein. Schon im Alten Testament können wir dieses sehr deutlich erkennen. Gott spricht zu den Menschen und die Menschen sprechen zu Gott, auch insbesondere in ihren Gebeten. Die alttestamentlichen Psalmen legen davon eindrückliches Zeugnis ab. Aber Gott spricht nicht nur mit den Menschen, sondern er ist auch ein handelnder Gott: als Schöpfer, als Lenker und Retter (Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, Einsetzung von Königen und Propheten) und als Richter.
Darin kann man – vereinfacht ausgedrückt – einen Unterschied zwischen Religionen mit und ohne Gott/Gött:innen erkennen.
Unser Christentum glaubt also an einen Gott, der personal ist. Gott ist also wer, wenn wir es so ausdrücken wollen. Wir können zu ihm sagen: „Du, Gott!“ Jedoch mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass Gott keinem Geschlecht zugeordnet werden kann. Die Person Gottes nach christlichem Verständnis ist geschlechtslos. (Was aber zu Verwirrungen führen kann, wenn wir erkennen, dass Jesus Gott „seinen Vater“ nennt.)
Der personale Gott ist also ein ‚Gott in Beziehung‘, wie wir z.B. auch sehr eindrücklich in den Worten Jesu im Johannes-Evangelium, da besonders die ‚Abschiedsreden‘ Jesu nach Johannes, Kapitel 14-17.
Ein Gott – drei Personen
Sicherlich wenig logisch erscheint uns auf dem ersten Blick der christliche Glaube an einen Gott in drei Personen.
Das ist reichlich ungewohnt. Entweder kennen wir, wie z.B. aus der vorchristlicher Zeit und der Antike oder auch aus altägyptischer Zeit, den Glauben an viele verschiedene Götter und Göttinnen. Heute finden wir diesen ‚Polytheismus‘, wie der Fachausdruck dafür ist, auch z.B. im hinduistischen Glauben. Unter ihnen gehört das Dreiergespann der Götter Brahma, Vishnu und Shiva vermutlich zu den bekanntesten Göttern.
Dem gegenüber stehen Religionen, die nur einen Gott allein kennen (Monotheismus). Dazu gehören die jüdische Religion, der Islam und das Christentum; die alle drei als die ‚abrahamitischen Religionen‘ bezeichnet werden, weil sie alle auf Abraham zurück gehen. Die zentrale Aussage dieser drei Religionen ist: Es gibt nur EINEN GOTT!
Aber einen Gott in drei Personen?! – Ist das nicht widersprüchlich?
Nun, zumindest ist es für andere Religionen nicht denkbar und wird auch nicht geglaubt: außer im Christentum!
Um solchen Glauben haben zu können, sind weitere Überzeugungen nötig:
2. Gott ist in der Geschichte allen Seins gegenwärtig und erfahrbar. (vgl. dazu auch Joh 1,1-17)
Ausgehend von diesen Grundüberzeugungen können wir von einen Gott ausgehen, der sich personal in der Weltgeschichte zeigt und zwar
1. Als Gott-Schöpfer der ’sich in seiner Schöpfung zeigt und in allem, was ist‘. Das bedeutet, dass wir anhand des Werkes den ‚Urheber des Werkes‘ erkennen können, durch den alles ist, der der Urgrund und Ursprung allen ist, was existiert. Im Alten Testament finden wir in den Schöpfungsberichten dafür zwei Sichtweisen auf diesen Schöpfergott, die auf dem kulturellen Hintergrund der damaligen Menschen entstanden sind: da ist zum einen Gott, der durch das ‚Wort schafft‘ (diesen Gedanken finden wir dann auch im Johannes-Evangelium im 1. Kapitel wieder) und da ist Gott, der ‚durch seiner Hände Arbeit schafft, in dem er den Menschen aus der Erde ‚formte‘ und ihm ‚Lebensodem einhauchte‘. Später zeigt er sich in der Geschichte ’seines Volkes Israel‘ in seinen konkreten historischen Erfahrungen, sei es die ägyptische Sklaverei oder die babylonische Gefangenschaft usw.! Auf diesen Gott der Juden wird sich später auch Jesus von Nazareth berufen und ihn mit „Vater“ anreden – besonderer Ausdruck seiner innigen Beziehung zu Gott, ’seinem Vater‘.
2. Gott als Gott des Bundes mit den Menschen und des Heils für die Menschen. Nachdem der Gott Israels, der alles ins Dasein gesetzt hat, immer wieder erfahren hat, dass sein Bundesangebot mit seinem auserwählten Volk nicht den ’notwendigen Erfolg‘ brachte und Israel immer wieder die Erfahrung von Not, Elend, Unterdrückung und Vertreibung erleben musste (worin das Volk Israel eine Kausalität erkannte, weil es Gott nicht die Treue gehalten hat), war es göttlicher Wille, dass er selber als Mensch in die Welt kommt, leibhaftig und historisch, um für seinen Bund mit den Menschen zu werben und diesen Bund unverbrüchlich zu besiegeln. – So zumindest glauben wir Christ:innen das Leben und Handeln und auch den Tod Jesus von Nazareth, der in seiner eigenen Verkündigung davon geredet hat, der in Liebe mit Gott so innig verbunden war, dass er von sich aus sagen konnte: „ich und der Vater sind eins“ (vgl. Joh 10,30) oder „wer mich sieht, sieht den Vater“ (vgl. Joh 14,9) Das Werben Jesu Christi für den Heilsbund Gottes mit uns Menschen ist der rote Faden im Neuen Testament.
Christus war so sehr eins mit dem Vater und nichts konnte ihn von Gott, seinem Vater trennen (‚absondern‘, vgl. die Bedeutung des Wortes ‚Sünde‘), so dass sie quasi eins waren und als der historische Jesus Gott selbst in die Erdenzeit, in die Dimension von Zeit und Raum leibhaftig eingetreten ist. Dies feiern wir Christ:innen am Weihnachtsfest. Ein schönes Glaubenszeugnis dieses Verständnisses finden wir im Philipperbrief, 2, 6-11.
3. Als Gott, der in der Welt bleibt, wenn gleich nicht leibhaftig als Mensch, sondern in seinem Heiligen Geist Jesus Christus, der Sohn Gottes, beendet seine Lebenszeit hier auf der Erde durch seinen Tod am Kreuz. Aber er ist durch seine Auferstehung in eine neue Seinsform hinübergegangen und – wie er sagte – zu seinem Vater gegangen.
Er wusste aber zugleich, dass die Menschen und die Schöpfung ohne die Gegenwart Gottes immer wieder in der Gefahr sind, von den Wegen des Heiles abzukommen, weil alle Schöpfung noch nicht vollkommen ist; weil Liebe zwar da, aber bruchstückhaft ist; weil das Reich Gottes angebrochen, aber noch nicht vollendet ist.
Ohne ihren ‚Meister‘ leben zu müssen, war auch für seine Jünger:innen unvorstellbar. Er, Jesus, erkannte diese Not und versicherte ihnen den bleibenden Beistand, bevor er zu seinem Vater heim ging. Und der Evangelist Johannes berichtet in einem der Abschiedsreden Jesu davon. Es lohnt sich wirklich, diese Texte zu lesen und zu meditieren. Es spricht so viel Liebe und Fürsorge aus ihnen, die Jesus für seine Jünger:innen empfindet.
Keltisches Symbol für die Dreifaltigkeit (Trinität), Bild von Collette Hughes auf Pixabay
Wenn wir also an diesem Sonntag Gott in seiner Dreifaltigkeit bekennen und feiern, dann bekennen wir damit den einen und denselben Gott, der Person ist und sein Wesen in dreifaltiger Weise uns zur Erkenntnis gebracht hat.
Ich wünsche uns, dass dieser Glaube uns stärkt in Hoffnung und Zuversicht, in Liebe und Barmherzigkeit; uns selber gegenüber aber auch allem um uns herum!
Gott,
der du Schöpfer und Schöpferin bist, wir glauben dich als Person, die alles ins Dasein gerufen hat und ohne die nichts ist.
Gott, der du Gottes Sohn bist, der in innigster Liebe mit dir, dem Vater verbunden ist, der du eins warst und bist als wahrer Mensch und wahrer Gott, Jesus Christus,
Gott, Heiliger Geist, du ewiger Beistand, von dem schon die Schöpfungsgeschichte kündet, dass du über allem schwebtest, bevor es ins Dasein gerufen wurde und der auch heute noch in der Welt gegenwärtig bist, auch wenn wir dich manchmal nicht erkennen,
Du, Dreifaltiger in Person, erfülle unsere Herzen und unseren Geist mit dem Glauben und der tiefsten Hoffnung, dass du der Einzige bist, der alles ist und in dem Alles ist und wir nie von dir getrennt werden. Du, Gott der Beziehung, vertiefe unseren Glauben, dass wir dich – wie auch immer – persönlich ansprechen und bekennen,
als sorgender Vater als liebende Mutter als die Heilige Geistkraft
als das, was du bist
der/die EINE und EINZIGE
gestern, heute und morgen, im Kleinsten und in der Fülle, hier und dort und überall.
„Und was, wenn es die Himmelfahrt und Auferstehung gar nicht gibt …?!“
Meine Gefühlslage ist dann sehr krass, als würde es mir die Beine wegziehen; mir wird flau im Magen und der Druck im Kopf steigt …
So geschehen heute Morgen, als ich die Laudes von „Christi Himmelfahrt“ betete.
Glaubst du an die Auferstehung? Und kennst du auch solche Momente?!
Mich irritieren sie zutiefst.
Der Glaube an die Auferstehung ist in mir so existentiell verankert, dass solche Gedanken verstörend für mich sind.
Aber die Gedanken kommen und sind auf einmal da! Auch als jemand, der an die Auferstehung glaubt, bin ich vor solchen Gedanken nicht gefeit. Wundert dich das? – Mich wunderte es, aber jetzt nicht mehr.
Doch: was mache ich mit solchen Erfahrungen? Was würdest du machen? Beiseite schieben und verdrängen und weiter machen …?
So möchte ich damit nicht umgehen! Auch wenn diese Gedanken mich irritieren: ich möchte mich ihnen stellen; ich muss mich ihnen stellen.
Es sind nämlich die plötzlichen Augenblicke in meinem Leben, die mich als Christ mit der existentiellen Frage meines Christseins konfrontieren. (BTW: vor mir liegt ein Buch von Sören Kirkegaard: „Wie werde ich ein Christ?“ – Zufall?)
Zurück: diesen irritierenden Gedankenblitz lasse ich zu und schau, wohin er mich führt…
Je länger ich ihn ‚im Raum stehen lassen‘, um so mehr drängt sich die Frage in mir auf, was mein Leben sinn-voll sein lässt?
Und diesen Gedanken immer weiter gedacht, sehe ich zwei Pole in meinem Leben. Da ist der eine Pol, der Glaube an die Auferstehung als eine Vision und Hoffnung, aber eine Hoffnung, die so schlecht zu greifen ist. Das formuliert schon Paulus in seinem Brief an die Römer, Kapitel 8, Verse 24-26:
Denn auf Hoffnung hin sind wir gerettet. Hoffnung aber, die man schon erfüllt sieht, ist keine Hoffnung. Denn wie kann man auf etwas hoffen, das man sieht? Hoffen wir aber auf das, was wir nicht sehen, dann harren wir aus in Geduld. So nimmt sich auch der Geist unserer Schwachheit an. Denn wir wissen nicht, was wir in rechter Weise beten sollen; der Geist selber tritt jedoch für uns ein mit unaussprechlichen Seufzern.
Und der andere Pol ist die Konfrontation mit der Frage: Was ist aber, wenn es die Auferstehung nicht geben sollte? Diese Frage ist auch in meinem Kopf. Sollte ich dann nicht versuchen, darauf eine Antwort zu finden?
Und ich komme dabei auch immer auf eine Antwort, die für mich auch zutiefst ‚christlich‘ ist:
Mein Leben muss auch ohne den Glauben an die Auferstehung sinn-voll sein! Das heißt: alles, was ich tue und erlebe, wofür ich mich einsetze und was meine Überzeugungen sind, dürfen ihre Sinnhaftigkeit nicht verlieren, wenn es die Auferstehung nicht gäbe.
Und wenn ich daraufhin mein Leben gedanklich ‚abklopfe‘, dann komme ich zu einem Punkt, den ich die Bipolariät meiner christlichen Existenz nennen möchte:
Mein Leben, die Liebe, meine Beziehungen, die Freude, das Glück, aber auch die Herausforderungen und Nöte, mein Leiden und mein Unglück, … mein Leben und mein Tod wollen für sich genommen sinn-voll sein.
Dieses Leben als mein Leben anzunehmen, dass ist meine Aufgabe in dieser irdischen Zeit. Das ist der eine Pol meiner Existenz.
Durch den Glauben an die Auferstehung erfährt dieses Leben aber einen ‚Mehrwert‘, der dieses Irdische und Vergänglich mit dem Überirdischen und Unvergänglichen krönt. Der Glaube an die Auferstehung wird bestätigt somit auf Unvergänglichkeit hin, was meine irdische Existenz hier und jetzt schon sinnvoll macht.
Gerd A. Wittka, 26.05.2022, am Fest ‚Christi Himmelfahrt‘
Krasse Gedanken am Fest Christi Himmelfahrt, oder?!
Ich gehöre zu der Generation, die mit Liedern von Daliah Lavi aufgewachsen sind. Eines dieser Lieder trägt den Titel: „Willst du mit mir gehn…?“ Dieses Lied kam mir am heutigen Palmsonntag wieder in den Sinn. Aber wohl auch deshalb, weil das Thema dieses Liedes ein häufiges Thema in meiner Arbeit als Krankenhaus-Seelsorger ist.
In dem Lied bewegt mich, dass Daliah Lavi davon singt, dass es Situationen gibt, wo man kaum noch Worte findet; wo man weiß, dass Worte manchmal sehr wichtig sind, aber Worte zugleich auch nicht alles sind, weil Worte an ihre Grenzen kommen, etwas Tieferes auszudrücken.
Sie merken, wie ich schon jetzt hier in der Kürze um Formulierungen ringe.
Es geht hier nämlich um existentielle und prägende Situationen in Leben von Menschen, die wie Wegmarken sind oder – noch besser – Wegekreuzungen sind, wo das Leben plötzlich eine ganz andere Wendung nimmt.
Solche Situationen können Krankheiten, zumal schwere Krankheiten sein.
Immer wieder erkenne ich, dass Menschen, die einem kranken Menschen nahestehen, ganz plötzlich verunsichert sind:
Wie verhalte ich mich jetzt?
Woran muss ich denken?
Muss ich die erkrankte Person nicht eher in Ruhe lassen?
Kann ich noch so unbefangen Witze machen, wie wir sie sonst immer gemacht haben?
…
Und nicht selten kommt dann noch die eigene Angst dazu, sich selber mit der Krankheit und ihren möglichen Folgen konfrontieren zu lassen.
Spontan schießt mir dabei ein Gedanken in den Kopf: ‚Kranke, auch Schwerstkranke oder sogar Sterbenskranke sind krank und nicht tot!‘ – Deshalb kann es wichtig sein, den Fokus auf das LEBEN zu richten. Das Leben von Kranken ist manchmal schon eingeschränkt genug; muss ich es da ‚künstlich‘ noch weiter einschränken? Das hat nichts mit Rücksichtslosigkeit zu tun. Natürlich wird man unter den geänderten Bedingungen auch Rücksicht nehmen müssen: auf körperliche oder geistige Belastungen oder Einschränkungen; nicht jedes Thema wäre in der Krankheit ein passendes Thema; …
Die Spur, die ich legen möchte ist: Achtet auf das Leben! Achtet darauf, dass kranke Menschen nicht noch mehr vom Leben abgeschnitten werden, als sowieso schon durch die Krankheit.
Exkurs:
Ich erinnere mich daran, als mein Vater (ich war ca. 14 Jahre alt) schwer krank war. Seine Krankheit ging mit massiven Persönlichkeitsveränderungen einher und er war sehr sensibel geworden, was vor allem auch 'Lautstärke' angeht und das ganz normal alltägliche Leben. So stellte sich bei uns die Frage, inwieweit wir unser Leben (mit Schule, Ausbildung, Freizeit, ...) vor ihm 'filtern' müssten, um ihn 'zu schonen'...? Nach einiger Überlegung sagte uns dann unsere Mutter, dass wir so weiterleben sollen, wie bisher und dass unser Papa nicht von unserem Leben ausgeschlossen werden soll. Er möge weiterhin mitbekommen, was wir so treiben. Ich habe keine Ahnung, ob dieses die beste Entscheidung gewesen ist? Aber ich weiß, dass wir Papa nicht von unserem Leben ausschließen wollten; denn er war weiterhin unser Papa, auch als kranker und hilfsbedürftiger Vater.
Nicht ausweichen
Der Krankheit nicht auszuweichen und der kranken Person nicht auszuweichen, kann das Wichtigstes und zugleich das Schwerste sein, was wir als Familienangehörige, Freunde, Kollegen und Bekannte tun können. Dabei dürfen wir uns auch gewahr sein, dass es uns Einiges abverlangt und auch eine Herausforderung werden kann. Wer aber kranken Menschen menschlich zugetan ist, sollte diesen Gedanken mit einbeziehen. [Zugleich, und das ist mir an dieser Stelle auch ganz wichtig, müssen wir immer auch für uns selber klären, was wir aushalten und er-tragen können? Es nutzt uns und auch der erkrankten Person wenig, wenn uns das Schicksal anderer Menschen so schwer belastet, dass wir keine Hilfe sein können, keine Weggefährt:innen mehr. Besonders problematisch wird, wenn erkrankte Personen neben ihrer eigenen Krankheit dann auch noch den Eindruck bekommen, sie müssten sich um uns kümmern, weil wir mit deren Situation nicht klar kommen. – Das sollte man vermeiden; und falls das passiert, sich als Zugehöriger woanders Hilfe holen, die es auch gibt.]
Und was hat das mit Palmsonntag zu tun?
Der Palmsonntag führt uns durch eine Zeit in der Kirche, die mit den Worten „Himmelhoch jauchzend – zu Tode betrübt“ sehr gut umschrieben werden kann.
Heute der glorreiche, fast schon triumphale Einzug Jesu in Jerusalem und in wenigen Tagen der Karfreitag mit dem Prozess und der Hinrichtung Jesu. Schon heute ‚wissen‘ wir, wohin der Weg Jesu führen wird bis zum Karsamstag. Und heute dürfen wir diesen Feiertag feiern, aber es wäre blauäugig, wenn wir das nicht auch im Hinblick auf die folgenden Tage tun würden. Und ich finde: die großartige Bedeutung des Osterfestes werden wir nur dann erahnen können, wenn wir den Blick für die Zeit zwischen Palmsonntag und Karsamstag nicht verlieren, auch wenn es unbehaglich wird.
Wie wir den Palmsonntag und die nachfolgenden Tage begehen, kann uns auch helfen, unsere Form des Umgangs mit kranken Menschen zu suchen und zu finden, auch und gerade dann, wenn es sich um Schwerstkranke handelt, deren Krankheit unter dem Vorzeichen des nahenden Todes steht.
Mit diesen Worten eines Liedes von Daliah Lavi habe ich meine Gedanken als Krankenhaus-Seelsorger zum Palmsonntag begonnen.
Ich möchte enden mit einem Text der Benediktinerin Sr. Charis Doepgen OSB:
Auf dem Weg nach Jerusalem
mitlaufen oder nachfolgen – Hosianna-Rufe genügen nicht auf dem Weg nach Jerusalem scheiden sich die Geister
Triumph oder Passion – wer ist morgen noch da wer noch am Karfreitag wenn die Richtung eindeutig wird
auch die Getreuen sind angefochten und schwach – wer IHM die Stange hält wird heute einsam
Wo ist mein Platz? Wo möchte ich heute stehen?
mit freundlicher Genehmigung: Sr. Charis Doepgen OSB, in: TE DEUM, April 2022, S. 105
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Palmsonntag und eine gute ‚heilige Woche‘. Wenn Sie auf diesen Beitrag reagieren möchten, dann melden Sie sich gerne. Meine Emailadresse finden Sie hier unter „Kontakt“.
Neues Jahr – neues Glück ?!
Die große Sorge vieler Sozialwissenschaftler:innen zu Weihnachten ist, dass das Weihnachtsfest mit viel zu vielen und zum Teil unerfüllbaren Erwartungen verknüpft wird. Dies führt nicht selten dann zumindest zu Enttäuschungen, manchmal sogar zu Frust und Krach und Streit in den Familien. Am Ende bleibt ein schales Gefühl von einem Fest zurück, dass eigentlich ein ‚Fest der Familie‘ und ein ‚Fest der Liebe‘ gewesen sein sollte.
Das Problem ist nicht, dass dieses Fest mit Erwartungen verknüpft wurde. Das Problem ist, dass dieses Fest mitunter mit zu vielen und/oder unerfüllbaren Erwartungen verbunden wird.
Was glauben Sie, was eine Lösung dafür wäre? —
In wenigen Tagen begehen wir den Übergang von diesem Jahr in das Jahr 2022. Auch am Silvesterabend wird es gegen Mitternacht wieder viele gute Wünsche geben. Und mit vielen Erwartungen wird man in das neue Jahr gehen. Unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte aus 2021 werden in 2022 übertragen. Damit verbindet sich die Hoffnung oder Sehnsucht, dass doch wenigstens in diesem neuen Jahr diese Wünsche wahr werden sollten.
Auch haben manche von uns ganz konkrete Vorstellungen vom neuen Jahr. Da werden Lebensziele in den Blick genommen; ob im persönlichen oder im beruflichen Bereich. Erwartet wird, dass bestimmte Lebensphasen beendet und abgeschlossen und andere neu beginnen werden.
Man wünscht und hofft und sehnt sich nach etwas Bestimmtem für sich oder auch für andere.
Dieser Augenblick, wenn wir uns gegenseitig viel Gutes für das neue Jahr wünschen, ist für mich ein ganz besonderer Augenblick am Jahreswechsel.
Das ‚Neue‘ scheint so unverbraucht, so frei und offen zu sein: alles könnte möglich werden.
Und ja: alles kann möglich werden – aber nicht nur das Gute, sondern auch das, was wir uns vielleicht nicht wünschen und vorstellen.
Ich glaube, wir sind weise, wenn wir das bei all den guten Wünsche zum Jahreswechsel im Hinterkopf behalten. Wünschen können wir uns Vieles, sogar alles. Aber ob es sich erfüllt, steht auf einem ganz anderen Blatt.
Und was wird dann am Ende des nächsten Jahres stehen: Enttäuschung, Frust, Resignation?!
Wir können uns vieles wünschen, was aber vielleicht nicht in Erfüllung gehen kann.
Aber wir können auch vieles dafür tun, dass wir am Ende eines Jahres nicht enttäuscht oder gar resigniert sind.
Schon seit Jahren habe ich mich darum bemüht, diese Nacht von Silvester auf den 1. Januar zu relativieren und dies durch einen kleinen Trick, der gleichsam mein Bewusstsein umprogrammieren soll.
Ich stelle mir vor, dass die Nacht vom 31.12. auf den 1.1. eine Nacht wie jede andere ist. Und wenn mit dem vermeintlich neuen Jahr ein ganz neues Kapitel im Buch meines Lebens aufgeschlagen werden soll mit vielen neuen und unbeschriebenen Seiten, dann ist jede Seite in diesem Kapitel ein einzelner Tag. So wird in jeder Nacht eine neue Seite in diesem Buch meines Lebens aufgeschlagen.
Und was für das Jahr als Ganzes gilt, gilt dann auch für jeden einzelnen Tag: er eröffnet mir was ganz Neues mit allen unzähligen Gelegenheiten, Chancen und Möglichkeiten – theoretisch.
Und diese Sichtweise verändert auch meinen Blick auf jeden einzelnen neuen Tag.
Jeder einzelne, neue Tag birgt in sich das Potential aller Chancen und Möglichkeiten meines Lebens.
( Gerd Wittka, 26.12.2021 )
Und ja: natürlich birgt jeder Tag damit auch das Potential aller Enttäuschungen meines Lebens. Nur: morgen kann es schon wieder anders aussehen.
Diese Perspektive, dass jeder Tag (s)eine neue Chance hat, ermutigt mich dazu, auch jeden Tag als Einzigartigkeit zu sehen, wo Vieles möglich werden kann, aber wo auch Vieles ungenutzt geblieben sein kann.
Christliche Sicht
Nun kann man vielleicht fragen, wie ich das mit meinem christlichen Glauben überein bekomme? Die Antwort ist ganz einfach: es ist die Botschaft der Umkehr und des Neuanfangs; letzthin die Botschaft der Auferstehung – Tag für Tag.
Im Wissen und im Glauben, dass mein Leben nicht unkorrigierbar ist, darf und kann ich jeden Tag als neue Chance begreifen; eine Chance, die mich nicht kettet an meine Vergangenheit, sondern zu der ich durch Jesus Christus und meine Auferstehung befreit worden bin.
Ich finde, dieser Aspekt christlichen Glaubens wird in unserem Leben und in unserem Alltag viel zu wenig berücksichtigt. Denn niemand von uns und auch unsere Zeit ist nicht unveränderlich und deterministisch festgelegt. An jedem Tag und in jedem Augenblick wartet für uns die Gelegenheit, neu zu beginnen und anders zu leben, egal was uns das Leben zumutet. Und wir können jeden Tag und jeden Augenblick auch neu unser Wünsche, Sehnsüchte und Erwartungen formulieren und an die gegenwärtigen Umstände anpassen.
So kann das, was gestern noch konkret an Erwartungen formuliert wurde, heute modifiziert werden und uns morgen davor schützen, dass wir übermorgen frustriert und resigniert auf das Vergangene zurück schauen.
Ich wünsche Ihnen und mir ein gutes, glückliches und gesegnetes neues Jahr 2022 mit vielen Sehnsüchten, Chancen, Möglichkeiten und erfüllten Erwartungen.
Vom Narrativ zur hohen Theologie: alles Weihnachten
Gestern habe ich eine Hausandacht zur Verfügung gestellt, in deren Mitte zwei sogenannte „Wort-Wolken“ standen. Das Evangelium des Tages war die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, wie sie dort im 2. Kapitel zu finden ist.
In sehr anschaulichen Bildern ‚berichtet‘ uns Lukas von der Geburt Jesu Christi; was in Wahrheit gar kein Bericht im sachlichen Sinne ist, denn niemand von den Autoren des Neuen Testamentes war dabei oder konnte sich auf historische Zeug:innen der Geburt Jesu von Nazareth berufen. Die Geburtsgeschichte Jesu in dieser erzählenden Form geschieht einerseits auf dem Hintergrund der Erzählkultur des Nahen Ostens und des Orients und andererseits ermöglicht sie uns einen ‚herzlichen‘ Zugang zur Geburt des Erlösers Jesu Christi. ‚Herzlich‘ nenne ich den Zugang deshalb, weil die Weihnachtsgeschichte nach Lukas wirklich ‚zu Herzen geht‘, auch mir. Sie gehört für mich zum unverzichtbaren Bestandteil des jährlichen Weihnachtsfestes.
‚Herzlich‘ nenne ich sie deshalb auch, weil der theologische Zugang zum Weihnachtsfest nicht nur über die hohe Theologie führt, sondern auch über das Herz, über Emotionen/Gefühle. Es ist dieser ‚herzliche Zugang zum Geheimnis der heiligen Nacht‘ den A. de St. Exupery in seinem Werk ‚Der kleine Prinz‘ in die Worte fasst:
„Man sieht nur mit dem Herzen gut; das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“
A. de St. Exupery, Der Kleine Prinz
Dieser Zugang zum ‚Geheimnis der heiligen Nacht‘ ist sicherlich auch der Grund, warum so viele Menschen gerade zu Weihnachten unsere Gottesdienste mitfeiern (sei es als Präsenzveranstaltung oder auch über die verschiedensten Medien).
Vielleicht nennen viele Weihnachten auch deshalb das „Fest der Liebe“.
Wer die Weihnachtsgeschichte nach Lukas liest oder hört, der wird das, um was es bei Weihnachten geht, mit dem Herzen erfassen – meist auf direktem Weg vom ‚Ohr ins Herz‘. Dabei spielen natürlich auch unsere Gefühle als ein Element, unser Leben zu deuten und zu verstehen, eine ganz maßgebliche Rolle.
Ver-dichtung
Heute, am 1. Weihnachtstag, dem eigentlichen „Hochfest“ steigt uns das Evangelium buchstäblich zu Kopfe. Heute hören wir die Weihnachtsbotschaft nach Johannes, die im strengen Sinne keine ‚Geschichte‘ ist, deshalb nenne ich sie auch nicht ‚Weihnachtsgeschichte nach Johannes‘.
Denn dieser Text spricht eine ganz andere Sprache: es ist die Sprache des Verstandes, der Philosophie, der Kunst der Dichtung und insofern eine pure ‚Verdichtung‘ des Weihnachtsereignisses.
Wer heute ‚verstehen‘ will, braucht schon etwas Zeit und Ruhe, um den Text auf sich wirken zu lassen. Dann aber explodiert der Text mit seinen vielen Facetten und Aussagen (darauf möchte ich jetzt hier aber nicht näher eingehen).
Einen Schlüssel möchte ich aber dennoch ‚an die Hand geben‘: vergleichen Sie den Anfang des Johannes-Evangeliums mal mit der Schöpfungsgeschichte nach Genesis (1 Mose), und achten auf die ‚Funktion‘ des Wortes. Ent-decken Sie etwas?
Erinnern Sie sich noch an die Überschrift über diesen Beitrag?
Da steckt das Wort „Wortneuschöpfung“ drin. Darunter verstehen wir eigentlich, wenn ein ganz neues Wort in unserer Sprache geschaffen wird: ein neues Wort ist da und kann in unseren Wortschatz und Sprachgebrauch aufgenommen werden. Besonders die Jugendsprache ist sehr kreativ in Wortneuschöpfungen.
Bei Weihnachten geht es aber um keine ‚Wortneuschöpfung‘ sondern um wort.neu.schöpfung.
Die Welt, die am Anfang allen Seins durch Gottes Wort geschaffen wurde (vgl. Genesis/ 1 Mose), wird nun durch das menschgewordene Wort Gottes = Jesus Christus neu geschaffen.
Durch Weihnachten bricht eine ’neue‘ Schöpfung an, die alle menschliche Existenz und die ganze Schöpfung nicht der Hoffnungslosigkeit und der Unendlichkeit des Todes überlässt, sondern der ‚Anfang der Ewigkeit‘ wird.
Gerd Wittka, 25.12.2021
Ich möchte Sie heute einfach mal einladen, sich einen Augenblick der Ruhe, Stille und Besinnung zu nehmen und Sie bitten, mal über Folgendes nachzudenken:
Wo sehne ich mich danach, dass etwas ’neu‘ in meinem Leben geboren werden soll?
„Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selber sagen!“ – so ein Sprichwort. Welche Zusagen, Impulse oder Ermutigungen brauche ich dazu? Von wem kann ich solche Ermutigungen annehmen und auch ‚zu Herzen nehmen‘?
Konkret: An welche Worte Jesu erinnere ich mich und welche Worte Jesu gehen mir ‚zu Herzen‘, sprechen mich an und motivieren mich in meinem Glauben?
Ich wünsche Ihnen an diesem ersten Weihnachtstag, dass Ihr Leben von dieser wort.neu.schöpfung berührt wird, es in Ihnen neu geboren werden kann und Sie in Ihrem Leben begleitet und stärkt.
Es heißt: im Anfang war das Wort –
mir deucht: im Anfang war die Liebe.
Luise Baer (19./20. Jhdt.), deutsche Schriftstellerin – Quelle: Baer, Jahresgedanken einer Frau, 1921
In der heutigen Laudes vom 10.12.2021 bete ich als Canticum diesen Text aus dem Buch der Weisheit. Für mich ist dieses Buch ein ‚gutes‘ Buch im Alten Testament. Was dort über die ‚Weisheit‘ gesagt wird, übertrage ich gerne auf den Heiligen Geist. Anstelle des Wortes „Weisheit“ füge ich oft „Heiliger Geist“ ein.
Und dann bekommt dieser Text für mich eine ganz neue Prägung.
Ich bin ja – nach wie vor – der Meinung, dass der Heilige Geist und seine Verehrung in unserem christlichen Glauben viel zu kurz kommt.
Dabei ist schon im Schöpfungsbericht von ihm die Rede:
Genesis (1 Mose) 1,1-2: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war noch leer und öde, Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser, und über den Fluten schwebte Gottes Geist.„
Belastendes und Demotivierendes
Für mich sind, gerade auch in der heutigen Zeit, solche biblischen Texte entlastend und motivierend. Gestern noch sprach ich im Rahmen einer Fachkonferenz mit Kolleg:innen in einem Jahresrückblick darüber, was alles in diesem Jahr 2021 gelaufen war. Dabei fiel mir auf, dass eigentlich alle – durch die Bank – erwähnten, wie besonders diese gegenwärtige Zeit, die letzten zwei Jahre, durch die Corona-Pandemie geprägt sind. Vieles, was wir angegangen und geplant haben, war zumindest ‚vorläufig‘ oder provisorisch, manches vermeintlich auch ‚für die Katz‘, weil Geplantes kurzfristig abgesagt oder zumindest verschoben werden musste. Bilder oder Begrifflichkeiten, die die Instabilität der Lebens- und Arbeitsumstände ins Wort brachten, wurden genannt.
Ich denke, dass es anderen Menschen in ihrem eigenen Leben (ob beruflich oder privat) nicht viel anders ergangen ist – vielleicht manchen sogar noch schlechter, weil Lebensfundamente weggebrochen sind. Besonders hart traf und trifft es die Opfer der Flutkatastrophe im Sommer dieses Jahres.
Angesichts solcher Situationen stellt sich zumindest bei mir immer wieder die Frage: „Wie schaffe ich das alles?“ – „Woher nehme ich noch die Motivation?“ – „Was kann ich gegenEntmutigungs- oder Ermüdungserscheinungen tun?“
Dazu kommt auch, dass dieser Stress mental und emotional auch Folgen hat – ich spüre es zumindest bei mir: ich werde dünnhäutiger und leichter reizbar. Wenn ich etwas als ungerecht oder falsch empfinde, bringt mich das persönlich mehr auf die Palme als sonst.
Mir und anderen gerecht werden – aber wie?
Wenn ich dann wieder herunter komme und zur Ruhe kommen kann, geht es mir damit nicht unbedingt viel besser. (Es ist ja schon mal gut, dass es in solchen Zeiten überhaupt noch Gelegenheiten gibt, selber zur Ruhe zu kommen, um Zeiten des Gebetes, der Meditation und der Reflexion zu finden.)
Denn: wer kann schon damit zufrieden sein, wenn es nicht so läuft, wie man es geplant oder sich gedacht hat? Ich bin es zumindest nicht. Das liegt vielleicht auch darin, dass ich eher Perfektionist bin. Gelassenheit und Langmut sind nicht meine eingeborenen Stärken.
Ein gutes Wort zur richtigen Zeit
Da sind solche Worte, wie heute in der Laudes für mich persönlich das ‚gute Wort zur rechten Zeit‘! Da ist von der Weisheit die Rede, die Gottes ständige BegleiterIN ist und die Gott auch den Menschen zur Seite stellen will. Der Mensch, hier der Protagonist des Betenden, weiß um seine Aufgabe und seine göttliche Sendung. Zugleich weiß er aber auch um seine Begrenztheiten, seine Schwächen und seine Unvollkommenheit.
Allein das einzugestehen – ist das nicht schon Werk der Weisheit? – Ich denke schon!
Für den Betenden aus diesem Canticum ist die Weisheit von Anfang an und mit einem klaren ‚Auftrag‘, nämlich einsichtig zu machen, was Gott gefällt und recht ist nach seinen Geboten.
Die Weisheit ist also die Begleiterin Gottes, die alles in ein anderes Licht und in größere Zusammenhänge setzen kann.
Um diese Begleitung betet unser Protagonist im heutigen Text, in dem Wissen, dass auch sie ihm Einsicht schenken kann und sogar „alle Mühe mit“ ihm „teilen“ kann.
In dem Wissen, dass geteilte Mühe halbe Mühe ist, so wie geteiltes Leid halbes Leid ist (Volksmund), so vertraut der Betende darauf, dass die Weisheit und ihr Wirken entlastend sein kann, damit man wieder den „Kopf frei bekommt“.
Die Weisheit, die „alles weiß und alles versteht“ hat auch die Kraft, „mich in meinem Tun besonnen zu leiten und mich in ihrem Lichterglanz (zu) schützen…“.
Die Weisheit Gottes hat also etwas Erhellendes, gerade dort, wo wir Dunkelheit spüren, wo unsere Wege nicht klar erkennbar sind.
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Gottes Weisheit, Du heilige Geistkraft, die du von Anfang an warst und auch heute noch bist.
Die du geschaffen hast und Einsicht schenkst; die du Mühen teilst und mich besonnen leiten möchtest,
öffne mich auf dich hin, damit ich dich, die Schöpferin, Geistbewegerin und Schützerin sehnsuchtsvoll erwarte, dass du ankommen darfst in mir und mich führst und entlastest und ermutigst für meine nächsten Schritte.
Amen.
(Gerd Wittka, 10.12.2021)
Ad multos annos …?
Ich lege persönlich keinen besonderen Wert auf meinen jährlichen Geburtstag.
Denn eigentlich ist jeder Tag die Erinnerung an meine Geburt und dass ich leben darf. Jeder Tag ist für mich ein Tag, in dem ich dankbar sein kann, dass ich lebe und Gott bitten darf, auch weiterhin gut leben und arbeiten zu können; dass ich Gott loben und danken kann für dieses Leben und ihn bitten darf, mich auch weiterhin in seiner Liebe zu bergen.
„Es geht mir gut…“
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Heute Nacht hatte ich einen Traum.
Ich sah meinen Bruder Eric, der am 13.10.2013 gestorben war. Sein Gesicht war so klar und so vertraut, wie ich es zu seinen irdischen Lebzeiten kannte.
Und er sprach nur einen Satz zu mir: „Es geht mir gut!“
Danach erwachte ich. Als ich auf die Uhr schaute, war es genau 3.00 Uhr!
Ist das nicht eigenartig; ein solcher Traum am frühen Morgen des Allerheiligen-Tages?!
Gedanken-Experiment: Sinn
In manchen Situationen erlebe ich, dass Menschen die Frage stellen: „Warum?“ Das ist oft der Fall, wenn eine schwere Krankheit diagnostiziert wird oder wenn ein Mensch plötzlich oder sehr früh stirbt.
Hinter dieser Frage nach dem „Warum?“ steht die Frage nach dem Sinn.
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Wir haben uns daran gewöhnt, die Frage nach dem Sinn, zum Beispiel nach dem Sinn des Lebens, nach dem Sinn meines Lebens wie selbstverständlich zu stellen. Und wie selbstverständlich suchen wir darauf eine Antwort.
Ich habe auch immer noch die Hoffnung, dass mein Leben einen tieferen Sinn hat.
Aber angesichts so mancher vermeintlicher ’sinnlosen‘ Erfahrungen, wage ich mich immer mehr zu fragen, ob die Frage nach dem Sinn des Lebens überhaupt sinn-voll ist?
Da sehe ich Menschen in anderen Ländern, die nur dahin vegetieren, die nicht leben und auch nicht sterben können, die unterdrückt werden oder Opfer von Gewalt werden. Ihr Leben erscheint mehr wie ein biologisches Dahinvegetieren. Ob diese Menschen überhaupt die Zeit haben, sich die Frage nach ihrem Lebenssinn zu stellen? Oder können sich diese Frage erst Menschen stellen, die dafür den Kopf frei haben, die nicht um das nackte Überleben kämpfen müssen, die nicht gerade vom Leid zerfressen werden?
Daher wage ich es einfach mal, ein Gedanken-Experiment zu wagen:
Was würde mit mir passieren, wenn ich von der Prämisse ausginge, dass es überhaupt keinen – transzendenten – Sinn in meinem Leben gibt?
Natürlich kann ich einen Sinn im rein Funktionellen suchen und finden. Dann wäre unser Leben aber kaum unterschieden von dem Leben anderer Kreaturen, die gleichsam lediglich eine biologische Nische ausfüllen, wo es um das Leben und Überleben und um die Erhaltung der Art geht. Zugleich wäre dieses Leben von „Fressen und Gefressenwerden“ bestimmt.
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Was würde sich also in meinem Leben verändern, wenn ich davon ausgehe, dass mein Leben in diesem Sinne „keinen Sinn hat“; wenn es zum Beispiel bei religiösen Menschen nicht auch um die Frage nach dem Leben danach ginge? Was wäre, wenn es überhaupt kein „danach“ gäbe? – Wofür würde ich dann noch leben wollen?
Woher würden wir Visionen entwickeln für eine bessere Zukunft, wenn nicht nur die reiner Erhaltung der Art dahinter stünde (BTW: Bei dem derzeitigen Umgang mit der Klimakrise bekomme ich immer mehr den Eindruck, dass selbst diese primitive Form der Existenz einer Art, sich um die eigene Erhaltung der Art zu kümmern, bei uns noch nicht einmal – mehr – vorhanden ist; sonst würden wir mit viel mehr Entscheidenheit diese Herausforderung angehen!)?
Stellte ich also die Frage nach dem Sinn mit der Frage nach dem „danach“ in Frage, müsste ich weiter suchen. Dann würde ich irgendwann zu der Frage kommen, warum ich JETZT noch leben möchte?
Die Sinnfrage würde also dann mehr und mehr auf die Gegenwart, auf den Augenblick, auf das Jetzt gerichtet werden müssen. Und an diesem Punkt entdecke ich auch als religiöser Mensch das Potential für eine Antwort. Dann werde ich nämlich irgendwann auch an den Punkt gelangen, wo ich lernen muss, das Leben so zu leben und anzunehmen, wie es ist. Dann wird die Sinnfrage sich allein in diesem Augenblick entscheiden müssen.
„Es ist, was es ist…“ – so Worte von Erich Fried.
Wer sich frei macht von der Frage, was ‚einmal mein Leben Sinn geben soll‘, der wird mehr und mehr auf die Gegenwart geworfen sein. Was ist jetzt? – „Es ist, was es ist…“ – Das verweist uns auf den Augenblick.
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Auf den Augenblick verwiesen zu sein, wenn es mir ‚gut‘ geht, wenn ich mein Leben gut meistern kann, wenn ich frei bin von Not, Leid oder Krankheit – das ist keine Kunst. Dann kann ich sogar eine tiefere Zufriedenheit entwickeln, die aus der reinen Freude am Leben erwächst.
Deutlich problematischer wird es aber, wenn mein Leben in diesem Augenblick überhaupt nicht schön ist, sondern von Krankheit, Gewalt, Leid oder Not gekennzeichnet ist.
Da wird es sehr schwierig, aus dem Augenblick heraus zu leben und neue Kräfte zu entwickeln, um durch diese schwere Zeit zu kommen.
Da wird es wohl nötig sein, Visionen zu entwickeln, wofür ich (noch) leben möchte?
Jetzt wird es schwierig für mich, weiter zu denken: entweder ich nehme das Leben so an, wie es ist, oder aber – ohne eine Antwort nach einem Sinn – mein Leben wird sinn-los und es steigt die Möglichkeit, mein Leben vor der Zeit zu beenden.
Es geht auch noch anders: ich verknüpfe die Frage nach dem Sinn des Lebens doch mit einer ‚transzendenten‘ Anwort nach dem Sinn des Lebens. Was aber, wenn das nur ein raffinierter Kniff der eigenen menschlichen Psyche ist, um nicht vorzeitig aus dem Leben treten zu wollen.
Die Frage nach dem Sinn des Lebens für ein ‚Leben danach‘ kann nur eine Antwort aus einer Hoffnung heraus sein; eine Hoffnung, die wir zu den irdischen Lebzeiten niemals erfüllt sehen werden.
Eine liebe Freundin von mir (und Ordensfrau und Kollegin) sagte immer wieder vor ihrem Sterben: „Ich habe noch viele offene Fragen, die ER mir wird beantworten müssen.“ Diese Freudin war durchdrungen vom Glauben an das zukünftige Leben, aber ihr war auch klar, dass manche Antworten auf den Sinn werden warten müssen, jenseits der Zeit.
Können wir uns aber damit zufrieden geben, wenn wir die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen? Ich fürchte: wir müssen es!
Es sei denn, wir lernen das Leben so zu leben, wie es ist, ohne nach dem Sinn zu fragen, ohne die Frage nach dem „Warum?“ beantwortet haben zu müssen.
Vielleicht bin ich in den letzten Jahren sensibler geworden; vielleicht habe ich auch durch meine Arbeit in der Krankenhaus-Seelsorge einen anderen Blick darauf bekommen, wie zerbrechlich das Leben und unsere Existenz ist.
Fakt ist: mehr als früher rühren mich die Bilder der Umweltkatastrophe im Herzen Europas in diesen Tagen an.
Ich wache auf mit meinen Gedanken an die Menschen dort und wenn ich mich zum Schlafen niederlege, widme ich den letzten Gedanken des Tages und mein letztes Stoßgebet an unseren Herrn und Bruder Jesus Christus diesen Menschen, die so bedrängt sind in ihrer Not.
Und ich spüre eine große Dankbarkeit; dafür, dass ich sicher wohnen und schlafen kann. Ich spüre eine große Dankbarkeit für Vieles, was mir manchmal so selbstverständlich vorkommt, denn mir wird vor Augen geführt, dass eigentlich NICHTS EINE SELBSTVERSTÄNDLICHKEIT ist.
„Herr, ich werfe meine Freude, wie Vögel an den Himmel. Die Nacht ist verflattert. Ein neuer Tag, von deiner Liebe, Herr. Ich danke dir.“ (frei zitiert nach einem Gebet aus Afrika)
Eine solche Sicht, dass nichts selbstverständlich ist und die daraus wachsende Dankbarkeit treibt mich auch um in der Frage, was ich tun kann, um Leiden zu mindern und zu helfen.
Sexualität und Spiritualität
“ … und diese Liebe auch …“
Quelle: unsplash.com
Am 29. Mai 2003 – also vor gut 18 Jahren – habe ich auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Homosexualität und Kirche (HuK) im Rahmen des 1. Ökumenischen Kirchentages in Berlin an einer Podiumsdiskussion der Podienreihe: Und diese Liebe auch! – Homsoexuelle und Kirche, mit dem Titel: „„… mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ – Über den Zusammenhang zwischen Sexualität und Spiritualität tauschen sich Menschen unterschiedlicher Sexualität und Spiritualität aus“ teilgenommen.
Heute, im Mai 2021, hängen Rainbow-Flags als Zeichen des Protestes gegen das vatikanische Verbot von Segnungen homosexueller Paare an unzähligen Kirchen der römisch-katholischen Kirche in Deutschland.
Da erinnere ich mich wieder sehr an meine damaligen Ausarbeitungen zum 1. Ökumenischen Kirchentag und an mein Statement bei der Podiumsdiskussion zum Thema:
Sexualität und Spiritualität.
Angesichts der aktuellen Debatte in unserer Kirche möchte ich meine damaligen Abhandlungen heute hier noch einmal dokumentieren.
Sie zeigen nämlich deutlich das Defizit auf, unter dem auch aktuelle Diskussionen über dieses Thema immer noch leiden, nämlich das fehlende Bewusstsein, dass unsere Spiritualität gar nicht ohne unsere je eigene Sexualität möglich ist.
Die Abgrenzung der Sexualität von der Spiritualität hat in der kirchlichen Vergangenheit viel Leid und Diskriminerungen hervorgebracht.
Mit der erneuten Dokumentation meiner damaligen Arbeit möchte ich einen kleinen Beitrag leisten, beide Themenbereiche wieder in den notwendigen und nötigen Zusammenhang zu sehen, zu verstehen und bei allen zukünftigen Überlegungen mit zu berücksichtigen.
Einige Gedanken und Formulierungen, die ich dort vor 18 Jahren getan habe, kann ich heute – nach dem aktuellen Stand der (Gender-)Forschung so nicht mehr aufrechterhalten. Aus historischen Dokumentationszwecken habe ich sie aber beibehalten, doch mit entsprechenden Vermerken versehen.
Quelle: www.pixabay.com
Als erstes dokumentiere ich mein Statement am Beginn der Podiumsdiskussion. Dann liefere ich die mit wissenschaftlichem Apparat versehener Ausarbeitung nach, die natürlich als Grundlage meines Statements anzusehen sind und welches von dieser geprägt wurde.
Wen würde es wundern, wenn ich von mir sagen würde: dieses Bild ist für mich ein wirklich adventliches Bild? – Sie vielleicht?
Dieses Bild drückt für mich die adventliche Sehnsucht am heutigen dritten Adventssonntag aus. Es steckt so viel darin, was wir eigentlich vom christlichen Ursprung her mit dem Advent verbinden.
Stille
Als Erstes ist es die Stille, die dieses Bild so eindrucksvoll zum Ausdruck bringt. Selbst wenn es ein Bild mit Ton wäre, würden wir ‚Stille‘ spüren und ‚hören‘. Es scheint paradox, aber Stille ist nicht wirklich klang- und tonlos. Es gibt immer etwas, was auch in der Stille zu hören ist. Stille und Geräuschlosigkeit sind verschieden. Ich muss es Ihnen nicht in Worte fassen. Sehen Sie sich selbst einmal dieses Bild an, versetzen Sie sich selbst in die Lage, Sie würden da an diesem Pier stehen oder sitzen; in warmer Kleidung oder eine kuschelige Decke eingehüllt … Was hören Sie nun in der Stille…?
Weite
Als Zweites fällt mir die ‚Weite‘ auf, die von diesem Bild ausgeht. Auch das ist irgendwie paradox, denn wir sehen nur einen kleinen Ausschnitt einer Realität. Wir sehen vielleicht in der Breite gut 10 Meter. Was direkt daneben ist, wissen wir nicht. Aber gerade dieser Fokus auf diesen kleinen Ausschnitt ermöglicht uns vor unserem geistigen Auge, Weite und Tiefe zu ahnen. So ist es auch, wenn wir uns in der Winterzeit z.B. in einen Raum zurück ziehen, der nur schwach erleuchtet ist, vielleicht nur mit einer kleinen Lampe und einer Kerze auf dem Tisch. Der sonst im Hellen besehene größere Raum verkleinert sich optisch. Dadurch nehmen wir auch weniger wahr und werden auf weniges fokussiert. Diese ‚Sichtfeldeinschränkung‘ hat auch den angenehmen Nebeneffekt: sie schützt uns vor Reizüberflutung. Der optisch kleinere Raum kann einer geistigen Weite förderlich sein. Und eine solche ähnliche Wirkung hat es auch, wenn wir dieses Bild betrachten.
Advent = Weite und Stille durch Fokussierung
Das ist für mich eine wesentliche Seite des Advents; wenn wir durch eine äußere und geistliche Fokussierung uns auf eine spirituelle Erfahrungsreise begeben und Räume wahrnehmbar machen, die uns sonst in den Anstrengungen, der Betriebssamkeit und Hektik des Alltags verschlossen bleiben.
Ich brauche gar nicht mit einer Komsum- Kapitalismus- und Kommerzialisierungskritik zu kommen, um für mich zu erkennen, dass diese Dimension des Advents gerade in der Adventszeit viel zu kurz kommt.
Schauen Sie sich dazu als ein Beispiel nachfolgendes Bild an. (Geht das überhaupt ‚in Ruhe‘?!)
Vergleichen Sie dir Wirkung dieses Bildes mit der Wirkung des ersten Bildes. Welches Bild tut Ihnen geistig-spirituell mehr gut?
Die Überschrift scheint ebenfalls paradox. Aber ich selber erlebe die Zeit nach den Weihnachtsfeiertagen mehr als adventlich geprägte Zeit, wo Geist und Sinne zur Ruhe kommen können, als die eigentliche Adventszeit vor ‚Heilig Abend‘.
Da läuft doch was gründlich schief, wenn ich zwischendurch den Gedanken in mir wahrnehme:
Ich bin froh, wenn die Adventszeit mit ihrer reizüberflutenden Geschäftigkeit baldvorbei ist.
Einer meiner Lieblingstexte in dieser Zeit ist ein Gedicht von Joseph von Eichendorff, dass auch als Lied vertont wurde: „Oh du stille Zeit“:
O du stille Zeit, Kommst, eh wir´s gedacht über die Berge weit, über die Berge weit Gute Nacht!
In der Einsamkeit rauscht es nun sacht, über die Berge weit, über die Berge weit, Gute Nacht!
Text: Joseph v. Eichendorff (1788-1857)
Ich wünsche Ihnen noch einige besinnliche und gesegnete Adventstage! Machen Sie das Beste draus!
Jahrhundertsommer 2018. Weite Teile Deutschlands sind von brütender Hitze gefangen. Die Felder dörren total aus, Regen wäre bitter nötig. Die Waldbrandgefahr in Wäldern ist auf höchster Stufe ausgerufen. Das Rauchen am und im Wald sowie Lagerfeuer und Grillen sind strengstens verboten. Doch dann fliegt er, diese eine Funke, der das Feuer entzündet. Lichterloh schlagen die Feuerzungen gen Himmel, eine Rauchsäule ist kilometerweit zu sehen. In Ostdeutschland brennt ein Wald. Fast zeitgleich wüten gigantische Waldbrände in Kalifornien. Menschen verlassen ihr zuhause – manche zu spät und kommen in den Flammen um. Die Luftzirkulation, die durch die Hitze entfacht wird, verstärkt die Winde, die das Feuer über riesige Wald- und Steppenflächen treibt.
Hier wie dort, sind die Menschen in Angst und Schrecken, fürchten um ihr nacktes Überleben. Ihr bis dahin sicher geglaubtes Leben wird nun existentiell bedroht.
Am letzten Montag dann die Unwetterwarnung für unsere Stadt: heftigste Gewitter und Unwetter mit Starkregen, Hagel und Sturm. Ich denke: jetzt muss ich doch wieder um die Pflanzen auf meinen Balkon bangen und hoffe, dass der Sturm nicht wieder alles durcheinander wirbelt. Im letzten Jahr fiel ein großer Baum direkt vor unserem Haus, aber – Gott sei Dank – weder auf das Haus noch auf Passanten.
Jemand sagte mir am Mittwoch: „Bei dem Gewitter in der Nacht von Montag auf Dienstag habe ich es schon etwas mit der Angst bekommen.“
Angst hatten auch die Jüngerinnen und Jünger Jesu, als sie sich nach der Himmelfahrt Jesu in das Obergemach zurückzogen und sich verbarrikadierten. Sie hatten Angst, auch Angst um ihr Leben und dass die Juden ihnen nach dem Leben trachten könnten, jetzt, da ihr Herr nicht mehr unter ihnen war. Und sie beteten. Sie taten es so, wie der Herr ihnen aufgetragen hatten. Aber: sie hatten Angst.
Und dann geschah dieses unglaubliche Ereignis, das die Apostelgeschichte umschreibt mit den Bildern von Feuerzungen und Sturmesbraus.
Gelesen hört sich das so harmlos an. Und auch so manche Bilder von Pfingsten, wo die Christengemeinde einmütig zusammensteht und über ihnen die Feuerzungen zu sehen sind – geradezu idyllisch.
Aber, liebe Schwestern und Brüder, ich ahne mehr und mehr, dass dem nicht so war.
So, wie sich Menschen im letzten Jahr vor dem Feuer und dem Sturm fürchteten und Angst um ihr Leben haben mussten, so kann auch das Wirken des Heiligen Geistes bedrohlich und zerstörerisch empfunden werden.
Ich glaube, wir tun gut daran, das Pfingstereignis damals – und auch heute – nicht als ein harmloses Geschehen zu betrachten.
Auch heute leben wir in einer Zeit und in einer Kirche, wo es zu massiven Auseinandersetzungen kommt. Es bilden sich Lager, die sich offenbar oder vermeintlich gegenüber stehen.
Manche befürchten gar eine Kirchenspaltung. Und so dreschen welche aus dem konservativ-traditionalistischem Lage auf jene ein, die Kritik üben und sich das selbständige Denken nicht verbieten lassen wollen.
Auch hier zeigt sich Angst. Und in diese Angst hinein will der Heilige Geist heute zu uns kommen. Aber zuerst nicht beschwichtigend und beruhigend, sondern auch hier und heute kann es richtig rund gehen in unserer Kirche, wenn der Sturm des Heiligen Geistes Bestehendes durcheinander wirbelt und wenn die Feuersglut des Heiligen Geistes von Menschen Erbautes niederbrennt. Ich persönlich mache mich schon lange darauf gefasst, dass wir mittendrin sind in einer stürmischen Zeit. Und ich hoffe darauf, dass sich in diesem Sturm – der sich durchaus auch auf manche von uns beängstigend auswirkt – der Heilige Geist selber am Werk ist.
Vielleicht zerstört der Heilige Geist sogar unsere ganzen bisherigen Sicherheiten und Zufluchtsorte und drängt uns, das sichere Umfeld zu verlassen und hinaus zu gehen, in die Welt, in die Sorgenwelten der Menschen, in die Angst und Not dieser Zeit.
Vielleicht ist es gerade das stürmische Wirken des Heiligen Geistes, das uns eine neue, eine andere Sprache, finden lässt in dieser Welt und für diese Welt.
Denn das ist für mich das Tröstliche des heutigen Tages: Feuer und Sturm können als Bedrohung erfahren werden, aber sie setzen etwas frei – Energie und Engagement. Sie setzen in uns Fähigkeiten frei, die wir bislang zu wenig oder gar nicht mehr genutzt haben, nämlich zum Beispiel, wieder zu lernen, die Sprache der Menschen um uns herum zu sprechen und nicht in unserem kirchlichen Jargon zu bleiben, den – außer uns – sowieso keiner mehr versteht.
Das Tröstliche für mich ist, dass diese neue Sprache offenbar von den Menschen verstanden wird und sie selbst am meisten darüber erstaunt sind, dass sie uns (wieder) verstehen! Denn: geglaubt haben sie es eigentlich nimmer mehr, dass die Christen in der heutigen Zeit der Welt noch etwas mitzuteilen und zu geben haben.
Tröstlich für mich ist auch, dass aus einer bedrohlichen Kraft die Menschen spüren, dass dahinter etwas sehr Konstruktives und Kreatives steckt, nämlich die Schöpferkraft des Heiligen Geistes.
Ich wünsche uns allen, dass wir uns von dieser Kraft des Heiligen Geistes vertrauensvoll anstecken lassen und darauf vertrauen, dass das Pfingstereignis damals in Jerusalem kein einmaliges Pfingstwunder war. Es kann und – daran glaube ich ganz fest – es wird auch heute in unserer Zeit wieder geschehen. Lassen wir es zu und hindern wir den Heiligen Geist nicht, das göttliche Werk zu vollenden.
Man stelle sich folgende Situation vor: In einer Ehe, einer Partnerschaft oder Beziehung fragt der eine Teil den anderen: „Liebst du mich?!“
Diese Frage würde aufhorchen lassen. Würde diese Frage abgewandelt: „Liebst du mich überhaupt noch?“, dann könnte es sein, dass die gefragte Person schon mal die Kontaktdaten eine Ehe- oder Beziehungsberatungsstelle heraussucht. Ähnliches gilt sicherlich auch für Freundschaften oder für andere sehr vertraute Beziehungen.
„Liebst du mich?“ – „Bin ich immer noch dein (bester) Freund/deine (beste) Freundin?“
Wer solche Frage dann gleich dreimal gestellt bekommt, dessen Gefühle werden wohl beginnen Achterbahn zu fahren
Fragen stellen sich in den Raum:
Kriselt es in unserer Beziehung?
Habe ich was falsch gemacht?
Was habe ich falsch gemacht?
Werde ich dem/der anderen nicht mehr gerecht?
…
und damit können auch Gefühle verbunden sein:
Unsicherheit
Hilflosigkeit
Traurigkeit
vielleicht sogar Ärger und Wut.
Fragen in einer Beziehung zu stellen, die die Beziehung betreffen, sind immer gefährlich; gefährlich deshalb, weil sie Missverständnissen Tür und Tor öffnen können.
Mit solchen Fragen sollte man deshalb behutsam umgehen und sich sorgfältig überlegen, in welchem Setting, in welcher Situation, man solche Fragen stellt.
Kein Wunder, dass die dreimalige Frage Jesu an Petrus: „Liebst du mich?“ ihn ‚traurig‘ gemacht hat, wie es in der Schriftstelle heißt.
Kann Jesus sich denn nicht denken, dass er (Petrus) ihn liebt?Was mir auffällt, ist, dass Jesus und Petrus in ihrer Beziehung so unkompliziert von „Liebe“ sprechen können.
Wir haben uns daran gewöhnt, dass in den biblischen Texten Jesus von Liebe spricht, wenn er über seine Beziehung zu den Jüngerinnen und Jüngern redet.
In unseren eigenen Beziehungen verwenden wir den Begriff ‚Liebe‘ doch nur sehr exklusiv: wir können sagen dass wir unsere PartnerIn lieben, vielleicht auch noch unsere Eltern und Großeltern oder unsere Geschwister.
Aber können wir auch bei den anderen Menschen in unserem Leben, zu denen wir ein vertrauliches Verhältnis haben, von „Liebe“ sprechen?
(Sie können ja mal ein Experiment machen, in dem Sie Ihrer Freundin oder Ihrem Freund sagen, dass sie sie/ihn lieben. Es könnte zu überraschenden oder irritierenden Reaktionen kommen. Warum?)
Ich denke, dass fällt uns eher schwer, weil das in unserer Kultur so nicht üblich ist.
In der Kultur Jesu und auch parallel dazu in der antiken römischen Kultur hatte man damit aber keine Probleme.
Der antike Schriftsteller Cicero hat sich zu diesem Thema in seiner Schrift „Laelius de amicitia“ ausgelassen. Darin beschreibt er unter anderem das Wesen der Freundschaft. Das lateinische Wort „amicitia“ beinhaltet den Wortstamm „amare“ der „lieben“ bedeutet.
Der Alte Lateiner kannte also noch ganz selbstverständlich den Zusammenhang von „Freundschaft und Liebe“
Warum ich das so weit ausführe? Weil ich deutlich machen möchte, dass die selbstverständliche Rede in der Bibel für unseren Alltag heute gar nicht so selbstverständlich ist und daher die Quelle von Missverständnissen sein kann.
Wenn Jesus also im Evangelium Petrus heute fragt: „Liebst du mich?“, dann will er den Kern dieser Freundschaft in den Blick nehmen; das, was diese Beziehung prägt und auch zusammenhält.
Und ja, er geht damit ans Eingemachte!
Warum? Weil Jesus vielleicht ahnt, dass die Beziehung zwischen ihm und Petrus Einiges wird aushalten müssen, wenn sie nicht zerbrechen will?
Vielleicht, weil er Petrus genau darauf mental vorbereiten will?
Diese Frage ist also nicht so sehr eine Vergewisserung für Jesus, sondern eine Selbstvergewisserung für Petrus?
Und so gesehen dürfen wir uns selbst von Jesus auch immer wieder diese Frage stellen lassen, ohne unsicher oder traurig zu werden.
Auch unsere Beziehung zu Jesus Christus wird immer wieder herausgefordert werden.
Sie kann zur Belastung werden, wenn die Botschaft Christi für unser konkretes Leben unbequem wird.
Sie kann nur Belastung werden, wenn wir hoffen, auf Christus ganz und gar vertrauen zu können, aber Zeiten der Zweifel auftreten.
Es gibt aber noch einen anderen Aspekt, dieser Frage, der die frohe und schöne Seite unserer Christus-Beziehung in den Blick nimmt.
Wenn Menschen sich wichtig sind, dann – hoffe ich – dass sie sich immer wieder gegenseitig sagen können, dass sie sich lieben.
Dieses Liebesbekenntnis ist nicht nur wichtig für den Teil, dem dieses Bekenntnis gesagt wird.
Es ist mindestens genau so wichtig für den selber, der es sagt.
Denn indem wir jemand anderem sagen können: • dass er oder sie unser tiefstes Vertrauen genießt, • dass wir ihn oder ihr einen ganz besonderen Platz in unserem Leben geben, • dass ohne ihn oder sie unser Leben nur halb so schön und lebenswert ist • dass er oder sie tiefe Freude und Lebenslust weckt,
hat das auch eine tiefgreifende Wirkung auf jenen, der das Bekenntnis abgibt.
Dann kann dieser Mensch mit tiefer Freude und Stolz erfüllt werden, dass es für ihn diesen Menschen gibt.
Und aus dieser Freude und diesem Stolz erwächst auch Kraft und Motivation für das eigene Leben. So kann die Frage Jesu an Petrus auch verstanden werden: Jesus möchte Petrus helfen, sich seiner Freude und Stärke bewusst zu werden, die für ihn selbst aus der Liebesbeziehung zu Jesus Christus entspringt.
Liebe Schwestern und Brüder, ich wünsche uns für unser Leben, dass wir alle solche erfüllenden Liebesbeziehungen finden, ob bei Partnerinnen und Partnern, ob bei Eltern und Geschwistern oder bei vertrauten Freunden und Freundinnen.
Und ich wünsche uns, dass wir alle auch dieses in unserer Liebesbeziehung zu Jesus Christus finden.