Heilig – oder nicht?

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Ein Sturm der Entrüstung macht sich in der islamischen Welt breit, weil in Schweden ein Buch, ein Koran, mit Füßen getreten wurde.
Als Folge wird die schwedische Botschaft gestürmt, Gewaltexzesse machen sich breit …

Das führt mich zu der grundsätzlichen Frage, was etwas heilig macht …?



BTW: Ich verurteile solche Aktion als respektlos! Da will ich keine Unklarheiten lassen.
ABER: die Proteste und Gewaltaktionen, das diplomatische Gezerre darum sind aus meiner Sicht völlig übertrieben!

Was macht etwas ‚heilig‘?

Nur weil ich – oder jemand anderes oder gar eine Religion – etwas für ‚heilig‘ hält, ist es objektiv noch lange nicht ‚heilig‘.

Für jemanden, der mit Religionen allgemein nichts anfangen kann, der keinen spirituellen oder emotionalen Zugang zum Religiösen hat, sind religiöse Gegenstände (und dazu zähle ich auch Druckwerke religiösen Inhalts) per se nicht ‚heilig‘.

So kann ein Buch, auf dem „Koran“ steht und dessen Druckwerk den Inhalt des Korans widergibt, per se auch einfach nur als ein Buch angesehen und erkannt werden.
Ein Buch ist definiert, sowohl von der Gestalt wie von der Machart.
Ganz wertfrei ausgedrückt kann für jeden Menschen ein Buch erst einmal ein Gegenstand sein, dass aus gebundenen Seiten besteht auf denen mit Farbe (Tinte) gedruckte Zeichen stehen, die wir Buchstaben nennen.
Mehr kann deshalb für einen nicht-religiösen Menschen auch ein Buch sein, das mit „Koran“ betitelt ist. Sachlich macht es für ihn keinen Unterschied, ob es sich hierbei um eine Cartoon, ein Magazin, oder sonst was handelt.

Heilig oder nicht?

Als Mensch kann ich folglich nur das als ‚heilig‘ bezeichnen, was mir persönlich, in meinen eigenen Augen aus der Sicht meiner eigenen Weltanschauung oder meiner Religion als ‚heilig‘ erachtet wird.
Das eigene Bewusstsein lässt also etwas ‚heilig‘ sein oder werden.

So kann z.B. ein ganz banaler Gegenstand, der mich z.B. mit Vorfahren verbindet, für mich ‚heilig‘ sein. Diesen Gegenstand kann ich besonders in Ehren halten und besonders ehrwürdig damit umgehen, weil sich mit diesem Gegenstand meine eigene Geschichte, meine Erfahrungen und vielleicht auch meine geistige Verbindung zu Vorfahren verbunden hat.

Wenn andere Menschen auf ein und denselben Gegenstand treffen, verspüren sie vielleicht auch nicht eine Spur von Ehrwürdigkeit oder gar ‚Heiligkeit‘, die von diesem Gegenstand ausgeht.
Warum?
Weil nicht der Gegenstand an sich ‚heilig‘ ist, sondern das, was dieser Gegenstand für mich, ganz subjektiv ausdrückt und bedeutet.

Um es an einem ganz konkreten Beispiel auszudrücken:

Seit Jahrzehnten besitze ich eine Bibel, eine Schulbibel, die ich zu Zeiten meines Besuchs des Abendgymnasiums besorgt habe.
Ich habe mit diesem Buch, dieser Bibel ‚gearbeitet‘, ich habe dort Anmerkungen hineingeschrieben und Markierungen vorgenommen, die mir sehr wichtig beim Studium der Bibel erschienen. Nun steht dieses Buch, diese Bibel im Regal, ist ziemlich abgenutzt und vergilbt.
Immer wieder kommt mir der Gedanke, dass ich dieses Buch entsorgen könnte.
Für Menschen, die z.B. mal meinen Haushalt auflösen müssten und emotional oder geistlich mit diesem Buch, au dem „Bibel“ steht, nichts verbinden, wäre es vielleicht überhaupt kein Problem, dieses Buch zusammen mit anderen Druckerzeugnissen dem Altpapier zuzuführen.

Aber mir fällt es schwer, dieses Buch ‚einfach so zu entsorgen‘.

Warum?
Weil es dinglich ein Buch bleibt, aber geistlich-spirituell für mich ein ‚heiliges Buch‘ geworden ist.

Doch meine Sicht auf das, was (für mich) heilig ist, ist und bleibt immer relativ.

Ein ganz einfaches Beispiel:

Wäre der Buchdruck nicht (von Gutenberg) erfunden worden, gäbe es heute keine Bücher mit der Aufschrift „Koran“.
Allein die Existenz eines Gegenstandes, das wir „Buch“ nennen, ist dadurch relativ und kann deshalb auch niemals objektiv als ‚heilig‘ vorausgesetzt werden.
‚Heilig‘ wird jemand oder etwas immer nur durch meine eigene Sichtweise, meine eigene Geisteshaltung, …
und diese kann niemals allgemeingültig und allgemeinverbindlich sein.

Dessen ungeachtet und davon getrennt muss die Frage erlaubt sein, wie wir in einer freiheitlichen und pluralen Welt mit Weltanschauungen, Sachverhalten und Dingen umgehen wollen, die anderen ‚heilig‘ sind.

Dies hier ist ein schönes Beispiel, wie man mit Dingen oder Umständen, die anderen ‚heilig‘ sind, respektvoll umgehen kann:

Uluru darf nicht mehr bestiegen werden!

Ich kann und darf aber nicht verlangen, dass der Ayers Rock von allen Menschen auf der ganzen Welt und zu jeder Zeit als ‚heilig‘ anerkannt wird!




Heiligsprechung nicht inflationieren

„Santo subito“darf nicht zu Regel werden

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Als Papst Johannes Paul II. starb, wurde sehr früh das „santo subito“ gefordert, die möglichst frühe Selig- und Heiligsprechung des Verstorbenen. Und Papst Johannes Paul II. ist der Papst, der in der kürzesten Zeit nach seinem Tod sowohl selig- als auch heiliggesprochen wurde. Doch die historische Aufarbeitung seiner Zeit als Bischof und Papst zeigte, dass viele Aspekte seines Lebens noch gar nicht ausreichend aufgearbeitet wurden. Deshalb finde ich: es war viel zu früh für seine Selig- und Heiligsprechung.

Nun, nach dem Tod des Papst em. Benedikt XVI. werden wieder „santo subito“-Forderungen laut. Und Erzbischof Gänswein erklärt in einem Interview, dass er glaube, dass es bei Papst em. Benedikt XVI. in eine ähnliche Richtung laufe, wie bei Johannes Paul II.!

Wir sollten aus der Vergangenheit lernen!



Aus gutem Grund sieht die röm.-kath. Kirche ein ziemlich sorgfältiges Verfahren für Selig- und Heiligsprechungen vor. Und das ist auch gut so.

Gerade aus der Zeit von Joseph Ratzinger als Bischof und späterem Papst sind noch sehr viele Dinge und Vorwürfe aufzuklären.
Und die Erfahrung hat gezeigt, dass eine sachliche und angemessene Würdigung selten in den direkten nachfolgenden Generationen einer Person erfolgen kann, für die ein Selig- oder Heiligsprechungsverfahren eröffnet wurde.

So hat zum Beispiel die Grazer Alttestamentlerin Irmtraud Fischer schnelle Rufe nach einem „Santo subito“ für den verstorbenen Benedikt XVI. scharf kritisiert.

Zu Recht gibt es zum Beispiel mit dem Umgang des Missbrauchsskandals und Benedikt XVI. kontroverse Diskussionen. Sie zeigen, dass noch vieles aufgearbeitet und geklärt werden muss. Bei dem Missbrauchsskandal handelt es sich wahrscheinlich um den größten Skandal der römisch-katholischen Kirche der Neuzeit mit den schwerwiegendsten Verbrechen, die von der Kirche unter den Tisch gekehrt, geleugnet und vertuscht wurden.

Nicht nur gegenüber den Opfern müssen wir deshalb sorgfältig die Geschichte dieses Missbrauchs aufarbeiten. Jeder Stein muss umgedreht werden, der in diesem Zusammenhang vor unseren Füßen liegt oder gelegt wurde.

Allein dieser Missbrauchsskandal zeigt, dass wir am besten beraten sind, Selig- oder Heiligsprechungsverfahren für Papst em. Benedikt XVI. für mindestens 50 Jahre auszusetzen und diese Zeit dafür zu nutzen, intensiv das Lebenswerk von Joseph Ratzinger aka Papst Benedikt XVI. kritisch zu sichten und aufzuarbeiten.


Update:

07.01.2023: Ein gewisser Lichtblick bleibt, dass die Aufarbeitung weitergeht. Wie bekannt wurde, ist zivilrechtliche Verfahren gegen Benedikt XVI. mit seinem Tod nicht automatisch eingestellt worden, sondern wird weitergeführt, weil Papst em. Benedikt XVI. sich schon zu Lebzeiten durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ließ und nun das Verfahren gegen die Erben ( in diesem Fall gegen den Vatikan) von Papst em. Benedikt XVI. weiter läuft.