Friede – Geist – Leben

Das Evangelium des ‘Weißen Sonntags’ 2022

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An diesem Sonntag hören wir eine – wie ich finde – ganz bedeutsame Stelle aus dem Johannes-Evangelium:
Johannes-Evangelium, Kapitel 20, VV. 19-31

Natürlich fällt uns auf, dass der Mittelpunkt der Erzählung die Begegnung zwischen dem Auferstandenen Jesus Christus und dem ‘ungläubigen’ Thomas ist.
Doch das möchte ich diesmal nicht in den Blick nehmen.

Dieses Mal möchte ich zentrale Formulierungen anschauen, die – wenn wir sie als Gesamtheit meditieren – eine wichtige Botschaft beinhalten, die der sogenannte ‘1. Schluss des Johannes-Evangeliums’ hervorhebt.



Dazu möchte ich einfach mal die drei zentralen Begriff aufgreifen, die auch schon in der Überschrift genannt sind.

Friede

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Als Christus, der Auferstandene, den Jünger:innen begegnet, sagt er ihnen das Wort: “Friede sei mit euch!”.
Aber nicht nur einmal. Auch ein zweites Mal wiederholt er diesen Satz.
Damit stellt er ihn in die Mitte und macht diese Zusage zu einer zentralen nachösterlichen Aussage.
Ostern und Friede sind untrennbar miteinander verbunden.

Und wenn wir jetzt noch im Hinterkopf behalten, dass die frühen Christen zuerst Ostern und dann viel später auch Weihnachten gefeiert haben, dann wird deutlich, dass der Friede der Heiligen Nacht sich vom Osterfrieden her ableitet.

Doch als wäre es nicht genug mit der Friedenszusage, erneuert Jesus, als er nun auch den vorher abwesenden Thomas begegnet, diese Friedenszusage noch einmal.
Dreimal sagt Jesus in diesem Kapitel seinen Jünger:innen seinen Frieden zu.

Alle, die in diesen Tagen Ostern feiern, ob in der Westkirche vor einer Woche oder an diesem Sonntag in der Ostkirche, müssen sich angesichts des Krieges in der Ukraine aber auch der vielen gewaltsamen Kämpfe auf der ganzen Welt diese Friedensdimension des Osterfestes vor Augen führen.

Wer einen Angriffskrieg führt (auch wenn er ihn mit anderen Begrifflichkeiten umgibt), kann nicht zugleich Ostern feiern!
Wer den Angriffskrieg befürwortet und zugleich Ostern feiern will, lügt und heuchelt und kann nicht glaubwürdig Christ:in sein!

Österliche Menschen hingegen lassen sich von der Friedensbotschaft des Auferstandenen anrühren. Diese Botschaft geht ihnen zu Herzen und lässt eine Haltung zurück, die ‘den Frieden sucht und ihm nachjagt’ (vgl. Psalm 34,15).

Geist

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Die Zusage seines Friedens verbindet Jesus zugleich mit der Sendung des Heiligen Geistes.

Diese Textstelle macht viele von uns stutzig: feiern wir nicht erst 50 Tage nach Ostern das Pfingstfest, das Fest des Heiligen Geistes?
Ja, das ist richtig. Aber das hat nur eine liturgische und theologische Funktion.

Die verschiedenen Textstellen aus dem Neuen Testament lassen die Sichtweise zu, dass die Auferstehung, die Himmelfahrt Christi und die Ausgießung des Heiligen Geistes in eins gefallen sind.
Dass wir 40 Tage nach Ostern Christi-Himmelfahrt und 50 Tage nach Ostern Pfingsten feiern ist keine Frage der Chronologie; damit will lediglich die hohe Bedeutung dieses Festkreises zum Ausdruck gebracht werden.

Als die Jünger:innen erkannten, dass Jesus Christus von den Toten erstanden ist und er sein Leben an der Seite seines Vaters weiterführt (Himmelfahrt), war diese Erkenntnis, dieser Glaube das Wirken des Heiligen Geistes, der die Jünger:innen in diese Wahrheit der Auferstehung eingeführt hat.

Für mich wird dadurch deutlich: wer Ostern feiert und um den österlichen Frieden bemüht ist, der wird seine Gebete auch immer an den Heiligen Geist richten, der uns zur Erkenntnis des österlichen Friedens und uns auch ganz konkret auf die Wege des Friedens führen kann und wird.

Leben

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Wir feiern an Ostern die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Wir feiern, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, sondern, wie es in einem Kirchenlied heißt: “der Tod ist tot, das Leben lebt…”

In diesem Jahr, dem Jahr des grauenvollen Angriffskrieges gegen die Ukraine, meditiere ich viel über die Seite des Todes ./. die Seite des Lebens.
Wenn wir das Herz unseres Glaubens verstehen wollen, dann benötigen wir Bilder, die uns bildlich und klar deutlich machen, was der Kern unseres Glaubens ist.

Mir hilft in diesem Jahr die Gegensätze

Seite des Todes ./. Seite des Lebens

in den Blick zu nehmen.

Die zentrale Botschaft von Ostern ist:
“… Jesus hat den Tod bezwungen und uns allen Sieg errungen…”
(vgl. das Kirchenlied: “Halleluja, lasst uns singen, denn die Freudenzeit ist da …”)

Für mich bedeutet das, dass der wirkliche und echte Sieg der ist, der nicht auf der Seite des Todes steht, sondern wo alles Leben leben darf und kann.
Natürlich weiß ich auch, dass auf Erden letztlich alles dem irdischen Tod anheim fällt.
Aber österliche Menschen werden diesem Tod nicht noch Vorschub leisten durch Angriffskriege, durch Gewalt, Totschlag und Mord.
Österliche Menschen wenden sich in gleicher Weise gegen den physischen wie den psychischen Tod, der oft einhergeht mit sexualisierter Gewalt, seelischen oder geistlichem Missbrauch.

Österliche Menschen dienen dem Leben und leben für das Leben, von dem Jesus uns sagt, dass er gekommen ist, damit wir “das Leben haben und es in Fülle haben”. (Johannes-Evangelium Kapitel 10 Vers 10)

Quintessenz:

In diesen Wochen, gerade auch angesichts des Krieges gegen die Ukraine, wird mir im Hinblick auf Ostern immer deutlicher

Österliche Menschen suchen den Frieden und jagen ihm nach.
Österliche Menschen lassen es zu, dass sie den Heiligen Geist empfangen und sind offen für sein Wirken und Wehen und bitten um SEINE Gaben.
Österliche Menschen sind immer auf der Seite des Lebens, für das Leben und gegen den Tod in seiner Mannigfaltigkeit .

Gerd A. Wittka, 24.04.2022, Weißer Sonntag – Sonntag der Barmherzigkeit

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Genieße den Reichtum

Gedanken zum 2. Sonntag im Jahreskreis – 16. Januar 2022

Am vergangenen Montag, den 10.01.2022 hat in unserem Bistum Essen der “Tag der pastoralen Dienste” stattgefunden. Wegen der Corona-Pandemie aber nur als online-Veranstaltung.

Gut zweihundertundvierzig Kolleg:innen, die in unserem Bistum in der Seelsorge tätig sind, haben daran teilgenommen: Frauen und Männer, Gemeindereferent:innen, Pastoralreferent:innen, Diakone, Priester und Bischöfe.



Entstanden ist dieses Treffen aus dem früheren “Priestertag im Bistum Essen” – damals noch ein erlauchter, klerikaler Kreis.
Uns wurde als Seminaristen vermittelt, dass es eine Ehre sei, daran schon teilnehmen zu dürfen.
Doch für mich war das damals eine ‘fremde’ Veranstaltung: Kleriker, von denen die meisten untereinander wussten, dass sie Kleriker sind, fanden sich in ‘geballtem klerikalen Schwarz’ zusammen. Darunter auch einige, von denen ich wusste, dass sie sonst selten so klerikal in Erscheinung traten.

Ich war auf jeden Fall froh, als diese Veranstaltung geweitet wurde und nun alle Seelsorger:innen unseres Bistums zu diesem Tag einlud: Ungeweihte und Geweihte, Frauen und Männer.

Für mich ist diese ‘bunte Mischung’ wohltuend und erfrischend.

An den vergangenen Montag musste ich denken, als ich jetzt die Lesung aus dem Neuen Testament des heutigen Sonntags las.

Sie steht im 1. Korintherbrief, Kapitel 12, Verse 4-11.

Darin lese ich die Worte: “Es gibt verschiedene Gnadengaben, aber nur den einen Geist. Es gibt verschiedene Dienste, aber nur den einen Herrn. Es gibt verschiedene Kräfte, die wirken, aber nur den einen Gott: ER bewirkt alles in allen.”

An solchen Tagen, bei solchen Begegnungen, wie dem “Tag der pastoralen Dienste im Bistum Essen” erlebt man diese verschiedenen Gnadengaben, die verschiedenen Dienste und verschiedenen Kräfte in geballter Form, an einem Ort, zu ein und derselben Zeit.

Aber wir erleben diese Vielfalt der Gnadengaben, der Dienste und Kräfte auch ‘vor Ort’, in unseren Gemeinden und Gemeinschaften, in unseren Lebensbezügen und -beziehungen.

Spannende Verschiedenheit

Diese Verschiedenheit ist spannend und manchmal auch anstrengend. Das merken wir besonders bei ganz aktuellen und strittigen Themen in unseren Pfarreien und Gemeinden und in unserer ganzen Kirche.

Manchen scheint es zu anstrengend zu sein und sie sehnen sich nach einfachen, eindeutigen und klaren Aussagen, die leider manchmal auch einseitig sind. Sie vermögen es nicht, der tatsächlichen Vielfalt an Menschen, Charakteren und Überzeugungen gerecht zu werden.
Damit besteht die Gefahr, dass Viele, die dazu gehören, sich ausgegrenzt fühlen; manche davon ziehen sich dann ins Private zurück, tauchen in der Gemeinde nicht mehr auf. Schlimmstenfalls verlassen sie ganz die kirchliche Gemeinschaft.

Dass das geschieht, ist jedoch ein großes Versagen in unserer Kirche.
Sowohl in den Evangelien aber auch in der heutigen Lesungen finden wir viele biblische Beispiele und Zeugnisse, die immer wieder betonen, dass die Gemeinschaft der Glaubenden eine vielfältige Gemeinschaft ist.

Vielfalt ist Reichtum

Ich persönliche Empfinde diese Vielfalt grundsätzlich als Reichtum. Doch dafür muss mindestens eine Bedingung erfüllt sein.

Dieser Reichtum muss gewollt, angenommen und geschätzt werden.
Geschätzt wird er in dem Maße, in dem diese Vielfalt, dieser Reichtum zum Zuge kommen kann.

Dazu ein ganz triviales Beispiel:

In den Seelsorgebereichen, in denen ich mit Kolleg:innen zusammenarbeite gab und gibt es immer wieder folgende Übereinkunft: Wenn sich jemand mit einem seelsorglichen Anliegen an mich wendet und diese Person oder ich in der Begegnung feststelle, dass ‘die Chemie zwischen uns nicht stimmt’ und deshalb nicht segensreich für die Begegnung und Beziehung sein kann, konnte und kann ich auch heute immer noch das Angebot machen, die anderen Kolleg:innen ins Spiel zu holen.
Wenn dann diese neue Konstellation hilf- und segensreich ist, kann man sehr leicht erkennen, wie wertvoll diese Vielfalt ist.

Diese Vielfalt gilt auch in vielen anderen Bereichen des kirchlichen Lebens.
Nicht nur mir, sondern auch Ihnen, fallen sicherlich bei einiger Überlegung viele Beispiele ein.

Ich möchte Sie und auch mich selber an diesem Sonntag ermuntern, den Blick auf die Vielfalt in unserer Kirche aber auch in unserer Gesellschaft, in unserem Staat zu richten.
Ich möchte ermutigen, diese Vielfalt auch in einer multikulturellen Vielfalt zu entdecken, wo die anderen Kultur, die andere Geisteshaltung und Weltanschauung für mich zu einer Chance wird, sich mit der eigenen Kultur und Geisteshaltung neu zu beschäftigen und vielleicht auch wertvolle Aspekte der anderen zu entdecken, die den eigenen Horizont weitet und mein Leben bereichert.

Wenn in allem “der eine Geist” wirkt, dann ist mir nicht bange, dass unsere Vielfalt auch unser Reichtum ist, den wir genießen können und dürfen.


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“… damit sie … alle Mühe mit mir teile…”

Canticum zum Tag aus dem Buch der Weisheit

In der heutigen Laudes vom 10.12.2021 bete ich als Canticum diesen Text aus dem Buch der Weisheit.
Für mich ist dieses Buch ein ‘gutes’ Buch im Alten Testament.
Was dort über die ‘Weisheit’ gesagt wird, übertrage ich gerne auf den Heiligen Geist.
Anstelle des Wortes “Weisheit” füge ich oft “Heiliger Geist” ein.

Und dann bekommt dieser Text für mich eine ganz neue Prägung.



Ich bin ja – nach wie vor – der Meinung, dass der Heilige Geist und seine Verehrung in unserem christlichen Glauben viel zu kurz kommt.

Dabei ist schon im Schöpfungsbericht von ihm die Rede:

Genesis (1 Mose) 1,1-2:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war noch leer und öde, Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser, und über den Fluten schwebte Gottes Geist.

Belastendes und Demotivierendes

Für mich sind, gerade auch in der heutigen Zeit, solche biblischen Texte entlastend und motivierend.
Gestern noch sprach ich im Rahmen einer Fachkonferenz mit Kolleg:innen in einem Jahresrückblick darüber, was alles in diesem Jahr 2021 gelaufen war. Dabei fiel mir auf, dass eigentlich alle – durch die Bank – erwähnten, wie besonders diese gegenwärtige Zeit, die letzten zwei Jahre, durch die Corona-Pandemie geprägt sind.
Vieles, was wir angegangen und geplant haben, war zumindest ‘vorläufig’ oder provisorisch, manches vermeintlich auch ‘für die Katz’, weil Geplantes kurzfristig abgesagt oder zumindest verschoben werden musste. Bilder oder Begrifflichkeiten, die die Instabilität der Lebens- und Arbeitsumstände ins Wort brachten, wurden genannt.

Ich denke, dass es anderen Menschen in ihrem eigenen Leben (ob beruflich oder privat) nicht viel anders ergangen ist – vielleicht manchen sogar noch schlechter, weil Lebensfundamente weggebrochen sind. Besonders hart traf und trifft es die Opfer der Flutkatastrophe im Sommer dieses Jahres.

Angesichts solcher Situationen stellt sich zumindest bei mir immer wieder die Frage:
“Wie schaffe ich das alles?” – “Woher nehme ich noch die Motivation?” – “Was kann ich gegen Entmutigungs- oder Ermüdungserscheinungen tun?”

Dazu kommt auch, dass dieser Stress mental und emotional auch Folgen hat – ich spüre es zumindest bei mir: ich werde dünnhäutiger und leichter reizbar. Wenn ich etwas als ungerecht oder falsch empfinde, bringt mich das persönlich mehr auf die Palme als sonst.

Mir und anderen gerecht werden – aber wie?

Wenn ich dann wieder herunter komme und zur Ruhe kommen kann, geht es mir damit nicht unbedingt viel besser. (Es ist ja schon mal gut, dass es in solchen Zeiten überhaupt noch Gelegenheiten gibt, selber zur Ruhe zu kommen, um Zeiten des Gebetes, der Meditation und der Reflexion zu finden.)

Denn: wer kann schon damit zufrieden sein, wenn es nicht so läuft, wie man es geplant oder sich gedacht hat? Ich bin es zumindest nicht. Das liegt vielleicht auch darin, dass ich eher Perfektionist bin.
Gelassenheit und Langmut sind nicht meine eingeborenen Stärken.

Ein gutes Wort zur richtigen Zeit

Da sind solche Worte, wie heute in der Laudes für mich persönlich das ‘gute Wort zur rechten Zeit’!
Da ist von der Weisheit die Rede, die Gottes ständige BegleiterIN ist und die Gott auch den Menschen zur Seite stellen will.
Der Mensch, hier der Protagonist des Betenden, weiß um seine Aufgabe und seine göttliche Sendung. Zugleich weiß er aber auch um seine Begrenztheiten, seine Schwächen und seine Unvollkommenheit.

Allein das einzugestehen – ist das nicht schon Werk der Weisheit? – Ich denke schon!

Für den Betenden aus diesem Canticum ist die Weisheit von Anfang an und mit einem klaren ‘Auftrag’, nämlich einsichtig zu machen, was Gott gefällt und recht ist nach seinen Geboten.

Die Weisheit ist also die Begleiterin Gottes, die alles in ein anderes Licht und in größere Zusammenhänge setzen kann.

Um diese Begleitung betet unser Protagonist im heutigen Text, in dem Wissen, dass auch sie ihm Einsicht schenken kann und sogar “alle Mühe mit” ihm “teilen” kann.

In dem Wissen, dass geteilte Mühe halbe Mühe ist, so wie geteiltes Leid halbes Leid ist (Volksmund), so vertraut der Betende darauf, dass die Weisheit und ihr Wirken entlastend sein kann, damit man wieder den “Kopf frei bekommt”.

Die Weisheit, die “alles weiß und alles versteht” hat auch die Kraft, “mich in meinem Tun besonnen zu leiten und mich in ihrem Lichterglanz (zu) schützen…”.

Die Weisheit Gottes hat also etwas Erhellendes, gerade dort, wo wir Dunkelheit spüren, wo unsere Wege nicht klar erkennbar sind.


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Gottes Weisheit,
Du heilige Geistkraft,
die du von Anfang an warst und
auch heute noch bist.

Die du geschaffen hast
und Einsicht schenkst;
die du Mühen teilst
und mich besonnen leiten möchtest,

öffne mich auf dich hin,
damit ich dich,
die
Schöpferin, Geistbewegerin und
Schützerin
sehnsuchtsvoll erwarte,
dass du ankommen darfst in mir
und mich führst
und entlastest
und ermutigst
für meine nächsten Schritte.

Amen.

(Gerd Wittka, 10.12.2021)




“Wollt auch ihr weggehen?!”

21. Sonntag im Jahreskreis – C – 2021

Ansprach zur Schriftstelle: Johannes 6,60-69

Liebe Schwestern und Brüder,

es würde mich sehr wundern, würden viele von uns, die wir das heutige Evangelium gehört haben, irgendwann nicht auch auf das Thema “Kirchenaustritt” und die neuesten Entwicklungen kommen.

Wir könnten leicht versucht sein, dieses Evangelium oberflächlich und 1:1 auf die heutige Zeit zu übertragen.
Wir könnten leicht versucht sein, zu sagen: „Heute ist es ja nicht viel anders als damals. Auch heute verlassen Menschen die Kirche und wollen scheinbar nicht mehr mitgehen.“

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Aber Vorsicht!
Vielleicht ist das genau zu kurz gedacht.

Schauen wir uns den Text etwas genauer an:
Da gibt es wieder diesen einen Satz, den wir als Schlüsselsatz verstehen dürfen, der uns die Vorzeichen benennt, unter denen wir diesen Text ent-schlüsseln müssen:
„Der Geist ist es, der lebendig macht. Das Fleisch nützt nichts!“

Damit spricht Jesus einen Punkt bei den Juden an, der mit der Frage zusammenhängt, wie ein Mensch Jude bzw. Jüdin wird.
Wesentlich und in erster Linie spielt da die Rolle, ob Mutter oder Vater jüdisch ist. Die Geburt, die Abstammung von den Eltern ist hier also primär maßgeblich. Durch die anschließende Beschneidung tritt ein Junge dann dieser Bundesgemeinschaft bei.

Es gibt also mehr oder weniger einen „Automatismus“ bei der Zugehörigkeit zum Judentum: die Geburt, also „das Fleisch“ ist maßgeblich.

Doch dieses Verständnis kratzt Jesus im heutigen Evangelium an. Nach ihm ist nicht die Herkunft für die Zugehörigkeit maßgeblich, sondern die Gesinnung, der Glaube und die damit einhergehende Entscheidung für den Glauben und für eine Nachfolge Christi.

Diese Tradition des ‚entschiedenen‘ Christen hat sich im Laufe der Kirchengeschichte verfestigt, auch wenn es Zeiten gab, wo der/die einzelne nicht zum Christentum übertrat, sondern: wenn der „pater familias“ zum christlichen Glauben übertrat, dann trat mit ihm „das ganze Haus“ zum christlichen Glauben über, also alle Familienangehörigen, selbst die Sklaven im Haus.

Beziehen wir das heutige Evangelium aber auf die Frage nach Kirchenaustritt und Zugehörigkeit zu Christus, dann lohnt sich ein genauerer Blick auf die Entwicklung in diesem Bereich.

Das veränderte Austritt-Szenario in der Kirche

Als ich vor über 25 Jahren Priester wurde, konnte man im großen und ganzen berechtigterweise die These vertreten: Wer aus der Kirche austritt, vollzieht damit nur den letzten Schritt. Vorausgegangen waren zumeist schon eine längere innere und äußere Loslösung von der Kirche und evtl. sogar auch vom christlichen Glauben.
Der Kirchenaustritt erschien damals zumeist als logischer Schritt einer inneren oder auch geistlichen Entfernung von christlichem Glauben und von der Kirche.
Für uns Seelsorger:innen hieß das auch zumeist: „Der Zug ist abgefahren!“. So schnell würde man diese Menschen nicht wieder zurück gewinnen können. Mit diesen Menschen müsste man den Glaubensweg wieder neu starten.

In den letzten Jahren können wir – auch unter dem Einfluss des Skandals über sexuellen Missbrauch in der Kirche und durch kirchliche Mitarbeitende und auch das starre hierarchische Handeln der Kirche – aber eine andere Entwicklung feststellen.
Menschen sind verärgert, frustriert und verletzt, wie unsere Kirche mit bestimmten Themen umgehen.
Darunter sind sogar Menschen, die sich bis zum eigentlichen Austritt teilweise persönlich und sehr engagiert in der Kirchengemeinde eingebracht haben, z.T. in verantwortlichen Aufgaben und Positionen in Gremien oder als Ehrenamtliche in der Verkündigung (Kommunionhelfer:innen, Lektor:innen, Messdiener:innen, ….).

So höre ich in letzter Zeit häufiger folgende oder ähnliche Statements: „Ich trete aus der Kirche aus, aber ich bleibe ‚katholisch‘!“ oder „Ich trete aus der Kirche aus, aber ich bleibe nach wie vor überzeugte/r Christ:in!“

Christ:in sein – ohne Kirche?

Ich will jetzt gar nicht die theologische Frage stellen zwischen überzeugtem Christentum und ‚Zugehörigkeit zur Kirche‘. Aber diese Beobachtungen lassen eine weitere Frage aufscheinen:

Bedeutet Zugehörigkeit zu Christus gleichzeitig Zugehörigkeit zur Kirche? Oder: kann ich auch als ausgetretene/r Katholik/in auch weiterhin katholisch und Christ:in sein?

Viele von denen, die formal aus der Kirche ausgetreten sind, beantworten diese Fragen sehr klar, entschieden und eindeutig mit: „Ja!“

Ich finde, dass ist ernst zu nehmen. Denn sie sagen damit: Mein Christsein und mein Kirchesein wird nicht in erster Linie geprägt von einer formalen Mitgliedschaft zu einer Kirche, zu der ich vielleicht sogar eher unfreiwillig, d.h. durch die Entscheidung der Eltern (also dem „Fleische nach“?) gekommen bin.
Mein Verständnis von Christsein und Kirchesein ist entscheidend von meiner eigenen Entscheidung her zu verstehen, also von dem, was meinem Geiste als freie Entscheidung entspringt.

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Mir ist klar, dass manche Dogmatiker:innen jetzt heftig die Stirn runzeln werden. Aber das ist für mich zweitrangig.
Für mich ist viel wichtiger, diese Geisteshaltung dieser Menschen ernst zu nehmen, denn dahinter verbirgt sich was ganz Wertvolles: sie haben nicht abgeschlossen mit dem christlichen Glauben, sie haben nicht abgeschlossen mit der christlichen Gemeinschaft. Sie haben oft nur abgeschlossen mit einer organisatorischen Institution, die ihnen oft so widersinnig erscheint: widersinnig im Hinblick auf den christlichen Glauben.

Und: sie haben ihr Bekenntnis zu Jesus Christus dadurch erneuert.
Sie sagen damit: Christus und der Glaube an ihn und seine Botschaft spielen in meinem Leben weiterhin ein große Rolle. Die Worte Jesu und seine Botschaft sind für diese Menschen weiterhin „Geist und sind Leben“.
Ihr Leben würde ohne den christlichen Glauben, ohne die Zugehörigkeit zu Christus, ohne christliche Nachfolge, leer sein.

“walking to the sky” – Bild von Zorro4 auf Pixabay

Sie antworten auf die Frage des Herrn: „Wollt auch ihr gehen!“ auch heute wieder: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Wortes des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“

Wenn wir diesen Gedanken an uns heranlassen und ihn zulassen, dann wird aber zwangsläufig eine weitere Frage auftauchen:

Wie ist es mit uns, die wir (noch) in der Kirche geblieben sind?
Wo sind wir (nur noch) „dem Fleische nach“ Christ:innen? Und wo und wie könnten wir mehr und bewusster „dem Geiste nach“ Christ:innen sein und glaubwürdiger werden; dem Geiste nach, der uns (wieder) lebendig macht?

Formales Christentum, formale Zugehörigkeit zur Kirche ist wertlos.

Dem Geiste nach zu Christus zu gehören ist wesentlich, ob als Mitglied der Kirche oder nicht (mehr).




Fremd-denken

Quelle: www.pexels.com

Anderer Leute Gedanken zu denken, finde ich oft anstrengend und ermüdend.

Mir fällt das besonders beim Lesen von gewissen Büchern auf.

Wie wohltuend und befreiend ist es da, eigenen Gedanken anzuhangen und nach zu gehen?

Das lockt meinen Geist und erfrischt meine Seele.




Empfang bestätigt!

In neun Monaten feiern wir Weihnachten

Neun Monate vor Weihnachten (dem symbolischen Geburtsfest Jesu Christi) begehen wir das Fest “Verkündigung des Herrn”

Die Szene wird den meisten von uns bekannt sein: der Erzengel Gabriel tritt zu Maria hinzu und verkündigt ihr, dass sie vom Heiligen Geist erfüllt das ‘ewige Wort vom Vater’, SEINEN Sohn Jesus Christus empfangen habe.

Quelle: www.pixabay.com



Traditionelle Bilder dieses ‘Geschehens’ sind sehr plastisch, wie auch die biblische ‘Schilderung’. Schließlich geht es ja um die Geburt eines Menschen und wir ‘wissen’, dass in der Regel zwischen Geburt und Empfängnis neun Monate liegen.
Aber so plastisch diese biblische Erzählung ist, so realistisch ist sie auch. Maria ist nicht voller geistlicher Entzückung, sondern eine sehr bodenständige junge Frau, die um die biologischen Vorgänge durchaus weiß: “Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?”

Und auch heute gibt es Menschen, die dieses Ereignis zu sehr biologistisch sehen wollen. Aber lassen diese auch die kritische Frage Mariens zu?!

Verbunden: Glaube und Verstand

Maria ist taff – sie lässt sich trotz ihres Glaubens diese Begegnung mit dem Erzengel nicht gedankenlos über sich ergehen. In dem Wunderbaren verliert sie nicht ihren Verstand, sondern nutzt ihn. Glaube ist auch eine Sache des Verstandes.

Und der Engel antwortet. Aber er begründet dieses Empfängnis nicht biologisch, sondern ‘entführt’ Maria mit seiner Argumentation quasi in überirdische Sphären, wenn er antwortet: “Heiliger Geist wird über dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten.” (vgl.

Der Engel versucht erst gar keine biologische Antwort. Er macht sofort deutlich, dass es hier um ein Geschehen aus dem Blickwinkel des Glaubens geht.

Ja, Glaube muss verständlich sein, aber lässt sich mit unseren irdischen Erfahrungen und Sinnen nicht immer begreifen.

Ich denke, darin liegt die spirituelle Spannung dieses Festes.

Es ist müßig, ja geradezu töricht, dieses ‘Ereignis’ biologisch begreifen zu wollen.

Gabriel und Maria laden uns ein, dieses Geschehen mit dem Augen des Glaubens zu ‘verstehen’.

Dann verliert dieses Erzählung alle realistische und plastische Klarheit und zeigt das Wahre dieses Festes vielleicht so, wie es ein Glaskünstler mit diesem Kirchenfenster versucht hat, in den Blick zu nehmen:

Hier ist konturen- und schemenhaft mit plastischen Mitteln dargestellt, was mit den Augen des Glaubens sehr konkret wird:

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Ein Mensch (hier Maria) ist offen für die Ansprache Gottes in ihrem Leben.
In dieser Offenheit für Gott blendet sie aber ihren Verstand nicht aus, sondern nutzt ihn, um zu ergründen und selber zu erkennen.
Und sie erkennt und wird erkannt (‘erkannt werden’ ist die biblische Umschreibung für den biologischen Geschlechtsakt), aber sie wird erkannt nicht mit der Potenz eines Mannes sondern ‘im Heiligen Geist durch die Kraft des Höchsten’.

Als aufgeklärter und vernunftnutzender Theologe und Christ wird mir mit zunehmendem Alter klarer: Unser Glaube darf und kann sich nicht biologisch und durch Überlieferungen erklären, die wir allein historisch sehen und verstehen wollen.

Um wirklich Glaube sein zu können, muss unserer irdischer Verstand die Bereitschaft haben, die ‘Augen des Glaubens’ zu nutzen, die uns dann jenen Durchblick verschaffen können, wo unsere leiblichen Augen vielleicht klar sehen, aber letztendlich allenfalls schemenhaft erkennen können.

Nicht die Empfängnis ist das wunderbare, das ich an diesem Tag in den Blick nehme, sondern dass Maria das, was mit ihr geschehen ist, mit den Sinnen des Glaubens erkennen und deshalb dazu ihr “Ad sum” sagen konnte.

So wurde das biologisch scheinbar Unmögliche in ihr buchstäblich Wirklichkeit.


Verkündigung

Klar und schemenhaft
glaubhaft und unglaublich
himmlisch und irdisch
zweifelhaft glaub-würdig

Verkündigung

Himmel und Erde
verbindend

(Gerd Wittka, 2021)