Vertrauen – Friedensbereitschaft – Verantwortung

Impuls zum 14. Sonntag im Lesejahr C – 2025

Lesungstext: Lukas-Evangelium 10, 1-9

Fast jede und jeder von uns hat schon mal vom „Knigge“ gehört – einer Sammlung alter Benimmregeln, die 1788 von Adolph Freiherr Knigge in seinem Buch „Über den Umgang mit Menschen“ veröffentlicht wurde.
Viele Ratschläge daraus wirken heute überholt: Wer hält sich noch an steife Tischmanieren oder die genaue Reihenfolge beim Händegeben?
Doch die grundlegende Frage bleibt aktuell:
Wie begegnen wir einander, damit menschliche Begegnungen gelingen kann?



Im Evangelium schickt Jesus 72 Menschen zu zweit aus – seine „Arbeiter im Weinberg des Herrn“. Er weiß, dass er nicht allein überall hingehen kann, um seine Botschaft zu verkünden.
Deshalb delegiert er diese Aufgabe an andere.
Delegation bedeutet hier nicht nur, sich Arbeit vom Hals zu schaffen, sondern Vertrauen zu schenken und Kompetenz anzuerkennen: Jesus vertraut darauf, dass diese zweiundsiebzig genau so wichtig und fähig sind wie er selbst.
Das ist eine Grundhaltung, die wir uns heute auch gerade in unserer Kirche mehr bewusst werden dürfen!

Denn: Warum ist echte Delegation heute so wichtig?

  1. Praktische Notwendigkeit. Kein Einzelner kann ewig und überall wirken.
  2. Gemeinschaft stärken. Wer Verantwortung teilt, zeigt: Einander zu vertrauen ist Teil unseres Glaubens.
  3. Vielfalt der Begabungen. Jeder bringt verschiedene Fähigkeiten mit, die gemeinsam mehr bewirken als einsame Anstrengung.

Auch in unserer Kirche müssen wir heute immer wieder neu überlegen:

  • Welche Aufgaben gebe ich weiter?
  • Wo vertraue ich anderen, statt alles allein machen zu wollen?
  • Und wie tragen wir so gemeinsam die Botschaft, dass Jesus Liebe, Frieden und Hoffnung ist?

Am Ende der traditionellen lateinischen Messe klingt der Satz „Ite, missa est!“ – „Geht, ihr seid gesendet!“ – wie ein Echo der Worte Jesu damals. Diese Sendung betrifft nicht nur Priester oder Hauptamtliche, sondern uns alle: Was können wir in unserem Alltag weitersagen und -leben?

Jesus zeigt uns vier Grundhaltungen für unseren Weg auf:

  1. Leichtes Gepäck.
    Lass los, was dich daran hindert, aufmerksam zu sein: alte Sorgen, falsche Erwartungen, übertriebene Gewohnheiten.
  2. Friedfertigkeit.
    Beginne jede Begegnung mit einem Wort des Friedens: „Der Friede sei mit dir!“ Diese Geste schenkt Hoffnung und öffnet Herzen.
  3. Vertrauen.
    Als Gast vertraust du darauf, dass dein Gegenüber dir Gutes tun will. Genauso kannst auch du Vertrauen schenken – indem du zuhörst, teilst und dich einlässt.
  4. Beständigkeit.
    Bleib an einem Ort, in Beziehungen, in Projekten – auch wenn es anstrengend wird. Echter Zusammenhalt entsteht durch Geduld und Ausdauer.

Der „Knigge“ lehrte uns zwar höfliches Benehmen, aber Jesus zeigt uns, dass es im Kern um viel mehr geht: um Vertrauen, gemeinsames Tragen von Verantwortung und eine Haltung des Friedens.
Wenn wir „ausgesendet“ werden, tragen wir diese Haltungen in unseren Alltag – in Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und darüber hinaus.

So ist das heutige Evangelium mehr als eine alte Benimmregel.
Sie ist eine lebendige Einladung zu echter Menschlichkeit, in der es auch Raum für die Verkündigung der Frohen Botschaft gibt.




In and out!

Impuls zum 10. Sonntag im Jahreskreis



Schriftlesungstext: Markus 3, 20-25

Wer ist „drinnen“ und wer ist „draußen“?

Die Angehörigen Jesu meinen, er ist draußen, weil er sich nicht an das Wort hält: „Blut ist dicker als Wasser“.

Aber das Evangelium eröffnet uns eine andere Perspektive, wenn es gleich am Anfang die Worte findet: „In jener Zeit ging Jesus in ein Haus und wieder kamen (.) viele Menschen zusammen…!“

Bild: Gerd Wittka, 2024, erstellt mit KI

Jesus geht nach „drinnen“ und sammelt dort die Menschen.
Es ist das ‚offene Haus‘, das den Menschen die Möglichkeit gibt, hineinzugehen und hineinzukommen, um im inneren Bereich der Verkündigung und der Botschaft Jesu anzukommen.

Wer hat nun „das Bessere gewählt“ in den Augen Jesu?
Jene, die die geöffnete Tür nutzen, um zu Jesus zu kommen oder jene, die draußen stehen und auf die (Familien-)Tradition und Familienzugehörigkeit pochen und Jesus da ‚raus holen wollen‘?

Jesus lädt mit seiner provokanten Äußerung am Ende aber zugleich seine Verwandtschaft ein, in seinen Augen ‚in zu sein‘! – Ob sie der Einladung folgen werden?!

Und auch uns gilt die ‚Einladung an die Verwandten‘!

Bild: Gerd Wittka, 2024, erstellt mit KI

Das Evangelium stellt uns die provokante Frage:

  • Wer ist drinnen und wer ist draußen?
  • Wer ist ‚in‘ und wer ist ‚out‘, aus der Sicht Jesu?!
  • Und wie steht’s mit uns? Wo stehen wir?



„Ich bin der Weinstock“

Impuls zum 5. Sonntag der Osterzeit 2024

Bei Christus ab-hängen

Manche von uns mögen sie, andere lehnen sie ab, ignorieren sie oder halten sie gar für eine Banalisierung der deutschen Sprache.
Ich spreche von der sogenannten „Jugendsprache“.

Jedes Jahr kürt eine Jury das „Jugendwort des Jahres“.

Ich finde, dass es sich manchmal lohnt, sich die Begrifflichkeiten junger Leute genauer anzusehen.
Denn vielleicht können Sie uns auch etwas sagen, auch wenn wir deren Begrifflichkeiten nicht unbedingt im Alltag übernehmen.

Ein Wort, von dem ich nicht weiß, ob es jemals als „Jugendwort des Jahres“ gekürt wurde, ist das Wort „abhängen“.

Und genau dieses Wort kam mir in den Sinn, als ich das heutige Evangelium gelesen habe und es auf einmal mit dem Evangelium verknüpfte.

Daraus entstand bei mir der Gedanke:

Bei Jesus abhängen“

Ich hatte das Bild eines Weinstocks mit roten Reben vor Augen, an dem die Reben buchstäblich am Weinstock abhängten.

Foto: www.pixabay.com

Und ich denke, dass das Bild vom Weinstock in Verbindung mit dem Jugendwort „abhängen“ auch uns heute etwas sagen könnte.

Das Wort „abhängen“ hat unter jungen Leuten verschiedene Bedeutungen und wird in unterschiedlichen Kontexten verwendet:

Als erstes bedeutet es: **Entspannen und Zeit verbringen**:

Oft wird „abhängen“ verwendet, um sich in lockerer Atmosphäre mit Freunden zu treffen, Zeit miteinander zu verbringen und einfach zu entspannen. Dies kann sowohl zu Hause als auch an öffentlichen Orten wie Parks, Cafés oder Plätzen in der Stadt geschehen.

Übertragen auf das Bild vom Weinstock könnte es bedeuten. Wir sind eingeladen, mit Jesus Christus aber auch mit anderen ‚Reben‘ am Weinstock des Herrn, mit anderen Christ:innen unsere Zeit miteinander zu verbringen, um die Zeit in lockerer Atmosphäre zu verbringen.
Wir können untereinander und miteinander Zeiten verbringen, die uns gegenseitig gut tun und weil wir eine innere Verbindung zwischen uns spüren: wir alle gehören zu ein- und demselben Weinstock: Jesus Christus.
In seiner Nähe und mit der gegenseitigen Gemeinschaft geht es uns gut, treffen wir Menschen ‚eines Sinnes und eines Geistes‘, können uns somit auch gegenseitig im Leben bestärken.
‚Bei Christus abzuhängen‘ kann also bedeuten, mit IHM und untereinander wertvolle Zeit zu verbringen, die einfach gut tut.

2. **Auszeit nehmen**: Manchmal verwenden junge Leute das Wort „abhängen“, um auszudrücken, dass sie eine Pause vom Alltag nehmen möchten. Es kann bedeuten, dem Stress und den Verpflichtungen des Lebens für eine Weile zu entfliehen und sich zu entspannen.
Auch diese Bedeutung können wir auf Christus und unsere Gemeinschaft übertragen.
In unseren Zusammenkünften, auch gerade in unseren Gottesdiensten brechen wir unseren geschäftigten Alltag auf, wir machen buchstäblich einen „Break“, eine kurze aber deutliche Unterbrechung, die uns hilft, für eine kurze Zeit den dominierenden Alltag mit seinen Verpflichtungen und Beschäftigungen zu unterbrechen, um im Gottesdienst bewusst die Nähe zu Christus zu suchen und auch zu entspannen.
Ja, sie hören richtig! Gottesdienst darf auch ein Ort der Erholung und Entspannung sein, wo man mal wieder etwas tiefer Luft holen und Durchatmen kann. Denn Gottesdienst heißt nicht nur, dass wir Gott dienen, sondern auch, dass Gott uns dienen will. Unsere Gottesdienste dürfen, sie sollen somit sogar Wohlfühlorte sein, Oasen der geistlichen Zurüstung aber auch der körperlichen, seelischen und emotionalen Erholung.

Sogenannte „Weinstock-Ikone“, die ich von einer Großtante zu meiner Priesterweihe geschenkt bekommen hatte.

3. **Soziale Interaktionen**: „Abhängen“ bedeuteet, sich mit Freunden zu treffen, um gemeinsam Zeit zu verbringen, zu reden, zu lachen und verschiedene Aktivitäten zu unternehmen, sei es Spielen, Filme schauen oder einfach nur herumhängen.

Bei Christus abzuhängen kann somit auch eine soziale Interaktion sein.

Natürlich kann ich in den eigenen vier Wänden, in aller Stille „bei Christus abhängen“ durch persönliches Gebet, durch Meditation.
Das ist dann auch eine Form der sozialen Interaktion zwischen mir und Christus, zwischen „ich und du“.
Abhängen bei Christus ist zudem in einer sozialen Interaktion möglich, die über die Zweisamkeit zwischen Christus und mir hinausgeht, nämlich indem wir Gemeinschaft erleben zwischen vielen Menschen, die der Glaube und die Liebe zu Christus verbindet.

Und diese dritte Dimension des „Abhängens bei Christus“ bildet den nächsten Aspekt:

4. **Identitätsbildung und Zugehörigkeit**:

Durch das „Abhängen“ können junge Leute ihre Identität formen und sich einer Gruppe zugehörig fühlen. Es ermöglicht ihnen, Gemeinschaft zu erleben, sich auszudrücken und Bindungen zu knüpfen, die oft in der Jugend von großer Bedeutung sind.

Foto: Gerd Altmann, www.pixabay.com

„Bei Christus abzuhängen“ stiftet Gemeinschaft und stärkt unser Zugehörigkeitsgefühl zu der Gemeinschaft der Christinnen und Christen.
Dieses Zugehörigkeitsgefühl ist besonders in den Zeiten wichtig, wo wir als Christ:innen keine Mehrheit mehr in unserer Gesellschaft bilden. Dieses Zugehörigkeitsgefühl ist besonders in den Zeiten wichtig, wo manche eher dazu neigen, in ihrem Glauben zu resignieren, vor allem auch deshalb, weil so vieles in unserer Glaubensgemeinschaft nicht gut läuft, belastend und beschämend ist.
Die Erfahrung von Gemeinschaft trotz der dunklen Seiten kann auch Bestärkung sein, für die Überwindung zu kämpfen, die das menschliche Angesicht der Gemeinschaft von Christinnen und Christen entstellt.

Es lohnt sich also, dieses Bild vom Weinstock und den Rebzweigen im Sinne der Jugendsprache zu interpretieren, weil sie für unser Leben konkrete hilfreiche Impulse bereit hält.




Zu Christus …

Christus, Bruder,
ich habe gelernt:
wer sich zu dir bekennt
bildet Gemeinschaft mit
jenen, die sich ebenfalls
zu dir bekennen.
Diese Gemeinschaft –
deine Jünger:innen –
sind Kirche, die ‚ekklesia‘.

Schau auf diese Gemeinschaft
in dieser Zeit, da so viel
Fehlerhaftes und so viel Schuld
zu Tage tritt.

Ich frage mich,
wie ich noch dazu gehören kann?
Und dann
merke ich:
ich gehöre zu DIR!

Es geht
in allen Fragen der Kirche
auch um die Frage:

Welchen Platz hast du in ihrem Leben?
Welchen Platz hast du in meinem Leben,
damit ich weiterhin zu DIR
und damit zur Kirche gehören kann?!

Deshalb komme ich heute
zu DIR
mit meinen Fragen,
mit meinen Zweifeln,
mit dem Gefühl, es nicht mehr (er)tragen zu können.

Wenn es stimmt,
dass DU nur
durch UNS
in dieser Welt wirken willst,
dann kann ich doch gar nicht anders,
als BEI DIR und
in der Kirche zu bleiben,
denn DU bist doch ihr
Dreh- und Angelpunkt!

Also komme ich heute zu DIR
und bitte DICH
um deinen Rat und Beistand,
um deinen Geist:
hilf uns, uns immer an DIR
fest zu machen
aus deinem Geist
zu glauben
und zu leben.

Hilf uns
in dieser Zeit
immer wieder und inniger
zu beten.

Das Gebet
ist die Verbindung,
die die Reben
am Rebstock halten.

Binde du mich
immer enger an
DICH!

Zeige mir, zeige uns,
was gut und richtig,
was nötig ist
in dieser Zeit.

OHNE DICH
sind wir
– deine Kirche –
nur ein Haufen von Menschen
die sich irgendwie organisieren
und reden
von Gott und von dir und dem Heiligen Geist.

Wirke du!
WIR brauchen DICH!

(c) Gerd Wittka, 24.09.2023




Heilung

anders als du denkst

Wer krank ist, wünscht sich fast immer, die Krankheit zu überwinden und nach der Behandlung nichts mehr von der Krankheit zu spüren.
Das Ziel einer solchen Behandlung ist Genesung und Gesundheit.

In einer Krankheit hat das bisherige Leben eine Wendung bekommen. Manchmal nur kurzzeitig, wenn wir, wie zum Beispiel bei einem grippalen Infekt, einige Tage das Bett hüten müssen.

Schwere oder hartnäckige Erkrankungen führen nicht selten zu einem massiven Bruch mit unserem bisherigen Alltag.

Dazu kommt womöglich die Erfahrung, auf Hilfe anderer angewiesen zu sein, auch wenn ich vorher sehr selbständig und selbstbestimmt mein Leben geführt habe. Das allein ist mitunter schon eine riesige Herausforderung – ich weiß aus eigener Erfahrung, wovon ich schreibe!
Als ich vor 10 Jahren einen massiven Beinbruch hatte, konnte ich noch nicht einmal allein zur Toilette gehen. Das war so krass!

In Gesprächen mit Patient:innen, die körperlich oder seelisch schwer erkrankt sind, bekomme ich von ihnen oft zu hören: „Ich möchte wieder mein altes Leben zurück!“

In der Krankheit erfahren sie ihr Leben als begrenzt oder eingeschränkt; die Sehnsucht ist: das volle Leben.

Aus den Heilungserzählungen, die mir von Jesus berichtet werden, erfahre ich, wie die Menschen, die durch Jesus geheilt wurden, wieder am Leben teilnehmen können.

Ausgrenzungen gegenüber anderen Menschen und aus Gemeinschaften werden überwunden. Geheilte Menschen spüren auf einmal: Sie sind am Leben!

Nun lehrt uns das Leben zugleich, dass manche Krankheit nicht wieder verschwindet, sie ist chronisch, wird unser ganzes Leben begleiten, womöglich auch zu unserem Tod führen!

So kann die Frage aufkommen: Haben wir dann keine Chance mehr auf Heilung?

Doch! Denn Heilung kann mehr bedeuten, als wieder ohne Krankheit leben zu können.

Häufig erlebe ich Patient:innen, die nach einer Phase innerer Auseinandersetzung mit Höhen und Tiefen lernen, mit ihrer Krankheit zu leben.

Oft ist es dann nicht „das alte Leben“ aber ein anderes, verändertes Leben, dem sie weiterhin viel Gutes und Frohes abgewinnen können.

So gesehen kann Heilung bedeuten, dass wir trotz einer Erkrankung zurück ins Leben finden, weil wir in der Krankheit eine neue Lebendigkeit spüren, die uns zeigt: Wir leben!

Heilung - ein Anliegen des Lebens!

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