Fast jede und jeder von uns hat schon mal vom „Knigge“ gehört – einer Sammlung alter Benimmregeln, die 1788 von Adolph Freiherr Knigge in seinem Buch „Über den Umgang mit Menschen“ veröffentlicht wurde. Viele Ratschläge daraus wirken heute überholt: Wer hält sich noch an steife Tischmanieren oder die genaue Reihenfolge beim Händegeben? Doch die grundlegende Frage bleibt aktuell: Wie begegnen wir einander, damit menschliche Begegnungen gelingen kann?
Im Evangelium schickt Jesus 72 Menschenzu zweit aus – seine „Arbeiter im Weinberg des Herrn“. Er weiß, dass er nicht allein überall hingehen kann, um seine Botschaft zu verkünden. Deshalb delegiert er diese Aufgabe an andere. Delegation bedeutet hier nicht nur, sich Arbeit vom Hals zu schaffen, sondern Vertrauen zu schenken und Kompetenz anzuerkennen: Jesus vertraut darauf, dass diese zweiundsiebzig genau so wichtig und fähig sind wie er selbst. Das ist eine Grundhaltung, die wir uns heute auch gerade in unserer Kirche mehr bewusst werden dürfen!
Denn: Warum ist echte Delegation heute so wichtig?
Praktische Notwendigkeit. Kein Einzelner kann ewig und überall wirken.
Gemeinschaft stärken. Wer Verantwortung teilt, zeigt: Einander zu vertrauen ist Teil unseres Glaubens.
Vielfalt der Begabungen. Jeder bringt verschiedene Fähigkeiten mit, die gemeinsam mehr bewirken als einsame Anstrengung.
Auch in unserer Kirche müssen wir heute immer wieder neu überlegen:
Welche Aufgaben gebe ich weiter?
Wo vertraue ich anderen, statt alles allein machen zu wollen?
Und wie tragen wir so gemeinsam die Botschaft, dass Jesus Liebe, Frieden und Hoffnung ist?
Am Ende der traditionellen lateinischen Messe klingt der Satz „Ite, missa est!“ – „Geht, ihr seid gesendet!“ – wie ein Echo der Worte Jesu damals. Diese Sendung betrifft nicht nur Priester oder Hauptamtliche, sondern uns alle: Was können wir in unserem Alltag weitersagen und -leben?
Jesus zeigt uns vier Grundhaltungen für unseren Weg auf:
Leichtes Gepäck. Lass los, was dich daran hindert, aufmerksam zu sein: alte Sorgen, falsche Erwartungen, übertriebene Gewohnheiten.
Friedfertigkeit. Beginne jede Begegnung mit einem Wort des Friedens: „Der Friede sei mit dir!“ Diese Geste schenkt Hoffnung und öffnet Herzen.
Vertrauen. Als Gast vertraust du darauf, dass dein Gegenüber dir Gutes tun will. Genauso kannst auch du Vertrauen schenken – indem du zuhörst, teilst und dich einlässt.
Beständigkeit. Bleib an einem Ort, in Beziehungen, in Projekten – auch wenn es anstrengend wird. Echter Zusammenhalt entsteht durch Geduld und Ausdauer.
Der „Knigge“ lehrte uns zwar höfliches Benehmen, aber Jesus zeigt uns, dass es im Kern um viel mehr geht: um Vertrauen, gemeinsames Tragen von Verantwortung und eine Haltung des Friedens. Wenn wir „ausgesendet“ werden, tragen wir diese Haltungen in unseren Alltag – in Familie, Freundeskreis, Nachbarschaft und darüber hinaus.
So ist das heutige Evangelium mehr als eine alte Benimmregel. Sie ist eine lebendige Einladung zu echter Menschlichkeit, in der es auch Raum für die Verkündigung der Frohen Botschaft gibt.
Heute stehen wir am See von Tiberias. Hier treffen menschliches Bemühen und Gottes Kraft auf besondere Weise zusammen.
Die Jünger sind nach einer langen, anstrengenden Nacht aufs Wasser hinausgefahren. Sie haben gefischt – und nichts gefangen. Ihre Netze bleiben leer. Ihre Hände sind müde, ihre Hoffnungen enttäuscht.
Am Ufer aber steht Jesus. Er sagt nur: „Werft das Netz auf der rechten Seite aus!“ (Joh 21,6) Dieses eine Wort ändert alles. Die Jünger folgen, und plötzlich ziehen sie so viele Fische ins Boot, dass das Netz fast reißt. Aus Leere wird Fülle, aus Mühe Überfluss.
Ähnlich geht es uns oft: Wir arbeiten hart und sehen keinen Erfolg. Dann kann ein einziger Hinweis von außen uns eine neue Perspektive geben. Wir merken, dass wir nicht allein kämpfen. Das Netz, das wir auswerfen, ist ein Bild dafür, wie wir mit Jesus zusammenarbeiten – auch wenn es uns seltsam vorkommt.
Nach diesem reichen Fang wendet sich Jesus an Simon Petrus. Er fragt ihn dreimal: „Liebst du mich?“ (Joh 21,15–17) Dreimal erklingt die Frage – fast wie ein Echo auf Petrus’ dreimaliges Verleugnen.
Doch hier geht es nicht um Schuld, sondern um Heilung und Nähe.
So auch in dem Film „Die zwei Päpste“ aus dem Jahr 2019 mit Anthony Hopkins als Papst Benedikt und Jonathan Pryce als Kardinal Bergoglio, dem späteren Papst Franziskus. Dort begegnen sich Papst Benedikt XVI. und Kardinal Bergoglio. In einem eindrücklichen Gespräch sprechen sie über Schuld, Sünde und Vergebung – vor dem Hintergrund des Versagens der Kirche auch im Umgang mit sexuellem Missbrauch. Besonders bewegend ist Bergoglios Einsicht, dass Sünde mehr ist als ein Fleck, der sich einfach abwischen lässt. Er sagt:
„Sünden sind keine Flecken, die man einfach entfernt, sondern Wunden; sie müssen geheilt werden.“
Diese Worte führen uns mitten in das Herz unseres Glaubens: Wahre Heilung beginnt dort, wo wir Schuld nicht verdrängen, sondern sie ansehen, anerkennen – und heilen lassen.
Dies geschieht heute im Evangelium mit Petrus.
Diese Szene im heutigen Evangelium zeigt uns noch ein anderes:
Nachfolge ist keine einmalige Entscheidung.
Jedes „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe“ lässt Petrus sein Herz neu entdecken. In jeder Wiederholung spürt er, wie seine Liebe zu Jesus wächst. Und immer wieder hört er den Auftrag: „Weide meine Schafe.“
Unser Weg führt immer wieder ans Ufer – zu unseren leeren Netzen: wir sehen keinen Erfolg, in unserem Bemühen der Nachfolge. Aber jedes Mal, wenn wir auf Jesus hören und unser Netz ein zweites, drittes Mal auswerfen, kann unser Leben neuen Sinn und neue Fülle bekommen.
Auch wir haben Phasen, in denen unsere Netze leer bleiben: in Freundschaften, in Projekten, in unserem Glauben. Vielleicht erinnert uns dann eine kleine Stimme daran, wie Gott uns schon einmal geholfen hat. Vielleicht war es ein Wort, das uns neuen Mut gab, oder ein Moment, in dem wir Trost spürten.
Wenn wir ohne großen Plan aber mit offenem Herzen unser Netz erneut auswerfen, merken wir oft: Gehorsam im Glauben ist manchmal schwer, kann aber auch befreiend sein.
Die gute Nachricht durchdringt unser Leben. Sie füllt unsere leeren Räume und schenkt Überfluss.
So lädt uns die Geschichte am See und das Gespräch zwischen Jesus und Petrus ein, nicht an unserem Scheitern festzuhalten. Vielmehr dürfen wir offen sein für Jesu behutsames Fragen und seine sanfte Führung. In dieser Offenheit liegt Lebendigkeit. Sie verbindet uns mit Christus – und untereinander. Gemeinsam werfen wir unser Netz aus – um den Reichtum Gottes immer wieder neu zu entdecken.
Was Weise, Sterndeuter, Magier und Könige uns lehren (könnten) …?
Es wird erzählt, dass die Männer, die in der Bibel beschrieben werden, Magier, Weise oder Sterndeuter waren. Manche sagen sogar, sie waren Könige. Wir sprechen gerne von den „heiligen drei Königen“, dabei ist in der Bibel ihre Zahl gar nicht erwähnt. Diese Männer machten sich jedenfalls – so die Bibel – von weit her auf den Weg nach Betlehem, um den „neugeborenen König“ zu suchen – und fanden das Baby Jesus.
Aber wer waren diese Männer wirklich? Waren sie Sterndeuter oder Könige? Das passt nicht so ganz zusammen. Vielleicht waren sie Sterndeuter und Weise, denn Weise sind kluge und gebildete Menschen.
Magier, wie wir sie heute als Illusionskünstler kennen (zum Beispiel Siegfried & Royoder die ‚Ehrlich Brothers‘), waren sie wahrscheinlich nicht.
Das Wort „Magier“ kommt aus dem Griechischen (mágos). Es wurde früher für Zauberer oder Sterndeuter benutzt, besonders aber für Priester aus der Religion der Zoroastrier, die ursprünglich auf den medischen Priesterstamm der Mager zurückging.
Manche glauben, die Männer kamen aus verschiedenen Teilen der Welt. Aber in der Bibel steht, dass sie „in ihr Land“ zurückkehrten. Hätten sie nicht „in ihre Länder“ zurückkehren müssen, wenn sie aus verschiedenen Regionen kamen? Oder ist das nur eine sprachliche Ungenauigkeit?
Auch wird gesagt, dass sie aus unterschiedlichen Altersgruppen stammten. Doch wie konnten sie dann ein gemeinsames Grab haben?
Solche Fragen bringen uns nicht wirklich weiter, wenn wir überlegen, was dieses Ereignis für unseren Glauben bedeutet.
Die Bibel erzählt, dass die Männer nicht zum jüdischen Kulturkreis gehörten, aber eine besondere Botschaft erkannten. Diese Botschaft sahen sie in einem Stern. Sie machten sich auf den Weg, obwohl es eine lange und schwierige Reise war.
Am Anfang ihrer Reise stand eine Hoffnung.
Das bringt mich zu den Fragen: • Welche Hoffnung würde mich dazu bringen, eine schwierige Reise zu beginnen? • Was wäre mir so wichtig, dass ich Mühe und Anstrengung dafür in Kauf nehmen würde? • Bin ich jemand, der den Glauben lieber bequem lebt? • Oder bin ich bereit, auch Unbequemes für meinen Glauben zu tun?
Neulich hörte ich von einer Familienfeier, bei der jemand schlecht über Menschen mit Migrationshintergrund sprach.
Oft vermeiden wir bei solchen Anlässen Streit, um die Stimmung nicht zu verderben. Aber ist das richtig?
Der christliche Glaube fordert uns auf, für das einzustehen, was wir als richtig erkennen, auch wenn es schwierig ist. In der Bibel steht: „Verkündet Gottes Botschaft, egal ob es den Leuten gefällt oder nicht!“ (2. Timotheus 4,2).
Mit der Zeit wird mir immer klarer: Meine Lebenszeit ist zu kostbar, um einfach falschen Konventionen zu folgen. Wenn bei einer Feier Fremdenfeindlichkeit verbreitet wird, kann es wichtig sein, dagegen zu sprechen – auch wenn das die Harmonie stört. Das kann ein Zeichen setzen und andere ermutigen, in Zukunft bewusster zu überlegen, was sie sagen. Jesus sagte: „Denkt nicht, ich bringe Frieden, sondern Kampf!“ (Matthäus 10,34). Das bedeutet, dass der Glaube manchmal unbequem ist und uns herausfordert. Er fordert uns auf, eine Haltung einzunehmen und unseren Weg zu gehen, auch wenn er schwierig ist.
Wer diesen Weg geht, kann in Jesus ein Licht finden – das Licht von Betlehem. Es ist ein Licht, das uns Mut gibt, auch unbequeme Wege zu beginnen und zu gehen.
Ein Lied aus meiner Jugendzeit heißt es sinngemäß: … Wer geht den Weg, der die Mühe lohnt? Den Weg wollen wir gehen … den langen, steinigen und unbequemen Weg, der sich der Mühe lohnt…
Was wäre, wenn die Weisen aus dem Morgenland für uns zur Motivation würden, ebenfalls unbequeme Wege zu gehen, wenn am Ziel eine Verheißung wartet, die unserem Leben Sinn schenken möchte?!
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Zu Christus führen …
Transformation, Umstrukturierung, Wandel … alles Begriffe, die zur Zeit auch in den Kirchen große Aktualität genießen. Doch bei all dem darf der Kern allen seelsorglichen Tuns nicht aus dem Blick geraten.
Manche Tagesordnung von Gremien in Pfarreien ähneln einer Vorstandssitzung von großen Unternehmen. Da gibt es viele Punkte organisatorischer Art, die auf strukturelle Veränderungen in unserer Kirche und in unseren Pfarreien hinweisen. Es wird viel diskutiert, vielleicht sogar gestritten. Manchmal ist die Stimmung echt mies. Frust setzt ein. Manche verlassen mitunter frustriert die Gremien oder werden lethargisch und gehen in die Passivität. Und dann geht es oft auch ums Geld!
Meine Sorge ist, dass das Wesentliche, der Kern all unseres kirchlichen Lebens und auch die Frage, nach dem Wie und Warum unseres seelsorglichen Tuns dabei immer mehr in den Hintergrund rückt:
Seelsorge heißt, Menschen zu unterstützen, einen Weg zu Christus zu finden!
Im Neuen Testament gibt es unzählige Stellen, die uns einladen, auf die Worte Christi zu hören, uns von ihnen inspirieren zu lassen und sich ihm anzuschließen.
Bild: Gerd Wittka, 2024, mittels KI erstellt
„Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“ –
durch solche und andere Worte lädt Christus uns immer wieder neu ein, seine Nähe zu suchen. Er möchte uns Freund sein. Er hat „Worte des ewigen Lebens“ für uns.
Wo findet sich diese Einladung Christi an uns Menschen in unserer Seelsorge wieder?! Wo nehmen wir uns die Zeit, diese Frage ins Zentrum unserer seelsorglichen Überlegungen zu stellen?
Je älter ich werde und je bewusster ich die Veränderungen in unseren Gesellschaften wahrnehme, um so stärker habe ich den Eindruck, dass jene, die sich Christ:innen nennen, intensiver um ihre Christusfreundschaft bemühen müssen.
Als Seelsorgende, ob hautberuflich oder ehrenamtlich, kommt es uns zu, den Menschen Hilfen und Angebote zu machen, damit wir alle unsere Christusfreundschaft reaktivieren oder vertiefen können.
Kassenloses Einkaufen …
… und die Zukunft der Kirche
Heute sah ich einen TV-Bericht, wie in einem deutschen Bahnhof ein Pilotprojekt läuft. Es geht um ein kleines Geschäft, in dem die Kund:innen kassenlos einkaufen können. Wer sich zuvor über eine Smartphone-App registriert hat, bekommt den Zugang zum Laden und kann sich seine Ware einfach so in die eigene mitgebrachte Tasche stecken. Wenn dann alles ‚gekauft‘ wurde, verlässt die Kundin/der Kunde einfach den Laden, ohne sichtbar zu bezahlen. Die Erfassung der gekauften Ware erfolgt über Kameras und die Bezahlung online und bargeldlos.
Dieser Bericht endete dann jedoch mit einem gegenteiligen Beispiel:
In einer Kleinstadt gibt es einen Supermarkt, in dem es eine ‚Plauder-Kasse‘ gibt. Hier können sich Kund:innen nach alter Tante-Emma-Laden-Sitte einen Plausch mit der Kassiererin gönnen, ohne dass gleich andere Kund:innen dahinter stehen und nervös werden. Denn: wer sich an diese Kasse stellt, darf (und muss) sich zwangsläufig etwas mehr Zeit lassen (wollen). Hier wird der persönliche Kund:innen-Kontakt groß geschrieben.
Vorbild für heutige Kirche?
Und was haben diese Shopping-Beispiele nun mit der Kirche zu tun? – Soll die Kirche der Zukunft etwa so eine Art ‚Selbstbedienungsladen‘ sein? (Manche haben schon seit vielen Jahren die ‚Sorge‘, dass das passieren könnte. Ob die Sorge aber berechtigt ist, ist noch nicht beantwortet.)
Ich erkenne an diesen Shopping-Beispielen etwas, was durchaus auf die Kirche übertragen werden kann.
Denn: die Menschen in der Kirche sind keine homogene Gruppe. Die Menschen kommen mit unterschiedlichen Biographien und Glaubenserfahrungen in unser kirchliches Leben (wenn sie denn noch kommen!). Und sie haben auch unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse, gerade was die spirituelle Dimension ihres Lebens angeht.
Manche sind wie die Kund:innen in diesem kassenlosen Laden. Sie sind registrierte Mitglieder und in bestimmten Phasen ihres Lebensweges kommen sie an diesem kassenlosen Geschäft vorbei und denken sich: „Ach, da kann ich ja noch etwas Proviant für meine Reise mitnehmen. Aber ich will das buchstäblich im Vorbeigehen und auch ohne großen Aufhebens erledigen!“ Für solche Menschen ist dieses kassenlose Geschäft sicherlich situativ die richtige Lösung, um ihre Anliegen und Bedürfnisse zu ihrem Recht kommen zu lassen. Ähnliche Ansprüche und Bedürfnisse finden wir auch bei vielen Menschen, die die Angebote unserer Kirche nutzen wollen.
Und dann gibt es jene, die verbinden mit dem Shopping (um im obigen Beispiel zu bleiben) viel persönliche Begegnung und auch den Austausch mit anderen. Sie wollen nicht anonymisiert durch den Laden ‚cruisen‘. Sie möchten wahrgenommen werden; vielleicht schon von Anfang an am Eingang persönlich begrüßt werden. Und sie möchten Ansprechpartner:innen haben, wenn sie ein bestimmtes Produkt suchen, es aber nicht finden. Am Ende möchten sie auch nicht so stickum den Laden verlassen. Sie möchten sich bis zum Ende begleitet wissen durch menschlichen Kontakt, der sich nicht auf das rein Formale beschränkt, sondern zu einem Ort der persönlichen Begegnung und Beziehung wird.
Es ist ein Leichtes, dieses letzte Beispiel auf die Bedürfnisse vieler Menschen zu übertragen, die die Dienste der Kirche nicht nur gelegentlich in Anspruch nehmen wollen. Wir persönlich kennen viele von denen, die ihr Glaubensleben in und mit der Kirche als ein ganzheitliches Geschehen verstehen, dass auch sehr persönlich ist. Sie verbinden das kirchliche Leben mit einer sehr persönlichen Beziehungserfahrung, wo ihnen buchstäblich „An-sehen verschafft“ wird durch Menschen und nicht durch seelenlose Scan- und Überwachungskameras!
Kirche als Dienstleisterin
Bei diesem Schlagwort werden sicherlich einige Katholik:innen zusammen zucken! Kirche ist doch keine Dienstleisterin, sagen sie. Kirche sie eine Gemeinschaft von Menschen, die an Jesus Christus glauben! Theoretisch und theologisch haben sie Recht!
Doch was nützt eine solche formale Gemeinschaft, wenn Menschen sie nicht als Gemeinschaft erleben und erfahren, sondern eigentlich nur als eine Institution oder Organisation, noch dazu, die Aussagen macht, die ihr persönliches Leben ziemlich direkt betrifft?!
Ich habe zunehmend die Sorge, dass unsere Kirche mehr und mehr gefährdet ist, menschlich apathisch zu sein!
Dabei brauchen wir gar nicht auf die Spitze der Kirche in Rom oder auch auf Bistumsleitungen zu zeigen. Bereits bei uns in den Pfarreien liegt das Problem. Ich könnte hier sehr konkrete Beispiele aus der Nähe nennen. Ein wichtiges Thema ist z.B. das Thema ‚Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit in der Pfarrei‘, weitere Themenkomplexe wären die Behandlung von Themen, die eine Alltagsrelevanz für die Menschen betreffen, wie:
‚Sexualität und Glaube‘,
medizin-ethische Fragen bei existentiellen Behinderungen, Erkrankungen oder am Lebensende,
geistliche Begleitung von Einzelpersonen,
Förderung geistlicher oder gemeinschaftsstiftender Initiativen,
moralische Verantwortungsübernahme zur Gestaltung von Gesellschaft und Staat
Integrationsförderung von Menschen unterschiedlicher Ethnien, Religionszugehörigkeiten oder Weltanschauungen in das lokale Lebensumfeld,
sozial-caritatives Engagement im Stadtteil …
Stattdessen:
Wir machen und tun, organisieren und veranstalten: doch all das wirkt ritualisiert und vielleicht sogar hohl, wenn etwas nicht mehr im Zentrum unseres kirchlichen Lebens steht:
Der Mensch als Individuum mit seinen eigenen und sehr persönlichen Ansprüchen, Erwartungen und auch existentiellen geistlichen Sehnsüchten, die einher gehen mit ganz elementaren menschlichen Bedürfnissen.
Erinnern wir uns noch an die Worte Jesu, wenn Menschen zu ihm kamen und ihn um Hilfe und Heilung baten?
„Was willst DU, das ich DIR tue?“ (vgl. Lk 18,41)
Diese Frage muss auch zur Leitfrage all unseres kirchlichen Lebens und Handelns werden. Sonst kann kirchliches Leben in einer zunehmenden säkularen Gesellschaft weder Sauerteig noch Salz der Erde sein.
Bilder – wenn nicht näher angegeben: www.pixabay.com
Nachtrag:
Aus gegebenem Anlass und angesichts der erschreckenden Meldung über die noch nie dagewesene Austrittswelle in unserer katholischen Kirche möchte ich hier meine Einleitung zum sonntäglichen Gottesdienst widergeben.
Warum sind wir heute eigentlich hier? Die Nachrichten der letzten Tage über die nie da gewesene Austrittswelle aus der katholischen Kirche lässt diese Frage berechtigt erscheinen!
Warum bin ich heute hier? Was suche ich, im Gottesdienst und in der Gemeinschaft hier?
Benedikt beschreibt als wichtigste Voraussetzung zur Aufnahme in den Orden, dass der Bewerber „Gottsuchender“ sein muss, nicht mehr aber auch nicht weniger.
Gott zu suchen, sich von ihm für unseren Alltag inspirieren zu lassen, kann eine Grund sein, warum wir trotzdem hier und nicht „eigentlich noch hier“ sind.
Gerd Wittka, Einleitung zur Eucharistiefeier am 13. Sonntag im Jahreskreis – A – 2023