Nicht plausibel

Quelle: www.pixabay.com

„Nicht plausibel“,
so lautete das Urteil
das sie über deine Klage sprachen
und das
dir verwehrte
gehört zu werden
und dein
Leiden
anzuerkennen.

„Nicht plausibel“,
so der Vorwand,
den Blick abzuwenden
von vergangenem Unrecht
und dem Verbrechen
das man dir tat.

„Nicht plausibel“
die kirchliche Morallehre,
die
deine Würde
nicht genau so
penibel ernst nahm
wie ihren kleinkarierten
und sklavischen
Verhaltenskodex,
an dem sich jene
selbst nicht dran hielten
die das Urteil
über dich sprachen:

„Nicht plausibel“

„Nicht plausibel“,
wenn wir jetzt nicht endlich
aufbrechen,
eingestehen,
zugestehen

das unser Verhalten
dir gegenüber
„nicht plausibel“
war.

„Nicht plausibel“
wenn wir jetzt nicht
ablegen
jeglichen
unchristlichen
Obrigkeitswahn und
Personenkult
der so schnell
„sancto subito“
ruft
in unheiliger Allianz.

„Nicht plausibel“,
so lautet
heute
dein Urteil
über uns

und das ist
plausibel.

(c) Gerd Wittka, 23.09.2023




Über die Versuchung zur Macht

Matthäus 4, 8-9 (Evangelium vom 1. Fastensonntag 2023)

Die Versuchung zur Macht ist ein Aspekt des heutigen Evangeliums des 1. Fastensonntags.
Jesus – so zeigt das Neue Testament auf – lernt auch die Versuchungen des Menschen kennen und sieht sich mit ihnen konfrontiert. Doch er widersteht diesen Versuchungen.

Ganz anders erleben wir es in unserer Zeit. Gestern erst begingen wir den 1. Jahrestag des Angriffskrieges Putins auf die Ukraine.
Hier können wir exemplarisch sehen, was passiert, wenn jemand der Versuchung nach Macht nicht widerstehen kann.



Wladimir Putin ist dieser Versuchung erlegen und die Folgen sind fatal, vor allem für andere Menschen!

Die bisherige Bilanz: tausende Tote, Millionen Menschen auf der Flucht, die meisten von ihnen haben ihr ganzes Hab und Gut verloren.
Kinder verlieren ihre Eltern, Söhne und Töchter ihre Väter, die als Soldaten die Ukraine verteidigen. Und auch auf der Seite Russlands tausende von getöteten Soldaten.

Warum ich so hart mit Putin an diesem Sonntag ins Gericht gehe? Nicht, weil ich ihn dämonisieren will!
Ich gehe so hart mit ihm ins Gericht, weil er auch einen ganz anderen Weg hätte wählen können!

Er hätte das Nachbarland, die Ukraine in Ruhe lassen können. Er hätte seine imperialistische Geisteshaltung ablegen können. Er hätte sein eigenes Volk und auch das ukrainische Volk buchstäblich ‚in Frieden lassen‘ können.

Aber all das hat Putin nicht getan!

Er hat sich hingegen für den Weg der Gewalt, des Machmissbrauchs, des Krieges und des Tötens entschieden!

In seinem verblendeten Größenwahn ist er anfällig für die Versuchung nach persönlicher Macht geworden und hat ihr nachgegeben. Er hat ihr nachgegeben, weil er sich sein Leben offenbar nicht anders vorstellen kann, als andere Menschen zu manipulieren und zu beherrschen!

Er hat für sich nicht erkennen können, dass sein Leben auch gelingen könnte, wenn er keine Macht über anderes ausübt; wenn er andere, die seine Ansichten nicht teilen, nicht verfolgen und internieren würde.

Er hätte für sich erkennen können, dass ein Herrscher ohne Krieg, ohne Folter, Verfolgung, Tod und Leid die Möglichkeit hat, ein guter Präsident zu sein, der Wohlstand, Freiheit und Friede im eigenen Land aber auch über die eigenen Landesgrenzen hinaus fördert.

Er hätte daran glauben können, dass auch andere Länder in Frieden leben wollen, auch mit Russland.

Aber all diese Sicht- und Denkweisen sind nicht Putins!
Er ist der Versuchung nach persönlicher Macht erlegen und ihr verfallen!

Jesus hatte die Macht und Stärke, dieser Versuchung zu widerstehen! Wladimir Putin hat diese Macht und Stärke nicht!

So zeigt mir die Gestalt des Wladimir Putin, was passieren kann, wenn wir der Versuchung der Macht über andere nicht widerstehen können, sie als eine wirkliche Persönlichkeitsschwäche sichtbar wird und sie dadurch genutzt wird, sie gegen die Menschen, gegen Freiheit und Frieden, gegen die Menschen einzusetzen!

Lernen wir, die wir uns für Freiheit, Frieden und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen einsetzen, was uns das heutige Evangelium als aktuelle Warnung mit auf unserer aller Lebensweg geben will.

Lernen wir von dem traurigen Beispiel des Wladimir Putins!




Stärker als jeder absolutistischer Herrscher: Christus König

Impuls zum Christ-König-Sonntag 2022

Erinnern Sie sich an die Staatstrauer und an die Beisetzung von Queen
Elizabeth II. vor einigen Wochen?
Ich war da gerade in Urlaub und ich wollte eigentlich nicht viel davon sehen.
Aber irgendwie kommt man dann doch nicht ganz daran vorbei.
In den Medien sah man Bilder der Queen, von ihren jungen Jahren, von
ihrer Krönung, in anderen festlichen Roben, geschmückt mit Diademen,
Kronen und Juwelen.
Und auch während der Staatstrauer: ihre Krone, der Reichsapfel und das
Zepter auf ihrem Sarg.
Am Ende der Trauerfeier, bevor der Sarg von ihr herabgelassen wurde,
entfernte man feierlich diese Insignien ihrer Königinnenschaft.

Das waren Bilder vom Tod einer Königin in heutiger Zeit.



Wie man sich zu mancher Zeit "Christ-König" vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber?
Wie man sich zu mancher Zeit „Christ-König“ vorgestellt hat. Aber welches Bild gibt ER von sich selber? Quelle: Bild von AJ jaanko auf Pixabay

Ganz anders das Bild des Mannes, den wir heute als Christ-König feiern: Jesus Christus.
Geschunden, gemartert, verhöhnt, entehrt, bestialisch hingerichtet ziert sein Haupt keine Krone aus Edelmetall und Edelsteinen, sondern eine Dornenkrone, deren langen Dornen sich in die Kopfhaut eingebohrt haben.

Bild einer Dornenkrone
Bild von Jeff Jacobs auf Pixabay

Die Bilder aus London waren schön, voller Pracht – für viele eine Augenweide.
Die Bilder aus Jerusalem, das Bild des getöteten Christus: wer mag das ansehen wollen?

Gegenbild: Gekreuzigter Christus des Isenheimer Altars

Solidarität I

Mathis Gothart Grünewald 022.jpg

Bildquelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4f/Mathis_Gothart_Gr%C3%BCnewald_022.jpg

Der Maler Matthias Grünewald hat mit dem Isenheimer-Altar die Kreuzigungszene für den Bettensaal eines mittelalterlichen Krankenhospiz gemalt, die wir heute noch verstörend empfinden können.
Matthias Grünewald hat versucht, den leidenden Menschen seiner Zeit einen durch und durch ebenbürtigen mitleidenden Christus buchstäblich gegenüberzustellen.

Aber dies tat er nicht, um die Kranken noch mehr zu belasten, sondern aus einem anderen Grund:

Wie oft höre ich von ziemlich kranken Menschen Worte wie: „Aber ich kann ja nicht klagen. Anderen Menschen geht es noch schlechter!“

Solche Sätze sagen mir: im eigenen Leid blicken manche Menschen auf das Leid anderer und setzen ihr eigenes Leid im Verhältnis zum Leid der anderen.
Das ist kein Tipp, den ich als Außenstehender geben würde und kann.
Aber für jene Kranke, die das tun, kann sich die Sicht auf das eigene Leid verändern.

Bitte: Niemals als Ratschlag!

Auf das Leid der anderen zu blicken im eigenen Leid, kann das eigene Leid erträglicher machen.

Ich sage das nicht, als Ratschlag oder als Tipp. Ich sage das nur als Wahrnehmung.

Denn als Außenstehende müssen wir uns davor hüten, kranken und leidenden Menschen zu sagen: „Schau mal, anderen geht es doch viel schlechter als dir!“
Relativierung des Leids steht jenen, die leidende Menschen begleiten, nicht an und es ist nicht hilfreich, sondern oft genau das Gegenteil.
Der leidende Mensch kann das so verstehen, dass ein eigenes Leid nicht ernst genommen wird.
Nur der Leidende selbst kann für sich den Vergleich mit anderen leidenden Personen anstellen und das in aller Freiheit.

Dann aber kann es passieren, dass das eigene Leid als nicht mehr so arg wahrgenommen wird.

Das ist eine Art Solidarisierung der Leidenden unter einander, auch wenn sie gegenseitig davon nichts wissen.

Solidarität II

Der Isenheimer Altar thematisiert aber noch eine andere Solidarisierung: die göttliche Solidarisierung!

Den kranken Menschen wird mit dem Altarbild ein Bild von leidenden Jesus Christus, dem Sohn Gottes, der ganz und gar in der Geburt in Betlehem Mensch wurde, gezeigt.

Damit will dieses Bild den kranken und leidenden Menschen sagen:
Dein Gott, an dem du auch in deinem Leid glaubst und dem du vertrauen willst, hat sich als Mensch selber dem menschlichen Leiden ausgeliefert.
Auch wenn sein Leid und dein Leid immer getrennt voneinander sein werden, so möchte dies ein Zeichen sein:

Gott liebt dich so sehr und möchte so sehr um die liebende Beziehung mit dir werben, dass er sich selber nicht verschont hat, sondern wie es bei Paulus heißt:
Jesus Christus

„… war Gott gleich, / hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich / und wurde wie ein Sklave / und den Menschen gleich. / Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich / und war gehorsam bis zum Tod, / bis zum Tod am Kreuz….“

(Phil 2,5-8)

Der Schächer, der neben Jesus Christus am Kreuz hing, hat das erkannt und sich in einem letzten Augenblick seines eigenen Lebens dazu bekannt.
So wurde für ihn das Bekenntnis zum leidenden Gott, zum mit-leidenden Gott die Quelle der eigenen Erlösung.

‚Jesus Christus und der Schächer‘. Bild: Privatbesitz Gerd Wittka, © Gerd Wittka, 2022

Für mich ist das ein Bild, ein Vor-Bild, damit ich lernen kann, dass er auch mich im Leiden und im Tod nicht fallen lässt.

Die Monarchie in Großbritannien und viele andere Monarchien sind Monarchien mit viel Glanz und Pomp, aber ohne wirkliche Macht.

Die Monarchie des Christus unseres Königs ist genau das Gegenteil davon: eine Monarchie ohne Glanz und Pomp, aber mit viel Macht, wenn auch nicht irdischer Macht; aber mit der Macht uns von dem zu befreien, was für Viele oft das Ende des eigenen Lebens zu sein scheint: der Macht, uns vom Tode zu befreien.




“ Tröstet, tröstet mein Volk…“

„Trost“ – Bild von Peter H auf Pixabay

Geistlicher Impuls zum 2. Advents-Sonntag 2020

Gefühlvoll und sehnsuchtsvoll geht es an diesem zweiten Adventssonntag in der Lesung aus dem Alten Testament zu.
Doch bevor wir den Text lesen, lade ich Sie ein, die Arie „Comfort ye …“ aus dem Oratorium „Der Messias“ von Händel zu sehen und zu hören:

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Quelle: https://youtu.be/2Pz9BCMFoP8

Ist Ihnen diese Arie bekannt? Sie gehört wohl zu den bekanntesten und einfühlsamsten Arien aus dem Oratorium „Der Messias“ von Händel.

Ich lade Sie ein, jetzt einmal den ganzen Text in der deutschen Übersetzung der Bibelübersetzung „Hoffnung für alle“ zu lesen:
Jesaja, 40, 1-5



Behutsam, ja fast zärtlich erreichen uns diese Zeilen, die wir im Alten Testament beim Propheten Jesaja finden: „Comfort ye …“„Tröstet, tröstet mein Volk …“

„Kampf“ gegen die Angst

Jesaja kämpft in seinen Texten oft gegen die Angst der Menschen seiner Zeit an. Er erlebt diese Angst bisweilen als lähmend.
Aber ist „Kampf“ dafür eigentlich das richtige Wort?

Ja, es ist ein Kampf, aber nicht Mitteln der Drohung und Gewalt. Es ist ein Kampf mit den Mitteln der Freundlichkeit und des Mitgefühls, der tröstenden und ermutigenden Worte.

„Tröstet!“ und „Fürchte dich nicht!“

Menschen, die belastet und beladen sind, von Sorgen und Nöten, von Ängsten, Krankheit und Leid brauchen „Ent-Lastung“. Damit sie sich erholen können, Kraft schöpfen und weiter gehen können, brauchen sie Ruhe, mitfühlende Annahme, Entlastung und Perspektiven.
Sie brauchen: Trost!

Trost ist aber anspruchsvoller als eine „Ver-Tröstung“; Trost ist keine ‚Ramschware‘, die man mal so eben und beiläufig schnell schenken oder auch bekommen kann.
Trost ist ’niederschwellig‘, einfühlsam, Liebe-voll, …

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Quelle: Video von MixailMixail / Pixabay

Ich möchte Ihnen dazu einen kleinen Text von mir auf den Weg geben:

TROST
ist die Kunst,
ein kleines, warmes Licht
in dunklen Stunden
zu entzünden;
es blendet nicht –
es LEUCHTET!

(Gerd Wittka)

Und wie ich diese Zeilen schreibe, höre ich von der schrecklichen und tödlichen Bluttat von Trier, bei der ein Autofahrer fünf Menschen getötet und viele schwer verletzt hat.

Diese und ähnliche Nachrichten sind die Nagelprobe, ob und wie wir trösten können.
Ist Trost überhaupt angesichts dieses Leids und der erfahrenen Ohnmacht möglich?

Für mich ist Trost gerade in erfahrener Ohnmacht möglich. Denn der Trost hebt erlittenes Leid und gefühlten Schmerz nicht auf.
Trost hilft, das Leiden und den Schmerz er-träg-lich zu machen; Trost hilft, das Leid tragen zu können.

Und Leid kann für die Leidenden tragbar sein, wenn sie spüren, dass sie nicht allein sind, das andere mitfühlend sind und sie dabei unterstützen, das Leben gerade auch in dem ganz frischen Leid bewältigen zu können.
Dazu gehört dazusein und zuzuhören, den Leidenden buchstäblich nahe zu sein ohne sich aufzudrängen und mitfühlend auch den leidenden Menschen Raum zu geben, um mit dem Leiden klar zu kommen. Das kann auch bedeuten, ihnen einen geschützten Rückzugsraum zu gewähren.
Wir dürfen aber auch ganz konkrete Hilfe nicht vergessen, die geleistet werden muss. Dazu gehören organisatorische Dinge des Alltags genau so dazu.

Zu trösten ohne Leid ungeschehen machen zu können, zeigt sich darin, ob wir bei den Leidenden und denen, die Trost brauchen – einfach ausgedrückt – DA sind und die Not mit aushalten.

In der Lesung des 2. Adventssonntags finden sich die folgenden Worte des Propheten Jesaja:

„… Seht, da ist euer Gott. (…) Wie ein Hirt weidet er seine Herde, auf seinem Arm sammelt er die Lämmer, an seiner Brust trägt er sie, die Mutterschafe führt er behutsam…“

Trost zu geben, bedeutet für mich, der Bedrängnis, den Ängsten, dem Leid und der Trauer der Menschen nicht auszuweichen.
Trost zu geben bedeutet für mich, an der Seite derer zu stehen, die Trost nötig haben.
Trost zu geben bedeutet für mich, Unterstützung und Hilfe anzubieten, wo sie gebraucht wird.

Trost zu geben ist für mich: DA zu sein – menschliche, einfühlsam, mitfühlend, liebevoll.

Für uns als Christ*innen, für uns als Kirchen stellt sich mir dann wieder einmal mehr die Frage, ob wir in diesem Sinne in einer Welt gegenwärtig sein wollen, auch wenn immer weniger nach dem christlichen Glauben oder nach dem Angebot der Kirchen fragen?


„Das Miteinander, das Menschliche oder die Solidarität sind zuletzt viel zu kurz gekommen.
Wir müssen wieder viel mehr die Sinne für die Menschen schärfen, denen es nicht so gut geht.“
(Jupp Heynckes, * 1945, ehemaliger Fußballtrainer, Quelle: TE DEUM, Dezember 2020, S. 23)




„Denn wen der Herr liebt, den züchtigt er…“ (Hebr. 12, 6)

Am 21. Sonntag im Jahreskreis des Lesesjahres C wird uns in der zweiten Lesung ein Text aus dem Hebräer-Brief vorgelegt: Hebr. 12, 5-7.11-13.
Dieser Text ist für heutige Menschen eher verstörend, passt er doch so gar nicht in ein Verständnis heutiger moderner Erziehungsmethoden.
Und auch das Gottesbild, dass dort präsentiert wird, mag nicht so recht in das Bild eines Gottes passen, der seine Kinder liebt.
Zugleich ist dieser Text gesetzt und für mich als Prediger eine Herausforderung, der ich mich – auch aus professioneller und spiritueller Hinsicht – stellen will und muss.
Heute möchte ich zu dieser Textstelle meine Predigt-Gedanken präsentieren.

Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie meine Zeilen und Gedanken lesen und mir gerne Ihre Gedanken dazu schenken würden.



Anstiftung zur Züchtigung?

Tut mir leid, liebe Schwestern und Brüder,
aber in meinen Ohren hören sich die Worte der heutigen Lesung echt grauenvoll an.
„Wen der Herr liebt, den züchtigt er!“ – das ist schon fast ein geflügeltes Wort und galt – gerade auch in früherer Zeit – als moralische Legitimation, dass Eltern ihre eigenen Kinder züchtigten. Das bedeutet, dass sie ihnen körperliche Gewalt antaten mit der Absicht oder Überzeugung, damit ihre Kinder zu guten Menschen erziehen zu können.

Für unser heutiges Verständnis ist es schon ein starkes Stück, dass ein biblischer Text für die körperliche Gewalt gegenüber Kindern herhalten muss.

Aber es wundert doch nicht, denn schließlich malt Paulus hier ein Bild von Gott, der es selbst als angemessen hält, seine „Kinder“ zu züchtigen, in dem er sie zurechtweist und sie „schlägt mit der Rute“.

Kommen dem einen oder der anderen von uns da nicht eigene Gedanken oder Erinnerungen hoch. Erinnern sie – gerade vornehmlich die Älteren unter uns – sich nicht noch an Zeiten, wo auch unsere Eltern oder Großeltern Schläge oder die verniedlichende „Backpfeife“ als adäquates Erziehungsmittel hielten?!

Heute gibt es mehrheitlichen Konsens, dass die Züchtigung von Kindern kein angemessenes Mittel ist.
Heute herrscht die Überzeugung vor, dass man Kinder nicht mit Gewalt erziehen kann. Dies gilt übrigens nicht nur für körperliche sondern auch psychische Gewalt, wie z.B. Liebesentzug.
Heute trägt unser Staat dem Rechnung, insofern es ein Züchtigungsverbot gibt und Gewalt gegenüber Kinder, auch als zweifelhaftes Erziehungsmittel, unter Strafe steht.

Es ist gut, dass diese Zeiten – zumindest in Deutschland – vorbei sind und ich hoffe, dass das auch so bleibt!

Provokante Konfrontation

Aber das, liebe Schwestern und Brüder, ändert nichts an der Tatsache, dass uns heute diese Lesung vorgelegt wird.

Wenn Sie häufiger meinen Predigten gelauscht haben, dann wissen Sie vielleicht schon, dass ich gerade bei sperrigen Texten frage, ob ich auch den Kern der „frohen Botschaft“ dort entdecken kann.
Ich suche den Schlüssel zum Verständnis eines Textes, den wir offenbar so wortwörtlich nicht mehr in unsere Zeit übernehmen können und dürfen.
Ich suche dann immer nach der Relevanz des Textes für unsere heutige Zeit und für mein Leben.

Und dann finde ich diesen berühmten ‚springenden Punkt‘ am Ende der Lesung:
„Mach die erschlafften Hände und die wankenden Knie stark, schafft ebene Wege für eure Füße, damit die lahmen Glieder (…) geheilt werden.“

Soteriologische ‚Mitte‘

DAS ist es.
Hier finden wir die Zielaussage.

Paulus will den Leser ermutigen.
Er will den Leser ermutigen, der sich in seinem Leben kraftlos fühlt, der das Gefühl hat, dass die Knie wegsacken.
Er hat Menschen vor Augen, die offenbar vor sich steinige und steile Wege erleben, die es ihnen schwer machen, mit lahmen Gliedern bezwungen zu werden.

Die Lesung ist eine Mutmachlesung.

Und Paulus deutet uns an, dass wir in unserem Leben gestärkt werden sollen, für die Widrigkeiten des Lebens.

Und – was als Erstes – widersprüchlich anmutet, ist der Gedanke, dass diese Stärkung durch Leid erfolgen kann.

Auch diese Logik wirkt erst einmal ziemlich befremdlich, vor allem, wenn Gott dieses Leid bringen sollte, um uns zu stärken.

Dieser Gedankengang ist aber der damaligen Zeit geschuldet. Damals glaubten noch viel mehr Menschen, dass das Leid von Gott geschickt und gewollt sei.
Da aber schon Paulus an einen liebenden Gott geglaubt hat, der uns retten will, war es für ihn folgerichtig, dass dieses Leid uns zum Heil führen soll.
So ist nach damaligem Denken gottgewolltes Leid ein Mittel zum Heil.
Um ganz klar zu sein, liebe Schwestern und Brüder,
dieser Gedankengang ist heute nicht mehr Gegenstand unseres Glaubens an einen liebenden Gott.

Durch Leid und Not wachsen und reifen

Und dennoch sollten wir diesen Text nicht vorschnell verwerfen.

Denn, wenn wir einmal davon absehen, dass das Leid von Gott gewollt und von ihm uns geschickt wurde – dann können wir dennoch auch erkennen, dass wir manchmal durch das Leid, was wir verarbeitet und überwunden haben, gestärkt wurden.

Bleiben wir doch einmal bei diesem Gedanken und denken darüber nach, wo wir in unserem Leben leidvolle Erfahrungen gemacht haben?
Denken wir einmal darüber nach, wie es uns ergangen ist, als wir uns diesem Leid gestellt und nachdem wir es überwunden haben?

Hat sich dadurch nicht auch unsere Sicht auf unser Leben und auch unser Verständnis vom Leben verändert? —-

Ich bleibe mal bei zwei wichtigen Leiderfahrungen meines Lebens.
Da ist einmal die langjährige Krankheit meines Vaters, der mit 38 Jahren an einen Hirntumor erkrankte und dann mit 45 Jahre 1981 starb; da war ich 18. Wir haben unseren Vater in den letzten Jahren gemeinsam in unserer Familie gepflegt. Seine Krankheit hat mich auch eines wichtigen Teils meiner Jugend beraubt. Schon sehr früh wurde ich als Pubertierender in die Mitverantwortung und Mitpflege meines Vaters eingebunden – wie meine anderen Brüder auch.

Der Tod meines Vaters, obwohl absehbar, war für mich eine Zeit großen Schmerzes. Neben der Dankbarkeit, dass sein Leiden überwunden war, hatte ich Wut auf Gott: „Warum?!“ – und ich war sauer, dass ich Gott nicht begreifen konnte.

Oder als im Oktober 2013 mein zweitjüngster Bruder im Alter von 48 Jahren ganz plötzlich an einem geplatzten Aneurysma im Kopf starb.

Es gibt Vieles, was ich aus diesen Erlebnissen für mein Leben lernen konnte. Dazu gehört als wichtigste „Lehre“, dass mein Leben einmalig und kostbar ist und es jeder Tag es wert ist, dankbar dafür zu sein.

Diese Dankbarkeit stärkt mich in so machen anderen Situation, wo das Leben oder auch die Arbeit für mich schwer wird. Diese Dankbarkeit zeigt mir auch, was Wesentlich in meinem Leben ist, wofür es sich lohnt, zu leben, zu lieben und zu kämpfen.

Liebe Schwestern und Brüder,

ich möchte die Wahrheitsdeutung des heutigen Lesungstextes nicht für mich pachten, aber wenn ich vor dem Hintergrund meiner leidvollen Erfahrungen, wo ich durch Schmerz und Trauer zu einer neuen Ebene der Reifung in meinem Leben geführt wurde, diesen Text lese, dann kann ich ihm einen gewissen Sinn und auch eine gewisse Berechtigung abgewinnen.

Wir können durch erfahrenes und überwundenes Leid wachsen und lernen und stärker werden für unser Leben. Und darin kann dann auch so etwas wie „Heil im Leiden“ stecken.
Davon bin ich heute überzeugt.

Und Sie?


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