Heute möchte ich über meine Brain Fog-Erfahrungen bei meiner Long-Covid-Erkrankung berichten.
Brain Fog, übersetzt mit „Gehirnnebel“, bezeichnet eine Symptomatik, die auch bei Long-Covid bekannt ist. Es handelt sich dabei um eine Form der Konzentrationsstörung.
„Bei Konzentrationsproblemen, Orientierungsschwierigkeiten, Wortfindungsstörungen, plötzlicher Vergesslichkeit, mentaler Erschöpfung oder dem Gefühl, keinen klaren Gedanken fassen zu können, spricht man von Brain Fog, Nebel im Kopf“, erklärt Dr. Stichtmann.
Gestern vor einer Woche hatte ich für meinen Gottesdienst eine Einleitung geschrieben. Doch kurz vorher hatte ich eine andere Idee, die ich für den Einstieg viel besser hielt. Also entschied ich mich, diese Einleitung spontan zu ändern und sie frei zu formulieren, da ich sie nicht aufgeschrieben hatte. Mein Gedankengang war ganz klar in meinem Kopf. Diesen Gedankengang hatte ich mir mehrfach vor dem Gottesdienst in Erinnerung gerufen. Doch dann am Ambo ging gar nichts mehr. Der Anfang war klar. Danach – gefühlt für mich – nur Gestammel. Ich wollte ein Liedanfang zitieren, doch bekam ich ihn nicht mehr zusammen. So kamen mir Gottesdienstteilnehmende zu Hilfe und ergänzten für mich das, was ich sagen wollte. Es waren nur wenige Sekunden, aber ich verlor total den Faden, was ich sonst eigentlich nicht kannte. Etwas hatte es mich schockiert und es war total stressig für mich. Nach dem Gottesdienst kam dann jemand auf mich zu und sprach mich drauf an. Ich konnte ihn beruhigen, denn nach dieser Episode verlief der Gottesdienst unauffällig. Nur ich merkte zwischendurch immer wieder, dass ich mich auch sehr auf das Geschriebene konzentrieren musste und manchmal schien Worte, die ich las, nicht direkt aus dem Munde kommen zu wollen, so dass ich unmerkliche Zäsuren einfügte.
Foto: www.pixabay.com
Ein zweites Beispiel von gestern.
Ebenfalls Gottesdienst. Wir hatten keinen Kirchenmusiker. Deshalb konnten wir nur a cappella singen. Natürlich habe ich die Lieder ausgesucht und musste sich auch anstimmen. Abgesehen vom Küster- und Lektorendienst kommen mir dann in einem solchen Gottesdienst alle Dienste zu, auch den des ‚Kantors‘. Ich bin in solchen Gottesdiensten also etwas mehr ‚gefordert‘. Aber das ist bislang überhaupt kein Problem. Dann kam die Gabenbereitung. Zur Gabenbereitung habe ich kein eigenes Lied singen lassen, sondern lediglich einen bekannten Vers, den die Gemeinde auswendig singen kann. Über die Gaben von Brot und Wein spricht der Priester – wenn ein Lied gesungen wird – für sich leise die Gabenbereitungsgebete, die mit den Worten beginnen: „Gepriesen bis du, Herr unser Gott, Schöpfer der Welt, du schenkst uns das Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Wir bringen dieses Brot vor dein Angesicht, damit es uns zum Brot des Lebens werde.“
Bei jeder heiligen Messe (und wie viele habe ich in den über 30 Jahren meines Priesterseins gebetet), bete ich diese Worte. Doch gestern: Gestammel! Mir war das so peinlich. Ich fühlte mich total gestresst. Gedanken tobten in meinem Kopf: „Was machst du da?!“ Ich habe dann versucht, den Inhalt des Gebetes sinngemäß zu sprechen mit den entsprechenden Schlüsselbegriffen. Kalter Schweiß brach mir aus. Ich bin halt Perfektionist! 😉 Dann kam der gesungene Kehrvers und ich war wieder drin. Das zweite Gebet über den Wein kam in gewohnter Souveränität über meine Lippen.
Gerade an einer zentralen Stelle der Eucharistie dieser Patzer. ‚Kann es sein?!‘ Kann es sein, dass ich zur Zeit wirklich alles vor mir schriftlich liegen haben muss, damit ich es auf die Reihe bekomme? Ja, es waren jeweils nur wenige Sekunden, aber die mich schon erschrecken.
Ich habe den Gedanken im Kopf. Ich verlasse mich auf einen sehr vertrauten Text, von dem ich behaupten würde, den zitiere ich dir sogar im Schlaf. Doch dann geht es nicht. Und ich kann noch nicht einmal sagen, dass ich in diesen Augenblicken ’nicht ganz bei der Sache gewesen‘ sei.
Am Ende des Gottesdienstes, bei den Vermeldungen, habe ich mich dann bei der Gemeinde entschuldigt und ihnen erklärt, dass das wohl mit meinem Brain Fog zusammen hängt. Und ich habe ihnen erklärt, was das ist, ‚Brain Fog‘.
Die Rückmeldungen waren sehr verständnisvoll, sogar ermutigend.
Foto: www.pixabay.com
Mir hilft es, dass ich damit offen umgehe. Ich finde, ich bin es der Gemeinde schuldig, dieses transparent zu machen. Und dass ich den Mut hatte, hat mir selber auch viel zurück gegeben.
So ziehe ich daraus zwei Konsequenzen: 1. Ich kann weiterhin den Gottesdienst feiern, den ich ja sowieso am Wochenende besuchen würde. 2. Ich kann mich vor solchen Situationen weitgehendst wappnen, wenn ich wirklich alle Texte, auch die vertrautesten, im Messbuch aufschlage und dann ggfs. diese Texte auch ablesen kann, wenn ich mal wieder ‚den Faden verliere‘.
Seele lüften
Foto: Gerd A. Wittka, 07.07.2024
Eine ungewöhnliche Formulierung habe ich für diesen Beitrag gewählt …
Ja, es geht wieder um mein Long-Covid und mein Umgang damit.
Ich habe mir heute Zeit genommen für einen Spaziergang in der Nähe. Mal eine dreiviertel Stunde nur in Ruhe durch die Natur laufen, den Wind um die Nase spüren, das Lichtspiel von Bäumen, Sträuchern und Blättern und den Duft riechen, den manche Bäume in diesen Tagen verbreiten.
Es war herrlich und ich konnte in mein Symptom-Tagebuch zu diesem Augenblick schreiben: „Mental und physisch geht es mir rundum gut!“
Ich habe diese Augenblicke genossen; auch deshalb genossen, weil ich wusste, dass es einige Zeit später wieder anders werden wird. Und es war auch wieder nach eineinhalb Stunden anders und ich konnte mich nur noch *ablegen*, ins Bett und wieder Kräfte tanken.
Ja, es ist lästig; ja, es ist bisweilen deprimierend. Aber sollte ich mir deshalb die Freude nehmen lassen? Nein!
Stattdessen möchte ich die Augenblicke nutzen, die mir geboten werden.
„Pflücke den Tag!“ – heißt ein altes Sprichwort. Ich möchte lernen, zufrieden zu werden, wenn es nicht ein ganzer Tag ist, sondern schon einige Stunden oder auch nur ein paar Minuten am Tag.
Augenblicke, wo ich meine Seele etwas durchlüften konnte!
Danke, Gott!
Von ‚unsichtbaren‘ Krankheiten (1)
Seit über 25 Jahren leide ich am Reizdarm-Syndrom und seit über sieben Monaten am Post-Covid-Syndrom: zwei unsichtbare Krankheiten …
… die für viele unsichtbar sind, aber mein Leben dominieren können.
„Nur, wem man die Krankheit ansieht, ist auch krank!“
Dieser provokante Satz ist nicht meine Überzeugung, sondern – leider – eher meine Einsicht, zu der ich in den letzten Jahren gelangt bin und die sich durch mein momentanes Post-Covid noch verstärkt hat. Deshalb will ich darüber schreiben.
Hier konkrete Beispiele:
Foto: Gerd Wittka, September 2013
Als ich 2013 im September einen schweren Unfall hatte, mir einen Trümmerbruch im Wadenbein und einen Spiralbruch im Unterschenkel zuzog, ich daran operiert wurde, drei Wochen im Krankenhaus lag und noch einige Monate brauchte, um durch Physiotherapie buchstäblich wieder auf die Beine zu kommen, da wurde diese ‚Krankheit‘ in meinem Umfeld akzeptiert. Ich bekam viele Rückmeldungen und auch gute Genesungswünsche.
Als ich Ende 2019/Anfang 2020 an einer depressiven Episode erkrankte und fast sieben Monate arbeitsunfähig war, sah es ganz anders aus. Es gab nur wenige Menschen, die nach mir fragten, die mir gute Besserung gewünscht haben. Selbst aus dem beruflichem Umfeld gab es nur wenige Kolleg:innen, die sich nach mir erkundigten und mich ermutigten. Besonders enttäuschend war, dass sich mein damaliger ‚Dienstvorgesetzter‘ nie von sich selber aus nach mir erkundigt hatte. Und wenn ich ihm über meine Verlängerung der AU per Email informierte kam von ihm allenfalls eine knappe Email mit „Gute Besserung!“ oder ähnlichen Plattitüden zurück. Heute bin ich froh und dem Himmel dankbar, dass er seinen Platz als ‚Dienstvorgesetzter‘ geräumt hat; sonst hätte ich meinen Platz verlassen und unseren Bischof um Versetzung gebeten.
Dabei denke ich: wenn jemand so viele Monate ausfällt und nicht arbeitsfähig ist, ist dieser Menschen dann weniger schwer krank, als wenn er sich Gliedmaßen gebrochen hat?!
Aus diesem Grund habe ich den provokanten Satz am Anfang dieses Absatzes gewählt.
Und diese ‚Erkenntnis‘ deckt sich mit den Erfahrungen vieler Menschen, die ich in den letzten vierzehn Jahren in einer psychiatrischen Klinik seelsorglich begleiten durfte.
Psychisch krank zu sein, dass müsse irgendetwas mit einer schwachen Persönlichkeit zu tun haben. Oder sie wird als mangelnde ‚Belastbarkeit‘ verstanden, die als negative Persönlichkeitseigenschaft gewertet wird. Aber psychisch krank zu sein, sei doch keine ‚richtige‘ Krankheit, die ebenso viel Empathie, Fürsorge und menschlichen Beistand erfordert, wie wenn man körperlich krank ist.
„Da reißt man sich eben halt mehr zusammen!“, denn: „Es ist ja nicht nur alles schwarz-weiß, man muss nicht alles so negativ sehen!“ und „Man muss sich nur mal einen Ruck geben!“, weil „… andere es ja auch schwer haben ….!“ –
Von solchen oder ähnlichen – wenig hilfreichen – Sätzen wissen gerade psychisch erkrankte Menschen zuhauf zu berichten!
Für Manche sind psychische Erkrankungen halt eher eine Charakterschwäche als eine ‚echte Krankheit‘!
Das bringt psychisch erkrankten Menschen noch zusätzliche Belastungen und Leiden!
Phasenweise – sichtbar – krank
Zu diesen Krankheiten, die wenig sichtbar sind und deshalb auch weniger wahr- und ernstgenommen werden, sind Erkrankungen, wo die Krankheit nur phasenweise ’sichtbar‘ wird.
Mittlerweile darf ich mit zwei unterschiedlichen Erkrankungen diese Erfahrung machen.
Das eine ist meine Reizdarmerkrankung, die ich schon seit über 25 Jahren habe und die meinen Alltag massiv prägt. Ich weiß nie, ob und wann ich wieder diese fürchterlichen Darmkrämpfe bekomme, die mich noch vor einigen Jahren teilweise einen halben Tag ins Bett getrieben haben, verbunden mit unkontrollierbaren Stuhlgängen, die ich unter Schmerzen auf dem WC erleben musste. Und dann diese Angst, irgendwo unterwegs zu sein und dann dringend ‚Müssen‘ zu müssen, aber kein WC in der Nähe zu haben. Die Angst, sich buchstäblich ‚in die Hose zu machen‘ und der psychische Stress, der daraus entsteht. Damit verbunden, immer wieder Einladungen, Begegnungen oder Unternehmungen nicht wahrzunehmen, weil da immer diese Angst vor irgendwelchen ‚Zwischenfällen‘ mitschwingt.
Da nutzt es dann wenig, wenn ich zu denen gehöre, die immer sehr früh wissen, wo es ein ‚öffentliches WC‘ gibt oder der sogar schon Apps auf seinem Smartphone hat, die öffentliche WC’s anzeigen und der dann – selber bei solchen Toiletten angekommen und sie auch benutzt – ‚Erfahrungsberichte‘ in diesen Apps postet, damit andere Leidensgenoss:innen auch immer auf dem aktuellen Stand sind und ggfs. nicht vor verschlossenen Türen stehen.
Wenn andere von diesem Leiden etwas mitbekommen, dann belastet mich das maximal. Denn dann sehen sie es meinem Gesicht an, wie ich versuche, mit den Schmerzen zurecht zu kommen; oder wie ich durch die Krämpfe gekrümmt auf einem Stuhl oder im Sessel sitze; manchmal kann ich dann nur noch liegen, mit einer Bauchwickel gewappnet. Oder wenn ich wimmernd vor Schmerzen auf dem Klo sitze und fürchte, dass jemand mein Wimmern mitbekommt. Dann ist es für mich besonders schlimm. Mit meinen RDS leide ich lieber allein, ungesehen und unbemerkt!
Beschwerdefrei hingegen, sieht man es mir nicht an: Ich führe dann hochkonzentriert seelsorgliche Begleitungsgespräche, sitze in Sitzungen und protokolliere vielleicht sogar recht professionell die Sitzung oder stehe sehr souverän vor Menschen, wenn ich einen Gottesdienst leite. Dann ist da keine Spur von dem sichtbar, was ich im Verborgenen erleide.
‚Kann dieser Mensch, der da so souverän auftritt und so zuverlässig und empathisch seine Arbeit machen kann, gleichzeitig gesundheitlich so eingeschränkt sein?!‘, werden sich manche fragen.
Deshalb wundert es mich nicht, dass Außenstehende meine Belastungen nicht immer gut nachvollziehen können.
Neu im Portfolio: Post-Covid
‚Fatigue‘ – Symbolbild, www.pixabay.com
Und jetzt habe ich seit über sieben Monaten eine neue solche ‚unsichtbare‘ Krankheit in meinem persönlichen Portfolio: Post-Covid!
Bei der Post-Covid-Diagnose handelt es sich – genau so wie beim Reizdarmsyndrom – um eine sogenannte ‚Ausschlussdiagnose‚. Das bedeutet, dass die Symptome wie „Brainfog“,Konzentrations- und Sprechstörungen, Erschöpfung, Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen oder -losigkeit, Fatigue, Atembeschwerden und viele andere Symptome, nicht von einer anderen Krankheit herrühren dürfen. Dementsprechend musste ich verschiedene Fachärzte aufsuchen, von Pneumologen über Kardiologen, etc.! Nun habe ich die Diagnose und bin damit aber nicht besser dran, weil es keine zuverlässigen Behandlungsmethoden und Therapien gibt, die empirisch eine signifikante Verbesserung oder gar Heilung in Aussicht stellen. Die Forschung von Post-Covid und der Behandlung steckt noch in den ‚Kinderschuhen‘.
Nachdem ich mich sieben Monate mit den Beschwerden durch meinen beruflichen und privaten Alltag laviert habe und oft nur drei Stunden aktiv sein konnte, weil ich dann unter totaler Erschöpfung litt, musste nun die ‚Reißleine gezogen werden‘ und mein Arzt hat mich aus dem Verkehr gezogen.
Und so erlebe ich weiter die Höhen und Tiefen von Post-Covid.
Für mich habe ich entschieden, erst einmal nur noch meinen Gottesdienst samstags im Krankenhaus zu feiern, denn auch während der AU würde ich ja an einem Gottesdienst teilnehmen wollen. Mit der Gottesdienstgemeinschaft habe ich den Deal gemacht, dass ich keinen großen Aufwand mit Predigtvorbereitungen etc. leisten könnte, ich aber den Gottesdienst anbieten würde, wenn sie damit einverstanden sind. Sie sind damit einverstanden und so gibt es dann schlichtere Gottesdienste, als man es von mir gewohnt ist. In dieser Zeit während des Gottesdienstes merkt man mir mein Post-Covid auch wohl kaum an; manchmal verspreche ich mich etwas, weil mir die Konzentration schwer fällt, aber sonst?
Damit das so läuft, habe ich ja auch was dafür getan: Vor dem Gottesdienst lege ich mich gut eine Stunde ins Bett, um für den Gottesdienst Kräfte zu sammeln. Und wenn ich dann nach gut zweieinhalb Stunden wieder zuhause bin (mit Vor- und Nachbereitungszeit vor Ort!), dann bin ich wieder reif fürs Bett. Also lege ich mich dann wieder hin, manchmal auch nur auf die Couch.
PPP
… nein, ich habe mich nicht vertippt! Die drei ‚P‘s, stehen für eine therapeutische Methode, mit der Menschen, die von Post-Covid betroffen sind, einen erträglichen Alltag ermöglichen könnte.
meint die sensible Wahrnehmung der eigenen Belastungsgrenzen. Wer seine Belastungsgrenzen kennt, kann mit dem ihn eigenem Tempo und Intensität an Aufgaben des Alltags herangehen. Dabei sind die Belastungsgrenzen nicht statisch und deren Entwicklung geht auch nicht immer nur in eine Richtung -> aufwärts. Belastungsgrenzen verändern sich in beide Richtungen, und was gestern noch meine Belastungsgrenze war, kann ich heute schon eine deutliche Überschreitung der gestrigen Grenze werden. Die Folge ist, dass ich jeden Tag neu sensibel auf meine Kräfte schauen muss und nur ausprobieren kann, was gehen könnte.
Ein Beispiel von gestern und heute (19./20. Juni 2024)
Aus meinem Gesundheitstagebuch vom 19. Juni:
Nachdem mein Tag heute gar nicht gut begonnen hatte und ich schon erschöpft in den Tag ging, hatte ich mich geärgert, weil ich das Wetter gerne zum Radfahren genutzt hätte. Doch dann habe ich mir gesagt, es ist wie es ist und habe mich um 12.30 Uhr wieder hingelegt und fast bis 14.30 Uhr geschlafen. Dann war ich so erholt, dass ich mich doch noch aufs Rad gesetzt habe und diese Strecke gefahren bin. Nun lege ich mich wieder hin, weil ich versuchen will, heute Abend noch zur Chorprobe zu fahren. Das Fußballspiel muss für mich leider ausfallen. Aber zum Umgang mit Post-Covid gehört es neben dem Einschätzen der Ressourcen, gut zu planen und Prioritäten zu setzen. Ich bin dankbar, dass ich das gemacht habe.
Von meinen Brüdern und anderen lieben Menschen, die mir nahestehen, bekam ich ermutigende Rückmeldung, die mich bestärkten. Doch heute, am 20.06.2024 sieht mein Tagebucheintrag um 13.30 Uhr schon anders aus:
Tja, leider war es gestern zuviel. Heute wieder crash. Ich komme noch nicht auf die Beine. Fühle mich benebelt, erschöpft und schwindelig, wie wenn ich die ganze Nacht Party gemacht hätte. (…) – Pah! Ich tu einfach so, als ob! Und bisschen ‚Party‘ war es ja gestern. Ich hatte riesige Freude, durch die Natur zu radeln und beim Chor hatte es ja auch Spaß gemacht… 😉 😂 🤣 Ohne Scheiß! Vielleicht ist das ein lohnender Umgang mit dieser Erfahrung. Denn der gestrige Tag war ja gut und schön für mich. Danke für die Idee!
Das ist eine Pacing-Erfahrung, die mich vorsichtig machen kann, aber die mich auch ermutigt, situativ angepasst mit meinem Alltag umzugehen.
Aus den Erfahrungen anderer Tage und dem sensiblen Hinschauen der momentanen Verfassung kann ich dann gezielt meinen Alltag planen. Ja, ich muss vorher mehr als sonst überlegen, was will ich an diesem Tag tun? Wofür werden mir die Kräfte reichen?
Und wenn ich dann einen Wust von Aufgaben sehe, die ich eigentlich noch zu erledigen haben, muss ich den dritten Aspekt der „3-P’s“ berücksichtigen.
Ich muss einfach Prioritäten setzen! Habe ich in den letzten sieben Monaten die Priorität gesetzt, fit für meine Arbeit sein zu wollen, um dann am Tag drei maximal vier Stunden arbeiten zu können, bin ich nach sieben Monaten nun zu einer anderen Priorisierung gekommen:
Mein Leben – mein Leben und mein persönlicher Alltag mit all den Aufgaben, die ich auch bei mir privat zuhause zu erledigen habe -, kann nicht allein zugunsten der Priorität „Dienst“ hinten anstehen! Mein Leben besteht nicht nur aus meinem Dienst, sondern auch aus anderen Erfordernissen und Aufgaben, die ich entweder erledigen muss (Haushaltsführung, wirtschaftliche Aktivitäten) oder dem dringenden Bedürfnis, zu einer ‚work-life-balance‘ zu kommen.
Das Wort: „Liebe deinen Nächsten, wie DICH selbst!“ ist gerade in solchen Situationen auch eine persönliche Herausforderung an mich als Seelsorger. Ich kann nicht immer nur versuchen, diese christliche Sichtweise anderen näher zu bringen. Dieses Gebot gilt auch für mich selber!
Wenn ich davon überzeugt bin, muss ich versuchen, es in meinem eigenen Leben zu beherzigen.
…
Für heute möchte ich mit diesen Zeilen erst einmal Schluss machen, weil ich spüre, dass ich wieder Grenzen erreiche.
Ich möchte mit diesen Zeilen auf das Thema: ‚unsichtbare Krankheiten‘ hinweisen, die zwar schon medizinisch erkannt und diagnostiziert, aber vom Umfeld der Erkrankten nicht oder nur kaum wahr- und ernst genommen werden.