Mutter-Liebe

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In der Schwangerschaft wohl umsorgt …



In der Regel sorgen sich Frauen als werdende Mütter gut neun Monate sehr fürsorglich um das Kind, das in ihnen heran wächst.
Sie haben bisweilen bange Ängste, ob das Kind wohlbehalten und gesund zu Welt kommt.

Dann – während der Geburt – bringen sie das Kind unter Schmerzen zu Welt; Schmerzen, die kein Mann der Erde nachvollziehen kann.

Wieviel Sorge und Entbehrungen wenden werdende Mütter auf, in der Sorge um ihr ungeborenes Kind?!

Und dann später, sollen diese Kinder – meist Söhne – als Kanonenfutter und für kriegstreiberische Potentaten ihr Leben geben?!

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Wann endlich stehen die Mütter dieser Erde auf und lassen ihre Kinder nicht mehr in den Krieg ziehen?!
Wann endlich sollen ihre Sorgen und ihre Schmerzen nicht vergeblich gewesen sein?!




„Erhole dich gut!“

Am vergangenen Mittwoch habe ich auf dem Hin- und Rückweg nach Köln gefühlt zwei Stunden im Stau gestanden. Eigentlich vermeide ich solche Situationen. Aber meine Nichte, deren Pate ich bin, bekam ihr Abizeugnis und da wollte ich gerne dabei sein.

Sie wissen wie das Wetter am Mittwoch war: schwülwarm und keineswegs angenehm und sehr anstrengend auch für Autofahrten. Wie dankbar bin ich, dass ich dann die Klimaanlage nutzen kann. So bleibe ich halbwegs frisch und gut konzentriert.

In solchen Situationen kann ich mir in Ruhe Gedanken machen.

Da stehe ich im Stau, überall Autos und LKWs um mich herum. Das Gebläse der Lüftung rauscht, hier Hupen, da riskante Fahrmanöver anderer Verkehrsteilnehmer:innen; Geräusche, Hektik und Stress umgeben mich.
Wieder zuhause angekommen, hatte ich ein unterschwelliges Rauschen in den Ohren.


‚Ruhe, Ruhe, endlich Ruhe!‘ – durchfuhr es meinen Gedanken.

Ich bin mir sicher, dass wir alle solche oder ähnliche Situationen kennen.
Wir wollen nur Ruhe, die Hektik und den Stress der Vergangenheit hinter uns lassen, neue Energie auftanken, körperlich wie psychisch.

In solchen Phasen kommt mir immer wieder das Wort des Herrn in den Sinn:

(Mt 11,28)
„Kommt alle zu mir, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde euch Ruhe verschaffen.“

Und an anderer Stelle hören wir von Jesus, dass er seine Apostel einlädt, erst einmal zur Ruhe zu kommen.

(Mk 6, 30-31)
„Die Apostel kamen wieder bei Jesus zusammen und berichteten ihm alles, was sie getan und was sie den Menschen als Botschaft weitergegeben hatten.

Da sagte Jesus zu ihnen: »Kommt jetzt allein mit mir an einen einsamen Ort und ruht euch dort etwas aus!«“

Ich finde es richtig toll, wie fürsorglich Jesus mit seinen Aposteln umgeht. Derjenige, der andere in den Dienst nimmt, sorgt zugleich für die Gesandten. Hier entdecken wir übrigens schon das „Fürsorgeprinzip“, dass sich auch heute noch im Arbeitsrecht wiederfindet.

[Als kleine Randbemerkung: Ich wünsch mir mehr diese Fürsorgepflicht auch innerhalb unserer Kirche, gerade auch, wenn wir die Dienste ehrenamtlicher Menschen in Anspruch nehmen!]

Im Nahen Osten und auch in den warmen Ländern, in denen es gerade auch um die Mittagszeit und frühen Nachmittagsstunden sehr warm ist, gibt es eine Kultur der Selbstfürsorge und die nennt sich „Siesta“.

Das hören auf den eigenen Körper, das Verspüren der eigenen Erschöpfung hat zu einer Kultur geführt, in dieser Zeit einen Gang herunter zu schalten, oder gleich eine Ruhephase einzurichten, wo das Leben buchstäblich ‚still‘ steht.

Seit Mittwoch gibt es Sommerferien. Viele von uns haben Urlaub und verreisen.
Ferien und Urlaub sind für uns Frei-Zeiten, wo wir auftanken dürfen und können. Das deutsche Arbeitsrecht sieht sogar eine Verpflichtung zur Erholung vor, wenn es im Bundesurlaubsgesetz heißt, dass jeder Arbeitnehmer Anspruch auf einen „Erholungsurlaub“ (§1) hat und konkret heißt es dann in §8: „Während des Urlaubs darf der Arbeitnehmer keine dem Urlaubszweck widersprechende Erwerbstätigkeit leisten.“
Das heißt einfach ausgedrückt: Der Urlaub dient der Erholung und eigentlich nichts anderem!

Das müssen wir uns mal bewusst machen!

Irgendwie scheint also Ruhe und Erholung existentiell in unserem Leben zu sein, für unsere persönliche Lebensqualität aber auch für unsere Wirtschaft und Gesellschaft.

Und wenn wir jetzt nicht verreisen und Urlaub haben? Oder was ist außerhalb unserer Urlaubszeiten?

Auch da tun wir gut daran, uns immer wieder Zeit-Inseln zu sichern – nicht zu ‚gönnen‘, denn mit Gönnen hat das nichts zu tun -, in denen wir zur Ruhe kommen und uns erholen können.

Am Besten lässt sich dieses vielleicht immer am Ende des Tages ritualisieren. Vielleicht auch erst dann, wenn wir schon im Bett liegen.

Ein kleines Ritual kann uns helfen, den Tag und alle Anforderungen und Anspannungen hinter uns zu lassen.
Am Ende des Tages können wir alles Erlebte und Erfahrene hinter uns lassen und bestens Falls sogar Gottes Hände anvertrauen.

Ich möchte Ihnen dazu eine kleine Hilfe heute mit nach Hause geben, aus der ich zum Ende dieses Impulses zitieren möchte:

„… zur Ruhe kommen

Am Ende dieses langen Tages lege ich ab
Bücher, Briefe, Akten, Schlüssel,
Kleider und die Uhr.

Am Ende dieses langen Tages lege ich auf dich
Ängste, Sorgen, Mühen, Lust, Trauer, Sehnsucht
und meine Schuld.

Am Ende dieses langen Tages lege ich mich
ganz und gar still und geborgen,
mein guter Gott, in Deinen Schutz und Frieden.“

( © Johannes Hansen, zitiert nach einer Faltkarte der „Marburger Medien, Art.-Nr. K0302)


Kurze Meditation – auch für ‚Zwischendurch‘:

Schließe deine Augen und lasse den Atem sanft in deinen Körper fließen. Spüre, wie du dich langsam in einen Zustand der Ruhe begibst.
Inmitten des hektischen Alltags, in dem die Welt um uns herum ständig in Bewegung zu sein scheint, ist es wichtig, einen Moment der Stille zu finden.
Atme tief ein und lass all den Stress und die Sorgen los.

Nimm wahr, wie sich Erschöpfung in deinem Körper angesammelt hat. Fühle die Schwere, die dich manchmal überwältigt, und akzeptiere sie.
Es ist völlig normal, dass wir uns müde und erschöpft fühlen.
Doch in dieser Meditation finden wir einen Weg, um unsere Kräfte wieder aufzubauen und uns um uns selbst zu kümmern.

Stelle dir vor, wie du dich unter einen schattigen Baum legst.
Spüre die kühle Brise auf deiner Haut und höre das sanfte Rauschen der Blätter über dir.
Dieser Ort ist dein Rückzugsort, dein persönlicher Raum der Siesta.

Lasse die Gedanken zur Ruhe kommen und erlaube deinem Körper, sich zu regenerieren.
In der Stille und der Entspannung findest du die Energie, um weiterzumachen.
Dein Körper und dein Geist brauchen diesen Moment der Selbstfürsorge, um gestärkt und erneuert zu werden.

Spüre, wie sich deine Muskeln lockern und deine Gedanken allmählich zur Ruhe kommen.
Erlaube dir, in diesem Zustand der Entspannung zu verweilen.
Nimm wahr, wie deine Atmung ruhiger und gleichmäßiger wird, und wie sich ein Gefühl von Frieden in dir ausbreitet.

Gönne dir diese Siesta, diese wertvolle Zeit der Erholung.
Nutze sie, um deine Kräfte zu sammeln, um neue Energie zu tanken.
Lasse alle Anspannungen und Sorgen los und sei ganz im Hier und Jetzt.

Wenn du bereit bist, öffne langsam deine Augen und kehre mit einem Gefühl der Ruhe und Gelassenheit in den Alltag zurück.
Trage diese Erholung und Selbstfürsorge bei dir, wohin du auch gehst. Nutze sie, um dich selbst zu schützen und in Balance zu bleiben.
Du verdienst es, dich um dich selbst zu kümmern und deine Kräfte aufzufüllen.

(copyright: Gerd Wittka, 2023)




Love is no sin

(Glaubens-)Bekenntnis eines einfachen Priesters

© Gerd Wittka, 2021

In einem Dekret vom 22. Februar 2021 formuliert die Glaubenskongregation des Vatikans zur Frage der Segnung auch homosexueller Partnerschaften:

„…Aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (…) einschließen…“ (…)

Gleichzeitig erinnert die Kirche daran, dass Gott selbst nicht aufhört, jedes seiner Kinder zu segnen, die in dieser Welt pilgern, denn für ihn „sind wir […] wichtiger als alle Sünden, die wir begehen können“[12]. Aber er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen: …“

und ziemlich gegen Schluß:
„…Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts im oben gemeinten Sinne zu segnen, noch kann sie über diese Vollmacht verfügen….“
Vgl.: https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2021/03/15/0157/00330.html

Erwartungsgemäß hat das in den Medien und auch in den sozialen Netzwerken zu einem Sturm der Entrüstung geführt.



Aus meiner mehr als 25-jährigen seelsorglichen Praxis und Erfahrung als Diakon und Priester möchte ich dazu einige Gedanken formulieren, die auch ein Bekenntnis eines Teils meines in der Zeit gewachsenen Glaubens an den Gott und Vater Jesu Christi geworden sind.

„Kann denn Liebe Sünde sein?!“

„Gott ist die Liebe!“ – diesen Satz kennen wir und ich bin fest davon überzeugt, dass er richtig ist.
Daher glaube ich auch daran, dass in allen Lebensbezügen, wo Menschen einander lieben, wo man sich in respektvoller und achtungsvoller Liebe begegnet oder hingibt, die Liebe Gottes in unserer Welt gegenwärtig und sichtbar wird.

Beispiele dieser sichtbaren Liebe Gottes sind für mich:

  • die Liebe, die Eltern ihren Kindern schenken, oft gezeichnet von Sorge, Fürsorge und Selbstlosigkeit
  • die Liebe zwischen zwei Menschen, die sich in inniger Freundschaft zugetan sind. Manchmal sprechen wir auch von ‚Seelenverwandtschaft‘ bei solchen Freundschaften
  • die Liebe, die Menschen in ihrem Dienst für andere zeigen, sei es in Sozial- und Pflegeberufen, im ehrenamtlichen Engagement in Gesellschaft und Gemeinschaften
  • die Liebe und Fürsorge für den Schutz und die Bewahrung der Schöpfung Gottes, die uns als Menschen anvertraut wurde
  • und ‚last but not least‘ in der liebenden Beziehung zwischen zwei Menschen, die ein Stück gemeinsamen Lebensweges leben und verbringen wollen in gegenseitiger Achtung und Fürsorge; in welcher auch beide Glück, Freude, Zufriedenheit und Unterstützung erfahren. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Beziehungen staatlich, gesellschaftlich oder auch von Seiten der Kirche(n) anerkannt und gefördert werden. Das Geschenk der Liebe braucht erst einmal nicht diese Anerkennung, weil sie sich selbst Anerkennung genug ist. Daher braucht diese Liebe auch keine Erlaubnis, keine Genehmigung.

Das Geschenk der Liebe ist letztlich also ein Akt der völligen menschlichen Freiheit. Sie ist selbst da noch frei, wo der Mensch in äußere oder innere Unfreiheit gedrängt wird. Liebe kennt also keine Grenzen und überwindet alle Grenzen.

Dieser Überzeugung liegt zugrunde, dass die Liebe Gottes selber grenzen-los ist!

Love is no sin!

Wenn also Gott die Liebe ist und seine Liebe grenzenlos ist, dann ist Liebe niemals Sünde.

Der Mensch – und das weiß ich selber am Besten – sündigt immer wieder.
Aber da, wo er liebt kann er schlechterdings nicht zugleich sündigen.

Dieser Überzeugung ist auch der heilige Augustinus, wenn er den Satz tun konnte: „Liebe! Und tue, was du willst!“ – Dieser Satz wäre nicht wahr, würde Augustinus meinen, dass Liebe sündig sein könnte.

Auf die Frage: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ kann ich heute ganz klar antworten: NEIN!

Gott segnet, was ein Segen ist

In dem oben zitierten Dekret heißt es: „…Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts im oben gemeinten Sinne zu segnen…“

Hier wird meines Erachtens ein falsches Verständnis von „Segen“ genutzt.

Der Blick in die liturgischen Bücher unserer Kirche (Messbuch, Benedictionale, …) zeigt, dass innerhalb gottesdienstlichen Tuns, wo es um den „Segen“ geht, es sich hierbei genau genommen um eine

Segensbitte

handelt!

Die Teilnehmer:innen von Gottesdiensten wissen um die Formulierung am Ende eines Gottesdienstes, wie z.B. „So segne euch der dreifaltige Gott, der Vater und der Sohn (+) und der Heilige Geist.“

Der vermeintliche Segen in der Kirche ist also immer eine Segensbitte!

Und in diesem wohlverstandenen Sinne stimme ich dem Dekret zu, wenn es sagt: …Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, (…) zu segnen…“, denn die Kirche oder kirchliche Amtsträger:innen segnen nie, sondern allein Gott!

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Gott segnet, was ein Segen ist

Die Frage lautet deshalb eher für mich: Wen oder was segnet Gott?

Und meine Überzeugung ist: Gott segnet, was ein Segen ist!

Im segensvollen Handeln und Tun der Menschen, sei es allein, in der Zweisamkeit oder in einer größeren Gruppe erkenne ich das, was mit dem Segen Gottes bedacht ist.

Um zu erkennen, was von Gott gesegnet ist, bedarf es deshalb keiner kultischen Handlung der Kirche in Form von „Segensfeiern“, denn solche Segensfeiern fügen keinen Segen hinzu, der nicht schon längst da ist.

Segensfeiern sind Bekenntnis und Annahme des göttlichen Segens

Aber dennoch sind öffentliche und gemeinschaftliche Segensfeiern nötig.
Denn in dem Glauben, dass wir auf den Segen Gottes angewiesen sind und Gott SEINEN Segen gibt, sind wir in der Glaubensgemeinschaft verbunden.

Diese Verbundenheit zeichnet sich auch darin aus, dass wir füreinander den SEGEN GOTTES erbitten, besonders dort, wo Menschen für sich selbst und konkret bejahen, dass sie auf diesen Segen Gottes angewiesen sind, damit ihr Leben segens-reich sein kann.

Segens-bitt-feiern zu versagen heißt, die Nächstenliebe vorzuenthalten

Segens-bitt-feiern durchzuführen, ist also dann ein Akt geschwisterlicher Verbundenheit und Fürsorge, die jene, die um diesen Segen bitten, in ihrem Glauben darin bekräftigen wollen.

Wer also solche Segensfeiern verweigert, versagt den Segensbedürftigen die gläubige Solidarität, dass wir alle und in jeder Lage auf den Segen Gottes angewiesen sind.

Segens-bitte-feiern also denen zu versagen, die ihre Beziehung auf das Fundament gemeinsamer Liebe gründen wollen, ist für mich somit ein Versagen gegen die gebotene und nötige Nächstenliebe.

Gerd Wittka, 16.03.2021




Traurig, anstatt froh zu sein …

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Eigentlich müsste ich froh sein, vielleicht auch das Gefühl haben, erfolgreich gewesen zu sein:
In unserer Pfarrei ist eine Entscheidung gefallen, die ich sachlich und verantwortlich selber so gefordert habe.
Und so trage ich diese Entscheidung nicht nur mit, sondern habe wesentlich daran mitgewirkt.

Und trotzdem will sich keine wirklich Freude bei mir einstellen.
Denn ich weiß, dass diese Entscheidung für viele, die die Konsequenzen erleben werden, nicht leicht sein wird.

Es gibt im Leben diese Situationen, wo man spürt: es geht nicht anders. Vor allem bei aller Abwägung sachlicher und geistlicher Art.
Es ist eine der typischen Entscheidung zwischen zwei Übeln.

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Allein,und das lasse ich mir auch persönlich bei meiner Mitwirkung dieser Entscheidung nicht absprechen: entscheidend ist die Liebe (in Gottes-, Nächsten- und Selbstliebe) und die Für- und Mitsorge anderen gegenüber, die solchen Entscheidungen zugrunde liegen.

Vielleicht mag es anmaßend erscheinen, aber ich bin fest davon überzeugt, dass genau diese letzten Kriterien meine Entscheidung und mein persönliches Eintreten dafür geleitet haben.




„… damit wir frei handeln …“

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Heute Morgen fand ich in der Schriftlesung des Tages ein abschließendes Gebet, aus dem ich gerne zitieren möchte:

„Guter Gott, es fällt uns nicht immer leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen. (…) Manchmal stellen wir uns auch die Frage, wie viel an Einsatz uns etwas wert ist oder ob wir doch lieber alles seinen gewohnten Gang gehen lassen (…).
Steh du uns mit deinem Heiligen Geist bei, damit wir uns gestärkt spüren und frei handeln. Amen.“

(Verfasser*in unbekannt, Quelle: TE DEUM, 12.2020, S. 185)

Dieses Gebet nimmt meines Erachtens genau die missliche Lage auf, in der sich momentan viele Seelsorger*innen befinden, die in diesen Tagen entscheiden müssen, ob nun Präsenzgottesdienste angeboten werden oder mindestens bis zum Ende des staatlichen Lockdowns ausgesetzt werden?

In dieser Phase befinde ich mich persönlich auch, da ich aus einer Gewissensentscheidung heraus die Durchführung von Präsenzgottesdienste für unverantwortlich halte.

Ich habe eine Entscheidung für mich getroffen, die in vielen Gesprächen mit Teamkollegen und Gottesdienstteilnehmer*innen gefallen ist.

Es gibt Entscheidungen, die wir uns nicht abnehmen lassen können, die wir nicht delegieren können und die auch andere für uns nicht entscheiden können, weil diese Entscheidungen zutiefst mit dem eigenen Gewissen verknüpft sind.

Und das Gewissen ist – wie auch kirchliche Dokumente (nicht zuletzt das II. Vatikanische Konzil sagt), die höchste Entscheidungsinstanz.
Die höchste Urteilsinstanz aber ist Gott allein. Er schaut auf das Herz, erschaut auf unseren wirklichen Beweggründe und ob sie aus Liebe erwachsen sind.

Ich vertraue deshalb auf die gnädige Beurteilung Gottes.
Und das macht mich innerlich frei, wenn auch nicht ohne Konflikt.




Seelsorge in future

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Heute Morgen, am 07. Dezember 2019 las ich in der Laudes das folgende Schriftwort aus dem Matthäus-Evangelium:

Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen,
denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe,
die keinen Hirten haben.“ (Mt 9, 36)

In selten gekannter Weise hat mich heute dieses Schriftwort angerührt. [Es gibt offensichtlich Zeiten, da einem wohlvertraute Schrifstellen des Evangeliums in ganz neuer Weise ansprechen; dann haben sie mir offenbar Neues zu sagen oder vor Augen zu stellen.]
Wenn so etwas bei mir passiert, dann frage ich mich meist, warum mich gerade jetzt/heute diese Schriftstelle in einer neuen Weise anspricht?



Unverständliche Worthülsen

Ein Auslöser war wohl auch ein Text eines Seelsorgers in einer Gemeindepublikation, den ich in diesen Tagen gelesen habe.
Mir fiel an diesem Text auf, dass er nur so von theologischen Begriffen und Fachsimpeleien stotzte, obwohl es kein theologischer Fachaufsatz, sondern eher ein geistlicher Text für Gemeindemitglieder sein sollte.

'Synodaler Weg' in Deutschland - Wie kann eine glaubwürdige Seelsorge für Morgen aussehen, die bei den Menschen ist und ihre Lebenswirklichkeit aufnimmt?
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Und ich würde lügen, wenn ich nicht zugeben würde, dass mich dieser Text ärgerte.
Es ärgerte mich, weil mein Kollege so an den Menschen vorbei schrieb.
Es ärgerte mich, dass er nicht die Chance nutze, die Menschen anzusprechen: in ihrem ganz konkreten Leben mit einer ganz konkreten und lebensbezogenen Sprache.

… fott domet …!“ (kölsche Mundart)

Ich legte dann aber diesen Text beiseite und beachtete ihn nicht (mehr). [Ich gehe übrigens davon aus, dass viele Gemeindemitglieder ihn auch nicht beachten werden, weil er für sie nicht relevant ist. Dazu aber später mehr!]

… und wenn der Geist (nach-)wirkt …

Als ich also heute Morgen diesen Text aus dem Matthäus-Evangelium las, kam mir wieder der Text aus der Gemeindepublikation in den Sinn. Offenbar gibt es eine innere Verbindung zwischen meinem damaligen Ärger und dem heutigen Wort aus der Heiligen Schrift.

Deshalb ließ ich diesen Text aus dem Matthäus-Evangelium noch einmal auf mich wirken und mir vielen einige Formulierungen auf:

Collage: Gerd Wittka, 2019

Jesus sieht die Menschen

Hier und an anderen Stellen im Evangelium fällt mir immer wieder auf, dass davon berichtet wird, dass Jesus die Menschen ’sieht‘; er sieht sie an und schafft ihnen somit ein AN-SEHEN.

Das Ansehen ist aber nicht nur etwas, was dem Menschen geschenkt wird, der angesehen wird. Es ist auch ein zutiefst akiver Vorgang desjenigen, der ansieht.
Das bedeutet, dass Jesus in der Beziehung zu den Menschen immer sehr aktiv ist. Seine Richtung ist -> ‚auf die Menschen zu‘.

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Und damit erreicht Jesus,

  • dass er nah bei den Menschen ist
  • dass er vertraut ist mit dem Leben der Menschen
  • dass er ihre Lebens-Themen kennt
  • dass er ihre Sehnsüchte und Suchbewegungen, auch geistlich wahrnimmt.

Ich stelle mir diesen biblischen Jesus als einen Menschen vor, dem ’nichts Menschliches fremd ist‘. Und da, wo er unbekanntes Terrain betritt, lässt er sich darauf ein; vielleicht lässt er sich auch überraschen von dem, was er selbst auch neu entdecken kann auf seiner ‚Reise zu den Menschen‘.

Jesus hat ‚Mitleid‘

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Bei den Menschen zu sein, ihnen nahe zu sein und ihre Themen und Bedürfnisse zu kennen oder sie zumindest zu erfahren, das bewirkt Mitleid bei Jesus.
Und dieses Mitleid, diese Empathie, setzt etwas in Bewegung, machmal sogar buchstäblich, wenn Lahme wieder gehen können.
Es setzt – neben der körperlichen Befreiung von Gebrechen – aber immer auch eine umfassendere Befreiung in Gang: Befreiung von den Fesseln des alten Lebens, Befreiung von der Erfahrung nicht verstanden zu werden, Befreiung von erfahrenem Missbrauch und Heilung von Verletzungen.
Und in den Auferweckungsgeschichten wird deutlich: Jesus schafft Möglichkeiten für ein neues Leben, dass sich lösen kann vom Alten und Hergebrachten.

Die Zielrichtung muss stimmen ….

Wenn wir das Beispiel Jesu vor Augen haben, dann kann das nicht ohne Konsequenzen für unsere Seelsorge in dieser Zeit und hier in Deutschland bedeuten.
Seelsorge bedeutet heute, die Themen der Menschen an sich heran zu lassen, sich mit den Fragen der Menschen auseinandersetzen zu wollen und in ihr ganz konkretes Leben hinein, Begleitung anzubieten. Dieses Angebot muss aber auch von der Bereitschaft gestützt sein, die Wege der Menschen mitgehen zu wollen und nicht ihnen sagen zu wollen, wohin sie zu gehen haben.
Seelsorge muss immer eine mitgehende Seelsorge sein.

Quelle: wwwlpixabay.com

Für die grundsätzliche Haltung eines/einer jeden SeelsorgerIn bleibt das nicht ohne grundlegende Erkenntnis. Eine meiner Erkenntnisse daraus (auch angesichts des bevorstehenden Weihnachtsfestes) ist:

Wir müssen eine Seelsorge von den Menschen aus entwickeln, nicht von Gott aus.
Gott kann für sich selber sorgen.
Der Mensch bedarf eines fürsorglichen Gottes.
Nur deshalb war es sinnvoll, dass Gott selber in Jesus von Nazareth Mensch wurde.

In den heutigen Texten des TeDeums finde ich als ‚Ora et Labora‘-Text ein Zitat, das mich noch einmal bestärkt:


„Lehren, mein lieber, junger Mann, das ist kein Spaß. Gottes Wort, das ist glühendes Eisen. Und du willst es lehren, indem du es mit der Zange anfasst, um dir die Finger nicht zu verbrennen?
Du willst nicht mit beiden Händen danach greifen? Dass ich nicht lache.
(George Bernanos, 1888-1948, französischer Schriftsteller, zitiert nach „TeDeum, Dezember 2019, S. 69)


Ja, dieses Wort macht mir Mut, denn auch ich entdecke konkrete Themen, die mich in meinem seelsorglichen Alltag als Krankenhaus-Seelsorger berühren.
Da sind die Themen, die sich durch die Übernahme eines katholischen Trägers zum 01.01.2020 an eine schweizerische Holding ergeben. Es sind Themen und Unsicherheiten der Mitarbeitenden und wie wir uns als Krankenhaus-Seelsorger da positionieren.

Quelle: Bild von Tumisu auf Pixabay

Mit wird deutlich, dass wir in diesen Fragen und in der Begleitung von Mitarbeitenden nicht unkonkret bleiben können. Wir werden uns sicherlich auch dabei mindestens die Hände, wenn nicht sogar ‚das Maul‘ verbrennen und verbrennen müssen.

Quelle: Bild von Mabel Amber, still incognito… auf Pixabay

Und wenn sich andere darüber ärgern, dann ist das für mich nur eine Bestätigung, dass wir in der Sendung und Nachfolge Jesu nicht auf den falschen Weg sind, denn der Weg der Nachfolge Jesu und der Seelsorge für die Menschen heute und ganz konkret, ist ein steiniger Weg, wenn er eine Seelsorge meint, die für die Menschen relevant ist.