Geistlich werden und leben

Jesus und sein Jünger Johannes

Christusfreundschaft und Heilige Geistkraft

In einer Begegnung mit Seminaristen hat Papst Leo XIV. auf zwei wichtige Aspekte hingewiesen, die mir im Laufe meines priesterlichen Lebens immer wichtiger geworden sind:
Christusfreundschaft vertiefen und die Beziehung zur Heiligen Geistkraft pflegen.

Theologische Bildung ist ein wesentliches Element der Priesterausbildung.
Angesichts der täglichen Herausforderungen im konkreten Dienst und auch beim Blick auf die Veränderungen in Kirche und Gesellschaft gibt es mindestens noch zwei ebenso wichtige Säulen, die in der priesterlichen Existenz nötig sind: Die Vertiefung der Christusfreundschaft und die intensive Beziehungspflege zur Heiligen Geistkraft.

Deshalb bin ich froh und dankbar, dass Papst Leo XIV. genau auch diese beiden Aspekte bei der Begegnung mit Seminaristen in diesen Tagen beton hat.

Ich empfehle sehr die Lektüre von Vatikan News:
https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2025-06/seminaristen-priester-papst-leo-xiv-heiliges-jahr-jesus-herz.html




Dreifaltigkeit

Impuls zum Dreifaltigkeitssonntag 2025


Was kann ich Ihnen zur Dreifaltigkeit sagen?

Ich habe schon einmal erklärt, dass wir das Geheimnis der Dreifaltigkeit besser verstehen können, wenn wir anschauen, wie dieser eine Gott sich in der Geschichte der Welt zeigt:

Aber werden wir damit dem Glauben an die Dreifaltigkeit Gottes gerecht?



Also suchen wir weiter, meist auch nach Bildern, um uns irgendwie diesem Geheimnis näheren zu können.

So vergleiche ich die Dreifaltigkeit manchmal mit Wasser, weil es in drei verschiedenen Zuständen existieren kann: fest als Eis, flüssig als Wasser und gasförmig als Dampf. In all diesen Formen bleibt es dennoch Wasser – seine Wesensart verändert sich nicht. Es ist stets die gleiche Substanz, nur in unterschiedlichen Erscheinungsweisen.

In den letzten Sonntagen haben wir im Johannes-Evangelium gehört, wie sich die drei Personen des einen Gottes in ihrer Beziehung zueinander und zu uns zeigen. Jesus sagt zum Beispiel: „Ich und der Vater sind eins!“ und „Wer mich sieht, sieht den Vater!“ Er verspricht auch: „Ich werde euch nicht allein lassen, sondern einen Beistand senden, der für immer bei euch bleiben wird.“

Unser dreifaltiger Gott ist ein Gott der Beziehung:

  • Die drei Personen des einen Gottes stehen in gegenseitiger Verbindung.
  • Gleichzeitig pflegen der Vater, der Sohn und die Heilige Geistkraft jeweils eine Beziehung zu uns.

Unser Glaube an den dreifaltigen Gott zeigt sich darin, wie wir zu den drei Personen in Beziehung stehen und wie sie untereinander verbunden sind.

Und dennoch wird der Glaube an die Dreifaltigkeit oft viel zu vereinfacht dargestellt.

Ganz offen: im Studium der Dogmatik habe ich die Trinitätslehre nie wirklich verstanden.
Aber vielleicht ist das auch nicht weiter schlimm.

Denn eine Legende aus dem Leben des heiligen Augustinus macht mir etwas deutlich:

Eines Tages spazierte Augustinus am Strand entlang, während er mitten in den Vorbereitungen für sein Buch über die Heilige Dreifaltigkeit stand. Plötzlich entdeckte er einen Jungen, der mit einem Löffel immer wieder Meerwasser in ein kleines, selbstgegrabenes Loch schaufelte.

Neugierig hielt Augustinus an und fragte den Knaben, was er da tue. Der Junge erklärte, er wolle das Meer austrocknen, indem er es in dieses Loch gieße.

Amüsiert und ein wenig mitleidig lächelnd, wies Augustinus darauf hin, dass das Meer dafür viel zu groß sei. Doch der Junge konterte: „Wahrscheinlicher wirst du das Meer auf diese Weise leer bekommen, als du mit deinem Verstand das Geheimnis der Dreifaltigkeit auch nur annähernd ergründen kannst. Es ist einfach zu groß.“

Dabei verglich der Knabe das Meer mit der Dreifaltigkeit, sein Loch, das er aushob, mit Augustinus’ entstehendem Buch und den Löffel mit dessen Verstand.

Diese Geschichte zeigt mir:
Wir können das Geheimnis der Dreifaltigkeit nicht mit unserem Verstand fassen. Es ist einfach zu groß.

Der Dreifaltigkeitssonntag bleibt geheimnisvoll.
Es ist aber ein Geheimnis, das mit mir, das mit uns zu tun hat.

Bild: ‚Dreifaltigkeitsknoten‘, Gerd A. Wittka, mit KI generiert

Ich habe für mich gefunden, meinen Glauben der Dreifaltigkeit Gottes mit meiner Beziehung zu Gott zu verknüpfen.

Denn schließlich strebe ich und sehne ich mich danach, immer wieder in eine lebendige Beziehung mit Gott treten zu dürfen und zu können.

  • Ich glaube an Gott, den Vater, der alles geschaffen hat und der Ursprung von allem ist.
    Wenn ich staune über die Vielfalt und die Geheimnisse der Natur – über biologische, physikalische und chemische Abläufe –, vertraue ich darauf, dass er dahintersteht.
    Ich glaube, dass er uns Menschen in diese Welt gesetzt hat und uns mit allen Geschöpfen verbindet: mit Pflanzen und Tieren, mit Mikroben, Bakterien und Viren – mit allem Leben auf der Erde und im Universum.
    Er hat uns mit Geist, Verstand und Freiheit ausgestattet, hat uns aber damit auch eine Verantwortung gegeben, die uns oft an unsere Grenzen bringt.
  • Ich glaube an Gott, den Sohn, der als Mensch gezeigt hat, wie Gottes Liebe in unserer Liebe zu anderen Menschen und zur ganzen Schöpfung lebendig wird.
    Er war wirklich unter uns und hat unsere Schwächen und Fehler gekannt.
    Er wusste um unsere Schuld und unsere Sünden.
    Durch sein Erlösungswerk dürfen wir aber darauf vertrauen, dass Gott uns und seine Liebe nicht endgültig verlässt, wenn wir an ihn glauben.
  • Ich glaube an die Heilige Geistkraft, die mich berät, leitet und führt. Ich bin sicher, dass sie mich in meinen Zweifeln, offenen Fragen und meiner Sehnsucht nicht alleinlässt. Wenn mir Kraft und Lebensmut fehlen und alles sinnlos erscheint, schenkt sie mir neue Stärke.

So glaube ich an den dreieinigen Gott – Vater, Sohn und Heilige Geistkraft –, der mein Leben und die ganze Schöpfung liebevoll umgibt, vom Anfang bis zur Vollendung.





Christliche Tugend: Barmherzigkeit

Was ist Barmherzigkeit?

Vorbemerkungen zum besseren Verständnis der nachfolgenden Gedanken:

Alles, was ich hier schreibe, bezieht sich nicht auf eine konkrete Person (auch wenn ein konkreter Anlass diese Zeilen begründet), sondern auf den Umgang mit einer Thematik, die immer noch in Kirche und Gesellschaft tabuisiert und in der Breite nicht ernst genug genommen wird.



Und noch etwas Entscheidendes muss ich voran schicken, damit die nachfolgenden Ausführungen besser eingeordnet und verstanden werden können:

Grenzüberschreitungen sind niemals eine Bagatelle!

„Keinen Zutritt!“ – www.pixabay.com

Sie sind nicht harmlos, erst recht, wenn eine bestimmte Vertrauensbasis vorliegt oder sie sogar mit Machtmissbrauch verbunden ist, wie es zum Beispiel oft bei Schutzbefohlenen, Kindern und Jugendlichen der Fall ist.
Sie sind insbesondere dann noch gefährlicher, wenn sie mit körperlichen oder sexualisierten Grenzüberschreitungen einhergehen.

Denn so stellen sie zudem einen massiven Angriff auf die sexuelle Integrität eines Menschen dar, die dann ganz besonders brisant ist, wenn diese Menschen sich in einer Entwicklungsphase der eigenen sexuellen Identitätsfindung befinden, wie bei heranwachsenden Kindern und Jugendlichen rund um oder in der Phase ihrer Pubertät.

Die Suche zum ‚Ich‘ braucht umfassenden Schutz!

Seit Ende der 1990er Jahre beschäftige ich mich zwangsläufig, eher unfreiwillig und notwendigerweise, mit diesem ganzen Themenkomplex, der mir schon Ende der 1990er Jahre in einer kirchlichen Beratungsstelle für sexuell übertragbare Krankheiten begegnet ist.
Später wurde ich massiv als Gefängnisseelsorger mit der Thematik konfrontiert und bis zum heutigen Tage als Krankenhaus-Seelsorger in einer Psychiatrie.

Dazu kommt, dass ich selber – als heranwachsender Jugendlicher und sogar später als Priester – Opfer sexueller Grenzverletzung und Übergriffigkeit geworden bin.
Selbst mit Anfang meiner 40er Jahre habe ich in einer früheren Pfarrei durch eine deutlich älteren Frau in einer völlig unverfänglichen gottesdienstlichen Situation (Wohnungseinsegungsfeier!) körperlich-sexuelle Übergriffigkeit erfahren.
Für mich als erwachsener Mann, der seine sexuelle Integrität gefunden hat, war dies trotz allem sehr irritierend, verstörend und hat eine Flut unterschiedlichster Gefühle in mir ausgelöst wie Wut, Ohnmacht, Ekel und Abscheu. (Mein Gedanke damals: am liebsten hätte ich der Frau eine kräftige Ohrfeige geben! – Im Pott würde man sagen: „Eins in die Fresse gehauen!“)

Wenn ich mich dann frage, was solche oder ähnliche Erfahrungen bei Menschen auslösen kann, die ihre sexuelle Integrität noch finden müssen, liegt die berechtigte Vermutung nicht fern, dass bei ihnen massiver Schaden entstehen kann.

Ich kann somit für mich in Anspruch nehmen, in dieser Thematik ‚bewandert‘ zu sein.

Und ich sage auch:
Mir behagt es nicht, mich auch selber als Betroffener sexueller Übergriffigkeit zu outen.
Aber ich halte es im Hinblick auf andere mögliche Opfer für meine moralische Verantwortung, dieses jetzt und hier zu tun.
Zumal ich in den Diskussionen immer wieder erfahre, dass betroffene Menschen nicht ernst genommen werden, so als wäre das lediglich ein kleines Randthema.
Doch die Statistiken sprechen eine ganz andere Sprache.
Und ich habe immer wieder erfahren, dass Menschen, die in solchen Thematiken ihre berechtigten Sorgen und Ängste formulieren und in Protest ausdrücken, ebenfalls nicht ernst genommen werden. Mitunter unterstellt man ihnen sogar niedere Beweggründe.

Und wenn der Umstand, von meiner eigenen persönlichen Lebensgeschichte zu erzählen, die Sensibilität für dieses Thema erhöht und dadurch mehr Menschen vor solchen Taten bewahrt werden können, dann hat sich mein Outing schon gelohnt!

Komme ich aber nun zum eigentlichen Anlass dieses Beitrags.

Vor einigen Wochen konnten wir in unserer Pfarrei eine Situation erleben, die sich mit der Frage konfrontiert sah, ob ein Seelsorger – der in der Vergangenheit wegen zwischenmenschlichen Grenzüberschreitungen seine frühere Aufgabe in einer anderen Stadt aufgeben musste – nun in unserer Pfarrei als Priester und Seelsorger eingesetzt werden solle?

Wenn Schutzmauern zerbrechen oder zerbrochen werden – www.pixabay.com

Ohne näher auf diese Angelegenheit eingehen zu wollen, will ich kurz zwei „Lager“ skizzieren, wie ich sie persönlich wahrgenommen habe.

Die eine Seite bewegte berechtigte Sorgen und Ängste, ob bei einem neuerlichen Einsatz solche Grenzüberschreitungen sicher vermeidbar wären?
Sie hatte berechtigte Fragen, auf der sie keine zufriedenstellenden Antworten bekommen haben.
Deshalb irritierte sie auch sehr stark der Prozess dieser Personalentscheidung.
Sie hatte die Courage und den Mut, diese offenen Fragen, ihre Sorgen, Ängste und Verunsicherungen zu artikulieren.
Nach allem, was wir über Grenzüberschreitungen und Missbrauch empirisch wissen, sind diese offenen Fragen und Sorgen berechtigt.

Da ist zum Beispiel die immens wichtige Frage, ob die damaligen Grenzverletzungen nicht auch eine Vorstufe zu weiteren Handlungen hätten sein können? Wir wissen aus der wissenschaftlichen Forschung rund um Missbrauchsbiographien, dass Täter:innen mitunter – wenn auch nicht geplant – austesten, ‚wie weit sie ohne Widerstand gehen können‘.
Da ist die Frage erlaubt:
Wer ‚garantiert‘ keine Wiederholungsfälle?
Wer übernimmt persönlich die Verantwortung dafür, wenn sich ’so etwas wiederholt‘?
Und dann sind da die nicht unerheblichen Fragen und Unsicherheiten von Eltern und Erzieher:innen: „Woher bekommen wir die Sicherheit, unsere Kinder und Jugendlich der ‚Kirche‘ anvertrauen zu können, die – nach ihrer eigenen Wahrnehmung – nur so unzureichend auf den vorhersehbaren Widerstand vorbereitet war?“

Diese Fragen stehen im Raum und sie zu leugnen oder zu bagatellisieren, hieße, die Sorgen derer, die diese berechtigten Fragen stellen, nicht ernst zu nehmen.

Weil so viele essentielle Fragen und Anmerkungen unbefriedigend beantwortet wurden, deshalb war der Widerstand gegen diese Personalie – nach meinem Dafürhalten – auch so heftig.

Meine persönliche Meinung zu den Anfragen und Protesten: sie waren berechtigt, gut begründet und deshalb nötig!

Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen, in: TE DEUM, März 2024, S. 84

Und dann ist da die andere Seite.
Sie war geleitet von dem Gedanken, diesem Seelsorger ’noch einmal eine Chance zu geben‘.

Dies wurde mitunter damit begründet, dass ja weder ein strafrechtliches noch ein kirchenrechtliches Verfahren zu der Schlussfolgerung kam, dass hier strafbares Handeln vorläge.
Diese Seite zieht damit einen rein formaljuristischen Umstand als Begründung heran.
Dem entgegnete aber jemand, dass mit einem schärferen Strafrecht (wie es es in anderen Ländern gibt) diese Beurteilung auch ganz anders hätte aussehen können. Insofern sei dieses ‚Argument‘ nicht objektiv hinsichtlich dessen, wie solche Taten bewertet werden können.

Diese ‚andere Seite‘ schien häufig über den konkreten Sachverhalt nicht hinreichend informiert zu sein.
Auf die kritische Nachfrage, ob sie sich mit der IPP-Studie des Bistums Essen beschäftigt hätten, wo dieser Sachverhalt auch explizit benannt wird, bekam man oft die Antwort, dass sie diese Studien und insbesondere den betreffenden Abschnitt gar nicht gelesen hätten.

Jemandem eine Chance geben zu wollen, wurde übrigens auch von Menschen gefordert, die im nächsten Satz zugaben, dass sie ‚ihr Kind aber nicht als Messdiener:in in die Kirche schicken würden, wenn besagter Priester bei ihnen eine Messe feiern würde‘.

Und dann tauchte auch das ‚Argument‘ „Barmherzigkeit“ auf.

www.pixabay.com

Es sei schließlich christliche Überzeugung, Barmherzigkeit zu üben.
Und in solchen Situationen würde sich zeigen, inwieweit wir es mit der christlichen Barmherzigkeit ernst nehmen würden.

Es waren übrigens zum Teil dieselben Personen, die Barmherzigkeit einforderten, die mit denen, die gegen diese Personalentscheidung aus den oben ausgeführten Gründen protestierten, recht unbarmherzig umgingen.
Man warf ihnen „Hexenjagd“ vor oder dass sie andere Menschen aufwiegeln würden, sich diesem Protest anzuschließen.

Gerade an diesem Punkt musste ich für mich erkennen, dass es bei der eingeforderten Barmherzigkeit also nicht um eine christliche Grundhaltung ging, sondern diese vermeintliche Forderung nach Barmherzigkeit eher zu einem populistischen Kampfbegriff verkam.

Und das ist für mich die unchristlichste Form mit Barmherzigkeit umzugehen.
Barmherzigkeit im christlichen Sinne ist nicht einseitig; Barmherzigkeit dürfen alle Seiten für sich einfordern.

Es scheint so, als lohne es sich, anhand des oben genannten Sachverhalts das Gebot der Barmherzigkeit genauer zu beleuchten.
Dabei wird es sicherlich auch notwendig sein, andere Aspekte in den Blick zu nehmen, die zeigen werden, das Barmherzigkeit unter verschiedensten Blickwinkel betrachtet werden muss.

Da wäre die Barmherzigkeit gegenüber jenen Menschen die Fehler begangen haben.
Barmherzigkeit ist hier durchaus im umfassenden Sinne gemeint.
Welches Verhalten ist ihnen gegenüber wirklich barmherzig?
Kann es nicht auch ein Akt der Barmherzigkeit sein, Menschen, die Fehler begangen haben und neue Wege gehen wollen, nicht immer dem kritischen Blick auszuliefern, der da mit Argusaugen schaut, ob dieser Mensch nicht schon wieder denselben Fehler macht?
Was macht den Unterschied zwischen „Barmherzigkeit“ und ‚Schwamm drüber!‘?

Dann müssen wir auch die Barmherzigkeit in den Blick nehmen, die die Betroffenen im Hinblick auf ihre eigenen Erfahrungen von Grenzüberschreitungen und Missbrauch erwarten dürfen.
Ferner geht es um die vor- und fürsorgliche Barmherzigkeit potentieller Betroffenen und Opfern gegenüber. Es gibt also auch eine präventive Barmherzigkeit.

Und nicht zuletzt geht es auch um Barmherzigkeit denen gegenüber, die ihre Ängste, Sorgen, offenen Fragen beherzt in einem öffentlichen Protest zum Ausdruck gebracht haben.

Folgende Fragen bewegen mich in diesem Zusammenhang:

  • Was ist (mit) Empathie?
  • Welche Zuordnungen gibt es zwischen Empathie (für Täter und Opfer/Betroffene) und Barmherzigkeit (gegenüber Tätern und zugleich gegenüber – potentiellen – Opfern/Betroffenen)?
  • Welches Maß an Barmherzigkeit ist zumutbar?
  • Gibt es auch Grenzen von Barmherzigkeit?
  • In welcher Zuordnung stehen Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft und Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe sowie der Schutz und die Anwaltschaft für Opfer, Betroffene und Schutzbedürftige?

Indem ich diese Zeilen schreibe, merke ich, dass diese Fragen nicht alle auf einmal beantwortet werden können.
Ein Blogbeitrag und ein Tag reichen nicht aus, um diesem Thema gerecht zu werden, weil es einfach zu komplex wird und sich ‚einfache‘ Antworten bei einem so sensiblen Thema geradezu verbieten?!

Ich werde mich also in einem späteren Beitrag mich mit diesen oben genannten Fragen beschäftigen und meine Gedanken dazu niederschreiben.


Über konstruktive Kommentare, die bereit sind, auch in der Tiefe eine Begründung zu liefern würde ich mich sehr freuen!
Destruktive Kommentare oder gar Beschimpfungen werde ich nicht freigeben!




Christentum – eigenartig

Gedanken zum Dreifaltigkeitsonntag 2022

Kirchenfenster Kathedrale von Lüttich – Bild von Thomas B. auf Pixabay

Am 12. Juni 2022 begehen wir den Dreifaltigkeits-Sonntag.
Dahinter steckt eine Glaubensüberzeugung, die sich in den ersten Jahrhunderten nach Christus konkret ausgeformt hat.


Heute sehen wir, dass das Christentum unter den Religionen der Welt wirklich eigenartig ist.



Gott ist Person

Bild von Aida KHubaeva auf Pixabay

In den Religionen gibt es manche, die an Gott resp. an Gött:innen glauben und jene, die in ihrer Religion keinen Gott kennen.

Zur letzteren Gruppe gehört der Buddhismus. Buddha gilt zwar als ‚Erleuchteter‘, aber er ist kein Gott. Ebenfalls der Taoismus gehört dazu.

Dann gibt es noch die Religionen, die an einen Gott resp. Gött:innen glauben.
Am Einfachsten lässt sich dies an religiösen Handlungen fest machen.
Während Taoismus und Budhhismus zwar eine göttlicher Macht kennen, werden sie sich in ihren Gebeten nicht an ein ‚Gegenüber‘ wenden; ihre ‚Gebete‘ sind mehr schweigend, meditierend.

Die Religionen, die Gott kennen, haben im Gebet ein Gegenüber: nämlich Gott oder die Gött:innen.

So besitzt z.B. der „Gott Abrahams“ (Juden, Christen, Moslems) Eigenschaften, die es ihm ermöglichen, mit den Menschen in Kontakt und Beziehung zu sein. Schon im Alten Testament können wir dieses sehr deutlich erkennen.
Gott spricht zu den Menschen und die Menschen sprechen zu Gott, auch insbesondere in ihren Gebeten. Die alttestamentlichen Psalmen legen davon eindrückliches Zeugnis ab.
Aber Gott spricht nicht nur mit den Menschen, sondern er ist auch ein handelnder Gott: als Schöpfer, als Lenker und Retter (Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, Einsetzung von Königen und Propheten) und als Richter.

Darin kann man – vereinfacht ausgedrückt – einen Unterschied zwischen Religionen mit und ohne Gott/Gött:innen erkennen.

Unser Christentum glaubt also an einen Gott, der personal ist. Gott ist also wer, wenn wir es so ausdrücken wollen. Wir können zu ihm sagen: „Du, Gott!“
Jedoch mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass Gott keinem Geschlecht zugeordnet werden kann. Die Person Gottes nach christlichem Verständnis ist geschlechtslos. (Was aber zu Verwirrungen führen kann, wenn wir erkennen, dass Jesus Gott „seinen Vater“ nennt.)

Der personale Gott ist also ein ‚Gott in Beziehung‘, wie wir z.B. auch sehr eindrücklich in den Worten Jesu im Johannes-Evangelium, da besonders die ‚Abschiedsreden‘ Jesu nach Johannes, Kapitel 14-17.

Ein Gott – drei Personen

Sicherlich wenig logisch erscheint uns auf dem ersten Blick der christliche Glaube an einen Gott in drei Personen.

Das ist reichlich ungewohnt.
Entweder kennen wir, wie z.B. aus der vorchristlicher Zeit und der Antike oder auch aus altägyptischer Zeit, den Glauben an viele verschiedene Götter und Göttinnen. Heute finden wir diesen ‚Polytheismus‘, wie der Fachausdruck dafür ist, auch z.B. im hinduistischen Glauben. Unter ihnen gehört das Dreiergespann der Götter Brahma, Vishnu und Shiva vermutlich zu den bekanntesten Göttern.

Dem gegenüber stehen Religionen, die nur einen Gott allein kennen (Monotheismus). Dazu gehören die jüdische Religion, der Islam und das Christentum; die alle drei als die ‚abrahamitischen Religionen‘ bezeichnet werden, weil sie alle auf Abraham zurück gehen. Die zentrale Aussage dieser drei Religionen ist: Es gibt nur EINEN GOTT!

Aber einen Gott in drei Personen?! – Ist das nicht widersprüchlich?

Nun, zumindest ist es für andere Religionen nicht denkbar und wird auch nicht geglaubt: außer im Christentum!

Um solchen Glauben haben zu können, sind weitere Überzeugungen nötig:

  • 1. „Bei Gott ist nichts unmöglich.“ (vgl. Lk 1,37 und Mt 19,23-26)
  • 2. Gott ist in der Geschichte allen Seins gegenwärtig und erfahrbar. (vgl. dazu auch Joh 1,1-17)

Ausgehend von diesen Grundüberzeugungen können wir von einen Gott ausgehen, der sich personal in der Weltgeschichte zeigt und zwar

  • 1. Als Gott-Schöpfer der ’sich in seiner Schöpfung zeigt und in allem, was ist‘.
    Das bedeutet, dass wir anhand des Werkes den ‚Urheber des Werkes‘ erkennen können, durch den alles ist, der der Urgrund und Ursprung allen ist, was existiert. Im Alten Testament finden wir in den Schöpfungsberichten dafür zwei Sichtweisen auf diesen Schöpfergott, die auf dem kulturellen Hintergrund der damaligen Menschen entstanden sind: da ist zum einen Gott, der durch das ‚Wort schafft‘ (diesen Gedanken finden wir dann auch im Johannes-Evangelium im 1. Kapitel wieder) und da ist Gott, der ‚durch seiner Hände Arbeit schafft, in dem er den Menschen aus der Erde ‚formte‘ und ihm ‚Lebensodem einhauchte‘. Später zeigt er sich in der Geschichte ’seines Volkes Israel‘ in seinen konkreten historischen Erfahrungen, sei es die ägyptische Sklaverei oder die babylonische Gefangenschaft usw.! Auf diesen Gott der Juden wird sich später auch Jesus von Nazareth berufen und ihn mit „Vater“ anreden – besonderer Ausdruck seiner innigen Beziehung zu Gott, ’seinem Vater‘.
  • 2. Gott als Gott des Bundes mit den Menschen und des Heils für die Menschen.
    Nachdem der Gott Israels, der alles ins Dasein gesetzt hat, immer wieder erfahren hat, dass sein Bundesangebot mit seinem auserwählten Volk nicht den ’notwendigen Erfolg‘ brachte und Israel immer wieder die Erfahrung von Not, Elend, Unterdrückung und Vertreibung erleben musste (worin das Volk Israel eine Kausalität erkannte, weil es Gott nicht die Treue gehalten hat), war es göttlicher Wille, dass er selber als Mensch in die Welt kommt, leibhaftig und historisch, um für seinen Bund mit den Menschen zu werben und diesen Bund unverbrüchlich zu besiegeln. – So zumindest glauben wir Christ:innen das Leben und Handeln und auch den Tod Jesus von Nazareth, der in seiner eigenen Verkündigung davon geredet hat, der in Liebe mit Gott so innig verbunden war, dass er von sich aus sagen konnte: „ich und der Vater sind eins“ (vgl. Joh 10,30) oder „wer mich sieht, sieht den Vater“ (vgl. Joh 14,9)
    Das Werben Jesu Christi für den Heilsbund Gottes mit uns Menschen ist der rote Faden im Neuen Testament.

    Christus war so sehr eins mit dem Vater und nichts konnte ihn von Gott, seinem Vater trennen (‚absondern‘, vgl. die Bedeutung des Wortes ‚Sünde‘), so dass sie quasi eins waren und als der historische Jesus Gott selbst in die Erdenzeit, in die Dimension von Zeit und Raum leibhaftig eingetreten ist. Dies feiern wir Christ:innen am Weihnachtsfest.
    Ein schönes Glaubenszeugnis dieses Verständnisses finden wir im Philipperbrief, 2, 6-11.

  • 3. Als Gott, der in der Welt bleibt, wenn gleich nicht leibhaftig als Mensch, sondern in seinem Heiligen Geist
    Jesus Christus, der Sohn Gottes, beendet seine Lebenszeit hier auf der Erde durch seinen Tod am Kreuz. Aber er ist durch seine Auferstehung in eine neue Seinsform hinübergegangen und – wie er sagte – zu seinem Vater gegangen.

    Er wusste aber zugleich, dass die Menschen und die Schöpfung ohne die Gegenwart Gottes immer wieder in der Gefahr sind, von den Wegen des Heiles abzukommen, weil alle Schöpfung noch nicht vollkommen ist; weil Liebe zwar da, aber bruchstückhaft ist; weil das Reich Gottes angebrochen, aber noch nicht vollendet ist.

    Ohne ihren ‚Meister‘ leben zu müssen, war auch für seine Jünger:innen unvorstellbar. Er, Jesus, erkannte diese Not und versicherte ihnen den bleibenden Beistand, bevor er zu seinem Vater heim ging. Und der Evangelist Johannes berichtet in einem der Abschiedsreden Jesu davon. Es lohnt sich wirklich, diese Texte zu lesen und zu meditieren. Es spricht so viel Liebe und Fürsorge aus ihnen, die Jesus für seine Jünger:innen empfindet.

Keltisches Symbol für die Dreifaltigkeit (Trinität), Bild von Collette Hughes auf Pixabay

Wenn wir also an diesem Sonntag Gott in seiner Dreifaltigkeit bekennen und feiern, dann bekennen wir damit den einen und denselben Gott, der Person ist und sein Wesen in dreifaltiger Weise uns zur Erkenntnis gebracht hat.

Ich wünsche uns, dass dieser Glaube uns stärkt in Hoffnung und Zuversicht, in Liebe und Barmherzigkeit; uns selber gegenüber aber auch allem um uns herum!


Gott,

der du Schöpfer und Schöpferin bist,
wir glauben dich als Person, die alles ins Dasein gerufen hat und ohne die nichts ist.

Gott,
der du Gottes Sohn bist, der in innigster Liebe mit dir, dem Vater verbunden ist, der du eins warst und bist als wahrer Mensch und wahrer Gott, Jesus Christus,

Gott,
Heiliger Geist, du ewiger Beistand, von dem schon die Schöpfungsgeschichte kündet, dass du über allem schwebtest, bevor es ins Dasein gerufen wurde und der auch heute noch in der Welt gegenwärtig bist, auch wenn wir dich manchmal nicht erkennen,

Du, Dreifaltiger in Person,
erfülle unsere Herzen und unseren Geist mit dem Glauben und der tiefsten Hoffnung, dass du der Einzige bist, der alles ist und in dem Alles ist und wir nie von dir getrennt werden.
Du, Gott der Beziehung, vertiefe unseren Glauben, dass wir dich – wie auch immer – persönlich ansprechen und bekennen,

als sorgender Vater
als liebende Mutter
als die Heilige Geistkraft

als das, was du bist

der/die EINE
und EINZIGE

gestern, heute und morgen,
im Kleinsten und in der Fülle,
hier und dort und überall.

Amen.

(Gerd Wittka, 11.06.2022)




Wenn Mütter sterben …

Bild von silviarita auf Pixabay

… eine einzigartige Trennungserfahrung

Ich gehöre wohl zu der Generation, die in diesen Jahren gehäuft mit dem Tod der eigenen Mutter konfroniert ist.
Viele in meinem Bekanntenkreis und in meinem Alter können diese Erfahrung nun machen.

Mir fällt dabei auf, dass – obwohl unsere Mütter ein hohes Alter erreicht haben – deren Tod uns oft sehr nahe geht.

Warum ist das so?



Ich habe mich gefragt: Warum? – Hatten sie nicht ein gesegnetes Alter? Haben wir nicht immer häufiger den Gedanken in uns gehabt, dass bald die Zeit kommen könnte, wo sie diese Welt verlassen? Waren sie vielleicht nicht schon durch Alter, Gebrechlichkeit und Alter so gezeichnet, dass ihr Tod immer näher kam?

Bei meiner Mutter habe ich es z.B. so erlebt, dass sie sehr gut auf ihren Tod vorbereitet war. Sie hat ganz bewusst eine weitreichende Verfügung erlassen, was in welchem Fall noch medizinisch getan werden soll. Sie hat sogar ihre eigene Beisetzung bis ins Detail klar gehabt; sie hatte entschieden, dass sie in einem „Garten der Erinnerung“ beigesetzt werden wollte und vieles andere mehr.

Als dann aber der Augenblick ihres Todes kam, hat es mich sehr bewegt. Und auch heute, gut drei Jahre nach ihrem Tod, vermisse ich sie immer noch.

Warum ist die Beziehung zur eigenen Mutter so stark?

In den Tagen ihrer Beisetzung sagte mir jemand:

„Die eigene Mutter ist der einzige Menschen, den man am längsten kannte und die dich am längsten kannte. Ihr kanntet euch schon, da warst du noch nicht geboren. Schon vor der Geburt habt ihr eine Verbindung aufgenommen und gehabt. Diese Verbindung ist ganz einzigartig und kann durch keinen anderen Menschen irgendwie erreicht werden.“

Dieser Gedanke begleitet mich seitdem. Und ich kann wegen dieses Gedanken es sehr gut annehmen, dass meine Trauer um die Mutter auch jetzt noch irgendwie anders, intensiver ist, als bei anderen Menschen.