Hingabe


Wenn der Weg unbequem wird – über innere Überzeugung und geistliche Standhaftigkeit

„Ich glaube, dass die großen Propheten unseres Jahrhunderts ihren Kampf in großer Einsamkeit vor Gott und ihrem Gewissen haben durchstehen müssen – ohne auch nur ein Hauch eines Applauses von Seiten ihrer Umwelt zu verspüren.“
(Fritz Köster, 1934–2014, Pallottiner und katholischer Theologe, aus: TE DEUM, Oktober 2025, 307)

Diese Worte fand ich heute Morgen am Ende der Laudes.
Sie haben mich tief berührt – vielleicht, weil sie mich an Situationen aus dem Leben anderer Menschen erinnerten, die ich begleiten darf, aber auch an Momente meines eigenen Lebens.

Da gibt es Zeiten, in denen man von ganzem Herzen von einer Sache überzeugt ist. Man spürt eine innere Stärke, die einen ermutigt, sich einzusetzen, Zeit und Energie zu investieren, weil man weiß: Das ist es wert.
Gerade, wenn man mit Menschen zu tun hat, wenn man für Menschen arbeitet, ist dieses innere Bewusstsein entscheidend – es ist der Motor, der unentwegt läuft, die Wurzeln, die Halt und Stand geben, wenn die äußeren Umstände schwierig werden.

Bild von Holger Schué auf Pixabay

Für mich persönlich entspringt diese Motivation meinem Glauben.
Mein Christsein ist für mich keine Theorie, sondern eine lebendige Wirklichkeit – eine Botschaft für das Leben, hier und jetzt, und zugleich mit Blick auf das ewige Leben.

Auch wenn mein Wirkungsfeld klein ist, geht es mir darum, dass die Menschen, mit denen ich zu tun habe, gestärkt und ermutigt werden. Ich wünsche mir, dass ihr Leben gelingt und sie es als sinnvoll erfahren.
Dabei spielen Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Ethik, Moral, Sinn, Glück und Liebe eine zentrale Rolle.

Doch wer sich für andere stark macht, wer Missstände benennt oder sich für Gerechtigkeit und Teilhabe einsetzt, der wird manchmal unbequem.
Man eckt an.
Man wird zum sogenannten „Störenfried“, gerade dann, wenn man das eigene System kritisch betrachtet, in dem man sich engagiert. Das kostet Kraft – emotional, geistlich, menschlich.

Und dann kommt unweigerlich die Frage:
Warum mache ich das eigentlich?

Diese Frage ist keine Schwäche, sondern eine wichtige Form der Selbstreflexion.
Sie wirkt wie ein innerer Kompass, der hilft zu erkennen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist.
Äußerer Widerstand kann dabei sogar hilfreich sein – weil er einen zwingt, die eigenen Motive und Wege neu zu prüfen.

Leider geschieht diese selbstkritische Auseinandersetzung heute viel zu selten – auch in kirchlichen Strukturen.
Ich erlebe manchmal, dass Menschen in höheren kirchlichen Positionen meinen, sie müssten sich weniger der Kritik stellen. Doch genau das Gegenteil ist wahr:
Je höher die Verantwortung, desto größer sollte die Bereitschaft zur Selbstprüfung sein.
Gerade dort, wo Macht und Einfluss bestehen, braucht es die Demut, auch Impulse „von außen“ anzunehmen. Darin zeigt sich wahre geistliche Reife.

Wenn ich auf die Geschichte unserer Kirche schaue, denke ich an Persönlichkeiten wie Hildegard von Bingen.
Sie waren unbequem, mutig, kritisch – und gerade deshalb prophetisch.
Sie „störten“ einen Frieden, der mehr einer Totenruhe glich, und entfachten mit ihren Worten das Feuer des Evangeliums neu: das Feuer der Liebe, der Gerechtigkeit, des Lebens.

Ihre Störfeuer waren keine Zerstörung, sondern heilsame Impulse – Impulse, die wachrütteln, damit das Evangelium nicht verlischt.

Darum:
Wenn du aneckst, wenn du spürst, dass deine Überzeugung andere herausfordert, dann prüfe, aus welcher Quelle du deine Kraft schöpfst.
Bitte Gott um seinen Heiligen Geist – dass er dich führt, stärkt und dir die nötige Standhaftigkeit schenkt, wenn es unbequem wird.

Bild von Holger Schué auf Pixabay

Ich erinnere mich an eine Zeile aus einem Neuen Geistlichen Lied, das mich schon in meiner Jugend begleitet hat:

„… den Weg wollen wir gehen, die Liebe geht mit uns,
auf dem langen und steinigen, auf dem weiten und unbequemen,
auf dem Weg, der die Mühe lohnt …“

(aus der Erinnerung zitiert)

Vielleicht ist das die entscheidende Frage:
Lohnt sich dein Weg der Mühe, die du aufwendest?
Was ist die Quelle, aus der du deine Kraft und deinen Mut schöpfst – den Mut, auch dann standhaft zu bleiben, wenn der Weg steinig wird?

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Möge Gott dir – und uns allen – immer wieder diese Quelle lebendig halten.
Denn dort, wo unsere Überzeugung aus der Liebe Gottes fließt, dort geschieht Segen – auch mitten im Widerstand.




Trotz-dem

„Lass es uns noch mal versuchen!“ – dieser Satz begleitet mich seit etlichen Jahren!



(2 Kor. 4, 6-10)


Dieses Wort des heiligen Paulus ist Lesungstext des 9. Sonntags im Jahreskreis, den wir heute begehen.

Worte, die mich hellhörig machen lassen und die mich an vergangene Situationen erinnern, als ich noch in der Gefängnisseelsorge tätig war.
Meine damalige Kollegin und Freundin Sr. Bonifatia Keller OP benutzte immer wieder einen Satz, der schon fast zu einem geflügelten Wort wurde.
Immer, wenn sich frustrierende Situationen wiederholten, die nötige Prozesse in der Gestaltung unseres Dienstes zum Stocken brachten oder wo wir scheinbar ‚gegen eine Wand liefen‘, sprach sie diese Worte: „Lass es uns noch mal versuchen!“

Bonifatia war ein Mensch, die nicht so leicht aufgab.
Sie war kein Dickkopf im klassischen Sinne; aber sie ließ es sich nicht nehmen, immer wieder neue Versuche zu starten, wenn sie von einer Sache überzeugt war.
Oft habe ich mich gefragt, woher sie die Kraft dazu bekam, stets neu aufzustehen, auch wenn andere schon längst „die Flinte ins Korn geschmissen hätten“.

Bonifatia war – nicht nur in dieser Hinsicht – eine starke Frau und nach über zehn Jahren nach ihrem Tod profitiere ich von ihrer Haltung und ihrem Geist.

„Lass es uns noch mal versuchen!“ – diese Hoffnung und Zuversicht, dennoch etwas bewegen zu können, kommt mir gerade in letzter Zeit immer gehäuft in den Sinn.

Die Krise der Kirche und die Krise des christlichen Glaubens

Missbrauchsskandale und mangelhafte Missbrauchsaufarbeitung in unserer Kirche, der Massen-Exodus aus unserer Kirche, ausgebremste notwendige Erneuerungen in unserer Kirche, das Schwinden christlicher Werte in unserer Gesellschaft, die Diskriminierung von Frauen und Queer-People in unserer Kirche, Anfeindungen von Kirche und Christ:innen, … –

all das führt bei vielen Menschen in der Kirche zu Resignation, Mut- und Hoffnungslosigkeit.

Katholik:innen verlassen in Scharen unsere Kirche (in der evangelischen Kirche sieht es nicht besser aus).
Menschen, die zum ‚inner circle‘ unserer Kirche und unserer Pfarreien gehören, geben ihre selbstgewählten Aufgaben auf und verlassen mitunter die Kirche.
Selbst hauptamtliche Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen in der Seelsorge, sei es Kleriker oder Nicht-Kleriker quittieren ihren Dienst!

Es liegt mir fern, diese Menschen zu schelten, denn zu oft kann ich ihre genannten Gründe nachvollziehen; zu oft kann ich innerlich bejahen, dass bei Manchen „die Luft raus ist“ und sie „einfach nicht mehr können“!

Ich sehe andererseits, dass nicht alle Katholik:innen die Kirche verlassen und nicht alle haupt- oder ehrenamtlichen Mitarbeiter:innen ihren Dienst aufgeben!
Warum?

Es wäre zu oberflächlich, ihnen zu wenig Empathie für diese Themen zu unterstellen oder zu meinen, es wäre ihnen einfach nur alles in der Kirche egal!
Mitnichten!
Es gibt Viele in der Kirche, die „leiden wie Hund“ an der gegenwärtigen Situation der Kirche und des christlichen Glaubens.

Warum geben diese Menschen nicht auf?!

Warum resignieren sie nicht?1

Vielleicht, weil sie etwas von dem spüren, was der heilige Paulus in der heutigen Lesung erwähnt?

Trotz Bedrängnis finden sie noch die Luft zum atmen, können tief Luft holen, sich auf ihre Mitte, auch des Glaubens zurückziehen und konzentrieren und finden in sich eine Tiefe und Weite vor, die sie innere Kräfte sammeln lässt.
Sie sind zwar einerseits ratlos und haben keine schnellen Rezepte oder Antworten, wie man aus der Krise herausfinden könnte, haben dennoch die Kraft und den Mut, weiter zu machen; sie besitzen eine Kreativität, die ihnen immer wieder neue Ideen schenkt und ihnen zeigt, was man noch alles ausprobieren könnte.

Bei der Fülle von Fragen und Herausforderungen fühlen sie sich manchmal überfordert und gehetzt von den Ereignissen, aber finden gleichzeitig eine innere Ruhe und Gelassenheit, weil sie sich nicht allein und verlassen fühlen (vor allem nicht von Gottes Heiliger Geistkraft!).
Auch sie tragen die „Todesleiden Jesu an ihrem Leib“, wie Paulus es formuliert.
Und die Folgen der Leiden sieht man ihnen manchmal sogar an, denn sie gehen auch an ihnen nicht spurlos vorüber.

Und trotz-dem gibt es bei Ihnen diese Energie, nicht aufzugeben und sich das Leben und den Glauben nicht vermiesen zu lassen.
Dennoch haben sie die Lust und die Freude am Leben und am Glauben nicht verloren, sondern leben aus einer tiefen und zugleich sichtbaren Hoffnung, dass es da noch was gibt, was sie trägt und was sie sich selber nicht zu verdanken haben; diese ungezügelte Sehnsucht, die Nelly Sachs mal mit den Worten beschrieb:

Anfanghaft spüre ich auch etwas von dieser Kraft in mir. Ich habe weiterhin Lust zu einem Neuaufbruch und -anfang in unserer Kirche.
Ich spüre die Überzeugung in mir, dass der Weg weitergehen wird und dass wir in einer historisch sehr bedeutsamenPhase unserer Kirche leben, die ähnlich wie die Zeit um das Vatikanum II ist:
eine ‚Kirche im Werden‘ ist nötiger denn je!

רוּחַ = „Heilige Geistkraft“

Glücklich die Menschen, die diese Kraft und Energie in sich spüren!
Sie dürfen daran glauben, dass diese Kraft nicht aus ihnen selber kommt, sondern dass sie ihnen eingegossen wird durch die ‚ruach‘ (hebräisch), die Heilige Geistkraft Gottes, die wir am vergangenen Pfingstfest wieder so lebendig gefeiert und verehrt haben.

Mit der heutigen Lesung ermutigt mich der heilige Paulus, sich dieser inneren Kraft und Stärke neu zu vergewissern, aber ohne Arroganz, Hochmut oder Überlegenheitsgefühle, sondern verbunden mit einer tiefen Dankbarkeit und Liebe zu diesem geschenkten Segen Gottes.

Es ist in dieser Zeit eine wirkliche Gnadenerfahrung, wenn man nicht die „Brocken hinschmeißen will“, sondern immer noch die Kraft hat, der inneren Stimme zu lauschen, die in uns spricht:


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„… damit sie … alle Mühe mit mir teile…“

Canticum zum Tag aus dem Buch der Weisheit

In der heutigen Laudes vom 10.12.2021 bete ich als Canticum diesen Text aus dem Buch der Weisheit.
Für mich ist dieses Buch ein ‚gutes‘ Buch im Alten Testament.
Was dort über die ‚Weisheit‘ gesagt wird, übertrage ich gerne auf den Heiligen Geist.
Anstelle des Wortes „Weisheit“ füge ich oft „Heiliger Geist“ ein.

Und dann bekommt dieser Text für mich eine ganz neue Prägung.



Ich bin ja – nach wie vor – der Meinung, dass der Heilige Geist und seine Verehrung in unserem christlichen Glauben viel zu kurz kommt.

Dabei ist schon im Schöpfungsbericht von ihm die Rede:

Genesis (1 Mose) 1,1-2:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war noch leer und öde, Dunkel bedeckte sie und wogendes Wasser, und über den Fluten schwebte Gottes Geist.

Belastendes und Demotivierendes

Für mich sind, gerade auch in der heutigen Zeit, solche biblischen Texte entlastend und motivierend.
Gestern noch sprach ich im Rahmen einer Fachkonferenz mit Kolleg:innen in einem Jahresrückblick darüber, was alles in diesem Jahr 2021 gelaufen war. Dabei fiel mir auf, dass eigentlich alle – durch die Bank – erwähnten, wie besonders diese gegenwärtige Zeit, die letzten zwei Jahre, durch die Corona-Pandemie geprägt sind.
Vieles, was wir angegangen und geplant haben, war zumindest ‚vorläufig‘ oder provisorisch, manches vermeintlich auch ‚für die Katz‘, weil Geplantes kurzfristig abgesagt oder zumindest verschoben werden musste. Bilder oder Begrifflichkeiten, die die Instabilität der Lebens- und Arbeitsumstände ins Wort brachten, wurden genannt.

Ich denke, dass es anderen Menschen in ihrem eigenen Leben (ob beruflich oder privat) nicht viel anders ergangen ist – vielleicht manchen sogar noch schlechter, weil Lebensfundamente weggebrochen sind. Besonders hart traf und trifft es die Opfer der Flutkatastrophe im Sommer dieses Jahres.

Angesichts solcher Situationen stellt sich zumindest bei mir immer wieder die Frage:
„Wie schaffe ich das alles?“ – „Woher nehme ich noch die Motivation?“ – „Was kann ich gegen Entmutigungs- oder Ermüdungserscheinungen tun?“

Dazu kommt auch, dass dieser Stress mental und emotional auch Folgen hat – ich spüre es zumindest bei mir: ich werde dünnhäutiger und leichter reizbar. Wenn ich etwas als ungerecht oder falsch empfinde, bringt mich das persönlich mehr auf die Palme als sonst.

Mir und anderen gerecht werden – aber wie?

Wenn ich dann wieder herunter komme und zur Ruhe kommen kann, geht es mir damit nicht unbedingt viel besser. (Es ist ja schon mal gut, dass es in solchen Zeiten überhaupt noch Gelegenheiten gibt, selber zur Ruhe zu kommen, um Zeiten des Gebetes, der Meditation und der Reflexion zu finden.)

Denn: wer kann schon damit zufrieden sein, wenn es nicht so läuft, wie man es geplant oder sich gedacht hat? Ich bin es zumindest nicht. Das liegt vielleicht auch darin, dass ich eher Perfektionist bin.
Gelassenheit und Langmut sind nicht meine eingeborenen Stärken.

Ein gutes Wort zur richtigen Zeit

Da sind solche Worte, wie heute in der Laudes für mich persönlich das ‚gute Wort zur rechten Zeit‘!
Da ist von der Weisheit die Rede, die Gottes ständige BegleiterIN ist und die Gott auch den Menschen zur Seite stellen will.
Der Mensch, hier der Protagonist des Betenden, weiß um seine Aufgabe und seine göttliche Sendung. Zugleich weiß er aber auch um seine Begrenztheiten, seine Schwächen und seine Unvollkommenheit.

Allein das einzugestehen – ist das nicht schon Werk der Weisheit? – Ich denke schon!

Für den Betenden aus diesem Canticum ist die Weisheit von Anfang an und mit einem klaren ‚Auftrag‘, nämlich einsichtig zu machen, was Gott gefällt und recht ist nach seinen Geboten.

Die Weisheit ist also die Begleiterin Gottes, die alles in ein anderes Licht und in größere Zusammenhänge setzen kann.

Um diese Begleitung betet unser Protagonist im heutigen Text, in dem Wissen, dass auch sie ihm Einsicht schenken kann und sogar „alle Mühe mit“ ihm „teilen“ kann.

In dem Wissen, dass geteilte Mühe halbe Mühe ist, so wie geteiltes Leid halbes Leid ist (Volksmund), so vertraut der Betende darauf, dass die Weisheit und ihr Wirken entlastend sein kann, damit man wieder den „Kopf frei bekommt“.

Die Weisheit, die „alles weiß und alles versteht“ hat auch die Kraft, „mich in meinem Tun besonnen zu leiten und mich in ihrem Lichterglanz (zu) schützen…“.

Die Weisheit Gottes hat also etwas Erhellendes, gerade dort, wo wir Dunkelheit spüren, wo unsere Wege nicht klar erkennbar sind.


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Gottes Weisheit,
Du heilige Geistkraft,
die du von Anfang an warst und
auch heute noch bist.

Die du geschaffen hast
und Einsicht schenkst;
die du Mühen teilst
und mich besonnen leiten möchtest,

öffne mich auf dich hin,
damit ich dich,
die
Schöpferin, Geistbewegerin und
Schützerin
sehnsuchtsvoll erwarte,
dass du ankommen darfst in mir
und mich führst
und entlastest
und ermutigst
für meine nächsten Schritte.

Amen.

(Gerd Wittka, 10.12.2021)