Versöhnung mit dem Kreuz

Impuls zum „Fest Kreuzerhöhung“ am 14.09.2025

Kreuz im Altarraum, Kapelle AMEOS-Klinikum St. Clemens, Oberhausen, Foto: Gerd A. Wittka, 13.09.2025

Wenn Sie von Ihrem Platz aus auf das Kreuz im Altarraum schauen, wirkt es freundlich: helles Holz, eine Bronzefigur, ästhetisch und eher neutral.
Es zeigt keinen Leib voller Schmerzen und Wunden, wie beim Isenheimer Altar von Matthias Grünewald.
Es zeigt auch keinen triumphalen Christus als König, wie wir ihn aus der Romanik kennen.

Aber was ist eigentlich das Kreuz, das uns so vertraut ist?
Es bleibt eine brutale Hinrichtungsform: die Kreuzigung.

Müsste uns das nicht eigentlich abstoßen oder Angst machen?
Für die meisten von uns ist das nicht so. Wir haben uns daran gewöhnt. Für uns ist das Kreuz vor allem ein christliches Zeichen – und dadurch ist es für uns „entschärft“.

Trotzdem hören wir in den Gebeten oft von „Kreuzigungsopfer“ oder „Opfertod Christi“.
Und es kommen Fragen auf:

• Warum musste Jesus von Nazareth so grausam sterben, um uns zu retten?
• Wenn Gott allmächtig ist, hätte er uns nicht auch anders erlösen können?
• Braucht Gott wirklich Opfer, um uns zu vergeben, obwohl er den Menschen doch liebt?

Das bleibt schwer zu verstehen.

Die Lesung von heute kann helfen, ein besseres Verständnis zu bekommen, was unser Glaube ist:

„Jesus Christus war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich.“ (Phil 2,6)

In einfacheren Worten:
Jesus war von Natur aus Gott gleich.

Dieses Bekenntnis ist wichtig!
Schon die frühe Kirche hat darum gerungen, ob Jesus wirklich „wesensgleich“ mit Gott ist.

Wenn wir das glauben, können wir verstehen, dass Gott selbst in Jesus Christus den Kreuzestod erlitten hat, um Versöhnung zu schenken.

Was steckt dahinter?

Die Beziehung zwischen Gott und den Menschen war von Seiten der Menschen so gestört und zerbrochen, dass Gott selber handeln musste.
Und er wollte den Menschen nicht mit irgendwelchen Maßnahmen zur Gemeinschaft mit ihm zwingen.
Unsere Freiheit und Würde sollten bleiben!
Aber gleichzeitig ist es Gott wichtig, dass der Mensch in einer lebendigen und liebenden Beziehung mit Gott bleibt.
Wie konnte das also geschehen, ohne uns zu zwingen?

Der ‚Trick‘:
Gott selber also musste Mensch werden, um diese Beziehung wiederherzustellen.
Und es musste ein Mensch sein, der diese Beziehung für alle Menschen retten konnte, für alle Zeit, für früher, für heute, für die Zukunft…

Das war nur möglich, indem GOTT ganz Mensch wurde – ein Mensch, der zugleich durch seine göttliche Natur ohne Sünde war.
Dieser Mensch war Jesus von Nazareth, unser Christus.

Jesus Christus, „eines Wesens mit dem Vater“ (wie es im Großen Glaubensbekenntnis heißt), ging konsequent und unverbrüchlich den Weg mit Gott, bis in den Tod.
Gott hat also nicht irgendeinen Menschen am Kreuz leiden lassen.
Er selbst ging in Jesus Christus in den Tod.

Damit wir uns mit diesem grausamen Tod versöhnen können, dürfen wir glauben: Gott ging es nicht in erster Linie um die Art und Weise dieses Todes, sondern um das, was er bewirkte.

Es musst jemand sein, der Gott so innig verbunden ist, dass nichts und niemand ihn davon abbringt, ihn von Gott zu trennen, nicht einmal die Sünde.

Er musste der sein, der im Johannes-Evangelium von sich sagt:
„Glaubst du (Anm. von mir: „Philippus“) nicht, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist? Die Worte, die ich zu euch sage, habe ich nicht aus mir selbst. Der Vater, der in mir bleibt, vollbringt seine Werke. Glaubt mir doch, dass ich im Vater bin und dass der Vater in mir ist; wenn nicht, dann glaubt aufgrund eben dieser Werke!“ (Joh 14,10f.)

Und im Johannes-Evangelium, Kapitel 14, Vers 19 wird dieser Zusammenhang noch mal bekräftigt und betont, dass wir einst in diese göttliche Einheit einbezogen sein werden:
„Ich bin in meinem Vater, ihr seid in mir und ich bin in euch….“

Durch Jesus gab es also DEN Menschen, der selbst keine Erlösung brauchte, weil er ohne Schuld war, der aber für uns und ein für alle Mal die nie mehr endende Versöhnung mit Gott brachte.

Der, der für uns am Kreuz starb, ist wirklich Mensch, Jesus von Nazareth – und zugleich Gott selbst.
Gott selbst hat sich selbst und persönlich eingebracht, um die Beziehung Gottes mit uns Menschen unauflöslich zu sichern, damit die Beziehung zwischen ihm und uns nie mehr zerbricht.
Insofern können wir von einem ‚Opfer‘ sprechen.

Seitdem muss kein Mensch mehr ein solches ‚Opfer‘ für sich oder andere erbringen!

Was wir Menschen seit Christus brauchen, ist allein der Glaube daran, dass wir durch Jesus von Nazareth und in Jesus Christus, ein für alle Mal mit Gott versöhnt sind!
Das bestätigt auch Paulus in seinem Epheserbrief wenn er dort schreibt:
„…Denn aus Gnade seid ihr durch den Glauben gerettet, nicht aus eigener Kraft – Gott hat es geschenkt -,nicht aus Werken, damit keiner sich rühmen kann….“ (Epheser 2,8f)

Wir brauchen seitdem nur noch den Mut, unsere Schuld einzugestehen. Wenn wir Gott um Vergebung bitten, schenkt er sie uns.
Kein Opfer der Welt ist dafür mehr nötig! Das ist doch so unfassbar großartig!

‚Corpus Christi‘ in der Kirche St. Johannes Bapt. in Hattingen-Blankenstein. Foto: © Gerd A. Wittka, 2025

Hilft uns dieser Gedanke, uns dem Kreuz anzunähern?
Hilft es uns zu glauben, dass Jesus nicht im Tod bleiben konnte, weil er Gott ist und dass auch wir als Mensch Anteil an seiner Auferstehung haben?
Denn Gott liebt uns so sehr, dass er uns auf immer und ewig bei sich haben will – in diesem und im ewigen Leben!


Kreuzerhöhung

Nicht: das Kreuz überhöhen.
Denn Kreuze, überhöht,
haben schon Menschen zerdrückt,
sie unter Lasten begraben,
sie zu Boden geworfen,
ohne Hoffnung, je wieder aufzustehen.

Unter solchen Kreuzen
versinkt der Leidende,
verstummt das Leid,
das uns doch täglich begegnet,
uns anrührt, uns nicht loslässt.

Kreuzerhöhung –
das Kreuz erheben,
damit es sichtbar wird:
das Kreuz Christi,
das Kreuz ungezählter Menschen,
auch heute, mitten unter uns.

Das Kreuz erhöhen heißt,
das Leid nicht zu verschweigen,
es nicht aus der Welt zu reden,
sondern ihm standzuhalten,
den Blick auf es zu wagen,
auf unser eigenes Leid,
getragen, erlitten,
noch kommend.

Vor dem erhöhten Kreuz
brauchen wir nicht zu kriechen.
Es lädt uns ein, uns zu erheben,
aufrecht zu stehen –
zu unserem Leid,
zu den Leiden dieser Zeit,
zu einer Welt, die befreit werden will,
die Erlösung ersehnt.

Das Kreuz, hoch erhoben,
weist uns den Weg:
durch das Leid hindurch,
hin zum Leben.

© Gerd A. Wittka, 07.09.2025




Frohe Botschaft spüren

Bild von Robert Simukonda auf Pixabay

Lesungstext: Lukas 15, 11-32


Wahrnehmungsübung:

Ich möchte Sie für einen kleinen Augenblick einladen, einmal kurz inne zu halten und in sich hinein zu spüren; Sie dürfen – wenn Sie mögen – auch einen Augenblick die Augen dabei schließen um ganz bei sich selber sein zu können.
Am Ende der kleinen Übung werde ich Sie anleiten, wie Sie gut diese kleine Übung beenden können.

Setzen Sie sich – wenn möglich – aufrecht auf Ihren Stuhl. Lehnen Sie sich mit dem Rücken gut an, damit Sie im Rücken guten Halt finden.
Mit beiden Füßen sollten Sie gut den Boden berühren. Die Hände können Sie auf den Oberschenkeln ablegen.
Spüren Sie, wie Sie vom Stuhl gut getragen werden.
Wenn Sie mögen, schließen Sie jetzt Ihre Augen und lassen sich etwas von mir durch diese Übung führen.

Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf das Evangelium, das wir gerade gehört haben.
Erinnern Sie sich an Szenen, die Sie besonders angesprochen haben.
Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf die handelnden Personen.
• Da ist der Vater, der sein Erbe auszahlt.
• Da ist der jüngere Sohn, der seinen Erbteil nimmt und sich von zu Hause löst.
• Da ist der ältere Sohn, der ortstreu bleibt und sich an die Familientradition gebunden fühlt.

Spüren Sie einen Augenblick mal bitte in sich hinein und fragen Sie sich, welche Person Sie in diesem Evangelium besonders angesprochen hat?
Und welche Person behagt Ihnen gar nicht?
In welcher Person haben Sie sich persönlich am ehesten entdeckt?
Welche Person würden Sie gerne sein?

Bewerten Sie diese Feststellung nicht.
Nehmen Sie nur war, mit welcher Person Sie sich leichter einfühlen können?

Und jetzt versuchen Sie, mit Ihren Gefühlen in Kontakt zu kommen.
Zu den Gefühlen rechnen wir Angst, Ärger, Wut, Zorn, aber auch Freude, Dankbarkeit, Liebe, sich-geliebt-fühlen, …

Bewerten Sie die Gefühl nicht. Sie sind da und haben ihre Berechtigung.
Welche Gefühle nehmen Sie bei sich wahr, wenn Sie das heutige Gleichnis hören?

Oder spüren Sie sogar körperliche Empfinden, Befindlichkeiten oder Missempfindungen, wie innere Unruhe, Wärme und Entspannung im Bauchraum, aber vielleicht auch Anspannung oder Verspannung.
Wo nehmen Sie diese Empfindungen wahr? Im Kopfbereich, in der Brust oder in der Bauchgegend?
Auch diese Empfindungen bitte nicht bewerten, nur wohlwollend wahrnehmen.

Vielleicht können Sie auch im Moment gar nichts wahrnehmen.
Dann ist es auch nicht schlimm. Versuchen Sie, auch das nicht zu bewerten.

Bleiben Sie einen kurzen Augenblick bei dem, was gerade bei Ihnen ist.
Gönnen wir uns einen Augenblick der Stille ….

….

Nun möchte ich Sie anleiten, mit Ihrer Aufmerksamkeit wieder in diesen Raum zurück zu kehren. Lassen Sie noch die Augen geschlossen, wenn Sie sie geschlossen hatten.

Ballen Sie nun Ihre Hände zu Fäusten zusammen, auch gerne etwas kräftiger, damit Ihr Kreislauf wieder in Schwung kommt.
Ziehen nun langsam und kräftig ihre Fäuste und Unterarme an die Oberarme heran und Sie dürfen sich jetzt auch räkeln, wie wenn Sie morgens erwachen.
Dann öffnen Sie langsam wieder Ihre Augen und finden sich hier in der Kapelle wieder…


Vielleicht fragen Sie sich:
Was soll das alles?!

Ich möchte Sie ermutigen, das Evangelium nicht nur mit dem Verstand, sondern auch mit dem Herzen zu erleben.
Oft nähern wir uns solchen Texten nur sachlich und theologisch.
Aber Jesus erzählte Gleichnisse, um direkt unsere Gefühle anzusprechen – er wollte, dass wir mit unserem Herzen, also mit unseren Emotionen, berührt werden.
Obwohl er Rabbi genannt wurde, sah er sich nicht als einen rein akademischen Lehrer. Es tut uns also gut, wenn wir uns heute den Evangelien so nähern wie Jesus es tat.

Haben Sie beim Hören des Evangeliums gute, positive Gefühle empfunden?
Dann: Glückwunsch! Das Evangelium – die Frohe Botschaft – hat bei Ihnen bereits seine Wirkung entfaltet.

Falls Sie aber eher unangenehme Gefühle hatten, etwa weil Sie den älteren Sohn und seine Empfindung von Ungerechtigkeit verstehen, machen Sie sich keine Sorgen.
Genau solche Menschen wollte Jesus mit seinem Gleichnis ansprechen.

Viele von uns, mich eingeschlossen, können sich in der Reaktion des älteren Sohnes wiedererkennen.
Er hielt sich immer an die Tradition, doch für ihn blieb das Fest der Freude aus. Das ist für ihn unverständlich! Wo bleibt da der Lohn der Treue und des Gehorsams?!

Nur: so geht es zu, auf dem Erlösungsweg Gottes!

Auch wenn wir den älteren Sohn verstehen, dürfen wir versuchen, uns zu freuen, denn Jesus hat dieses Gleichnis für uns gedacht.
Er möchte uns lehren, uns für die grenzenlose und bedingungslose Liebe und Fürsorge des Vaters zu öffnen.

Ich könnte noch viel mehr über das Evangelium sagen, aber eines möchte ich besonders betonen:

Erinnern Sie sich an die Worte des Vaters:
„… dieser, dein Bruder, war tot und lebt wieder; er war verloren und ist wiedergefunden worden…!“
Das ist der zentrale Satz dieses Evangeliums.

Heute feiern wir den Laetare-Sonntag – das bedeutet „Freue dich!“.
Der letzte Satz des heutigen Evangeliums gibt uns einen Hinweis auf Ostern, auf die Auferstehung.
In diesem Gleichnis hören wir von einer Auferstehungsgeschichte, die in den kommenden Wochen in anderen Formen immer wieder auftaucht.

Der Laetare-Sonntag ist der Übergang von dem Teil der Fastenzeit, in der wir über unsere Umkehr nachgedacht haben, zu den nächsten Wochen, in denen wir das Leiden Christi verstärkt betrachten.

Dieses Evangelium und dieser Sonntag erinnern uns daran:
Wenn in den nächsten Wochen viel über Leid gesprochen wird, ist das nur der Auftakt.
Christus blieb nicht am Kreuz – sein Leiden führte direkt zur Auferstehung.
In diesem Geist lade ich Sie ein, die kommenden Wochen in diesem Bewusstsein zu begehen, bis wir in großer Freude das Osterfest feiern können.






OSTERN.GEGEN.MACHT

Bild: KI

Wie werden Sie dieses Jahr Ostern feiern?
Ist es für Sie eine Art Frühlingsfest, auch wenn es in diesem Jahr noch kalt sein könnte?
Feiern Sie Ostern mit seinem christlichen Hintergrund als das Fest der Auferstehung?
Denken Sie, dass Auferstehung nur etwas mit dem Leben nach dem Tod zu tun hat?



Ich habe für mich in den letzten Jahren gefunden, dass Ostern eine wichtige Botschaft für dieses irdische Leben bereit hält, nicht erst jenseits unserer irdischen Lebens.
Denn wie wollte ich an eine christliche Botschaft der Auferstehung glauben, wenn diese nicht schon hier stattfinden kann und wird?!

Auferstehung von den Toten hat für mich viel mit meinem Glauben an Erlösung zu tun:
Erlösung von all dem, wodurch mein Leben gefährdet ist, was meine Lebendigkeit behindert oder sie sogar bedroht ist bis hin zum Gefühl, dass ‚das Leben an mir vorbei geht‘.

Ostern ist für mich der Aufbruch ins Leben, manchmal auch in ein ganz anderes, neues Leben – jenseits meiner bisherigen Vorstellungskraft; jenseits dessen, was ich mir bisher an Lebensmöglichkeiten zu denken und zu leben versagt habe.
Ostern ist für mich die Ermutigung in ein Leben, dass uns wirklich lebendig sein lässt.

Somit ist die Botschaft von Ostern auch eine Botschaft gegen die eigene vermeintliche Ohnmacht.
Es ist eine Botschaft, die mir neue Möglichkeiten eröffnen will.

Und da darf jede/r von uns schauen, nach welchen neuen Möglichkeiten unser eigenes Leben drängt.
Doch damit das neue Leben beginnen kann, muss das ‚alte‘ = bisherige Leben vielleicht erst ‚sterben‘ und sterben können und dürfen.

Dieser Glaube ist aber nicht in jedermanns Sinne.
Denn: Ostern ist zugleich ‚gefährlich‘!
Ostern kann nämlich den Mächtigen Angst machen, weil an Ostern Christus „die Ketten des Todes zerbrach“, wie es im ‚Exsultet‘ der Osternacht gesungen wird.
Da, wo andere unsere Lebendigkeit wie in einem Grab zumauern wollen, bricht Ostern dieses Grab auf, so dass wir wieder ins Leben treten können.

Auferstehung und Himmelfahrt*, Bild: Gerd Wittka mittels KI , März 2024

Ostern hält für uns die Botschaft der Freiheit bereit in allen Fällen, wo wir eingeschränkt, begrenzt oder unfrei sind oder gemacht werden sollen.
Die Wirkung von Ostern kann sein, dass wir aus Mitläufer:innen zu Selbstläufer:innen werden, weil wir unsere Freiheit und Selbständigkeit erkennen und annehmen.

Ostern geschieht nicht nur im Jenseits, sondern bereits Jetzt, wenn wir es nur glauben und es zulassen, unser neues Leben, unseren Aufbruch in eine neue Lebendigkeit!

Stellen Sie sich einmal vor, das hätte Jesus Christus mit seiner Auferstehung für uns auch erreicht?! – Was wäre das ein mächtiges Fest!

Der Auferstandene hält Mahl mit seinen Jüngern, Bild: KI

In diesem Sinne wünsche ich uns allen ein gesegnetes und wirkmächtiges Ostern 2024!
*Bildbetrachtung zu diesem österlichen Bild: in Arbeit




Stärker als jeder absolutistischer Herrscher: Christus König

Impuls zum Christ-König-Sonntag 2022

Erinnern Sie sich an die Staatstrauer und an die Beisetzung von Queen
Elizabeth II. vor einigen Wochen?
Ich war da gerade in Urlaub und ich wollte eigentlich nicht viel davon sehen.
Aber irgendwie kommt man dann doch nicht ganz daran vorbei.
In den Medien sah man Bilder der Queen, von ihren jungen Jahren, von
ihrer Krönung, in anderen festlichen Roben, geschmückt mit Diademen,
Kronen und Juwelen.
Und auch während der Staatstrauer: ihre Krone, der Reichsapfel und das
Zepter auf ihrem Sarg.
Am Ende der Trauerfeier, bevor der Sarg von ihr herabgelassen wurde,
entfernte man feierlich diese Insignien ihrer Königinnenschaft.

Das waren Bilder vom Tod einer Königin in heutiger Zeit.



Wie man sich zu mancher Zeit "Christ-König" vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber?
Wie man sich zu mancher Zeit „Christ-König“ vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber? Quelle: Bild von AJ jaanko auf Pixabay

Ganz anders das Bild des Mannes, den wir heute als Christ-König feiern: Jesus Christus.
Geschunden, gemartert, verhöhnt, entehrt, bestialisch hingerichtet ziert sein Haupt keine Krone aus Edelmetall und Edelsteinen, sondern eine Dornenkrone, deren langen Dornen sich in die Kopfhaut eingebohrt haben.

Bild einer Dornenkrone
Bild von Jeff Jacobs auf Pixabay

Die Bilder aus London waren schön, voller Pracht – für viele eine Augenweide.
Die Bilder aus Jerusalem, das Bild des getöteten Christus: wer mag das ansehen wollen?

Gegenbild: Gekreuzigter Christus des Isenheimer Altars

Solidarität I

Mathis Gothart Grünewald 022.jpg

Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/Mathis_Gothart_Gr%C3%BCnewald_022.jpg

Der Maler Matthias Grünewald hat mit dem Isenheimer-Altar die Kreuzigungszene für den Bettensaal eines mittelalterlichen Krankenhospiz gemalt, die wir heute noch verstörend empfinden können.
Matthias Grünewald hat versucht, den leidenden Menschen seiner Zeit einen durch und durch ebenbürtigen mitleidenden Christus buchstäblich gegenüberzustellen.

Aber dies tat er nicht, um die Kranken noch mehr zu belasten, sondern aus einem anderen Grund:

Wie oft höre ich von ziemlich kranken Menschen Worte wie: „Aber ich kann ja nicht klagen. Anderen Menschen geht es noch schlechter!“

Solche Sätze sagen mir: im eigenen Leid blicken manche Menschen auf das Leid anderer und setzen ihr eigenes Leid im Verhältnis zum Leid der anderen.
Das ist kein Tipp, den ich als Außenstehender geben würde und kann.
Aber für jene Kranke, die das tun, kann sich die Sicht auf das eigene Leid verändern.

Bitte: Niemals als Ratschlag!

Auf das Leid der anderen zu blicken im eigenen Leid, kann das eigene Leid erträglicher machen.

Ich sage das nicht, als Ratschlag oder als Tipp. Ich sage das nur als Wahrnehmung.

Denn als Außenstehende müssen wir uns davor hüten, kranken und leidenden Menschen zu sagen: „Schau mal, anderen geht es doch viel schlechter als dir!“
Relativierung des Leids steht jenen, die leidende Menschen begleiten, nicht an und es ist nicht hilfreich, sondern oft genau das Gegenteil.
Der leidende Mensch kann das so verstehen, dass ein eigenes Leid nicht ernst genommen wird.
Nur der Leidende selbst kann für sich den Vergleich mit anderen leidenden Personen anstellen und das in aller Freiheit.

Dann aber kann es passieren, dass das eigene Leid als nicht mehr so arg wahrgenommen wird.

Das ist eine Art Solidarisierung der Leidenden unter einander, auch wenn sie gegenseitig davon nichts wissen.

Solidarität II

Der Isenheimer Altar thematisiert aber noch eine andere Solidarisierung: die göttliche Solidarisierung!

Den kranken Menschen wird mit dem Altarbild ein Bild von leidenden Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der ganz und gar in der Geburt in Betlehem Mensch wurde, gezeigt.

Damit will dieses Bild den kranken und leidenden Menschen sagen:
Dein Gott, an dem du auch in deinem Leid glaubst und dem du vertrauen willst, hat sich als Mensch selber dem menschlichen Leiden ausgeliefert.
Auch wenn sein Leid und dein Leid immer getrennt voneinander sein werden, so möchte dies ein Zeichen sein:

Gott liebt dich so sehr und möchte so sehr um die liebende Beziehung mit dir werben, dass er sich selber nicht verschont hat, sondern wie es bei Paulus heißt:
Jesus Christus

„… war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz….“

(Phil 2,5-8)

Der Schächer, der neben Jesus Christus am Kreuz hing, hat das erkannt und sich in einem letzten Augenblick seines eigenen Lebens dazu bekannt.
So wurde für ihn das Bekenntnis zum leidenden Gott, zum mit-leidenden Gott die Quelle der eigenen Erlösung.

‚Jesus Christus und der Schächer‘. Bild: Privatbesitz Gerd Wittka, © Gerd Wittka, 2022

Für mich ist das ein Bild, ein Vor-Bild, damit ich lernen kann, dass er auch mich im Leiden und im Tod nicht fallen lässt.

Die Monarchie in Großbritannien und viele andere Monarchien sind Monarchien mit viel Glanz und Pomp, aber ohne wirkliche Macht.

Die Monarchie des Christus unseres Königs ist genau das Gegenteil davon: eine Monarchie ohne Glanz und Pomp, aber mit viel Macht, wenn auch nicht irdischer Macht; aber mit der Macht uns von dem zu befreien, was für Viele oft das Ende des eigenen Lebens zu sein scheint: der Macht, uns vom Tode zu befreien.




wort.neu.schöpfung

Quelle: Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Vom Narrativ zur hohen Theologie: alles Weihnachten

Gestern habe ich eine Hausandacht zur Verfügung gestellt, in deren Mitte zwei sogenannte „Wort-Wolken“ standen.
Das Evangelium des Tages war die Weihnachtsgeschichte nach Lukas, wie sie dort im 2. Kapitel zu finden ist.



In sehr anschaulichen Bildern ‚berichtet‘ uns Lukas von der Geburt Jesu Christi; was in Wahrheit gar kein Bericht im sachlichen Sinne ist, denn niemand von den Autoren des Neuen Testamentes war dabei oder konnte sich auf historische Zeug:innen der Geburt Jesu von Nazareth berufen.
Die Geburtsgeschichte Jesu in dieser erzählenden Form geschieht einerseits auf dem Hintergrund der Erzählkultur des Nahen Ostens und des Orients und andererseits ermöglicht sie uns einen ‚herzlichen‘ Zugang zur Geburt des Erlösers Jesu Christi.
‚Herzlich‘ nenne ich den Zugang deshalb, weil die Weihnachtsgeschichte nach Lukas wirklich ‚zu Herzen geht‘, auch mir. Sie gehört für mich zum unverzichtbaren Bestandteil des jährlichen Weihnachtsfestes.

‚Herzlich‘ nenne ich sie deshalb auch, weil der theologische Zugang zum Weihnachtsfest nicht nur über die hohe Theologie führt, sondern auch über das Herz, über Emotionen/Gefühle.
Es ist dieser ‚herzliche Zugang zum Geheimnis der heiligen Nacht‘ den A. de St. Exupery in seinem Werk ‚Der kleine Prinz‘ in die Worte fasst:

„Man sieht nur mit dem Herzen gut; das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar.“

A. de St. Exupery, Der Kleine Prinz

Dieser Zugang zum ‚Geheimnis der heiligen Nacht‘ ist sicherlich auch der Grund, warum so viele Menschen gerade zu Weihnachten unsere Gottesdienste mitfeiern (sei es als Präsenzveranstaltung oder auch über die verschiedensten Medien).

Vielleicht nennen viele Weihnachten auch deshalb das „Fest der Liebe“.

Wer die Weihnachtsgeschichte nach Lukas liest oder hört, der wird das, um was es bei Weihnachten geht, mit dem Herzen erfassen – meist auf direktem Weg vom ‚Ohr ins Herz‘.
Dabei spielen natürlich auch unsere Gefühle als ein Element, unser Leben zu deuten und zu verstehen, eine ganz maßgebliche Rolle.

Ver-dichtung

Heute, am 1. Weihnachtstag, dem eigentlichen „Hochfest“ steigt uns das Evangelium buchstäblich zu Kopfe. Heute hören wir die Weihnachtsbotschaft nach Johannes, die im strengen Sinne keine ‚Geschichte‘ ist, deshalb nenne ich sie auch nicht ‚Weihnachtsgeschichte nach Johannes‘.

Denn dieser Text spricht eine ganz andere Sprache: es ist die Sprache des Verstandes, der Philosophie, der Kunst der Dichtung und insofern eine pure ‚Verdichtung‘ des Weihnachtsereignisses.

Wer heute ‚verstehen‘ will, braucht schon etwas Zeit und Ruhe, um den Text auf sich wirken zu lassen.
Dann aber explodiert der Text mit seinen vielen Facetten und Aussagen (darauf möchte ich jetzt hier aber nicht näher eingehen).

Einen Schlüssel möchte ich aber dennoch ‚an die Hand geben‘: vergleichen Sie den Anfang des Johannes-Evangeliums mal mit der Schöpfungsgeschichte nach Genesis (1 Mose), und achten auf die ‚Funktion‘ des Wortes.
Ent-decken Sie etwas?

Quelle: Bild von Gordon Johnson auf Pixabay

Wortneuschöpfung resp. wort.neu.schöpfung

Erinnern Sie sich noch an die Überschrift über diesen Beitrag?

Da steckt das Wort „Wortneuschöpfung“ drin.
Darunter verstehen wir eigentlich, wenn ein ganz neues Wort in unserer Sprache geschaffen wird: ein neues Wort ist da und kann in unseren Wortschatz und Sprachgebrauch aufgenommen werden. Besonders die Jugendsprache ist sehr kreativ in Wortneuschöpfungen.

Bei Weihnachten geht es aber um keine ‚Wortneuschöpfung‘ sondern um wort.neu.schöpfung.

Die Welt, die am Anfang allen Seins durch Gottes Wort geschaffen wurde (vgl. Genesis/ 1 Mose), wird nun durch das menschgewordene Wort Gottes = Jesus Christus neu geschaffen.

Durch Weihnachten bricht eine ’neue‘ Schöpfung an, die alle menschliche Existenz und die ganze Schöpfung nicht der Hoffnungslosigkeit und der Unendlichkeit des Todes überlässt, sondern der ‚Anfang der Ewigkeit‘ wird.

Gerd Wittka, 25.12.2021


Ich möchte Sie heute einfach mal einladen, sich einen Augenblick der Ruhe, Stille und Besinnung zu nehmen und Sie bitten, mal über Folgendes nachzudenken:

  • Wo sehne ich mich danach, dass etwas ’neu‘ in meinem Leben geboren werden soll?
  • „Das Wort, das dir hilft, kannst du dir nicht selber sagen!“ – so ein Sprichwort. Welche Zusagen, Impulse oder Ermutigungen brauche ich dazu? Von wem kann ich solche Ermutigungen annehmen und auch ‚zu Herzen nehmen‘?
  • Konkret: An welche Worte Jesu erinnere ich mich und welche Worte Jesu gehen mir ‚zu Herzen‘, sprechen mich an und motivieren mich in meinem Glauben?

Ich wünsche Ihnen an diesem ersten Weihnachtstag, dass Ihr Leben von dieser wort.neu.schöpfung berührt wird, es in Ihnen neu geboren werden kann und Sie in Ihrem Leben begleitet und stärkt.

Es heißt: im Anfang war das Wort –

mir deucht: im Anfang war die Liebe.

Luise Baer (19./20. Jhdt.), deutsche Schriftstellerin –
Quelle: Baer, Jahresgedanken einer Frau, 1921