„Wen der Herr liebt, …“

Über eine echt problematische Lesung am 21. Sonntag im Lesejahr C

Schriftlesung: Hebräer 12,4-13 | Einheitsübersetzung 2016 :: ERF Bibleserver

Ich erinnere mich:
Als ich als Kind einmal meine Oma besuchte, fand ich in ihrem Schrank einen Stock mit Lederriemen.
Ich fragte sie, was das ist. Sie sagte: „Eine Kopppeitsche.“ Damit hatte mein Opa früher seine Kinder geschlagen.

Symbolbild, Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Da wurde ich traurig. Auch mein Vater war als Kind so behandelt worden. Anfangs, als Familienvater, hielt er es auch für normal, uns Söhne durch Schläge zu erziehen und zu bestrafen.



Dabei war unser Vater war eigentlich liebevoll. Er war selbständiger Handwerker, aber sonntags nahm er sich Zeit für uns Kinder, da war er für uns da.

Wir liebten ihn sehr, vielleicht auch deshalb, weil er bald von solchen ’schlagkräftigen Erziehungsmethoden‘ Abstand nahm. Meine Eltern lernten gemeinsam: Liebe hat nichts mit Gewalt zu tun.
Ich finde diese Entwicklung, die sie gemeinsam zugelassen haben, großartig!

Symbolbild, Bild von Daniela Dimitrova auf Pixabay

Und obwohl sie uns später nicht mit körperlicher Gewalt erzogen, sind wir, ihre sechs Söhne, alle gut durchs Leben gegangen.
Wer hat denn nun Recht: die heutige Lesung oder meine Eltern mit ihrem Erziehungsstil?!

Gerade wegen dieser persönlichen Erfahrung empfinde ich die heutige Bibellesung als schwierig und äußerst problematisch.
Sie ist eine Herausforderung, darüber zu predigen – und trotzdem will ich mich ihr stellen.

Denn ich finde darin einen wichtigen Gedanken, der es wert ist, im Mittelpunkt zu stehen.
Um das zu verstehen, müssen wir uns die Absicht des Apostels Paulus anschauen.
Sein Brief sollte den Glauben von verunsicherten Christen stärken, die Verfolgung, Zweifel und Enttäuschungen erlebt hatten. Paulus wollte ihnen Mut machen, damit sie im Alltag mit ihrem Glauben standhalten konnten.

Bild einer künstlichen Besamung einer Bienenkönigin, Bild von xiSerge auf Pixabay

Er spricht von „Züchtigung“; wir kennen das damit verwandte Wort „Zucht“, die eine
gezielte und geplante Erziehung und Prägung meint, z.B. in der Pflanzen- oder Tierzucht.
Dafür benutzte Paulus aber Bilder aus seiner Zeit – Bilder, die uns heute fremd erscheinen.
Denn diese Bilder greifen eine zentrale Frage auf, die schon im Alten Testament eine große Rolle spielte:
„Welchen Sinn hat Leid?“
Die damalige Antwort lautete: Leid kann den Menschen erziehen.

Für mich ist das ein sehr schwer erträglicher Gedanke – zumindest auf den ersten Blick.

Doch wenn Menschen leiden oder mit anderen mitleiden, passiert tatsächlich etwas mit ihnen.
Im besten Fall setzen sie sich mit dem Leid auseinander und suchen Wege, damit umzugehen – allein oder mit Hilfe von Familie, Freunden, Therapeuten, Seelsorgern und anderen.
Dabei kann ein tieferes Verständnis für das eigene Leben entstehen, vielleicht sogar ein neuer Blick auf den Sinn des eigenen Lebens.
Auch ich habe so etwas erlebt.

Mein Vater starb mit 45 Jahren, ich war damals 17.
Als er krank wurde, war ich gerade 10 Jahre alt.
Er hatte einen Hirntumor und litt fast acht Jahre lang daran. Das war für ihn und unsere ganze Familie eine schwere Zeit – auch finanziell. Aber wir hielten zusammen.
Als Kinder begleiteten wir unseren Vater auf Spaziergängen, betreuten ihn in unserer Freizeit in gewisser Weise, später halfen wir bei seiner Pflege zu Hause.
Das waren Erfahrungen, die eigentlich kein Kind machen sollte. Aber wir wurden nicht davor bewahrt.
Und gerade in dieser schweren Zeit haben wir eine besondere Nähe und Verbundenheit in unserer Familie erlebt, die es ohne das Leid vielleicht nie gegeben hätte.
Diese Erlebnisse haben mich sehr geprägt. Sie machten mich sensibel für den Umgang mit Leid – bei mir selbst und bei anderen. Vielleicht war das auch ein Grund, warum ich später Seelsorger geworden bin.
Natürlich hatte diese Zeit auch ihren Preis: Unsere Jugend war nicht unbeschwert.
Ich war noch nicht einmal 18 Jahre alt, als ich schon meine erste Ausbildung abgeschlossen hatte, nur damit ich mehr Geld verdienen und die Familie mit unterstützen konnte. Auch meine Brüder haben ihren Teil dazu beigetragen.
Nein, es war keine gute Zeit.
Aber sie hat mich stärker gemacht und mir Sicherheit im Umgang mit Leid gegeben – im Blick auf andere und hoffentlich auch für mein eigenes Leben, falls mich einmal schweres Leid trifft.

Wenn Paulus also davon spricht, dass das Leid den Menschen erziehen kann, dann kann ich ihm aus meiner eigenen Erfahrung heraus zustimmen.
Das Leben bringt uns manchmal harte Prüfungen, die uns für das zurüsten können, was noch kommt.
Heute spielt das auch eine wichtige Rolle für die persönliche Resilienz.

(Anm.: Die Resilienz bezeichnet die psychische Widerstandskraft; Fähigkeit, schwierige Lebenssituationen ohne anhaltende Beeinträchtigung zu überstehen.)

Resilienz, Symbolbild, Bild von Rosy / Bad Homburg / Germany auf Pixabay

Aber – und das ist mir wichtig – das kann auch ganz anders ausgehen.
In meiner Arbeit in der Psychiatrie sehe ich oft, dass Menschen an diesen „Züchtigungen des Lebens“ zerbrechen.

Darum glaube ich:
Leid ist weder ein gutes Erziehungsmittel noch ein Weg, den man sich wünschen sollte.
Ich selbst könnte gut darauf verzichten.
Nur: das Leben lässt es nicht zu, Leid einfach zu vermeiden.

Also versuche ich, damit umzugehen, damit es mich nicht zerstört, sondern ich – durch den bewussten Umgang damit – vielleicht sogar in meinem Leben gestärkt werde, und so besser gewappnet bin für die Herausforderungen meines Lebens und meines Glaubens.




Für unsere Demokratie

Gegen Hass und Gewalt

Bild: www.pixabay.com

Die gewalttätigen Angriffe gegen WahlkampfhelferInnen und PolitikerInnen in unserem Land sind erschreckend!
Menschen, die sich für unsere Demokratie einsetzen, werden angegriffen und zum Teil schwer verletzt.

Menschen nutzen unsere demokratische Freiheit, um sich für unsere Gesellschaft stark zu machen im demokratischen Diskurs.
Sie kommen aus der Mitte unserer Gesellschaft!
Sie verdienen unsere Anerkennung und unseren Schutz!

Vor gut 100 Jahren gab es schon mal Zeiten, wo man die demokratische Freiheit bekämpft hat.
Heute wird dies durch Parteien wie die AfD gefördert, die unsere Demokratie und deren MandatsträgerInnen verächtlich machen.

Sie sind es, die in die Schranken gewiesen werden müssen!

Für Freiheit! Für Demokratie!
Gegen Radikalismus unsere Demokratiefeinde!

Bild: www.pixabay.com



IDAHOBIT 2023

Ev. und kath. Krankenhaus-Seelsorge im Johanniter-Krankenhaus Oberhausen

Ev. Seelsorgerin Gehrke-Marolt und kath. Seelsorger Wittka am IDAHOBIT mit der Progress-Pride-Flag in der Krankenhaus-Kapelle, (c) Gerd Wittka 2023

Am 17.5. wird jährlich der „Internationale Tag gegen Homo-, Bi- und Transfeindlichkeit“ (IDAHOBIT) begangen.
Aus diesem Anlass haben die evangelische und katholische Krankenhaus-Seelsorge im Johanniter-Krankenhaus Oberhausen eine Aktion gestartet und dazu eine Erklärung abgegeben:



Am 17.5. ist der IDAHOBIT,
der internationale Tag, der sich gegen Hass gegenüber homo-, bi-, transsexuelle Menschen und Menschen anderer Geschlechtlichkeit und sexueller Orientierung wendet.

Als evangelische und katholische Krankenhaus-Seelsorger:innen im Johanniter-Krankenhaus nehmen wir selbstverständlich auch jene Menschen (Patient:Innen oder Mitarbeiter:innen) in den Blick, die nicht traditionellen Geschlechterrollen und Sexualitäten entsprechen.

Wir setzen uns ein für geschlechtliche und sexuelle Vielfalt und wollen damit einen Beitrag gegen Hass und Gewalt gegenüber nicht-heterosexuellen Menschen leisten.

Bei uns finden Menschen, gleich welcher Religion, Weltanschauung oder sexuellen oder geschlechtlichen Identität jederzeit eine offene Tür.

Das diesjährige Motto:
„Immer zusammen: Vereint in Vielfalt“
will deutlich machen, dass wir in unserem Krankenhaus diese Vielfalt vorfinden.
Wir Krankenhaus-Seelsorger:innen erleben diese Vielfalt als Bereicherung im tagtäglichen Miteinander.

Aus der Einladung zum IDAHOBIT 2023


Gottesdienst zum IDAHOBIT

Deshalb haben wir beim „Offenen Mittags-Gebet“ (OMG) am Mittwoch um 13.00 Uhr in der Krankenhaus-Kapelle dieses Anliegen zum Thema gemacht.

Bistum Essen stellt ‚Netzwerk Queer‘ vor

Anlässlich des IDAHOBIT 2023 ist auch das Bistum Essen, mein Arbeitgeber, mit dem neuen ‚Netzwerk Queer‘ an die Öffentlichkeit gegangen.
Dieses Netzwerk will unterschiedliche Personen und Gruppierungen zusammen führen, „…um für andere queere Menschen ansprechbar zu sein, gegen Diskriminierung zu kämpfen, die Seelsorge für diese Zielgruppe weiterzuentwickeln und gleichzeitig die Offenheit sichtbar zu machen, die es im Bistum Essen für queere Menschen gibt….“

Ich selber gehöre seit Kurzem diesem Netzwerk an und möchte in diesem Netzwerk den intensiven Austausch pflegen und mich gemeinsam mit anderen Gruppierungen und Personen für Akzeptanz und gegen Hass und Gewalt gegenüber Queer-People wenden.

In diesem Zusammenhang erwarte ich zukünftig noch weitreichendere Initiativen in unserem Bistum.

Für mich muss es auch Ziel sein:

  • glaubwürdig nach innen und außen zu vertreten, dass dieses Anliegen nachhaltig ist
  • Menschen in ihrer vielfältigen Sexualität und Geschlechtlichkeit ernst genommen und wertgeschätzt werden
  • vergangenes Leid aufgearbeitet wird
  • Wiedergutmachung geleistet wird.

„Warum bist du noch dabei?“

Ich verstehe nur zu gut, dass viele Queer-People, die zu unserer Kirche gehören, ihr in den letzten Monaten und Jahren den Rücken gekehrt haben. Und ihre Beweggründe kann ich ebenfalls gut verstehen.
Denn: auch für mich als Seelsorger in der römisch-katholischen Kirche ist es manchmal schier unerträglich, wie ‚meine‘ Kirche mit diesen Themen umgeht.

Manche haben mich in der Vergangenheit gefragt, wie ich noch weiterhin den Dienst in der Kirche tun kann? –

  • Weil es auch MEINE KIRCHE ist und ich Glied dieser Kirche bin.
  • Weil ich in der vergangenen Jahren viele wunderbare Menschen in und außerhalb meiner Kirche gefunden habe, die mir Mut machen, bei dieser Thematik nicht locker zu lassen und meiner christlichen Überzeugung Raum zu geben.
  • Weil ich ermutigt wurde, den ‚langen Atem‘ an den Tag zu legen und gerade in den letzten Monaten sowohl unser Bischof Franz-Josef Overbeck und unser Generalvikar Klaus Pfeffer sich selber mutig und öffentlich für diese Themen einsetzen.
  • Weil ich es nicht hinnehmen kann, dass die Weltkirche bei diesem Thema Menschen diskriminiert und Leid antut.

Einladung an Queer-People

Deshalb möchte ich heute jene ermutigen, die sich in unserer Kirche irgendwie „queer“ fühlen, sich durch das ‚Netzwerk Queer‘ auch persönlich angesprochen zu fühlen und sich zum Beispiel auch an die verschiedenen Mitglieder aus dem Netzwerk zu wenden, wenn es darum geht, diese Akzeptanz weiter zu fördern.

‚Netzwerk Queer‘ beim Bistum Essen

Ich selber stehe, im Rahmen meiner Qualifikation ‚Geistliche Begleitung‘, persönlich zur Verfügung, wenn jemand die eigene Queerness mit dem christlichen Glauben verbinden möchte und aus diesem Glauben Wege sucht, damit das eigene Leben im vollumfänglichen Sinne gelingen kann.


Was bedeutet die ‚Progress-Pride-Flag‘? – Lies den QR-Code ein und finde die Antwort!




Prinzip ‚Sippenhaft‘

Im Internet läuft gerade eine Kampagne für ein Böllerverbot:

https://aktion.campact.de/boellerverbot/appell/teilnehmen?utm_source=rec-wa&utm_medium=recommendation&utm_term=inside_flow&utm_campaign=boellerverbot

Und ja, es gibt gute Gründe, das Silvesterfeuerwerk besser zu regeln. Dies bezieht sich insbesondere auf die Gründe des Umwelt-, Tier- und Lärmschutzes.



Diese Gründe jedoch mit den kriminellen Gewaltexessen gegen Rettungs- und Ordnungskräfte zu verbinden, lehne ich ab!

Ich habe auch diesen Aufruf bekommen, aber ich unterschreibe nicht, weil hier verschiedene Gründe gemeinschaftlich genutzt oder sogar missbraucht werden, die nichts miteinander zu tun haben.

Die Gewalt und Aggression bekämpft man nicht mit einem Böllerverbot für alle!

Da feiert das Prinzip der ‚Sippenhaftung‘, das in der NS-Zeit verstärkt Anwendung fand, fröhliche Urständ!!

Ich weiß nicht, wie man das unterstützen kann! Das ist Populismus pur! Und diesmal nicht von der AfD!




Immer wieder Gewalt gegen Queer-People

Handelt es sich um ‚Trittbrettfahrer:innen‘?!

Symbolfoto, Quelle: Bild von Tom und Nicki Löschner auf Pixabay

Schon wieder Nachrichten über gewalttätige Angriffe gegen Queer-People. Wieder ist eine transsexuelle Person, dieses Mal eine Transfrau in Bremen öffentlich in einer Straßenbahn queerfeindlich angegriffen worden.



Nach Pressemeldungen (siehe unten!) sollen die Begleitpersonen des Angreifers sogar noch diesen Angriff forciert haben.

Dank beherzten Eingreifens anderer Bahnfahrer:innen ließen die Angreifer ab und verließen fluchtartig die Bahn. Der Staatsschutz ermittelt nun wegen Hasskriminalität.

Die angegriffene Person wurde mit schweren Gesichtsverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert.
Quelle: Männer Media

Trittbrettfahrer:innen oder verstärkter Fokus auf solche Verbrechen?

Nach dem tödlich verlaufenden Angriff gegen Malte C. am Ende des CSD in Münster gibt es erneut eine Meldung solcher queerfeindlicher Angriffe.
Was steckt dahinter? Nimmt diese Gewalt zu oder richten wir in unseren Medien nur verstärkter unsere Aufmerksamkeit auf solche Verbrechen?

Egal, was es auch sei: beides wäre schlimm.

Es zeigt mir aber auch, wie wichtig solche Berichte sind. Denn der Vorfall in Bremen zeigt, dass eine erhöhte Sensibilität für solche Gewalt und Verfolgung gegen queere Personen auch dazu führen kann, dass noch mehr Menschen, Zivilcourage an den Tag legen, wenn sie solche Angriffe wahrnehmen.

Ich wünsche der Frau aus Bremen gute Besserung und dass sie diese traumatische Erfahrung verarbeiten und zukünftig sicherer in unserem Land leben kann, weil sie und alle anderen auf solidarische Zivilcourage hoffen können.