„… wie Schuppen von den Augen …“

Mein persönliches Emmauserlebnis

„Da fiel es ihnen wie Schuppen von den Augen, und sie erkannten ….“

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Das sind Worte aus dem Evangelium vom vergangenen Montag, dem Ostermontag.
Das sind Worte aus dem Evangelium von den Emmaus-Jüngern.

Die Begegnung und die Begleitung durch den Auferstandenen und das gemeinsame Brotbrechen öffnet ihre Augen für die Wahrheit der Auferstehung Christi.



Ein solches ‚Entschuppungserlebnis‘ hatte ich auch am vergangenen Donnerstag, als ich nämlich den geistlichen Impuls zum heutigen Evangelium in meinem Stundengebetbuch „Te Deum“ las.

Er stammt von der Benediktinerin Johanna Domek OSB, die in dem selben Kloster Ordensfrau ist wie meine erste geistliche Begleiterin zum Zeitpunkt meiner Priesterweihe.

Dieses Kloster in Köln-Raderberg ist ein Ort geistlicher Inspiration, so auch beim Lesen dieses Impulses.

Sr. Johanna Domek hat ihren Impuls unter dem Vorzeichen des heutigen Sonntags gesetzt, der traditionell „Weißer Sonntag“ genannt wird, aber durch Papst Johannes Paul II. zum „Sonntag der Göttlichen Barmherzigkeit“ ernannt wurde.

Und das hat Sr. Johanna Domek zum Anlass genommen, das heutige Evangelium unter dem Vorzeichen der „Göttlichen Barmherzigkeit“ zu lesen und zu interpretieren.

Dieses Evangelium erscheint auf dem ersten Blick als ein Konglomerat von Aussagen Jesu, die der Evangelist Johannes scheinbar am Ende seines Evangeliums noch ‚schnell unterbringen‘ wollte.

  • Da ist von Jünger:innen die Rede, die sich hinter verschlossenen Türen verkrochen haben
  • Da ist von Jesus Christus dem Auferstandenen die Rede, der ihnen erscheint.
  • Da ist von der Sendung des Heiligen Geistes die Rede
  • … und von Sündenvergebungsvollmacht und Sündenvergebung
  • da ist davon die Rede, dass auch der Letzte die Auferstehung Jesu Christi verstehen soll und kann, am Beispiel des heiligen Thomas

… und das alles in den letzten zwölf Versen des Johannes-Evangeliums.

Es ist schon auffällig, wie lang die Passion Christi bei Johannes ist und dann aber hier am Ende noch mal schnell einige wichtige Aussagen an den Schluss gesetzt werden sollen.

Sr. Johanna Domek hat es mit ihrem Impuls geschafft, unter der Lupe der „Göttlichen Barmherzigkeit“ diese letzten Verse zu betrachten und unter dieser Lupe den ‚roten Faden‘ dieser letzten Verse zu ent-decken.

Und diese Lupe benennt sich gleich am Anfang ihres Impulses:
„Gottes Liebe ist Barmherzigkeit“

Diese ‚Göttliche Barmherzigkeit‘ wird genährt von der Sehnsucht Gottes, einen Idealzustand herbei zu führen ohne die Freiheit und Verantwortlichkeit des Menschen aufzuheben.

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Für Gott ist es der Zustand vollendeter und allumfassender Liebe.
Aber Barmherzigkeit beinhaltet zugleich auch den realistischen Blick. Barmherzigkeit geht nicht über Realitäten hinweg, ignoriert sie nicht, sondern nimmt sie wahr, so wie sie sind.
Die Göttliche Barmherzigkeit nimmt unsere menschlichen Realitäten wahr mit all ihren Fassetten und in ihrer bruchstückhaften Unvollkommenheit.
Die Göttliche Barmherzigkeit nimmt diese Bruchstücke an und erkennt darin die Chance, daraus noch etwas zu machen, um den erstrebten Idealzustand herzustellen.
Diese Göttliche Barmherzigkeit erspart uns auch den ‚den Griff auf die heiße Herdplatte‘, wie ich es ausdrücken möchte. Sie erspart uns nicht die Schritte, die wir zu gehen haben, auch nicht die Schritte der Fehler und Schuld, die Schritte der Angst und Hoffnungslosigkeit, der Resignation und des Leidens.
Die Göttliche Barmherzigkeit kommt uns in all dem immer entgegen.

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Was hier von mir sehr abgehoben klingt, fasst Sr. Johanna Domek in anschauliche Beispiele.

Da sind die Jünger:innen, die in ihrer großen Angst sich eingeschlossen haben, die sich nicht trauen in ihrer Angst und Verzweiflung die schützenden Mauern zu verlassen.
Und der Auferstandene zerrt sie da nicht hinaus, der ‚zwingt sie nicht zu ihrem Glück‘, wie wir manchmal so sagen.
Sondern er kommt ihnen entgegen, macht sich auf den Weg in ihre Verschlossenheit, in ihr selbstgewähltes zeitliches Grab. Er, der aus dem Grab auferstanden ist, geht zu denen, die sich in ihr selbstgewähltes Grab quasi eingemauert haben. Er geht also wieder und wieder ‚ins Grab‘, um den Begrabenen dort entgegen zu kommen, damit sie frei werden können.

In ihrem selbstgewählten Verlies, verlässt der Auferstandene die Seinen nicht, sondern nimmt sie wahr und an mit ihren friedlosen Herzen, die keine Ruhe finden in ihrer Trauer.
Aber er verwandelt diese geistlose Friedlosigkeit, indem er ihnen seinen Geist einhaucht, der sie versöhnt mit der vergangenen Geschichte, der ihnen inneren Frieden und Freude schenkt, ihre Hoffnung stärkt und ihnen Perspektiven aufzeigt.
Was die Jünger:innen in sich selbst nicht finden können, aber was so Not tut, das schenkt die ‚Göttliche Barmherzigkeit‘ ihnen ‚von außen‘, vom
‚Himmel herab‘.

Christus ignoriert auch nicht ihre Verzagtheit, ihr Versäumnis und Versagen, sondern nimmt sie an, um sie zu wandeln durch das Wirken seines Geistes.

Mehr noch: diese Geisterfülltheit ermächtigt und befähigt seine Jünger:innen, selber Werkzeuge der ‚Göttlichen Barmherzigkeit‘ zu sein, indem sie das Werk der Versöhnung mitgestalten können und das Geschenk der eigenen Vergebung weiterzugeben.

Und am Beispiel des heiligen Thomas macht Jesus deutlich, dass er nicht den Zweifel und den Unglauben ignoriert.
Aber er entlässt Thomas auch nicht aus seiner eigenen Verantwortung und Möglichkeit, sich buchstäblich an diesen verlorenen Glauben wieder heranzutasten, indem Christus Thomas ermöglicht, sich ihm wieder zu nähern, ihn buchstäblich zu ertasten, zu erfahren.

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An diesem Sonntag der ‚Göttlichen Barmherzigkeit‘ sind mir – auch durch den Impuls von Sr. Johanna Domek – wieder ein Stück weit mehr die Augen geöffnet worden.
Ich habe gelernt, diesen Schrifttext unter einem neuen Vorzeichen zu lesen und zu verstehen, unter dem Vorzeichen der ‚Göttlichen Barmherzigkeit‘.

Die ‚Göttliche Barmherzigkeit‘ ignoriert nicht meine, nicht unsere Lebenswirklichkeit, sie nötigt uns nicht, aber sie nutzt unsere Lebenswirklichkeiten, um uns selber zu den notwendigen Schritten zu befähigen, die für uns heilsam sind.




Verborgen und entdecken

Impuls zum 6. Sonntag im Jahreskreis – Lesejahr A

Zitat aus der 2. Lesung ( 1.Korinther 2,6-10 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver ):

„Vielmehr verkünden wir das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes, die Gott vor allen Zeiten vorausbestimmt hat ….“

Geheimnis

Gerade in der Lesung fiel dieser Satz.

Hier spricht Paulus von einem „Geheimnis“.

Wie ist es bei uns, wenn wir erfahren, dass es hier oder da ein „Geheimnis“ gibt?
Möchten wir das Geheimnis lüften, entdecken, enttarnen?

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Kinder leben auf eine ganz besondere Weise mit Geheimnissen. Sie haben oft eine natürliche Neugier, hinter alles zu kommen, was ihnen rätselhaft ist. Das ist natürlich, denn Kinder – so erzählte es mir mal eine Kinderpsychologin – wollen und müssen ihre Welt entdecken, damit sie sie begreifen können, manchmal buchstäblich und handfest und manchmal auch geistig-intellektuell. Nur so kann sich ein Kind entwickeln und seine eigene Persönlichkeit.

Entdeckungen und Erkenntnisse machen also uns Menschen aus.

Und jetzt hier, spricht Paulus von einem Geheimnis.

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Wollen wir dahinter kommen?
Wollen wir weiter wachsen und verstehen, wie das mit Gott und er in unserem Leben ist?

In der Begleitung von Menschen, besonders kranken Menschen, die selber von sich sagen, dass sie einen religiösen Hintergrund haben, stoßen wir im Gespräch manchmal darauf, dass Gott doch so oft nicht begreifbar ist. Wir verstehen nicht, warum unser Leben so ist, wie es verläuft.

Das gilt aber nicht nur in Zeiten der Krise. Es gibt ja auch erfreuliche Hochzeiten in unserem Leben. Da entdecken wir voller Freude und Verwunderung, was uns alles widerfährt, auch an Gutem, an Freude, an Liebe, an Erkenntnis und Erfahrungen, an Glück.

Und egal von welchem Ende wir uns dieser Frage nähern, was Gott mit uns im Schilde führt, wir werden meist nicht dahinterkommen.

Antworten, die wir darauf finden, sind sehr unterschiedlich und individuell … und manchmal auch nicht von langer Dauer, vorübergehend.

Eine Antwort eines Menschen auf frohe und glückliche Zeiten war, dass er sie aufnehme, sich davon beschenken ließe, damit er von ihnen in den Zeiten zehren kann, wo das Leben nicht so leicht mit ihm spielt.

Andere hangeln sich mit anderen Erklärungen und Deutungen durchs Leben.
Manchen erscheint ihr Leben im Licht des Glaubens an einen Gott jedoch als ein nicht entschlüsselbares, verborgenes Geheimnis Gottes.

Egal, wo wir uns – jede und jeder persönlich von uns – gerade in unserem Leben befinden, ob jung oder alt, ob gefestigt im Glauben, oder als Suchende oder gar Zweifelnde: Immer wieder stehen wir vor der Aufgabe, Gott neu zu lernen, ihn und seine vielfältigen Seiten zu ent-decken.

Antworten gebären neue Fragen

Das scheinbar Paradoxe ist aber dann, je mehr wir meinen, ihm auf die Schliche gekommen zu sein, um so mehr Fragen oder Hinterfragungen können aufkommen.

Ein großes Beispiel ist das Lebensbeispiel des großen theologischen Gelehrten Thomas von Aquin. Er hat in seinem Leben meterlange Bände theologischer Traktate verfasst und nannte es selber: Die Summe der Theologie!

Thomas dachte über Gott nach und schrieb, dachte nach und schrieb, schrieb, schrieb …

.. bis er auf einmal zu einer Erkenntnis kam: Die Erkenntnis der Unerkennbarkeit Gottes.

Die Erkenntnis der Unerkennbarkeit Gottes bezeichnet Thomas als die letzte Erkenntnis:

„Das ist das Letzte menschlicher Erkenntnis über Gott, dass man erkennt, dass man Gott nicht kennt“.

Thomas von Aquin

Diese wissende Unwissenheit komme erst „am Ende unserer Erkenntnis“ vor.

Als das bei Thomas von Aquin geschah, war er aber noch nicht am Ende seines Lebens – aber am Ende seines Schreibens angekommen.
Und er hörte auf zu schreiben und widmete sich noch mehr dem Gebet.

So wundert es mich nicht, dass aus seiner Feder auch eines der bekanntesten Anbetungslieder stammt: „Gottheit tief verborgen“.

Da hören wir aus seinem Munde solche Sätze wie: „Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir…“ und „Augen, Mund und Hände täuschen sich in dir, doch des Wortes Botschaft offenbart dich mir“

Thomas spricht hier frank und frei, vom bedeutensten Wesen Gottes: der Verborgenheit Gottes.
Sie ist eine Verborgenheit, die dennoch zugleich größte Nähe sein kann.

Das ist für mich immer noch ein unbegreifliches, kaum in Worte zu fassendes Geheimnis unseres Glaubens. Es lässt sich nur durch das Leben tragen, wenn wir die innere Flammes des Glaubens in uns spüren, die die Sehnsucht vorantreibt, dieses verborgene Geheimnis mehr und mehr zu entdecken.

Dazu fand ich einen Text, ein Gedicht, ja ein Gebet, das von einem unbekannten Verfasser stammt und das ich gerne hier weitergeben möchte:

Gott neu lernen

Dich, Gott meines Lebens,
will ich neu lernen,
dich, Geheimnis von allem,
dich tiefster Grund,
dich, Quelle des Lebens.

Gott, öffne dich auf mich hin,
lass mich dich erahnen,
lass mich dich ertasten,
lass mich dich spüren,
du Gott meines Lebens.

Jenseits von Sprache und Denken,
jenseits von Bildern und Worten,
jenseits menschlicher Vorstellungen,
jenseits meiner Wünsche und Ängste
zeige du dich mir.

Gott, öffne mich auf dich hin,
öffne mein Denken und Fühlen,
öffne mein Herz und meine Sinne,
öffne mich ganz dir
und erfülle du mich ganz.

Bild von Anke Sundermeier auf Pixabay

Mach mich wie eine leere Schale
und erfülle mich ganz,
mach mich wie eine offene Hand
und schenke dich mir,
sei mir nahe, Unbegreiflicher.

Dich, Gott meines Lebens,
will ich neu lernen,
dich, Geheimnis von allem,
dich, tiefster Grund,
dich, Gott der Zukunft.

(Verfasser unbekannt)