Glauben heißt …

Quelle: Bild von Bronisław Dróżka auf Pixabay

„Glauben heißt:
die Unbegreiflichkeit Gottes aushalten
– ein Leben lang.“ (Karl Rahner SJ)

Dieses Wort stand über den Freitag, 20. Mai 1994, als fünf Männer aus dem Bistum Essen durch Bischof Hubert Luthe zu Priestern geweiht wurden; einer von ihnen war ich.

Dieser Tag war ein warmer Mai-Frühlingstag. Bis zum Frühstück waren wir noch bei den Benediktinerinnen von Köln-Raderberg. Bei Sr. Otgera Kremer OSB hatten wir unsere einwöchigen Weiheexterzitien.

Der Weihespruch, das obige Wort von Karl Rahner SJ, begleitete uns dabei.

Ich erinnere mich daran, dass Sr. Otgera dieses Wort aufgriff und sinngemäß fragte: „Wisst ihr eigentlich, was für ein Wort ihr da für euch und eure Weihe ausgesucht habt? … Ihr werdet lernen, es mit eurem Leben zu bezeugen…“



Als wir uns im Weihekurs dieses Wort ausgesucht hatten, fiel es uns relativ leicht. Heute denke ich, dass wir unbewusst schon etwas von der ‚Wahrheit‘ dieses Wortes erahnt haben, ohne uns aber der konkreten Herausforderungen dieses Wortes gegenwärtig zu gewesen zu sein.

Vielleicht lag genau darin das besondere in diesem Wort: eine Ahnung von der ‚Richtigkeit‘ zu haben, ohne zu wissen, was auf uns zukommen wird.

Doch das würden wir schon sehr bald erfahren.

Ad exemplum: die erste Kaplan-Stelle

Symbolbild, Foto: Bild von KerstinP auf Pixabay

Für mich war das die Situation in meiner ersten Gemeinde als Kaplan: eine sehr bürgerlich geprägte Pfarrei. Mein Pfarrer hatte es nicht leicht, weil der ‚Geist‘ seines Vorgängers immer noch – nach Jahren – über der Pfarrei schwebte; ständig wurde er und ich daran erinnert: „Damals, bei Pfarrer X.Y….“ – Das Wort „damals“ schien irgendwie prägend gewesen zu sein: die Pfarrei war lebendig, ohne Zweifel. Aber es war vieles festgefahren. Uns wurde gesagt, wie man es „schon immer“ gemacht habe (… und wir auch gefälligst weiter so zu machen haben…“).
Doch diese Zeiten waren vorbei; sie waren deshalb schon allein vorbei, weil ich von Bischof Luthe gesagt bekommen hatte, dass ich in dieser Pfarrei der letzte Kaplan sein würde und es gut wäre, wenn ich meinen Arbeitsbereich dafür fit machen würde. (Schon damals war klar, dass es Veränderungen und Umstrukturierungen geben würde.)
Doch alteingesessenen Pfarreimitgliedern stieß das sauer auf. Das merkte ich z.B. daran, als ich dran ging, die beiden großen Jugendverbände, die dort waren, eigenständiger werden zu lassen.
Die Frage nach der geistlichen Leitung ohne einen Kaplan stand an.
Es ist schon irgendwie komisch, wenn man an eine Stelle versetzt wird mit dem „Auftrag“ sich überflüssig zu machen. Ich hörte Gerüchte, dass ich zu faul sei und mich nicht mehr um die Jugend kümmern würde. Irgendwann gab es auch mal heftige Auseinandersetzungen im Pfarrgemeinderat (PGR).

Ich erinnere mich nicht mehr an Einzelheiten, aber der Krach war so groß, dass sich bei der nächsten PGR-Wahl einige „alteingesessene“ nicht mehr zu Wahl stellten.

Das war belastend, aber im Nachhinein habe ich das als große Chance wahrgenommen. Denn bei der nächsten Wahl kamen engagierte Christ:innen in den Pfarrgemeinderat, die vorher überhaupt dazu keine Chance hatten. Und nach der Wahl spürte ich eine merkliche positive Veränderung: den Geist der Wandlung und kleinen Erneuerungen.
Auch die Jugendlichen, die sich darauf eingelassen haben, haben mich dabei unterstützt. Dabei sorgten diese Veränderungen auch bei ihnen für zeitweise großen Stress. Durch Personalveränderungen im Vorstand eines Verbandes kam es zu einem buchstäblichen „Machtvakuum“; und wer sich mit gruppendynamischen Prozessen auskennt, weiß, dass dann Prozesse beginnen, wo versucht wird, dieses Vakuum wieder zu füllen. Und das geht nicht ohne Konflikte. Ich erinnere mich sehr gut an einer Sitzung, wo wir bis früh morgens fast um 3 Uhr getagt haben, weil eine Lösung gefunden werden musste (und sie wurde dann auch gefunden).

Nach einigen Monaten gelang es uns aber, die Strukturen so zu verändern, dass nun Menschen in Verantwortung in beiden Jugendverbänden kamen, die es mir möglich erscheinen ließen, dass sie später auch ohne einen Kaplan auskommen konnten. Das empfinde ich im Nachhinein als einen großen Erfolg. (btw: Zum ersten Mal übernahm eine geistlich erfahrene Frau und Mutter dort die Aufgabe der ‚Kuratin‘ bei der dortigen DPSG.)

Wenn man heute auf die Seite der Pfarrei geht (die zwischenzeitlich mit früheren anderen Pfarreien zusammengelegt wurde), dann sieht man, dass es die beiden großen Jugendverbände noch immer gibt und diese ziemlich aktiv sind. Das freut mich immer noch, weil es zeigt, dass ich nichts ‚kaputt‘ gemacht habe. (Heute würde mich interessieren, was so aus der geistlichen Leitung geworden ist und welche Akzente und Impulse es dort noch gibt?)

Doch dieser ‚Erfolg‘ hatte seinen Preis: in dieser Zeit erkrankte ich an eine psychovegetative Funktionsstörung des Dames (Reizdarm), unter dem ich heute noch leide. Heute werte ich geistlich dieses Phase meines Dienstes im Geiste der Erfahrung des Jakob an der Furt zu Jabbok.
Schon nach drei Jahren musste ich die Pfarrei aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig verlassen, weil ich durch meine Erkrankung so eingeschränkt war, dass ich meinem Pfarrer keine große und verlässliche Hilfe mehr sein konnte.
Die Unerklärlichkeit Gottes auszuhalten hieß in diesem Fall für mich, sich zu engagieren, dabei persönlich die eigenen Grenzen vor Augen geführt zu bekommen … um dann einige Jahre später zu entdecken, dass dieser Weg ein guter für mich war, auch wenn ich es damals schwer annehmen konnte.

Der Tod (m)eines Kurskollegen

Bild von MasterTux auf Pixabay

Wenige Jahre später erkrankte mein Kurskollege Kaplan Johannes Breining so schwer, dass er im Januar 2000 mit noch nicht mal 40 Jahren starb.
Seine Leidenszeit und auch sein viel zu früher Tod haben uns alle sehr zugesetzt. Mit wieviel Elan sind wir alle in unseren Dienst gegangen; wir hatten Vorstellungen darüber, wie unsere Zukunft mal aussehen könnte, wie wir z.B. als Pfarrer später mal eine eigene Pfarrei leiten würden?
Wir machten uns Gedanken über unsere Zukunft und auch die Zukunft unserer Kirche.
Doch der Tod von Johannes Breining hat mich mit der Nase darauf gestoßen, nicht zu weit nach vorne zu denken und zu planen, sondern vielmehr das „Hier und Jetzt“ in den Blick zu nehmen.
Das Lied: „Jetzt ist die Zeit, jetzt ist die Stunde. Heute wird getan oder auch vertan, worauf es ankommt…“ wurde da auf einmal sehr konkret und buchstäblich erfahrbar.
… und die Unerklärlichkeit Gottes auszuhalten heißt dann, trotz aller Visionen und Planungen damit klar zu kommen, dass Gottes Wege oftmals andere sind als jene, die unseren Vorstellungen entspringen.

Seelsorger im Strafvollzug

Foto: Haftanstalt Lensburg/Schweiz – Bild von WikimediaImages auf Pixabay

Anfang der 2000er Jahre war ich für sechs Jahre Seelsorger im Strafvollzug (Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen und Jugendarrestanstalt Essen-Werden).
Eher zufällig wurde ich dort Seelsorger, weil für die Eucharistiefeiern ein Priester fehlte, wurde ich angefragt, ob ich mir diesen Dienst vorstellen könnte. Ja, ich konnte, aber nur unter der Bedingung, dass ich nicht einmal in der Woche dort zur Zelebration ‚eingeflogen‘ komme und sonst nichts mit den Inhaftierten und den Mitarbeitenden zu tun habe. Ich wollte auch seelsorgliche Aufgaben übernehmen. Denn: es wäre für mich ein Widerspruch, Gottesdienste dort anzubieten, ohne an deren Alltag und Sorgen und Themen Anteil zu haben.
So bot ich Dienstag abends auch eine Gesprächsgruppe an. Dort trafen sich inhaftierte Männer, die wegen unterschiedlichen Delikten ‚einsaßen‘. In Gelsenkirchen hatten wir von einfachen Straftaten z.B. Diebstahl, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz (Drogenhandel und -konsum), aber auch Betrug, Raub und Totschlag.
So komisch es klingen mag, aber ich bot diese Gruppe gerne an, denn es gab dort viele gute Gespräche und auch Begegnungen. In der Gruppe und auch in der Begleitung hatte ich auch Männer, die wegen eines schweren Gewaltverbrechens inhaftiert waren.
In meiner Arbeit durfte und musste ich oft in Abgründe menschlicher Existenz schauen. Ich habe erfahren, wie viele von ihnen für schlimme Taten verantwortlich waren. Ich habe aber auch erfahren, wie viele von ihnen selber Opfer von Gewalt und Missbrauch geworden sind.
Ich lerne zu erkennen, dass der Mensch ein großes Geheimnis ist und dass wie niemals Menschen ganz kennenlernen oder gar durchschauen können. Ich habe erfahren, dass Menschen mit schwerer Schuld sich zugleich suchend und fragend auf den Weg gemacht haben. Ich habe gelernt, dass sich hinter einer harten Schale oft ein weicher Kern verbirgt. Wie sehr leiden inhaftierte Frauen und Männer, wenn ihre Beziehung unter der Haft Schaden nimmt, sie Angst davor haben, noch die Menschen ‚draußen‘ zu verlieren, die ihnen eigentlich am nächsten sein sollen.

Oft konnte ich erleben, dass wir sehr gute Begegnungen und Gespräche hatten, mit viel gegenseitigem Respekt und Achtung und auch mit viel Freude; und bei manchen entdeckte ich sehr viel Liebenswürdigkeit.

Das hat mich anfangs sehr überrascht und berührt.
Ich musste lernen, dass der Mensch nicht von Grund auf böse und schlecht ist und dass Menschen, die größte Schuld auf sich geladen haben, zugleich einen liebens-würdigen Kern besitzen können.

Anfangs hatte ich mich oft sehr unwohl gefühlt, wenn ich in eine Zelle zum Gespräch ging, wo jemand war, der schwere Verbrechen begangen hatte. Ja, natürlich hatte ich auch etwas Angst. Und wir wussten auch, dass in der Vergangenheit Seelsorger:innen schon mal als Geiseln genutzt wurden, damit Inhaftierte in die Freiheit kommen konnten.

Doch mit der Zeit, wurde diese Sorge immer kleiner; mit der zunehmenden Erfahrung wurde ich freier, von meiner berechtigten Sorge abzusehen und besser in die Begegnung gehen zu können.

Die Unbegreiflichkeit Gottes lag hier für mich darin, erkennen zu müssen, dass schwere Straftaten zwar das ganze Leben prägen werden, aber dass der Mensch dennoch nicht verworfen ist, von Gott.

Krankenhaus-Seelsorge

Foto: Johanniter-Krankenhaus Oberhausen, (c) Gerd Wittka, 2021

Seit Oktober 2010 arbeite ich als Krankenhaus-Seelsorger, in einem Krankenhaus der sogenannten „Maximalversorgung“. Dort gibt es drei somatische Kliniken (Urologie, Nephrologie und Lungen- und Bronchialheilkunde) sowie eine große psychiatische Klinik mit mittlerweile sechs Stationen, einer Tagesklinik sowie einer Psychiatrischen Institutsambulanz (PIA).
Hier nehme ich das Thema unseres Weihespruches besonders deutlich wahr. Und vielleicht ist es auch gut, dass ich erst peu a peu und langsam steigernd in diesen Seelsorgebereich hineingekommen bin, gewappnet mit Erfahrungen der vorherigen knapp 16 Jahren.
Ich erlebe Patient:innen, die plötzlich, manchmal von heute auf morgen, mit schweren Erkrankungen konfrontiert werden, wo das Leben völlig aus den Fugen gerät, Zukunftspläne zerstört werden und schlimmstenfalls sogar Sorgen und Ängste um das eigene Leben den Alltag bestimmen. Ich erlebe psychiatrische Patient:innen, die wochen- oder gar monate- und jahrelang unter einer schweren psychischen Erkrankung leiden, zwischendurch mut- und hoffnungslos sind, aber sich immer wieder neu aufraffen. So oft höre ich Sätze wie: „Ich will mein altes Leben zurück!“
Das sind für mich Schreie der Hilflosigkeit und der Verzweifelung. Manche sind sogar überzeugt, dass das Ende ihres Lebens besser wäre, als so weiterzuleben.

Foto: Bild von Ulrike Mai auf Pixabay

Als Seelsorger versuche ich, die Menschen zu begleiten, damit sie ihre Situation besser ertragen oder bestensfalls sogar weiterhin einen Sinn in ihrem Leben sehen können, der ihnen die Kraft gibt, durch diese schwere Zeit zu gehen.
Aber zugleich spüre ich oft eine Sprachlosigkeit; Antworten aus meinem Munde wirken dann hohl und fern; Plattitüden verbieten sich und ich brauche selber Mut, um eingestehen zu können: auch ich habe keine Antworten.

Hier ist die Unbegreiflichkeit Gottes für mich am deutlichsten zu spüren.

Doch wenn ich dann zugleich auch eine Kraft in mir spüre, bei den Menschen zu bleiben, mit ihnen zu sein, dann spüre ich etwas vom Glauben, der da ist, obwohl ich zugleich die Unbegreiflichkeit Gottes spüre und auch aushalten kann.

Dass das nicht ohne Blessuren geht und es für mich eine Herausforderung und Zu-mutung ist, ist dabei natürlich selbstverständlich.




Freiheit – trotz Reduktion

Copyright: Gerd Wittka, 31.01.2021

In der Krise die Freiheit erkennen

Ja, es ist mal wieder so: diese Gedanken erwachsen aus der gegenwärtigen Corona-Pandemie und der damit einhergehenden Krise.

Manche können das Thema schon nicht mehr hören, und auch ich wäre froh, wenn wir schon alles überstanden hätten. Aber zur Wahrheit gehört auch dazu, dass wir noch mitten drin sind.

Wen wundert es dann also, dass die Krise – zumindest mich – gedanklich immer wieder beschäftigt. Oft ist in den vergangenen Wochen davon die Rede, dass diese Krise „wie ein Brennglas“ wirkt auf viele Themen und Herausforderungen, die sonst gar nicht so in den Blick geraten wären.

Mein großes Thema: die Freiheit! …



Wenn ich über diese Krise nachdenke, dann komme ich immer wieder auch auf das Thema „Freiheit“ zurück.
Und ich finde, das ist auch gar nicht verwunderlich.

Denn: wesentlich für diese Corona-Pandemie ist, dass folgende Wörter zwangsläufig mit ihr in Verbindung gebracht werden:

  • Reduktion
  • Lockdown
  • Abstand
  • Schließungen
  • Herunterfahren

All diese Wörter werden mit Begrenzungen, Eingrenzungen, Beschneidungen in Verbindung gebracht. Viele sagen auch: die Corona-Pandemie schränkt unsere Freiheiten ein! – Und das stimmt! Wer könnte dem widersprechen?!
Die Logik dieser Pandemie ist, dass durch Einschränkungen von (äußeren) Freiheiten wir ein wesentliches Werkzeug an der Hand haben, um der Pandemie etwas entgegen zu setzen.

Die zwei Seiten einer Medaille

Wer mich kennt, der weiß, dass ich gerne das Bild von den „zwei Seiten einer Medaille“ verwende.
Auch in diesem Zusammenhang halte ich es für hilfreich, dieses Bild einzusetzen, denn:

Einerseits erleben wir diese Zeit als begrenzte und eingeschränkte Zeit; Freiheiten, die für uns so selbstverständlich sind (und auch wieder werden müssen), haben wir im Moment nicht.

Um in der Balance bleiben zu können, um Kraft und Ressourcen finden zu können, diese einschneidenden Maßnahmen körperlich und psychisch gut überstehen zu können, braucht es einen Gegenpol, die andere Seite der Medaille, die wir anschauen sollten.

Ermöglichung

Ich möchte für die andere Seite den Begriff „Ermöglichung“ nennen!

Mein früherer Kollege, Mark Bothe, stellte sich, als er seine Stelle in unserer Pfarrei antrat, mit dem Hinweis vor, er wolle „Ermöglicher“ sein.
Mit dieser Formulierung hatte er meine ganze Aufmerksamkeit. (Vielen Dank für diesen Gedanken, Mark, den du bei mir eingepflanzt hast!)

Denn wenn wir unsere Lebenssituation bedenken, wenn wir Wege aus einer Krise finden wollen, wenn wir neue Wege gehen müssen, weil die alten Wege in eine Sackgasse oder in den Abgrund führen, dann kommen wir an einer zentralen Frage nicht vorbei:

Welche Möglichkeiten haben wir (sonst noch)?

Gerade in Zeiten, wo wir unser Leben eingeschränkt erfahren (das gilt auch in persönlichen Lebensphasen, die von Krankheit oder anderen Einschränkungen wie Arbeitslosigkeit, wirtschaftliche Not, etc.), kann es hilfreich und notwendig sein, nach einem Ausgleich zu suchen: der anderen Seite der Medaille.

Manche mögen es auch mit dem Bild von Ying&Yang vergleichen wollen:
zur inneren Harmonie kann man nur finden, wenn man buchstäblich „ausgeglichen“ ist und mein Leben wieder eine Balance gefunden hat.
Und diesen inneren und äußeren Ausgleich finden wir nur, wenn wir versuchen, die Möglichkeiten zu finden, die in einer Krise liegen.

[Damit möchte ich keineswegs irgendeine Relativierung vornehmen. Ich bin mir sehr bewusst, dass Krisen oft auch mit persönlichem Leiden und persönlichen oder sozialen Notlagen einher gehen. Mir geht es nicht darum, diese Not und diese Leiden abzutun oder zu verharmlosen. Ich suche nur einen Weg, wie man mit dieser Not, mit diesem Leid, mit dieser Eingrenzung besser leben kann. Wenn ich das alles schon nicht verhindern kann, dann gibt es für mich persönlich nur die eine Hoffnung: damit zu leben ohne daran zu zerbrechen.]

In Krisenzeiten Möglichkeiten und Freiheiten zu entdecken, die trotz allem (noch) vorhanden sind, erscheint mir eine wichtige Strategie zu sein, um gut und wohlbehalten solche Phasen des Lebens zu überwinden.

Hier kommt wieder der Gedanke meines Kollegen ins Spiel, der seine Rolle auch darin sieht „Ermöglicher“ zu sein.

Wer dann darüber nachdenkt, welche Möglichkeiten zur Verfügung stehen, wird zwangsläufig auch an den Punkt kommen, wo sie/er über die persönliche Freiheit nachdenken wird. Denn: was mir möglich ist, was ich noch tun kann, beantwortet sich wesentlich auch im Zusammenhang mit der Frage: welche Freiheiten habe ich?

Glaube der befreiend sein muss: Christ*in-Sein

Im Galaterbrief finde ich folgende Verse:
„…Zur Freiheit hat uns Christus befreit. Steht daher fest und lasst euch nicht wieder ein Joch der Knechtschaft auflegen!…“ (Gal 5,1)

Was Paulus hier an die Galater schreibt, ist nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen. Er hat diesen Glauben übernommen, weil er die Botschaft Christi ernst genommen hat und er musste erkennen, dass Christsein ohne Freiheit nicht möglich ist.

Die Botschaft Jesu Christi ist wesentlich eine Botschaft der Befreiung und damit eine Botschaft der Freiheit.

Perspektive in der Krise

Foto: Gerd Wittka, www.pixabay.com

Die Fähigkeit, seine Möglichkeiten gerade auch in der Krise zu entdecken, kann ein wesentlicher Schlüssel dafür sein, wie gut wir durch die Krise kommen. Die Erkenntnis, trotz aller Einschränkungen die eigene konkrete Freiheit zu entdecken, eröffnet in der Krise die Chance, auf dem Weg zu bleiben, handlungsfähig zu sein und somit aktiv die Krise gestalten zu können.

Wer also Wege aus der Krise entwickeln möchte, braucht einen tiefen Glauben und die feste Zuversicht, dass wir die Freiheit haben, immer wieder nach Möglichkeiten Ausschau zu halten, die uns die „Leiden der gegenwärtigen Zeit“ erträglicher machen.
Denn: wir sollen zu jeder Zeit „…von der Knechtschaft der Vergänglichkeit befreit werden zur Freiheit und Herrlichkeit der Kinder Gottes….“, wie es Paulus in seinem Römerbrief zum Ausdruck bringt. (vgl. Röm 8,21).

Die eigenen Möglichkeiten zu entdecken geht nur, wenn wir verstanden haben und ernst nehmen, dass wir als Menschen zur Freiheit berufen sind.
Christ*innen und die Kirchen könnten dazu einen wichtigen Beitrag leisten!

[Selbstkritisch ließe sich zu der Rolle der Christ*innen und Kirchen in dieser Krisenzeit noch einiges sagen. Aber das wäre eines eigenen Artikels wert.]

Doch wenn jede*r Einzelne*r von uns, seine Möglichkeiten entdeckt, auch die Freiheit, sich für etwas einzusetzen, „Ermöglicher*in“ zu sein, dann bin persönlich zuversichtlich, dass wir gemeinsam gut durch diese Krise und durch andere Krisen kommen werden.


Und? Wie denkst du darüber? – Hinterlasse gerne einen Kommentar zu meinen Gedanken!




Sturm und Feuer

Photo by Ralph W. lambrecht from Pexels

Jahrhundertsommer 2018. Weite Teile Deutschlands sind von brütender Hitze gefangen. Die Felder dörren total aus, Regen wäre bitter nötig.
Die Waldbrandgefahr in Wäldern ist auf höchster Stufe ausgerufen. Das Rauchen am und im Wald sowie Lagerfeuer und Grillen sind strengstens verboten.
Doch dann fliegt er, diese eine Funke, der das Feuer entzündet. Lichterloh schlagen die Feuerzungen gen Himmel, eine Rauchsäule ist kilometerweit zu sehen. In Ostdeutschland brennt ein Wald.
Fast zeitgleich wüten gigantische Waldbrände in Kalifornien. Menschen verlassen ihr zuhause – manche zu spät und kommen in den Flammen um. Die Luftzirkulation, die durch die Hitze entfacht wird, verstärkt die Winde, die das Feuer über riesige Wald- und Steppenflächen treibt.

Hier wie dort, sind die Menschen in Angst und Schrecken, fürchten um ihr nacktes Überleben. Ihr bis dahin sicher geglaubtes Leben wird nun existentiell bedroht.

Am letzten Montag dann die Unwetterwarnung für unsere Stadt: heftigste Gewitter und Unwetter mit Starkregen, Hagel und Sturm.
Ich denke: jetzt muss ich doch wieder um die Pflanzen auf meinen Balkon bangen und hoffe, dass der Sturm nicht wieder alles durcheinander wirbelt.
Im letzten Jahr fiel ein großer Baum direkt vor unserem Haus, aber – Gott sei Dank – weder auf das Haus noch auf Passanten.

Jemand sagte mir am Mittwoch: „Bei dem Gewitter in der Nacht von Montag auf Dienstag habe ich es schon etwas mit der Angst bekommen.“

Angst hatten auch die Jüngerinnen und Jünger Jesu, als sie sich nach der Himmelfahrt Jesu in das Obergemach zurückzogen und sich verbarrikadierten. Sie hatten Angst, auch Angst um ihr Leben und dass die Juden ihnen nach dem Leben trachten könnten, jetzt, da ihr Herr nicht mehr unter ihnen war. Und sie beteten.
Sie taten es so, wie der Herr ihnen aufgetragen hatten.
Aber: sie hatten Angst.



Und dann geschah dieses unglaubliche Ereignis, das die Apostelgeschichte umschreibt mit den Bildern von Feuerzungen und Sturmesbraus.

Gelesen hört sich das so harmlos an. Und auch so manche Bilder von Pfingsten, wo die Christengemeinde einmütig zusammensteht und über ihnen die Feuerzungen zu sehen sind – geradezu idyllisch.

Aber, liebe Schwestern und Brüder,
ich ahne mehr und mehr, dass dem nicht so war.

So, wie sich Menschen im letzten Jahr vor dem Feuer und dem Sturm fürchteten und Angst um ihr Leben haben mussten, so kann auch das Wirken des Heiligen Geistes bedrohlich und zerstörerisch empfunden werden.

Ich glaube, wir tun gut daran, das Pfingstereignis damals – und auch heute – nicht als ein harmloses Geschehen zu betrachten.

Auch heute leben wir in einer Zeit und in einer Kirche, wo es zu massiven Auseinandersetzungen kommt. Es bilden sich Lager, die sich offenbar oder vermeintlich gegenüber stehen.

Manche befürchten gar eine Kirchenspaltung. Und so dreschen welche aus dem konservativ-traditionalistischem Lage auf jene ein, die Kritik üben und sich das selbständige Denken nicht verbieten lassen wollen.

Auch hier zeigt sich Angst.
Und in diese Angst hinein will der Heilige Geist heute zu uns kommen.
Aber zuerst nicht beschwichtigend und beruhigend, sondern auch hier und heute kann es richtig rund gehen in unserer Kirche, wenn der Sturm des Heiligen Geistes Bestehendes durcheinander wirbelt und wenn die Feuersglut des Heiligen Geistes von Menschen Erbautes niederbrennt.
Ich persönlich mache mich schon lange darauf gefasst, dass wir mittendrin sind in einer stürmischen Zeit.
Und ich hoffe darauf, dass sich in diesem Sturm – der sich durchaus auch auf manche von uns beängstigend auswirkt – der Heilige Geist selber am Werk ist.

Vielleicht zerstört der Heilige Geist sogar unsere ganzen bisherigen Sicherheiten und Zufluchtsorte und drängt uns, das sichere Umfeld zu verlassen und hinaus zu gehen, in die Welt, in die Sorgenwelten der Menschen, in die Angst und Not dieser Zeit.

Vielleicht ist es gerade das stürmische Wirken des Heiligen Geistes, das uns eine neue, eine andere Sprache, finden lässt in dieser Welt und für diese Welt.

Bild von Gordon Johnson auf Pixabay

Denn das ist für mich das Tröstliche des heutigen Tages: Feuer und Sturm können als Bedrohung erfahren werden, aber sie setzen etwas frei – Energie und Engagement. Sie setzen in uns Fähigkeiten frei, die wir bislang zu wenig oder gar nicht mehr genutzt haben, nämlich zum Beispiel, wieder zu lernen, die Sprache der Menschen um uns herum zu sprechen und nicht in unserem kirchlichen Jargon zu bleiben, den – außer uns – sowieso keiner mehr versteht.

Das Tröstliche für mich ist, dass diese neue Sprache offenbar von den Menschen verstanden wird und sie selbst am meisten darüber erstaunt sind, dass sie uns (wieder) verstehen! Denn: geglaubt haben sie es eigentlich nimmer mehr, dass die Christen in der heutigen Zeit der Welt noch etwas mitzuteilen und zu geben haben.

Tröstlich für mich ist auch, dass aus einer bedrohlichen Kraft die Menschen spüren, dass dahinter etwas sehr Konstruktives und Kreatives steckt, nämlich die Schöpferkraft des Heiligen Geistes.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns von dieser Kraft des Heiligen Geistes vertrauensvoll anstecken lassen und darauf vertrauen, dass das Pfingstereignis damals in Jerusalem kein einmaliges Pfingstwunder war.
Es kann und – daran glaube ich ganz fest – es wird auch heute in unserer Zeit wieder geschehen.
Lassen wir es zu und hindern wir den Heiligen Geist nicht, das göttliche Werk zu vollenden.