Mal anders herum… 😉

Die Perspektive zu wechseln, kann helfen…

https://www.instagram.com/reel/CeBd0iYjYtI/?igshid=MDJmNzVkMjY=



LIEBE – segenswert!

Ansprache zum ökumenischen Gottesdienst zum Ruhrpride in Essen am 06.08.2021 in der evangelischen Marktkirche in Essen.

Predigtgrundlage bilden der Psalm 67 und 1. Johannes 4, 7-13

Vor dem Beginn des ökumenischen Gottesdienstes, Foto: Gerd Wittka, 2021

Das diesjährige Thema dieses ökumenischen Gottesdienstes zum Ruhrpride 2021 ist nicht neu, aber brandaktuell.
Nicht zuletzt auch wegen einer Entscheidung aus dem Vatikan, also meiner Kirche, dass nicht alle Paargemeinschaften, darunter auch homosexuelle Paare in einer kirchlichen Feier gesegnet werden dürfen.
Zu Recht hat es deshalb einen regelrechten Aufstand gegen diese Erklärung gegeben.

Wir hier in Essen wissen, dass der Bischof von Essen Franz-Josef Overbeck und sein Generalvikar Klaus Pfeffer zu den Äußerungen aus Rom eine deutlich ablehnende Haltung einnehmen. So können auch in der römisch-katholischen Kirche des Bistums Essen Segensfeier für homosexuelle Paare stattfinden.

Wir aus dem Vorbereitungskreis sagen ohne Abstriche und einmütig: „Liebe ist segenswert“

Und ich finde, die Gründe dafür sind auf unserer Seite.

Aus dem Vatikan verlautete, dass die Kirche homosexuelle Paare nicht segnen könne.

Provokant möchte ich sagen: in gewisser Hinsicht stimmt es sogar.
Denn: Gott segnet!

In den kirchlichen Segensfeiern bitten wir Gott um SEINEN Segen.
Dies wird auch sehr schön in dem Psalm 67 deutlich, den wir ziemlich zum Anfang gehört haben.

Da bittet der Beter Gott darum, dass ER SEINEN Segen spenden möge: „Gott schenke uns seine Gnade…“ so heißt es da gleich am Anfang.
Und diese Gnade besteht darin, dass er sein Angesicht bei uns leuchten möge.
Das bedeutet nichts anderes, als dass Gott selber bei uns bleiben möge und mit seiner Gegenwart unser Leben erhellt und zum Leuchten bringt.

Gottes Gnade ist Segen für uns. Und dieser Segen sorgt dafür, dass wir leben und lieben können. Im Alten Testament steht dafür der Begriff „Recht“. Dieses Recht ist aber göttliches Recht, welches nur eine Absicht verfolgt: dem Menschen Heil und Heilung zu spenden.

Der Segen Gottes, den wir also immer wieder erbitten, ist der Segen darum, dass die lebensspendende und lebenssichernde Ordnung Gottes auch für uns wahr wird.

Vor der evangelischen Marktkirche – Rainbow-Flags laden zum Gottesdienst ein. Foto: Gerd Wittka, 2021

Konkret drückt der Beter das im Bild der reichen Ernte aus.
Dies ist sicherlich sehr konkret auf die Landwirtschaft bezogen.

Heute dürfen wir dieses Bild der Ernte umfassender verstehen: all das ist damit gemeint, wo wir in unserem Leben etwas neu beginnen, wo wir an etwas mitwirken wollen, wo wir uns mit Liebe einbringen in Beziehungen:
in alltäglichen Begegnungen und deren Beziehungen,
in Beziehungen zu Familienangehörigen, zu Freund:innen
aber auch in exklusiven Beziehungen einer Partnerschaft.

Sie alle stehen unter der Gnade Gottes. Der Wille Gottes, dass allen Menschen Heil widerfährt, ist grenzenlos; dafür gibt es viele Hinweise im Alten Testament.

Unsere Welt wird da heil, wo wir in einer liebevollen Welt leben und in liebevollen Beziehungen.
Liebevoll heißt hier für mich, dass es nicht an uns allein hängt, ob diese Liebe gelingt. Sie ist auch Wirken Gottes, des Heiligen Geistes. Insofern dürfen wir Gott auch darum bitten, wie wir es in Segensfeiern fröhlich tun.

Weil die Liebe heilsam sein kann, deshalb lädt uns der 1. Johannes-Brief ein, einander zu lieben.

Denn, wer liebt, ist ganz eng im Bunde mit Gott.
Der Verfasser des Johannesbriefes ist felsenfest davon überzeugt, dass alle Formen der Liebe in Gott ihren Ursprung haben, „denn die Liebe kommt von Gott“ und später sagt er sogar: „Denn Gott ist LIEBE.“

Wo Menschen lieben, wird also diese göttliche Liebe sichtbar, gegenwärtig.
Das erhebt jede liebende, respektvolle und fürsorgliche Partnerschaft auf Augenhöhe zu einer besonderen Würde.

Immer wieder wird versucht, der Liebe diese Würde abzusprechen, wo man sich weigert, für diese Liebe den Segen Gottes zu erbitten.

Das ist völlig absurd, denn anstatt sich zu freuen, auch sich mit diesen Paaren zu freuen, die sich in Liebe binden wollen, wird versucht, diese Liebe zu degradieren und diese Verbindungen schlecht zu reden, oder sie sogar mit Attributen wie „Gottlosigkeit“ zu diffamieren.

Gegen solches Gedankengut steht das Wort der heutigen Lesung, welches uns zusagt: wir sind und bleiben mit Gott verbunden, wenn wir einander lieben.

Mir ist es wichtig, noch einmal diese wertschätzenden Worte aus dem Johannes-Brief am Ende der Lesung zu zitieren:

„Aber wenn wir einander lieben, bleibt Gott mit uns verbunden.
Dann hat seine Liebe in uns ihr Ziel erreicht.
Gott hat uns Anteil gegeben an seinem Geist.
Daran erkennen wir, dass wir mit ihm verbunden sind und er mit uns verbunden bleibt.“

Deshalb gilt unverbrüchlich, was wir als Thema dieses Gottesdienstes gewählt haben:
„Liebe (ist) segenswert“ – nicht ‚Punkt‘ sondern ‚Ausrufezeichen‘.


Es gilt das gesprochene Wort.




Bibel und ‚Homosexualität‘

Quelle: www.pixabay.com

Immer wieder komme ich – nicht nur – in diesen Tagen und Wochen mit Menschen ins Gespräch über die menschliche Sexualität. Im Zusammenhang mit dem ‚Verbot‘ aus dem Vatikan, homosexuelle Paare kirchlich zu segnen, wird auch die Frage nach „Umgang eines Christen mit z.B. Homosexualität“ gestellt.

Bei verunsicherten Menschen oder gar denen, die eine Homosexualitätsfeindlichkeit an den Tag legen, wird versucht, ihre ablehnende Haltung mit Stellen aus der Bibel zu ‚belegen‘. Exemplarisch werden aus dem Zusammenhang gerissene Verse aus dem alttestamentlichen Buch Leviticus genannt oder auch der ‚paulinische‘ Römerbrief Kapitel 1,26f.

Aber sind diese Stellen geeignet etwas ‚gegen Homosexualität‘ zu sagen?!



In einem Gespräch mit einem Katholiken in diesen Tagen habe ich viel zu hören bekommen, aber wir konnten leider nicht ins Gespräch geschweige denn in den argumentativen sachlichen Austausch kommen. Ich werfe diesem Menschen das nicht vor, da er – hoch betagt – ganz anders erzogen worden war und z.B. diese Stellen immer so zu verstehen hatte, dass sie ein Argument seien, dass Gott die Homosexualität verurteile und deshalb auch auf Dauer angelegte Beziehungen zwischen Frau-Frau oder Mann-Mann. (Auf andere Sexualitäten will ich hier nicht eingehen, aber nur im Sinne einer größeren Klarheit, weil im weiteren Verlauf eigentlich zu erkennen sein müsste, dass in der Bibel die Themen Homo-, Inter-, Bi-, Trans- Sexualität und andere überhaupt gar nicht thematisiert werden.)

Eine solche Glaubensprägung verursacht dann natürlich bei diesen Menschen große Konflikte, erst Recht dann, wenn sie in diesen Tagen und Wochen „rainbow-flags“ vor oder in Kirchen sehen.

Die einzige Lösung solchere Konflikte kann jedoch nur die tiefergehende und sachliche Auseinandersetzung z.B. mit den oben genannten Bibelstellen sein. Doch daran scheitert es oft, weil jene, die eine homofeindliche Position einnehmen, wirklich nur selten bereit sind, ihren ‚Wissensstand‘ noch einmal zu überprüfen.

Damit ist dann aber keine wirkliche, auf gegenseitigen Respekt gegründete, sachliche Auseinandersetzung möglich.

Für jene aber, die eine gewisse Unsicherheit bei diesen Themen spüren und die auch etwas mehr Wissen und Erkenntnisse erlangen wollen, möchte ich hier zwei sehr interessante Seiten im Internet empfehlen, die sich mit den oben genannten Textstellen in einer soliden wissenschaftlichen Form beschäftigen, aber so, dass es auch theologisch nicht wissenschaftlich gebildeten Menschen verständlich erscheint.

Altes Testament

Die erste Seite beschäftigt sich mit den alttestamentlichen Bibelstellen.

Löblich ist, dass die Verfasserin die/den Leser:in auf den Weg mitnimmt, in das Verständnis der religiösen Kultur zur alttestamentlichen Zeit.
Dieses ist besonders wichtig, um allein das Wort „Gräuel“ im alttestamentlich-biblischen Sinne zu verstehen.

„Homosexualität als ein Gräuel – Gedanken zu 3. Mose 18,22 und 3. Mose 20,13“
zu finden unter: https://www.zwischenraum.net/was-sagt-die-bibel/homosexualitaet-als-ein-graeuel-gedanken-zu-3-mose-1822-und-3-mose-2013/

Neues Testament – Römerbrief

Die zweit Seite widment sich einer Textstelle aus dem Römerbrief – Röm 1,26f -, die immer wieder als Argument ‚gegen Homosexualität‘ buchstäblich „ins Feld geführt wird“.
Auch hier macht sich der Verfasser die Mühe, den kulturgeschichtlichen und religiösen Hintergrund dieser Textstelle zu erhellen.

Etwas schwieriger ist der Abschnitt für Nicht-Theologen: „Natürlich und widernatürlich“; aber ich bin davon überzeugt, dass bei langsamerem oder auch wiederholtem Lesen sich der Inhalt hier erschließen wird.

Nun aber auch zu dieser Seite:

„Homosexualität“ im Römerbrief – eine Hilfestellung
in: https://moehrenzahn.de/Homosexualitaet-im-Roemerbrief-eine-Hilfestellung/

Quelle: www.pixabay.com

Weitere (Hör-)Tipps:

Es gibt auch einen sehr interessanten Audiobeitrag auf www.worthaus.org zu diesem Themenkomplex. Dieser Beitrag ist aber etwas länger – fast eine doppelte Vorlesungsstunde.
Für besonders Interessierte mit Tiefgang sei dieses Seite aber sehr empfohlen:
https://worthaus.org/worthausmedien/die-schwule-frage-die-bibel-die-christen-und-das-homosexuelle-5-1-1/


Ich lade sehr herzlich ein, sich diese beiden Artikel durchzulesen.
Und an Ihre Gedanken oder Anmerkungen zu diesen Artikeln bin ich sehr interessiert.




„LSBTIQ* willkommen!“

Zum „Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit“ (IDAHOBIT) am 17. Mai

Das Queere Netzwerk NRW hat in diesem Jahr zum „Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit“ (IDAHOBIT) Communities und Verbündete aufgerufen, ein Zeichen für LSBTIQ*-freundliche Orte und Institutionen (und damit gegen alle Formen der Queerfeindlichkeit) zu setzen.



Collage: Victoria Duckscheidt

Über die Vermittlung des Bistums Essen wurde ich angefragt, ob ich mit anderen Personen aus unserer Pfarrei ein solches Willkommens-Zeichen setzen möchte.
Ich arbeite seit Mitte der 1990er Jahre in einer kirchlichen HIV-Beratungsstelle und bin seit 2019 von unserem Bischof gebeten worden, als röm.-katholischer Partner beim ökumenischen Gottesdienst zum ‚RuhrPride Essen'(CSD) mitzuwirken.

Recht spontan haben sich auf Initiative von Pastoralreferentin Tabea Diek und mir einige Personen aus der Pfarrei gefunden (die Ehepaare Iris und Carsten E. und Malte und Andreas G.; sowie Stephan B., Egbert P., Tabea Diek mit Benjamin und Samuel, sowie Martina D. mit Victoria D. und Vincent D. und Gerd Wittka), mit einer Fotosession ein Zeichen gegen Queerfeindlichkeit zu setzen.

Foto: (c) Gerd Wittka, 2021

Die Fotos entstanden auf dem Außengelände der Gemeindekirche St. Barbara in Oberhausen-Königshardt, welche zur Propsteipfarrei St. Clemens, Oberhausen-Sterkrade gehört.

Eintreten für das, was eine Selbstverständlichkeit ist

Damit unterstreichen sie, dass das Diskriminierungsverbot – schon im Grundgesetz verankert – auch eine Verpflichtung für die eigene Kirche ist und deshalb eine echte, aufrichtige und herzliche Willkommenskultur für ‚Queerpeople‘ in unseren Kirchen, Pfarreien, Gemeinden und Verbänden selbstverständlich sein muss.

Gerd Wittka vor der „Regenbogen-Madonna“ von Mika Springwald -Foto: (c) Gerd Wittka

Diese Aktion wirbt sowohl nach außen, verweist jedoch mindestens genauso in die eigene Kirche; denn auch hier muss eine queere Willkommenskultur, die auf Achtung und Respekt beruht und jeglicher Diskriminierung eine Absage erteilt, weiter ausgebaut und kultiviert werden.

Die in vielen Pfarreien stattgefundenen Partnerschaftssegnungen für Menschen verschiedener Sexualitäten ist in diesen Tagen ein Baustein für eine solche Veränderung der queeren Willkommenskultur in unserer Kirche.


Noch ein Text von Vicky, den sie mir gestern nach unserer Aktion zugeschickt hat und den ich hier veröffentlichen darf!
Danke, Vicky!

Homophobie

Ist die Welt für manche Menschen wirklich so schwarz weiß, dass es nicht in Ordnung ist, wenn gleichgeschlechtliche Paare auf der Straße rumlaufen?
Warum wird Religion genutzt um gegen Homosexualität zu argumentieren, wenn es Gott am meisten darum geht, dass wir uns lieben?

Niemand sucht sich aus, in wen er sich verliebt. Ob Mann, Frau oder kein Geschlecht, das suche nicht ich mir aus, sondern mein Herz.
Liebe ist Liebe und im 21. Jahrhundert sollte das toleriert werden.
Niemand zwingt dich dazu diese Menschen anzustarren oder ähnliches. Genauso, wie dies niemand bei heterosexuellen Paaren macht.
Es ist genauso „normal“.
Denn es ist genau das gleiche.
LIEBE
Egal ob Mann und Frau, Frau und Frau oder Mann und Mann!

( © Victoria Duckscheidt, Oberhausen, 2021)

Danke an alle fürs Mitmachen!

Es war eine tolle Aktion. Und ich durfte in diesen Tagen einige Gespräche führen, die gezeigt haben, dass solche Themen auch in unserer Pfarrei akut sind und manche Leute es nicht hinnehmen, dass es dafür so wenig Raum gibt!




Sexualität und Spiritualität

“ … und diese Liebe auch …“

Quelle: unsplash.com

Am 29. Mai 2003 – also vor gut 18 Jahren – habe ich auf Einladung der Arbeitsgemeinschaft Homosexualität und Kirche (HuK) im Rahmen des 1. Ökumenischen Kirchentages in Berlin an einer Podiumsdiskussion der Podienreihe: Und diese Liebe auch! – Homsoexuelle und Kirche, mit dem Titel:
„„… mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ – Über den Zusammenhang zwischen Sexualität und Spiritualität tauschen sich Menschen unterschiedlicher Sexualität und Spiritualität aus“ teilgenommen.

Heute, im Mai 2021, hängen Rainbow-Flags als Zeichen des Protestes gegen das vatikanische Verbot von Segnungen homosexueller Paare an unzähligen Kirchen der römisch-katholischen Kirche in Deutschland.

Da erinnere ich mich wieder sehr an meine damaligen Ausarbeitungen zum 1. Ökumenischen Kirchentag und an mein Statement bei der Podiumsdiskussion zum Thema:

Sexualität und Spiritualität.

Angesichts der aktuellen Debatte in unserer Kirche möchte ich meine damaligen Abhandlungen heute hier noch einmal dokumentieren.

Sie zeigen nämlich deutlich das Defizit auf, unter dem auch aktuelle Diskussionen über dieses Thema immer noch leiden, nämlich das fehlende Bewusstsein, dass unsere Spiritualität gar nicht ohne unsere je eigene Sexualität möglich ist.



Die Abgrenzung der Sexualität von der Spiritualität hat in der kirchlichen Vergangenheit viel Leid und Diskriminerungen hervorgebracht.

Mit der erneuten Dokumentation meiner damaligen Arbeit möchte ich einen kleinen Beitrag leisten, beide Themenbereiche wieder in den notwendigen und nötigen Zusammenhang zu sehen, zu verstehen und bei allen zukünftigen Überlegungen mit zu berücksichtigen.

Einige Gedanken und Formulierungen, die ich dort vor 18 Jahren getan habe, kann ich heute – nach dem aktuellen Stand der (Gender-)Forschung so nicht mehr aufrechterhalten. Aus historischen Dokumentationszwecken habe ich sie aber beibehalten, doch mit entsprechenden Vermerken versehen.

Quelle: www.pixabay.com

Als erstes dokumentiere ich mein Statement am Beginn der Podiumsdiskussion.
Dann liefere ich die mit wissenschaftlichem Apparat versehener Ausarbeitung nach, die natürlich als Grundlage meines Statements anzusehen sind und welches von dieser geprägt wurde.

  1. Einführungsstatement zur Podiumsdiskussion:
    „… mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ – Über den Zusammenhang zwischen Sexualität und Spiritualität tauschen sich Menschen unterschiedlicher Sexualität und Spiritualität aus
    auf dem 1. Ökumenischen Kirchentag in Berlin am
    Donnerstag, dem 29.05.2003 in der Marienburg Oberschule, Kranzer Str. 3, 14199 Berlin

2. Spiritualität und Sexualität – Überlegungen zum Statement auf einer Podiumsdiskussion zum Ökumenischen Kirchentag 2003 in Berlin


Für Rückmeldungen und Kommentare zu meinen Ausführungen bin ich sehr dankbar.
Alle Rechte dieser Dokumente liegen bei mir: Gerd Wittka 2003 – 2021




Solidarische Regenbogen-Flagge

Copyright: Gerd Wittka, 2021

Segnungsverbot des Vatikans fordert zu klarer Kante heraus

Mitte März 2021 hat der Vatikan für die katholische Kirche weltweit ein Verbot der Segnung homosexueller Partnerschaften ausgesprochen. Doch nicht allein homosexuelle Partnerschaften sind von diesem Segnungsverbot betroffen; auch alle anderen Lebenspartnerschaften, die nicht kirchlich heiraten können oder wollen, dürfen kirchlich nicht gesegnet werden.

Dieses Verbot stößt seit der Veröffentlichung des Dekretes auf großen Widerstand in der katholischen Kirche: Jugend- und Erwachsenenverbände, Laiengremien aber auch Seelsorger:innen lehnen dieses Verbot ab.

Selbst ranghohe Geistliche wie Generalvikare und Bischöfe positionieren sich gegen dieses Verbot. Zu mehreren Tausenden haben Seelsorger:innen in ganz Deutschland einen Appell unterzeichnet gegen dieses Verbot.

Als solidarisches Zeichen hängen mittlerweile vor vielen Kirchen und Kapellen Regenbogen-Flaggen.
Seelsorger:innen sagen bundesweit weiterhin solche Segnungsfeiern zu, auch gegen dieses ausdrückliche Verbot aus Rom.

Copyright: Gerd Wittka, 2021

Wir Krankenhaus-Seelsorger im AMEOS-Klinikum St. Clemens, Oberhausen-Sterkrade, haben als Zeichen der Solidarität gegenüber allen Liebenden, die für ihre Beziehung Gottes Segen erbitten, in der Krankenhaus-Kapelle eine Regenbogenfahne aufgehängt.

Damit bringen wir zum Ausdruck, dass wir auch weiterhin für solche Segnungsanfragen ansprechbar bleiben.




Vatikan verbietet Segnung homosexueller Paare …

… aber nicht nur diesen!

Es schlug wie eine „Bombe“ ein, als der Vatikan in einem Dekret von Anfang dieser Woche noch einmal ausdrücklich betonte, dass homosexuelle Partnerschaften im Rahmen römisch-katholischer Segnungsfeiern nicht gesegnet werden dürfen.

Darauf hin gab es quer durch die ganze katholische Kirche von allen Seiten kritische Stellungnahmen zu diesem Dekret und auch ganz klare Positionierungen gegen dieses Verbot.

Erstaunlicherweise geht dieser momentane Protest über die LGTBQ+-Community hinaus und auch heterosexuelle Personen in der katholischen Kirche positionieren sich deutlich dagegen.



Der Theologe und Kommunikationsberater Erik Flügge (Köln) kommentierte das in seinem Beitrag auf twitter am 17.02.2021:

„…In der Katholischen Kirche passiert gerade etwas sehr Spannendes: Massenhaft stehen Heterosexuelle gegen die Diskriminierung von Homosexuellen auf.
Ehefrauen, Ehemänner, Priester, Ordensleute und Diakone fordern den Segen für homosexuelle Partnerschaften….“

Quelle: https://twitter.com/erik_fluegge/status/1372132309973995531

Ja, es ist bemerkenswert und wohl das erste Mal, dass auch heterosexuelle Frauen und Männer sehr deutlich gegen das Segnungsverbot von homosexuellen Lebenspartnerschaften Position beziehen.

Das ist aller Anerkennung wert! Aber es ist zugleich auch eine von mir erwartete Selbstverständlichkeit.

Verbot betrifft gleichermaßen heterosexuelle Paare

Denn dieses Dekret verbietet ja nicht nur die Segnung homosexueller Partnerschaften sondern bekräftigt – so nonchalance – auch das Segnungsverbot von heterosexuellen Partnerschaften, die keine Ehe sind:
„…Aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (…) einschließen,…“
Quellen: https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2021/03/15/0157/00330.html#ted

„Betrifft mich nicht …“

Jetzt könnten manche sagen: Das betrifft mich doch nicht!

Das mag sein, aber es betrifft womöglich viele andere Paare, insbesondere jene, die in der Gemeinde gut verortet sind, am Gemeindeleben aktiv teilenehmen und sich auch sonstwo in der Kirche engagieren.

Es betrifft:

  • junge Paar, die sich lieben und deshalb gemeinsam eine Wohnung beziehen wollen, aber (noch) nicht heiraten wollen. Sie tragen den Wunsch heran, dass die neue Wohnung gesegnet werde. Und wenn man schon gerade mal in diesen häuslichen Gefilden sind, erbitten sie auch für sich beide und für diese neue Gemeinsamkeit unter einem gemeinsamen Dach den Segen Gottes.
  • Ein heterosexuelles Paar, beide katholisch (bei der mindestens ein Teil schon einmal kirchlich verheiratet war, dann aber staatlich geschieden wurde), wollen eine gemeinsame Lebenspartnerschaft eingehen. Da sie aber nicht kirchlich heiraten können, heiraten sie ’nur‘ standesamtlich, wollen aber nach der standesamtlichen Hochzeit ihre ’staatlich geschlossene Ehe‘ unter den Segen Gottes stellen und erbitten dafür den Segen in einer kirchlichen Segensfeier.
  • Ein älteres heterosexuelles Paar, beide verwitwet und beziehen beide eine eigene Rente. Aus guten Gründen wollen sie staatlich nicht heiraten, um ihre eigenen Rentenansprüche in voller Höhe zu erhalten; sie entscheiden sich auch gegen eine neuerliche kirchliche Trauung. Aber da sie religiös aktiv sind und am Gemeindeleben teilnehmen, bitten sie ‚vor Ort‘ um eine Segnung ihrer neuen Lebenspartnerschaft.

Dieses sind nur drei fiktive aber sicherlich nicht unrealistische Situationen, wo heterosexuelle Paare für ihre Lebenspartnerschaft auch ausserhalb einer kirchlichen Eheschließung um eine Segnung bitten könnten, die ihnen nach dem neuerlichen Dekret weiterhin untersagt bleibt.

Nichts Neues

Dieses Haltung der katholischen Kirche ist eigentlich nichts neues, wird aber in heutiger Zeit nur noch selten vom Vatikan so klar zum Ausdruck gebracht.

Wenn wir einige Jahrzehnte zurück denken, dann fallen uns sicherlich genügend Beispiele ein, wo Priester in der Predigt noch über die ‚Unzüchtigkeit einer wilden Ehe‘ gewettert haben.
Damals wurde noch lautstark verkündet, dass Sex ausserhalb einer kirchlich geschlossenen Ehe nicht erlaubt und deshalb auch eine Sünde sei.

Doch die gelebte Realität in Kirche und Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten dazu geführt, dass diese Haltung zwar faktisch nicht aufgehoben wurde, aber gepredigt wird darüber quasi kaum mehr in regulären Gemeindegottesdiensten.

Man darf spekulieren, warum?

Vielleicht, weil ‚man‘ eingesehen hat, dass man mit dieser Haltung bei den Menschen keinen Blumentopf mehr gewinnen kann?
Vielleicht, weil man – zu Recht – befürchtet, dass diese Menschen der Kirche dann auch noch von der Fahne gehen?

Auf alle Fälle wird dieses Verbot im Hinblick auf heterosexuelle Paare nicht mehr so hoch an die Glocke gehängt, wenn überhaupt noch.

Doch bei Minderheiten, bei denen auch in höheren Kirchenkreisen immer noch eine fundamentale Homosexualitätsfeindlichkeit gibt, bei denen meint man, sich eine solche Haltung – die ebenfalls auch hier völlig an der Realität vorbei geht – immer noch leisten zu können.

Offenbar sind auch diese Zeiten vorbei.

Ja, deshalb hat Erik Flügge wahrlich genügend Grund, die Positionierung von heterosexuellen Personenkreisen in unserer Kirche gegenüber diesem Dekret, zu erwähnen und gutzuheißen.

Den heterosexuellen Menschen in unserer Kirche muss nämlich dabei zugleich klar sein, dass sie sich in dieser Frage nicht nur „für die homosexuellen Schwestern und Brüder“ in unserer Kirche einsetzen, sondern in weiten Teilen auch für sich selber!
Denn viele heterosexuelle Schwestern und Brüder sind in diesem Segnungsverbot in gleicher Weise betroffen!

In diesen Tagen zeigt sich, dass ungeachtet der eigenen Sexualität (Heterosexualität oder LGBTQ+), hier eine Frage zur Debatte steht, die eben nicht nur die eigene Sexualität betrifft, sondern alle partnerschaftlichen, auf Liebe und Dauer angelegte Lebensformen, die nicht in einer sakramentale Ehe münden (können).


Bilder: www.pixabay.com und www.unsplash.com




Love is no sin

(Glaubens-)Bekenntnis eines einfachen Priesters

© Gerd Wittka, 2021

In einem Dekret vom 22. Februar 2021 formuliert die Glaubenskongregation des Vatikans zur Frage der Segnung auch homosexueller Partnerschaften:

„…Aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (…) einschließen…“ (…)

Gleichzeitig erinnert die Kirche daran, dass Gott selbst nicht aufhört, jedes seiner Kinder zu segnen, die in dieser Welt pilgern, denn für ihn „sind wir […] wichtiger als alle Sünden, die wir begehen können“[12]. Aber er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen: …“

und ziemlich gegen Schluß:
„…Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts im oben gemeinten Sinne zu segnen, noch kann sie über diese Vollmacht verfügen….“
Vgl.: https://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2021/03/15/0157/00330.html

Erwartungsgemäß hat das in den Medien und auch in den sozialen Netzwerken zu einem Sturm der Entrüstung geführt.



Aus meiner mehr als 25-jährigen seelsorglichen Praxis und Erfahrung als Diakon und Priester möchte ich dazu einige Gedanken formulieren, die auch ein Bekenntnis eines Teils meines in der Zeit gewachsenen Glaubens an den Gott und Vater Jesu Christi geworden sind.

„Kann denn Liebe Sünde sein?!“

„Gott ist die Liebe!“ – diesen Satz kennen wir und ich bin fest davon überzeugt, dass er richtig ist.
Daher glaube ich auch daran, dass in allen Lebensbezügen, wo Menschen einander lieben, wo man sich in respektvoller und achtungsvoller Liebe begegnet oder hingibt, die Liebe Gottes in unserer Welt gegenwärtig und sichtbar wird.

Beispiele dieser sichtbaren Liebe Gottes sind für mich:

  • die Liebe, die Eltern ihren Kindern schenken, oft gezeichnet von Sorge, Fürsorge und Selbstlosigkeit
  • die Liebe zwischen zwei Menschen, die sich in inniger Freundschaft zugetan sind. Manchmal sprechen wir auch von ‚Seelenverwandtschaft‘ bei solchen Freundschaften
  • die Liebe, die Menschen in ihrem Dienst für andere zeigen, sei es in Sozial- und Pflegeberufen, im ehrenamtlichen Engagement in Gesellschaft und Gemeinschaften
  • die Liebe und Fürsorge für den Schutz und die Bewahrung der Schöpfung Gottes, die uns als Menschen anvertraut wurde
  • und ‚last but not least‘ in der liebenden Beziehung zwischen zwei Menschen, die ein Stück gemeinsamen Lebensweges leben und verbringen wollen in gegenseitiger Achtung und Fürsorge; in welcher auch beide Glück, Freude, Zufriedenheit und Unterstützung erfahren. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Beziehungen staatlich, gesellschaftlich oder auch von Seiten der Kirche(n) anerkannt und gefördert werden. Das Geschenk der Liebe braucht erst einmal nicht diese Anerkennung, weil sie sich selbst Anerkennung genug ist. Daher braucht diese Liebe auch keine Erlaubnis, keine Genehmigung.

Das Geschenk der Liebe ist letztlich also ein Akt der völligen menschlichen Freiheit. Sie ist selbst da noch frei, wo der Mensch in äußere oder innere Unfreiheit gedrängt wird. Liebe kennt also keine Grenzen und überwindet alle Grenzen.

Dieser Überzeugung liegt zugrunde, dass die Liebe Gottes selber grenzen-los ist!

Love is no sin!

Wenn also Gott die Liebe ist und seine Liebe grenzenlos ist, dann ist Liebe niemals Sünde.

Der Mensch – und das weiß ich selber am Besten – sündigt immer wieder.
Aber da, wo er liebt kann er schlechterdings nicht zugleich sündigen.

Dieser Überzeugung ist auch der heilige Augustinus, wenn er den Satz tun konnte: „Liebe! Und tue, was du willst!“ – Dieser Satz wäre nicht wahr, würde Augustinus meinen, dass Liebe sündig sein könnte.

Auf die Frage: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ kann ich heute ganz klar antworten: NEIN!

Gott segnet, was ein Segen ist

In dem oben zitierten Dekret heißt es: „…Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts im oben gemeinten Sinne zu segnen…“

Hier wird meines Erachtens ein falsches Verständnis von „Segen“ genutzt.

Der Blick in die liturgischen Bücher unserer Kirche (Messbuch, Benedictionale, …) zeigt, dass innerhalb gottesdienstlichen Tuns, wo es um den „Segen“ geht, es sich hierbei genau genommen um eine

Segensbitte

handelt!

Die Teilnehmer:innen von Gottesdiensten wissen um die Formulierung am Ende eines Gottesdienstes, wie z.B. „So segne euch der dreifaltige Gott, der Vater und der Sohn (+) und der Heilige Geist.“

Der vermeintliche Segen in der Kirche ist also immer eine Segensbitte!

Und in diesem wohlverstandenen Sinne stimme ich dem Dekret zu, wenn es sagt: …Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, (…) zu segnen…“, denn die Kirche oder kirchliche Amtsträger:innen segnen nie, sondern allein Gott!

Bild von s-ms_1989 auf Pixabay

Gott segnet, was ein Segen ist

Die Frage lautet deshalb eher für mich: Wen oder was segnet Gott?

Und meine Überzeugung ist: Gott segnet, was ein Segen ist!

Im segensvollen Handeln und Tun der Menschen, sei es allein, in der Zweisamkeit oder in einer größeren Gruppe erkenne ich das, was mit dem Segen Gottes bedacht ist.

Um zu erkennen, was von Gott gesegnet ist, bedarf es deshalb keiner kultischen Handlung der Kirche in Form von „Segensfeiern“, denn solche Segensfeiern fügen keinen Segen hinzu, der nicht schon längst da ist.

Segensfeiern sind Bekenntnis und Annahme des göttlichen Segens

Aber dennoch sind öffentliche und gemeinschaftliche Segensfeiern nötig.
Denn in dem Glauben, dass wir auf den Segen Gottes angewiesen sind und Gott SEINEN Segen gibt, sind wir in der Glaubensgemeinschaft verbunden.

Diese Verbundenheit zeichnet sich auch darin aus, dass wir füreinander den SEGEN GOTTES erbitten, besonders dort, wo Menschen für sich selbst und konkret bejahen, dass sie auf diesen Segen Gottes angewiesen sind, damit ihr Leben segens-reich sein kann.

Segens-bitt-feiern zu versagen heißt, die Nächstenliebe vorzuenthalten

Segens-bitt-feiern durchzuführen, ist also dann ein Akt geschwisterlicher Verbundenheit und Fürsorge, die jene, die um diesen Segen bitten, in ihrem Glauben darin bekräftigen wollen.

Wer also solche Segensfeiern verweigert, versagt den Segensbedürftigen die gläubige Solidarität, dass wir alle und in jeder Lage auf den Segen Gottes angewiesen sind.

Segens-bitte-feiern also denen zu versagen, die ihre Beziehung auf das Fundament gemeinsamer Liebe gründen wollen, ist für mich somit ein Versagen gegen die gebotene und nötige Nächstenliebe.

Gerd Wittka, 16.03.2021