Immer wieder komme ich – nicht nur – in diesen Tagen und Wochen mit Menschen ins Gespräch über die menschliche Sexualität. Im Zusammenhang mit dem ‚Verbot‘ aus dem Vatikan, homosexuelle Paare kirchlich zu segnen, wird auch die Frage nach „Umgang eines Christen mit z.B. Homosexualität“ gestellt.
Bei verunsicherten Menschen oder gar denen, die eine Homosexualitätsfeindlichkeit an den Tag legen, wird versucht, ihre ablehnende Haltung mit Stellen aus der Bibel zu ‚belegen‘. Exemplarisch werden aus dem Zusammenhang gerissene Verse aus dem alttestamentlichen Buch Leviticus genannt oder auch der ‚paulinische‘ Römerbrief Kapitel 1,26f.
Aber sind diese Stellen geeignet etwas ‚gegen Homosexualität‘ zu sagen?!
In einem Gespräch mit einem Katholiken in diesen Tagen habe ich viel zu hören bekommen, aber wir konnten leider nicht ins Gespräch geschweige denn in den argumentativen sachlichen Austausch kommen. Ich werfe diesem Menschen das nicht vor, da er – hoch betagt – ganz anders erzogen worden war und z.B. diese Stellen immer so zu verstehen hatte, dass sie ein Argument seien, dass Gott die Homosexualität verurteile und deshalb auch auf Dauer angelegte Beziehungen zwischen Frau-Frau oder Mann-Mann. (Auf andere Sexualitäten will ich hier nicht eingehen, aber nur im Sinne einer größeren Klarheit, weil im weiteren Verlauf eigentlich zu erkennen sein müsste, dass in der Bibel die Themen Homo-, Inter-, Bi-, Trans- Sexualität und andere überhaupt gar nicht thematisiert werden.)
Eine solche Glaubensprägung verursacht dann natürlich bei diesen Menschen große Konflikte, erst Recht dann, wenn sie in diesen Tagen und Wochen „rainbow-flags“ vor oder in Kirchen sehen.
Die einzige Lösung solchere Konflikte kann jedoch nur die tiefergehende und sachliche Auseinandersetzung z.B. mit den oben genannten Bibelstellen sein. Doch daran scheitert es oft, weil jene, die eine homofeindliche Position einnehmen, wirklich nur selten bereit sind, ihren ‚Wissensstand‘ noch einmal zu überprüfen.
Damit ist dann aber keine wirkliche, auf gegenseitigen Respekt gegründete, sachliche Auseinandersetzung möglich.
Für jene aber, die eine gewisse Unsicherheit bei diesen Themen spüren und die auch etwas mehr Wissen und Erkenntnisse erlangen wollen, möchte ich hier zwei sehr interessante Seiten im Internet empfehlen, die sich mit den oben genannten Textstellen in einer soliden wissenschaftlichen Form beschäftigen, aber so, dass es auch theologisch nicht wissenschaftlich gebildeten Menschen verständlich erscheint.
Altes Testament
Die erste Seite beschäftigt sich mit den alttestamentlichen Bibelstellen.
Löblich ist, dass die Verfasserin die/den Leser:in auf den Weg mitnimmt, in das Verständnis der religiösen Kultur zur alttestamentlichen Zeit. Dieses ist besonders wichtig, um allein das Wort „Gräuel“ im alttestamentlich-biblischen Sinne zu verstehen.
Die zweit Seite widment sich einer Textstelle aus dem Römerbrief – Röm 1,26f -, die immer wieder als Argument ‚gegen Homosexualität‘ buchstäblich „ins Feld geführt wird“. Auch hier macht sich der Verfasser die Mühe, den kulturgeschichtlichen und religiösen Hintergrund dieser Textstelle zu erhellen.
Etwas schwieriger ist der Abschnitt für Nicht-Theologen: „Natürlich und widernatürlich“; aber ich bin davon überzeugt, dass bei langsamerem oder auch wiederholtem Lesen sich der Inhalt hier erschließen wird.
Ich lade sehr herzlich ein, sich diese beiden Artikel durchzulesen. Und an Ihre Gedanken oder Anmerkungen zu diesen Artikeln bin ich sehr interessiert.
I don’t feel hate…
Das Lied aus Deutschland ist einfach toll!
Der #ESC ist kein Wettstreit mit transparenten Bewertungskriterien. Nur deshalb konnte dieses Lied so schlecht abschneiden.
Der Song hat aber viele gute Qualitäten. Da sind: Botschaft, Komposition, Stimme des Sängers, Ausstrahlung des Sängers, Art des Songs (Gute-Laune-mach-Song) und die damit verbundene Performance.
Jendrik braucht sich damit wahrlich nicht zu verstecken!
Für mich ist dieser Song ein „Ante-Corona-Hoffnungs-Sommer-Song“ (#ACHSS) – ein Ohrwurm!
Erwarten Sie jetzt bitte hier keinen Beitrag über die Gottesmutter Maria. Dann werden Sie enttäuscht.
Ich schreibe heute über die weibliche Seite Gottes, die im Hebräischen ‚ruach‘ und im Lateinischen ‚pneuma‘ heißt. Wir übersetzen sie (falsch) als ‚Heiliger Geist‘. Richtig wäre ‚Heilige Geistin‘.
Nein, es geht hier nicht um einen Beitrag zur Gender-Diskussion. Es geht darum, dass im religiösen Kulturkreis Jesu und auch noch später die dritte Wesensheit Gottes mit einem weiblichen Begriff erklärt wurde.
Kann uns die frühere Sichtweise auch heute noch Fragen beantworten, wo wir ohne Antworten bleiben, wenn wir diese Wesensheit Gottes als das in den Blick nehmen, was sie früher schon war: die weibliche Seite Gottes?
Wer sich mit dieser Frage beschäftigt, wird früher oder später auch an Beiträgen der feministischen Theologie nicht vorbei kommen.
Auf einer Internetseite feministischer Theologinnen aus der Schweiz habe ich drei Texte gefunden, die ich hier heute vorstellen möchte und die einen kleinen Beitrag dazu leisten können, die weibliche Seite Gottes, die wir am hohen Pfingstfest feiern, in unserem Geiste und in unserem Glauben einen guten Platz einzuräumen.
Beginnen möchte ich mit einem Text, der uns die weibliche Seite Gottes gefällig vor Augen stellt, indem dort eine Redewendung für ‚den‘ Heiligen Geist genutzt wird, die auch in unserer deutschen Sprache weiblich ist: die ‚HEILIGE GEISTKRAFT‘.
Litanei zu Heiligen Geistkraft
Sei gepriesen Gottes Geist, unser Licht und Leben Du ewige Liebe Gottes
Du ewige Liebe Gottes Du Quelle allen Lebens Du Geist der Wahrheit und der Heiligkeit Komm herab, du heilige Geistkraft!
Sei gepriesen Gottes Geist, unser Licht und Leben Du ewige Liebe Gottes
Du Offenbarerin der Geheimnisse Gottes Du innere Erleuchtung des Verstandes Du Führerin zur ewigen Freude Komm herab, du heilige Geistkraft!
Sei gepriesen Gottes Geist, unser Licht und Leben Du ewige Liebe Gottes
Du Spenderin aller Gnaden Du Trösterin der Verlassenen Du Mutter der Armen Komm herab, du heilige Geistkraft!
Sei gepriesen Gottes Geist, unser Licht und Leben Du ewige Liebe Gottes Du Stärke des heiligen Volkes Du Kraft zum Zeugnis der Wahrheit Du Feuerbrand der Liebe Komm herab, du heilige Geistkraft!
Sei gepriesen Gottes Geist, unser Licht und Leben Du wahre Lehrerin unserer Erkenntnis Du Licht im Dunkel der Sünde Du Vollbringerin alles Guten Du ewige Liebe Gottes Komm herab, du heilige Geistkraft!
Sei gepriesen Gottes Geist, unser Licht und Leben Du Ehre des Höchsten in unseren Seelen Du geheimnisvolles Herz der Kirche Christi Du Weg zum Herzen unserer Brüder und Schwestern Du Geistkraft der Frucht des Herren Du Freiheit der Kirche Gottes Du Vollenderin der neuen Schöpfung Du ewige Liebe Gottes
Ich finde als Einstieg in das Verständnis der weiblichen Seite Gottes diese Litanei sehr hilfreich, weil sie Begrifflichkeiten benutzt, die ganz selbstverständlich in unserer Sprache ebenfalls weiblich sind. Das Beten und Betrachten dieser Litanei kann für uns eine sprachliche und damit auch spirituell-emotionale Hilfe sein, sich dem Geheimnis der weiblichen Seite Gottes zu nähern, ohne dass sich dieser Schritt künstlich anfühlt.
Wenn wir uns mit der weiblichen Seite Gottes durch diese Litanei vertrauter gemacht haben, schlage ich vor, einen Text zu meditieren, der einen Aspekt der heiligen Geistkraft aufgreift, die wir sicherlich in den verschiedenen Wechselfällen unseres Lebens erhoffen: TRÖSTERIN
Feuer du und Trösterin
Geist, Leben des Lebens aller Geschöpfe! Heilig bist du, du belebst die Gebilde. O heilende Kraft, die sich Bahn bricht!
Alles durchdringst du, die Höhen und Tiefen und jeglichen Abgrund. Du baust und bindest alles. Durch dich träufeln die Wolken, regt ihre Schwingen die Luft. Durch dich bricht das Wasser das harte Gestein, rinnen die Bächlein und quillt aus der Erde das frische Grün. Du auch führest den Geist, der deine Lehre trinkt, ins Weite. Webest Weisheit in ihn und mit der Weisheit die Freude.
Allmählich vertraut mit der weiblichen Seite Gottes, der göttlichen Geistkraft, können wir uns auch dem ursprünglichen – weiblich genutztem – Wort aus dem Hebräischen näheren: der „ruach“!
Dazu habe ich ein bemerkenswertes Fresko aus einer Kirche in Urschalling in Bayern gefunden:
Auch Ihnen fällt es sofort auf: die dritte Person der heiligen Dreifaltigkeit, die Heilige Geistkraft ist als weibliche Person dargestellt! Das zeigt, dass die weibliche Seite Gottes in der Heiligen Geistkraft keine ’neumodische Erfindung moderner feministischer Theologie‘ ist, wie manche vielleicht abschätzig darüber denken und sprechen würden. Schon früheren Generationen war diese weibliche Seite Gottes in der Spiritualität sehr bewusst.
Das Pfingstfest 2021, das innerkirchlich stärker als sonst auch im Zeichen von Maria 2.0 steht und die Frage nach der Gleichberechtigung der Frau in unserer römisch-katholischen Kirche stellt, kann uns mit diesem geistlichen Aspekt der weiblichen Seite Gottes in der Heiligen Geistkraft Impuls und Ermutigung sein.
Ich möchte schließen mit einem Text und einem Gebet von Christa Peikert-Flaspöhler:
Komm Ruach komm!
ruach, komm auf unsere Zungen löse Furcht und banges Schweigen gib uns Mut zum Unmut ein niemals mehr wollen wir sprachlos sein
ruach, komm ins unsere Augen löse Film und blindes Glauben gib uns Mut zum Sehen ein niemals mehr wollen wir lichtlos sein
ruach, treibe unseren Willen wecke Zorn und schenke Atem gib uns Mut zum Werden ein niemals mehr wollen wir harmlos sein
ruach, küsse unsere Hände stärke Kraft und Zärtlichkeiten gib uns Mut zum Handeln ein niemals mehr wollen wir machtlos sein
ruach, heile allen Mangel eine Körper, Geist und Seele gib uns Mut zur Freundschaft ein niemals mehr wollen wir gottlos sein
Ich wünsche Ihnen von Herzen ein gesegnetes und geistreiches Pfingstfest 2021. Ich wünsche Ihnen viel Gesundheit, Kraft und Lebensmut, gerade auch, wenn Sie vor großen Herausforderungen in Ihrem Leben stehen!
Glauben heißt …
„Glauben heißt: die Unbegreiflichkeit Gottes aushalten – ein Leben lang.“ (Karl Rahner SJ)
Dieses Wort stand über den Freitag, 20. Mai 1994, als fünf Männer aus dem Bistum Essen durch Bischof Hubert Luthe zu Priestern geweiht wurden; einer von ihnen war ich.
Dieser Tag war ein warmer Mai-Frühlingstag. Bis zum Frühstück waren wir noch bei den Benediktinerinnen von Köln-Raderberg. Bei Sr. Otgera Kremer OSB hatten wir unsere einwöchigen Weiheexterzitien.
Der Weihespruch, das obige Wort von Karl Rahner SJ, begleitete uns dabei.
Ich erinnere mich daran, dass Sr. Otgera dieses Wort aufgriff und sinngemäß fragte: „Wisst ihr eigentlich, was für ein Wort ihr da für euch und eure Weihe ausgesucht habt? … Ihr werdet lernen, es mit eurem Leben zu bezeugen…“
Als wir uns im Weihekurs dieses Wort ausgesucht hatten, fiel es uns relativ leicht. Heute denke ich, dass wir unbewusst schon etwas von der ‚Wahrheit‘ dieses Wortes erahnt haben, ohne uns aber der konkreten Herausforderungen dieses Wortes gegenwärtig zu gewesen zu sein.
Vielleicht lag genau darin das besondere in diesem Wort: eine Ahnung von der ‚Richtigkeit‘ zu haben, ohne zu wissen, was auf uns zukommen wird.
Doch das würden wir schon sehr bald erfahren.
Ad exemplum: die erste Kaplan-Stelle
Für mich war das die Situation in meiner ersten Gemeinde als Kaplan: eine sehr bürgerlich geprägte Pfarrei. Mein Pfarrer hatte es nicht leicht, weil der ‚Geist‘ seines Vorgängers immer noch – nach Jahren – über der Pfarrei schwebte; ständig wurde er und ich daran erinnert: „Damals, bei Pfarrer X.Y….“ – Das Wort „damals“ schien irgendwie prägend gewesen zu sein: die Pfarrei war lebendig, ohne Zweifel. Aber es war vieles festgefahren. Uns wurde gesagt, wie man es „schon immer“ gemacht habe (… und wir auch gefälligst weiter so zu machen haben…“). Doch diese Zeiten waren vorbei; sie waren deshalb schon allein vorbei, weil ich von Bischof Luthe gesagt bekommen hatte, dass ich in dieser Pfarrei der letzte Kaplan sein würde und es gut wäre, wenn ich meinen Arbeitsbereich dafür fit machen würde. (Schon damals war klar, dass es Veränderungen und Umstrukturierungen geben würde.) Doch alteingesessenen Pfarreimitgliedern stieß das sauer auf. Das merkte ich z.B. daran, als ich dran ging, die beiden großen Jugendverbände, die dort waren, eigenständiger werden zu lassen. Die Frage nach der geistlichen Leitung ohne einen Kaplan stand an. Es ist schon irgendwie komisch, wenn man an eine Stelle versetzt wird mit dem „Auftrag“ sich überflüssig zu machen. Ich hörte Gerüchte, dass ich zu faul sei und mich nicht mehr um die Jugend kümmern würde. Irgendwann gab es auch mal heftige Auseinandersetzungen im Pfarrgemeinderat (PGR).
Ich erinnere mich nicht mehr an Einzelheiten, aber der Krach war so groß, dass sich bei der nächsten PGR-Wahl einige „alteingesessene“ nicht mehr zu Wahl stellten.
Das war belastend, aber im Nachhinein habe ich das als große Chance wahrgenommen. Denn bei der nächsten Wahl kamen engagierte Christ:innen in den Pfarrgemeinderat, die vorher überhaupt dazu keine Chance hatten. Und nach der Wahl spürte ich eine merkliche positive Veränderung: den Geist der Wandlung und kleinen Erneuerungen. Auch die Jugendlichen, die sich darauf eingelassen haben, haben mich dabei unterstützt. Dabei sorgten diese Veränderungen auch bei ihnen für zeitweise großen Stress. Durch Personalveränderungen im Vorstand eines Verbandes kam es zu einem buchstäblichen „Machtvakuum“; und wer sich mit gruppendynamischen Prozessen auskennt, weiß, dass dann Prozesse beginnen, wo versucht wird, dieses Vakuum wieder zu füllen. Und das geht nicht ohne Konflikte. Ich erinnere mich sehr gut an einer Sitzung, wo wir bis früh morgens fast um 3 Uhr getagt haben, weil eine Lösung gefunden werden musste (und sie wurde dann auch gefunden).
Nach einigen Monaten gelang es uns aber, die Strukturen so zu verändern, dass nun Menschen in Verantwortung in beiden Jugendverbänden kamen, die es mir möglich erscheinen ließen, dass sie später auch ohne einen Kaplan auskommen konnten. Das empfinde ich im Nachhinein als einen großen Erfolg. (btw: Zum ersten Mal übernahm eine geistlich erfahrene Frau und Mutter dort die Aufgabe der ‚Kuratin‘ bei der dortigen DPSG.)
Wenn man heute auf die Seite der Pfarrei geht (die zwischenzeitlich mit früheren anderen Pfarreien zusammengelegt wurde), dann sieht man, dass es die beiden großen Jugendverbände noch immer gibt und diese ziemlich aktiv sind. Das freut mich immer noch, weil es zeigt, dass ich nichts ‚kaputt‘ gemacht habe. (Heute würde mich interessieren, was so aus der geistlichen Leitung geworden ist und welche Akzente und Impulse es dort noch gibt?)
Doch dieser ‚Erfolg‘ hatte seinen Preis: in dieser Zeit erkrankte ich an eine psychovegetative Funktionsstörung des Dames (Reizdarm), unter dem ich heute noch leide. Heute werte ich geistlich dieses Phase meines Dienstes im Geiste der Erfahrung des Jakob an der Furt zu Jabbok. Schon nach drei Jahren musste ich die Pfarrei aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig verlassen, weil ich durch meine Erkrankung so eingeschränkt war, dass ich meinem Pfarrer keine große und verlässliche Hilfe mehr sein konnte. Die Unerklärlichkeit Gottes auszuhalten hieß in diesem Fall für mich, sich zu engagieren, dabei persönlich die eigenen Grenzen vor Augen geführt zu bekommen … um dann einige Jahre später zu entdecken, dass dieser Weg ein guter für mich war, auch wenn ich es damals schwer annehmen konnte.
Der Tod (m)eines Kurskollegen
Wenige Jahre später erkrankte mein Kurskollege Kaplan Johannes Breining so schwer, dass er im Januar 2000 mit noch nicht mal 40 Jahren starb. Seine Leidenszeit und auch sein viel zu früher Tod haben uns alle sehr zugesetzt. Mit wieviel Elan sind wir alle in unseren Dienst gegangen; wir hatten Vorstellungen darüber, wie unsere Zukunft mal aussehen könnte, wie wir z.B. als Pfarrer später mal eine eigene Pfarrei leiten würden? Wir machten uns Gedanken über unsere Zukunft und auch die Zukunft unserer Kirche. Doch der Tod von Johannes Breining hat mich mit der Nase darauf gestoßen, nicht zu weit nach vorne zu denken und zu planen, sondern vielmehr das „Hier und Jetzt“ in den Blick zu nehmen. Das Lied: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt…“ wurde da auf einmal sehr konkret und buchstäblich erfahrbar. … und die Unerklärlichkeit Gottes auszuhalten heißt dann, trotz aller Visionen und Planungen damit klar zu kommen, dass Gottes Wege oftmals andere sind als jene, die unseren Vorstellungen entspringen.
Seelsorger im Strafvollzug
Anfang der 2000er Jahre war ich für sechs Jahre Seelsorger im Strafvollzug (Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen und Jugendarrestanstalt Essen-Werden). Eher zufällig wurde ich dort Seelsorger, weil für die Eucharistiefeiern ein Priester fehlte, wurde ich angefragt, ob ich mir diesen Dienst vorstellen könnte. Ja, ich konnte, aber nur unter der Bedingung, dass ich nicht einmal in der Woche dort zur Zelebration ‚eingeflogen‘ komme und sonst nichts mit den Inhaftierten und den Mitarbeitenden zu tun habe. Ich wollte auch seelsorgliche Aufgaben übernehmen. Denn: es wäre für mich ein Widerspruch, Gottesdienste dort anzubieten, ohne an deren Alltag und Sorgen und Themen Anteil zu haben. So bot ich Dienstag abends auch eine Gesprächsgruppe an. Dort trafen sich inhaftierte Männer, die wegen unterschiedlichen Delikten ‚einsaßen‘. In Gelsenkirchen hatten wir von einfachen Straftaten z.B. Diebstahl, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Drogenhandel und -konsum), aber auch Betrug, Raub und Totschlag. So komisch es klingen mag, aber ich bot diese Gruppe gerne an, denn es gab dort viele gute Gespräche und auch Begegnungen. In der Gruppe und auch in der Begleitung hatte ich auch Männer, die wegen eines schweren Gewaltverbrechens inhaftiert waren. In meiner Arbeit durfte und musste ich oft in Abgründe menschlicher Existenz schauen. Ich habe erfahren, wie viele von ihnen für schlimme Taten verantwortlich waren. Ich habe aber auch erfahren, wie viele von ihnen selber Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sind. Ich lerne zu erkennen, dass der Mensch ein großes Geheimnis ist und dass wie niemals Menschen ganz kennenlernen oder gar durchschauen können. Ich habe erfahren, dass Menschen mit schwerer Schuld sich zugleich suchend und fragend auf den Weg gemacht haben. Ich habe gelernt, dass sich hinter einer harten Schale oft ein weicher Kern verbirgt. Wie sehr leiden inhaftierte Frauen und Männer, wenn ihre Beziehung unter der Haft Schaden nimmt, sie Angst davor haben, noch die Menschen ‚draußen‘ zu verlieren, die ihnen eigentlich am nächsten sein sollen.
Oft konnte ich erleben, dass wir sehr gute Begegnungen und Gespräche hatten, mit viel gegenseitigem Respekt und Achtung und auch mit viel Freude; und bei manchen entdeckte ich sehr viel Liebenswürdigkeit.
Das hat mich anfangs sehr überrascht und berührt. Ich musste lernen, dass der Mensch nicht von Grund auf böse und schlecht ist und dass Menschen, die größte Schuld auf sich geladen haben, zugleich einen liebens-würdigen Kern besitzen können.
Anfangs hatte ich mich oft sehr unwohl gefühlt, wenn ich in eine Zelle zum Gespräch ging, wo jemand war, der schwere Verbrechen begangen hatte. Ja, natürlich hatte ich auch etwas Angst. Und wir wussten auch, dass in der Vergangenheit Seelsorger:innen schon mal als Geiseln genutzt wurden, damit Inhaftierte in die Freiheit kommen konnten.
Doch mit der Zeit, wurde diese Sorge immer kleiner; mit der zunehmenden Erfahrung wurde ich freier, von meiner berechtigten Sorge abzusehen und besser in die Begegnung gehen zu können.
Die Unbegreiflichkeit Gottes lag hier für mich darin, erkennen zu müssen, dass schwere Straftaten zwar das ganze Leben prägen werden, aber dass der Mensch dennoch nicht verworfen ist, von Gott.
Krankenhaus-Seelsorge
Seit Oktober 2010 arbeite ich als Krankenhaus-Seelsorger, in einem Krankenhaus der sogenannten „Maximalversorgung“. Dort gibt es drei somatische Kliniken (Urologie, Nephrologie und Lungen- und Bronchialheilkunde) sowie eine große psychiatische Klinik mit mittlerweile sechs Stationen, einer Tagesklinik sowie einer Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA). Hier nehme ich das Thema unseres Weihespruches besonders deutlich wahr. Und vielleicht ist es auch gut, dass ich erst peu a peu und langsam steigernd in diesen Seelsorgebereich hineingekommen bin, gewappnet mit Erfahrungen der vorherigen knapp 16 Jahren. Ich erlebe Patient:innen, die plötzlich, manchmal von heute auf morgen, mit schweren Erkrankungen konfrontiert werden, wo das Leben völlig aus den Fugen gerät, Zukunftspläne zerstört werden und schlimmstenfalls sogar Sorgen und Ängste um das eigene Leben den Alltag bestimmen. Ich erlebe psychiatrische Patient:innen, die wochen- oder gar monate- und jahrelang unter einer schweren psychischen Erkrankung leiden, zwischendurch mut- und hoffnungslos sind, aber sich immer wieder neu aufraffen. So oft höre ich Sätze wie: „Ich will mein altes Leben zurück!“ Das sind für mich Schreie der Hilflosigkeit und der Verzweifelung. Manche sind sogar überzeugt, dass das Ende ihres Lebens besser wäre, als so weiterzuleben.
Als Seelsorger versuche ich, die Menschen zu begleiten, damit sie ihre Situation besser ertragen oder bestensfalls sogar weiterhin einen Sinn in ihrem Leben sehen können, der ihnen die Kraft gibt, durch diese schwere Zeit zu gehen. Aber zugleich spüre ich oft eine Sprachlosigkeit; Antworten aus meinem Munde wirken dann hohl und fern; Plattitüden verbieten sich und ich brauche selber Mut, um eingestehen zu können: auch ich habe keine Antworten.
Hier ist die Unbegreiflichkeit Gottes für mich am deutlichsten zu spüren.
Doch wenn ich dann zugleich auch eine Kraft in mir spüre, bei den Menschen zu bleiben, mit ihnen zu sein, dann spüre ich etwas vom Glauben, der da ist, obwohl ich zugleich die Unbegreiflichkeit Gottes spüre und auch aushalten kann.
Dass das nicht ohne Blessuren geht und es für mich eine Herausforderung und Zu-mutung ist, ist dabei natürlich selbstverständlich.
„LSBTIQ* willkommen!“
Zum „Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit“ (IDAHOBIT) am 17. Mai
Das Queere Netzwerk NRW hat in diesem Jahr zum „Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit“ (IDAHOBIT) Communities und Verbündete aufgerufen, ein Zeichen für LSBTIQ*-freundliche Orte und Institutionen (und damit gegen alle Formen der Queerfeindlichkeit) zu setzen.
Über die Vermittlung des Bistums Essen wurde ich angefragt, ob ich mit anderen Personen aus unserer Pfarrei ein solches Willkommens-Zeichen setzen möchte. Ich arbeite seit Mitte der 1990er Jahre in einer kirchlichen HIV-Beratungsstelle und bin seit 2019 von unserem Bischof gebeten worden, als röm.-katholischer Partner beim ökumenischen Gottesdienst zum ‚RuhrPride Essen'(CSD) mitzuwirken.
Recht spontan haben sich auf Initiative von Pastoralreferentin Tabea Diek und mir einige Personen aus der Pfarrei gefunden (die Ehepaare Iris und Carsten E. und Malte und Andreas G.; sowie Stephan B., Egbert P., Tabea Diek mit Benjamin und Samuel, sowie Martina D. mit Victoria D. und Vincent D. und Gerd Wittka), mit einer Fotosession ein Zeichen gegen Queerfeindlichkeit zu setzen.
Die Fotos entstanden auf dem Außengelände der Gemeindekirche St. Barbara in Oberhausen-Königshardt, welche zur Propsteipfarrei St. Clemens, Oberhausen-Sterkrade gehört.
Eintreten für das, was eine Selbstverständlichkeit ist
Damit unterstreichen sie, dass das Diskriminierungsverbot – schon im Grundgesetz verankert – auch eine Verpflichtung für die eigene Kirche ist und deshalb eine echte, aufrichtige und herzliche Willkommenskultur für ‚Queerpeople‘ in unseren Kirchen, Pfarreien, Gemeinden und Verbänden selbstverständlich sein muss.
Diese Aktion wirbt sowohl nach außen, verweist jedoch mindestens genauso in die eigene Kirche; denn auch hier muss eine queere Willkommenskultur, die auf Achtung und Respekt beruht und jeglicher Diskriminierung eine Absage erteilt, weiter ausgebaut und kultiviert werden.
Die in vielen Pfarreien stattgefundenen Partnerschaftssegnungen für Menschen verschiedener Sexualitäten ist in diesen Tagen ein Baustein für eine solche Veränderung der queeren Willkommenskultur in unserer Kirche.
Noch ein Text von Vicky, den sie mir gestern nach unserer Aktion zugeschickt hat und den ich hier veröffentlichen darf! Danke, Vicky!
Homophobie
Ist die Welt für manche Menschen wirklich so schwarz weiß, dass es nicht in Ordnung ist, wenn gleichgeschlechtliche Paare auf der Straße rumlaufen? Warum wird Religion genutzt um gegen Homosexualität zu argumentieren, wenn es Gott am meisten darum geht, dass wir uns lieben?
Niemand sucht sich aus, in wen er sich verliebt. Ob Mann, Frau oder kein Geschlecht, das suche nicht ich mir aus, sondern mein Herz. Liebe ist Liebe und im 21. Jahrhundert sollte das toleriert werden. Niemand zwingt dich dazu diese Menschen anzustarren oder ähnliches. Genauso, wie dies niemand bei heterosexuellen Paaren macht. Es ist genauso „normal“. Denn es ist genau das gleiche. LIEBE Egal ob Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann!
Es war eine tolle Aktion. Und ich durfte in diesen Tagen einige Gespräche führen, die gezeigt haben, dass solche Themen auch in unserer Pfarrei akut sind und manche Leute es nicht hinnehmen, dass es dafür so wenig Raum gibt!
Sexualität und Spiritualität
“ … und diese Liebe auch …“
Am 29. Mai 2003 – also vor gut 18 Jahren – habe ich auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Homosexualität und Kirche (HuK) im Rahmen des 1. Ökumenischen Kirchentages in Berlin an einer Podiumsdiskussion der Podienreihe: Und diese Liebe auch! – Homsoexuelle und Kirche, mit dem Titel: „„… mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ – Über den Zusammenhang zwischen Sexualität und Spiritualität tauschen sich Menschen unterschiedlicher Sexualität und Spiritualität aus“ teilgenommen.
Heute, im Mai 2021, hängen Rainbow-Flags als Zeichen des Protestes gegen das vatikanische Verbot von Segnungen homosexueller Paare an unzähligen Kirchen der römisch-katholischen Kirche in Deutschland.
Da erinnere ich mich wieder sehr an meine damaligen Ausarbeitungen zum 1. Ökumenischen Kirchentag und an mein Statement bei der Podiumsdiskussion zum Thema:
Sexualität und Spiritualität.
Angesichts der aktuellen Debatte in unserer Kirche möchte ich meine damaligen Abhandlungen heute hier noch einmal dokumentieren.
Sie zeigen nämlich deutlich das Defizit auf, unter dem auch aktuelle Diskussionen über dieses Thema immer noch leiden, nämlich das fehlende Bewusstsein, dass unsere Spiritualität gar nicht ohne unsere je eigene Sexualität möglich ist.
Die Abgrenzung der Sexualität von der Spiritualität hat in der kirchlichen Vergangenheit viel Leid und Diskriminerungen hervorgebracht.
Mit der erneuten Dokumentation meiner damaligen Arbeit möchte ich einen kleinen Beitrag leisten, beide Themenbereiche wieder in den notwendigen und nötigen Zusammenhang zu sehen, zu verstehen und bei allen zukünftigen Überlegungen mit zu berücksichtigen.
Einige Gedanken und Formulierungen, die ich dort vor 18 Jahren getan habe, kann ich heute – nach dem aktuellen Stand der (Gender-)Forschung so nicht mehr aufrechterhalten. Aus historischen Dokumentationszwecken habe ich sie aber beibehalten, doch mit entsprechenden Vermerken versehen.
Als erstes dokumentiere ich mein Statement am Beginn der Podiumsdiskussion. Dann liefere ich die mit wissenschaftlichem Apparat versehener Ausarbeitung nach, die natürlich als Grundlage meines Statements anzusehen sind und welches von dieser geprägt wurde.