„Wollt auch ihr weggehen?!“

21. Sonntag im Jahreskreis – C – 2021

Ansprach zur Schriftstelle: Johannes 6,60-69

Liebe Schwestern und Brüder,

es würde mich sehr wundern, würden viele von uns, die wir das heutige Evangelium gehört haben, irgendwann nicht auch auf das Thema „Kirchenaustritt“ und die neuesten Entwicklungen kommen.

Wir könnten leicht versucht sein, dieses Evangelium oberflächlich und 1:1 auf die heutige Zeit zu übertragen.
Wir könnten leicht versucht sein, zu sagen: „Heute ist es ja nicht viel anders als damals. Auch heute verlassen Menschen die Kirche und wollen scheinbar nicht mehr mitgehen.“

Bild von Oliver Fuß auf Pixabay



Aber Vorsicht!
Vielleicht ist das genau zu kurz gedacht.

Schauen wir uns den Text etwas genauer an:
Da gibt es wieder diesen einen Satz, den wir als Schlüsselsatz verstehen dürfen, der uns die Vorzeichen benennt, unter denen wir diesen Text ent-schlüsseln müssen:
„Der Geist ist es, der lebendig macht. Das Fleisch nützt nichts!“

Damit spricht Jesus einen Punkt bei den Juden an, der mit der Frage zusammenhängt, wie ein Mensch Jude bzw. Jüdin wird.
Wesentlich und in erster Linie spielt da die Rolle, ob Mutter oder Vater jüdisch ist. Die Geburt, die Abstammung von den Eltern ist hier also primär maßgeblich. Durch die anschließende Beschneidung tritt ein Junge dann dieser Bundesgemeinschaft bei.

Es gibt also mehr oder weniger einen „Automatismus“ bei der Zugehörigkeit zum Judentum: die Geburt, also „das Fleisch“ ist maßgeblich.

Doch dieses Verständnis kratzt Jesus im heutigen Evangelium an. Nach ihm ist nicht die Herkunft für die Zugehörigkeit maßgeblich, sondern die Gesinnung, der Glaube und die damit einhergehende Entscheidung für den Glauben und für eine Nachfolge Christi.

Diese Tradition des ‚entschiedenen‘ Christen hat sich im Laufe der Kirchengeschichte verfestigt, auch wenn es Zeiten gab, wo der/die einzelne nicht zum Christentum übertrat, sondern: wenn der „pater familias“ zum christlichen Glauben übertrat, dann trat mit ihm „das ganze Haus“ zum christlichen Glauben über, also alle Familienangehörigen, selbst die Sklaven im Haus.

Beziehen wir das heutige Evangelium aber auf die Frage nach Kirchenaustritt und Zugehörigkeit zu Christus, dann lohnt sich ein genauerer Blick auf die Entwicklung in diesem Bereich.

Das veränderte Austritt-Szenario in der Kirche

Als ich vor über 25 Jahren Priester wurde, konnte man im großen und ganzen berechtigterweise die These vertreten: Wer aus der Kirche austritt, vollzieht damit nur den letzten Schritt. Vorausgegangen waren zumeist schon eine längere innere und äußere Loslösung von der Kirche und evtl. sogar auch vom christlichen Glauben.
Der Kirchenaustritt erschien damals zumeist als logischer Schritt einer inneren oder auch geistlichen Entfernung von christlichem Glauben und von der Kirche.
Für uns Seelsorger:innen hieß das auch zumeist: „Der Zug ist abgefahren!“. So schnell würde man diese Menschen nicht wieder zurück gewinnen können. Mit diesen Menschen müsste man den Glaubensweg wieder neu starten.

In den letzten Jahren können wir – auch unter dem Einfluss des Skandals über sexuellen Missbrauch in der Kirche und durch kirchliche Mitarbeitende und auch das starre hierarchische Handeln der Kirche – aber eine andere Entwicklung feststellen.
Menschen sind verärgert, frustriert und verletzt, wie unsere Kirche mit bestimmten Themen umgehen.
Darunter sind sogar Menschen, die sich bis zum eigentlichen Austritt teilweise persönlich und sehr engagiert in der Kirchengemeinde eingebracht haben, z.T. in verantwortlichen Aufgaben und Positionen in Gremien oder als Ehrenamtliche in der Verkündigung (Kommunionhelfer:innen, Lektor:innen, Messdiener:innen, ….).

So höre ich in letzter Zeit häufiger folgende oder ähnliche Statements: „Ich trete aus der Kirche aus, aber ich bleibe ‚katholisch‘!“ oder „Ich trete aus der Kirche aus, aber ich bleibe nach wie vor überzeugte/r Christ:in!“

Christ:in sein – ohne Kirche?

Ich will jetzt gar nicht die theologische Frage stellen zwischen überzeugtem Christentum und ‚Zugehörigkeit zur Kirche‘. Aber diese Beobachtungen lassen eine weitere Frage aufscheinen:

Bedeutet Zugehörigkeit zu Christus gleichzeitig Zugehörigkeit zur Kirche? Oder: kann ich auch als ausgetretene/r Katholik/in auch weiterhin katholisch und Christ:in sein?

Viele von denen, die formal aus der Kirche ausgetreten sind, beantworten diese Fragen sehr klar, entschieden und eindeutig mit: „Ja!“

Ich finde, dass ist ernst zu nehmen. Denn sie sagen damit: Mein Christsein und mein Kirchesein wird nicht in erster Linie geprägt von einer formalen Mitgliedschaft zu einer Kirche, zu der ich vielleicht sogar eher unfreiwillig, d.h. durch die Entscheidung der Eltern (also dem „Fleische nach“?) gekommen bin.
Mein Verständnis von Christsein und Kirchesein ist entscheidend von meiner eigenen Entscheidung her zu verstehen, also von dem, was meinem Geiste als freie Entscheidung entspringt.

Bild von Holger Schué auf Pixabay

Mir ist klar, dass manche Dogmatiker:innen jetzt heftig die Stirn runzeln werden. Aber das ist für mich zweitrangig.
Für mich ist viel wichtiger, diese Geisteshaltung dieser Menschen ernst zu nehmen, denn dahinter verbirgt sich was ganz Wertvolles: sie haben nicht abgeschlossen mit dem christlichen Glauben, sie haben nicht abgeschlossen mit der christlichen Gemeinschaft. Sie haben oft nur abgeschlossen mit einer organisatorischen Institution, die ihnen oft so widersinnig erscheint: widersinnig im Hinblick auf den christlichen Glauben.

Und: sie haben ihr Bekenntnis zu Jesus Christus dadurch erneuert.
Sie sagen damit: Christus und der Glaube an ihn und seine Botschaft spielen in meinem Leben weiterhin ein große Rolle. Die Worte Jesu und seine Botschaft sind für diese Menschen weiterhin „Geist und sind Leben“.
Ihr Leben würde ohne den christlichen Glauben, ohne die Zugehörigkeit zu Christus, ohne christliche Nachfolge, leer sein.

„walking to the sky“ – Bild von Zorro4 auf Pixabay

Sie antworten auf die Frage des Herrn: „Wollt auch ihr gehen!“ auch heute wieder: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Wortes des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“

Wenn wir diesen Gedanken an uns heranlassen und ihn zulassen, dann wird aber zwangsläufig eine weitere Frage auftauchen:

Wie ist es mit uns, die wir (noch) in der Kirche geblieben sind?
Wo sind wir (nur noch) „dem Fleische nach“ Christ:innen? Und wo und wie könnten wir mehr und bewusster „dem Geiste nach“ Christ:innen sein und glaubwürdiger werden; dem Geiste nach, der uns (wieder) lebendig macht?

Formales Christentum, formale Zugehörigkeit zur Kirche ist wertlos.

Dem Geiste nach zu Christus zu gehören ist wesentlich, ob als Mitglied der Kirche oder nicht (mehr).




Solidaritätszeichen gegen Homofeindlichkeit

Röm.-kath. Krankenhausseelsorger setzt deutliches Statement

Foto: © Gerd Andreas Wittka, 2021

Aus Anlass der Begegnung zwischen den beiden Nationalmannschaften von Ungarn und Deutschland und angesichts der homofeindlichen Politik der Regierung Orbans, hat der katholische Krankenhausseelsorger am Johanniter-Krankenhaus Oberhausen Pastor Gerd Andreas Wittka ein Statement gesetzt.



Seit heute morgen und mindestens bis zum Ende des ‚pride month‘ hängen am katholischen Seelsorgebüro die deutsche Nationalflagge und die rainbowflag friedlich nebeneinander.

Damit will Pastor Wittka ein Zeichen setzen, dass auch innerhalb der römisch-katholischen Kirche in Deutschland der Widerstand gegen Diskriminierung, Homofeindlichkeit, Ausgrenzung und Rassismus weiterhin in Fahrt bleibt!

Pastor Wittka fordert Vertreter:innen der eigenen Kirche in Oberhausen und bistumsweit auf – seien sie haupt- oder ehrenamtlich tätig – zusammen mit unserer Bistumsleitung von Bischof Overbeck und Generalvikar Pfeffer, ein solches Zeichen gegen Menschenfeindlichkeit zu setzen.

Gerade in den Pfarreien und in der Stadt Oberhausen sieht er da noch mächtigen Nachholbedarf!




Angesprochen

Ich fand heute einen Gedanken, der mich sehr angesprochen hat und in dem ich mich gut wiederfinden kann:

Quelle: www.pixabay.com

Ich danke allen, die meine Träume belächelt haben.
Sie haben meine Fantasie beflügelt.

Ich danke allen, die mich in ihr Schema pressen wollten.
Sie haben mich den Wert der Freiheit gelehrt.

Ich danke allen, die mich belogen haben.
Sie haben mir die Kraft der Wahrheit gezeigt.

Ich danke allen, die nicht an mich geglaubt haben.
Sie haben mir zugemutet, Berge zu versetzen.

Ich danke allen, die mich abgeschrieben haben.
Sie haben meinen Trotz geschürt.

Ich danke allen, die mich verlassen haben.
Sie haben mir Raum gegeben für Neues.

Ich danke allen, die mich verraten und missbraucht haben.
Sie haben mich erwachsen werden lassen.

Ich danke allen, die mich verletzt haben.
Sie haben mich gelehrt, im Schmerz zu wachsen.

Ich danke allen, die meinen Frieden gestört haben.
Sie haben mich stark gemacht, dafür einzutreten.

Ich danke allen, die mich verwirrt haben.
Sie haben mir meinen Standpunkt klar gemacht.

Vor allem aber danke ich all denen, die mich lieben, so wie ich bin.
Sie geben mir die Kraft zum Leben! Danke.

(Paulo Coelho) – Quelle: http://www.k-l-j.de/Gebet_persoenlich.htm




Klarheit

Evangelium: Mt 5,17-37

Quelle: www.pixabay.com

Das Evangelium vom 6. Sonntag im Jahreskreis des Lesejahres A ist eine echte Herausforderung, besonders für eine Person, die darüber zu predigen hat.
Es ist die Klarheit und Eindeutigkeit und zugleich der hohe Anspruch, der in diesem Ausschnitt aus der Bergpredigt zu Tage tritt.
Dieser Text ist einer der neutestamentlichen Texte, die deutlich macht, dass christliche Ethik nicht die Ethik des Alten Testamentes aufhebt, sondern sie sogar nocht perfektioniert. Die Folge ist, dass christliche Ethik zum Beispiel nicht bei der Beachtung des Dekalogs (10 Gebote) stehen bleiben kann.
Christsein ist kein Zuckerschlecken …



„Schwört überhaupt nicht (…), eure Rede sei: Ja ja, nein nein;…“

Seit meinem Studium Ende der 1980er Jahre, als ich im kirchenrechtlichen Hauptseminar über die Praxis des Eides in der Kirche gearbeitet habe, sitzt dieses Wort in meinem Geist, wie ein Stachel im Fleisch. Denn allein die kirchliche Praxis mit z.B. ihrem Treueeid steht dem (scheinbar?) gegenüber. Aber das ist für meine seelsorgliche Arbeit heute eher nicht relevant.

Viel wichtiger erscheint mir die Haltung: „Eure Rede sei: Ja ja, nein nein; was darüber hinausgeht, stammt vom Bösen.“ in Alltag relevanter zu sein.

Dies ist nämlich eine Position der Klarheit und Eindeutigkeit, die Jesu von uns erwartet.
Aber der Alltag sieht oft anders aus: da wird herumgeredet, da bleibt man im ‚Ungefähren‘, da will man sich nicht festlegen und verschiebt Entscheidungen.

Solche Haltungen und Umgangsweisen sind auf Dauer destruktiv, weil sie Vertrauen zerstören und Unsicherheiten schüren.

In einer meiner früheren Gemeinden durfte ich einen Kollegen kennenlernen, der „kein Blatt vor dem Mund nahm“, wie man so sagt. Er war frei heraus und so eindeutig, dass es manchmal für die Menschen um ihn herum schmerzhaft war. Er war auch keineswegs immer ‚gefällig‘ und versuchte sich nicht anzubiedern.
So kam es, dass ich aus der Gemeinde auch hier und da Rückmeldungen bekam, die mit dieser Art nicht zurecht kamen.
Aber – wie Sie sich sicher denken können – war das nicht sein Problem, sondern ihr eigenes. Denn ihnen schien Indifferentismus lieber zu sein, als Klarheit.

Ich pflegte dann oft darauf zu entgegen, dass der Umgang mit meinem Kollegen nicht immer einfach sei. Aber was ich an ihm schätze ist seine Klarheit, die ohne Falschheit daher kommt. Bei ihm wisse ich immer, wo ich dran bin ….

Und es wundert nicht, dass ich genau das nämlich bei anderen Menschen nicht immer unbedingt weiß.

Glaubwürdigkeit und Klarheit

Zur Glaubwürdigkeit gehört für mich auch diese Klarheit. Mein o.g. Kollege hat mir in seiner Art imponiert. Ich selber spüre, dass mir diese Klarheit auch lieber ist, als das ganze Drumherumgerede.

Ich spüre aber auch, dass diese Klarheit, insbesondere wenn sie auf andere Auffassungen trifft, nicht gerade geschätzt wird.

Wer klar und eindeutig ist, der unterliegt auch einer größeren Gefahr, angefeindet zu werden.

Durch meine vielfältigen Lebens- und Berufserfahrungen habe ich für mich einen Wertekanon entdeckt, der sich – je älter ich werde – immer deutlicher und eindeutiger wird.

Diese Eindeutigkeit wird aber zugleich immer grundsätzlicher; sie verzettelt sich nicht im Klein-klein. Sie ist vielmehr geprägt vom dreifachen Liebesgebot ableitet, das sich im gegenseitigen Respekt, in Barmherzigkeit und Wohlwollen anderen gegenüber und der Anerkennung der menschlichen Freiheit als Gottes Geschenk ausdrückt.

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Sie ist geprägt vom Glauben an die Kraft des Heiligen Geistes, der mir die Möglichkeit gibt, offener und mit einem größeren Gottvertrauen in die Zukunft geht, weil ich weiß, dass ich weder die Welt, noch die Kirche noch den christlichen Glauben oder sonst was retten muss (und auch nicht kann!).

Ich weiß, dass ich damit gerade auch in konservativ-reaktionären Kreisen unserer Kirche auf wenig Gegenliebe bis Ablehnung stoße.
So what?! – Das muss ich wohl in Kauf nehmen.

Das heutige Evangelium jedenfalls ermutigt mich dazu, mich um eine gewisse Gradlinigkeit und Klarheit zu bemühen.