Freiheit – trotz Reduktion

Copyright: Gerd Wittka, 31.01.2021

In der Krise die Freiheit erkennen

Ja, es ist mal wieder so: diese Gedanken erwachsen aus der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Krise.

Manche können das Thema schon nicht mehr hören, und auch ich wäre froh, wenn wir schon alles überstanden hätten. Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir noch mitten drin sind.

Wen wundert es dann also, dass die Krise – zumindest mich – gedanklich immer wieder beschäftigt. Oft ist in den vergangenen Wochen davon die Rede, dass diese Krise „wie ein Brennglas“ wirkt auf viele Themen und Herausforderungen, die sonst gar nicht so in den Blick geraten wären.

Mein großes Thema: die Freiheit! …



Wenn ich über diese Krise nachdenke, dann komme ich immer wieder auch auf das Thema „Freiheit“ zurück.
Und ich finde, das ist auch gar nicht verwunderlich.

Denn: wesentlich für diese Corona-Pandemie ist, dass folgende Wörter zwangsläufig mit ihr in Verbindung gebracht werden:

  • Reduktion
  • Lockdown
  • Abstand
  • Schließungen
  • Herunterfahren

All diese Wörter werden mit Begrenzungen, Eingrenzungen, Beschneidungen in Verbindung gebracht. Viele sagen auch: die Corona-Pandemie schränkt unsere Freiheiten ein! – Und das stimmt! Wer könnte dem widersprechen?!
Die Logik dieser Pandemie ist, dass durch Einschränkungen von (äußeren) Freiheiten wir ein wesentliches Werkzeug an der Hand haben, um der Pandemie etwas entgegen zu setzen.

Die zwei Seiten einer Medaille

Wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne das Bild von den „zwei Seiten einer Medaille“ verwende.
Auch in diesem Zusammenhang halte ich es für hilfreich, dieses Bild einzusetzen, denn:

Einerseits erleben wir diese Zeit als begrenzte und eingeschränkte Zeit; Freiheiten, die für uns so selbstverständlich sind (und auch wieder werden müssen), haben wir im Moment nicht.

Um in der Balance bleiben zu können, um Kraft und Ressourcen finden zu können, diese einschneidenden Maßnahmen körperlich und psychisch gut überstehen zu können, braucht es einen Gegenpol, die andere Seite der Medaille, die wir anschauen sollten.

Ermöglichung

Ich möchte für die andere Seite den Begriff „Ermöglichung“ nennen!

Mein früherer Kollege, Mark Bothe, stellte sich, als er seine Stelle in unserer Pfarrei antrat, mit dem Hinweis vor, er wolle „Ermöglicher“ sein.
Mit dieser Formulierung hatte er meine ganze Aufmerksamkeit. (Vielen Dank für diesen Gedanken, Mark, den du bei mir eingepflanzt hast!)

Denn wenn wir unsere Lebenssituation bedenken, wenn wir Wege aus einer Krise finden wollen, wenn wir neue Wege gehen müssen, weil die alten Wege in eine Sackgasse oder in den Abgrund führen, dann kommen wir an einer zentralen Frage nicht vorbei:

Welche Möglichkeiten haben wir (sonst noch)?

Gerade in Zeiten, wo wir unser Leben eingeschränkt erfahren (das gilt auch in persönlichen Lebensphasen, die von Krankheit oder anderen Einschränkungen wie Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Not, etc.), kann es hilfreich und notwendig sein, nach einem Ausgleich zu suchen: der anderen Seite der Medaille.

Manche mögen es auch mit dem Bild von Ying&Yang vergleichen wollen:
zur inneren Harmonie kann man nur finden, wenn man buchstäblich „ausgeglichen“ ist und mein Leben wieder eine Balance gefunden hat.
Und diesen inneren und äußeren Ausgleich finden wir nur, wenn wir versuchen, die Möglichkeiten zu finden, die in einer Krise liegen.

[Damit möchte ich keineswegs irgendeine Relativierung vornehmen. Ich bin mir sehr bewusst, dass Krisen oft auch mit persönlichem Leiden und persönlichen oder sozialen Notlagen einher gehen. Mir geht es nicht darum, diese Not und diese Leiden abzutun oder zu verharmlosen. Ich suche nur einen Weg, wie man mit dieser Not, mit diesem Leid, mit dieser Eingrenzung besser leben kann. Wenn ich das alles schon nicht verhindern kann, dann gibt es für mich persönlich nur die eine Hoffnung: damit zu leben ohne daran zu zerbrechen.]

In Krisenzeiten Möglichkeiten und Freiheiten zu entdecken, die trotz allem (noch) vorhanden sind, erscheint mir eine wichtige Strategie zu sein, um gut und wohlbehalten solche Phasen des Lebens zu überwinden.

Hier kommt wieder der Gedanke meines Kollegen ins Spiel, der seine Rolle auch darin sieht „Ermöglicher“ zu sein.

Wer dann darüber nachdenkt, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, wird zwangsläufig auch an den Punkt kommen, wo sie/er über die persönliche Freiheit nachdenken wird. Denn: was mir möglich ist, was ich noch tun kann, beantwortet sich wesentlich auch im Zusammenhang mit der Frage: welche Freiheiten habe ich?

Glaube der befreiend sein muss: Christ*in-Sein

Im Galaterbrief finde ich folgende Verse:
„…Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen!…“ (Gal 5,1)

Was Paulus hier an die Galater schreibt, ist nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen. Er hat diesen Glauben übernommen, weil er die Botschaft Christi ernst genommen hat und er musste erkennen, dass Christsein ohne Freiheit nicht möglich ist.

Die Botschaft Jesu Christi ist wesentlich eine Botschaft der Befreiung und damit eine Botschaft der Freiheit.

Perspektive in der Krise

Foto: Gerd Wittka, www.pixabay.com

Die Fähigkeit, seine Möglichkeiten gerade auch in der Krise zu entdecken, kann ein wesentlicher Schlüssel dafür sein, wie gut wir durch die Krise kommen. Die Erkenntnis, trotz aller Einschränkungen die eigene konkrete Freiheit zu entdecken, eröffnet in der Krise die Chance, auf dem Weg zu bleiben, handlungsfähig zu sein und somit aktiv die Krise gestalten zu können.

Wer also Wege aus der Krise entwickeln möchte, braucht einen tiefen Glauben und die feste Zuversicht, dass wir die Freiheit haben, immer wieder nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, die uns die „Leiden der gegenwärtigen Zeit“ erträglicher machen.
Denn: wir sollen zu jeder Zeit „…von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes….“, wie es Paulus in seinem Römerbrief zum Ausdruck bringt. (vgl. Röm 8,21).

Die eigenen Möglichkeiten zu entdecken geht nur, wenn wir verstanden haben und ernst nehmen, dass wir als Menschen zur Freiheit berufen sind.
Christ*innen und die Kirchen könnten dazu einen wichtigen Beitrag leisten!

[Selbstkritisch ließe sich zu der Rolle der Christ*innen und Kirchen in dieser Krisenzeit noch einiges sagen. Aber das wäre eines eigenen Artikels wert.]

Doch wenn jede*r Einzelne*r von uns, seine Möglichkeiten entdeckt, auch die Freiheit, sich für etwas einzusetzen, „Ermöglicher*in“ zu sein, dann bin persönlich zuversichtlich, dass wir gemeinsam gut durch diese Krise und durch andere Krisen kommen werden.


Und? Wie denkst du darüber? – Hinterlasse gerne einen Kommentar zu meinen Gedanken!




Christus befreit

Zum Evangelium des 4. Sonntags im Jahreskreis

Textstelle: Mk 1, 21-28

21 Sie kamen nach Kafarnaum. Am folgenden Sabbat ging er [Jesus von Nazareth] in die Synagoge und lehrte. 22 Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. 23 In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: 24 Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. 25 Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! 26 Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei. 27 Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. 28 Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

Um es gleich vorweg zu betonen:
Um was es hier im Sonntagsevangelium geht, hat weder etwas mit psychischen Erkrankungen zu tun, noch um irgendetwas, was wir in Verbindung mit vermeintlichen ‚teuflischen Bessesenheiten‘ setzen könnten.
Es ist auch nicht sinnvoll, hier in irgendeiner Weise den Begriff des „Exorzismus“ hineinzubringen. Denn das würde uns bei der Auslegung dieser Textstelle auf die schiefe Bahn bringen.

Wie aber können wir diese Textstelle heute für unseren christlichen Glauben fruchtbar sein lassen?



Das Verständnis Jesu von ‚Dämonen‘

Wir müssen uns bewusst sein, dass die ‚Herausbeschwörung‘ von Dämonen für Jesus eine ganz andere Bedeutung hat, als wir es aus der hellenistischen oder alt-jüdischen Welt kennen.

Für Jesus ist die Herausbeschwörung von Dämonen lediglich ein Zeichen; sie soll darauf hinweisen, dass das Reich Gottes schon mitten unter uns angebrochen und die Macht Gottes in unserer Welt schon konkret erfahrbar ist.
Alle Wundererzählungen im Neuen Testament (NT) haben nur eine Zielrichtung: sie sollen die Sendung und die Botschaft Jesu Christi ‚erläutern‘ und zwar in ’sichtbaren‘ Zeichen.
Die Sendung Jesu Christi ist, die Verkündigung des Reiches Gottes, in dem die Macht des Widersachers, des Satans gebrochen und das Heil für alle Menschen angebrochen ist. Mit diesen Zeichen will Christus auf Gott, seinen Vater hinweisen.

Erfolgreiche Herausbeschwörung von Dämonen = Sichtbares Heil Gottes

Die Vertreibung von Dämonen hat also etwas mit Befreiung zu tun.

Es geht hier um die Erfahrung von Menschen, dass sie – durch welche Umstände auch immer – sich unfrei erfahren. Und diese erfahrene Unfreiheit erleben sie als Leid; ein Leid an Leib und Seele. Sie erleben den dämonischen Einfluß aber auch als ein soziales Leiden; der dämonische Einfluß verhindert oder erschwert die Beziehungsfähigkeit des Menschen; erfüllende Gemeinschaft scheint nur schwer oder gar nicht möglich zu sein. Die Folgen sind Isolation oder Separierung von anderen Menschen. Diese Isolation kann nach außen hin auch als „frei gewählte Rückzügigkeit“ verstanden werden, aber sie muss es nicht sein.
Entscheidend dafür ist, ob der ‚dämonische‘ Einfluss als Leid und als Reduktion der eigenen Lebensmöglichkeiten erfahren wird.

Der Begriff „unreiner“ Geist deutet genau diese soziale Dimension an.

Für Jesus Christus gehört es offenbar selbstverständlich dazu, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und in dieser Gemeinschaft mit anderen er Glück, Selbstvertrauen und geistige wie körperliche Gesundheit erfahren kann.
Alles, was den Menschen also absondert, ausgrenzt und ihn hindert, in eine heilsame Gemeinschaft zu kommen, kann hier mit der ‚Besessenheit eines Dämons‘ zum Ausdruck gebracht werden.

Befreiung zum DU – höchst aktuell

In dieser Corona-Pandemie spüren wir etwas von dieser Dimension der heilsamen Gemeinschaft; wir spüren sie, indem wir sie nur sehr eingeschränkt erfahren können.
Und ja, wir müssen davon ausgehen, dass diese not-wendige Isolation, die uns helfen kann, die Pandemie schneller zu bekämpfen, an vielen von uns nicht spurlos vorüber gehen wird, insbesondere was unser Bedürfnis nach menschlicher Nähe angeht.

Seelsorge und kirchlicher Dienst – Dienst zur Freiheit

Gerade in dieser Zeit müssen wir als Christ*innen und als Kirchen fragen, wie wir heute konkret helfen können, dass Menschen in dieser Krisenzeit Befreiung erfahren?
Wir spüren, dass das gar nicht so einfach ist.
Wie wollen wir Gemeinschaft ermöglichen, wo doch gerade von Gemeinschaftserfahrungen das größte Infektionsrisiko ausgeht?
Es scheint, diese Aufgabe zu lösen, ist, wie das „Ei des Kolumbus“ zu finden.
Aber stimmt das?

Phantasie ist gefragt

Ich glaube, das stimmt nicht.
Nun ja, wenn wir Seelsorge und Christsein weiterhin nur auf die Möglichkeiten begrenzen, die wir bisher genutzt haben, dann werden wir wenig Möglichkeiten haben.
Aber wenn wir uns frei machen, von gewohnten Vollzügen, wenn wir im Gebet um den Geist bitten, der uns Phantasie gibt, die frohe Botschaft auch in einer Welt zu bekunden, wo konkrete menschliche und soziale Kontakt erschwert oder gar unmöglich sind, dann werden wir neue Möglichkeiten entdecken.

Jesus ignoriert traditionelle Vorstellungen

Nehmen wir uns ein Beispiel an Jesus. Als er den vom „unreinen Geist“ besessenen Menschen wahrnimmt, ignoriert er das Regelwerk der jüdischen Religion, das strenge Vorgaben darüber macht, was am Sabbath ‚erlaubt‘ sein und was nicht!
Aber Jesus gibt uns ein Zeichen: die Liebe und das Liebesgebot kann auch durch das Sabbat-Verbot nicht eingeschränkt oder aufgehoben werden, denn die Liebe ist das Größte.

Ich bin so frei … und vertraue auf das Wirken des Heiligen Geistes

Für mich entdecke ich diese Zeit der Pandemie auch als eine Zeit der Chancen und der Befreiung

Ich bin so frei und ich fühle mich durch Jesus Christus geradezu ermutigt, mich zu befreien von Konventionen, Regeln und Ansichten, die nur unsere „Freiheit der Kinder Gottes“ einschränken wollen und uns daran hindern wollen, das zu tun, was getan werden muss.
Auch Konventionen und die kleinliche und widersinnige Beachtung von Regeln können Zeichen einer „Bessessenheit“ sein, die uns daran hindern, das zu tun, was dem Leben und der Liebe dient.

Ich vertraue auf das Wirken des Heiligen Geistes in meinem Leben, der mich darauf hinweist, was ‚gerade dran‘ ist! Und du?


Alle Bilder – Quelle: www.pixabay.com




„… damit wir frei handeln …“

Bild von prasad perfect auf Pixabay

Heute Morgen fand ich in der Schriftlesung des Tages ein abschließendes Gebet, aus dem ich gerne zitieren möchte:

„Guter Gott, es fällt uns nicht immer leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. (…) Manchmal stellen wir uns auch die Frage, wie viel an Einsatz uns etwas wert ist oder ob wir doch lieber alles seinen gewohnten Gang gehen lassen (…).
Steh du uns mit deinem Heiligen Geist bei, damit wir uns gestärkt spüren und frei handeln. Amen.“

(Verfasser*in unbekannt, Quelle: TE DEUM, 12.2020, S. 185)

Dieses Gebet nimmt meines Erachtens genau die missliche Lage auf, in der sich momentan viele Seelsorger*innen befinden, die in diesen Tagen entscheiden müssen, ob nun Präsenzgottesdienste angeboten werden oder mindestens bis zum Ende des staatlichen Lockdowns ausgesetzt werden?

In dieser Phase befinde ich mich persönlich auch, da ich aus einer Gewissensentscheidung heraus die Durchführung von Präsenzgottesdienste für unverantwortlich halte.

Ich habe eine Entscheidung für mich getroffen, die in vielen Gesprächen mit Teamkollegen und Gottesdienstteilnehmer*innen gefallen ist.

Es gibt Entscheidungen, die wir uns nicht abnehmen lassen können, die wir nicht delegieren können und die auch andere für uns nicht entscheiden können, weil diese Entscheidungen zutiefst mit dem eigenen Gewissen verknüpft sind.

Und das Gewissen ist – wie auch kirchliche Dokumente (nicht zuletzt das II. Vatikanische Konzil sagt), die höchste Entscheidungsinstanz.
Die höchste Urteilsinstanz aber ist Gott allein. Er schaut auf das Herz, erschaut auf unseren wirklichen Beweggründe und ob sie aus Liebe erwachsen sind.

Ich vertraue deshalb auf die gnädige Beurteilung Gottes.
Und das macht mich innerlich frei, wenn auch nicht ohne Konflikt.




Pforte

Quelle: www.pixabay.com

Pforte

verschlossen
dahinter
Rückzugsort
Schutzraum
vor den Gefahren
draußen

Quelle: www.pixabay.com

Pforte

offen
davor
ein Weg
hinaus
in Weite
Zukunft
Freiheit

(Gerd Wittka, August 2020)




Die Maske

Bild von Orna Wachman auf Pixabay

Die Maske
abnehmen,
aber nicht,
um mich nicht mehr verstecken zu müssen;
nicht,
um ich selbst sein zu können.

Die Maske
abnehmen,
um freier atmen zu können.
Den tiefen Atemzug wieder
genießen können.

Die Maske
abnehmen –
freier sein.

18.06.2020 © Gerd Wittka