3. Sonntag der Osterzeit

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Leere -> Fülle – Versagen -> Heilung

Impuls zu Johannes 21, 1-19

Heute stehen wir am See von Tiberias.
Hier treffen menschliches Bemühen und Gottes Kraft auf besondere Weise zusammen.

Die Jünger sind nach einer langen, anstrengenden Nacht aufs Wasser hinausgefahren.
Sie haben gefischt – und nichts gefangen.
Ihre Netze bleiben leer.
Ihre Hände sind müde, ihre Hoffnungen enttäuscht.

Am Ufer aber steht Jesus.
Er sagt nur: „Werft das Netz auf der rechten Seite aus!“ (Joh 21,6)
Dieses eine Wort ändert alles.
Die Jünger folgen, und plötzlich ziehen sie so viele Fische ins Boot, dass das Netz fast reißt.
Aus Leere wird Fülle, aus Mühe Überfluss.

Ähnlich geht es uns oft: Wir arbeiten hart und sehen keinen Erfolg.
Dann kann ein einziger Hinweis von außen uns eine neue Perspektive geben.
Wir merken, dass wir nicht allein kämpfen.
Das Netz, das wir auswerfen, ist ein Bild dafür, wie wir mit Jesus zusammenarbeiten – auch wenn es uns seltsam vorkommt.

Nach diesem reichen Fang wendet sich Jesus an Simon Petrus.
Er fragt ihn dreimal: „Liebst du mich?“ (Joh 21,15–17)
Dreimal erklingt die Frage – fast wie ein Echo auf Petrus’ dreimaliges Verleugnen.

Doch hier geht es nicht um Schuld, sondern um Heilung und Nähe.

So auch in dem Film „Die zwei Päpste“ aus dem Jahr 2019 mit Anthony Hopkins als Papst Benedikt und Jonathan Pryce als Kardinal Bergoglio, dem späteren Papst Franziskus.
Dort begegnen sich Papst Benedikt XVI. und Kardinal Bergoglio.
In einem eindrücklichen Gespräch sprechen sie über Schuld, Sünde und Vergebung – vor dem Hintergrund des Versagens der Kirche auch im Umgang mit sexuellem Missbrauch.
Besonders bewegend ist Bergoglios Einsicht, dass Sünde mehr ist als ein Fleck, der sich einfach abwischen lässt. Er sagt:

„Sünden sind keine Flecken, die man einfach entfernt, sondern Wunden; sie müssen geheilt werden.“

Diese Worte führen uns mitten in das Herz unseres Glaubens: Wahre Heilung beginnt dort, wo wir Schuld nicht verdrängen, sondern sie ansehen, anerkennen – und heilen lassen.

Dies geschieht heute im Evangelium mit Petrus.


Diese Szene im heutigen Evangelium zeigt uns noch ein anderes:

Nachfolge ist keine einmalige Entscheidung.

Jedes „Ja, Herr, du weißt, dass ich dich liebe“ lässt Petrus sein Herz neu entdecken.
In jeder Wiederholung spürt er, wie seine Liebe zu Jesus wächst.
Und immer wieder hört er den Auftrag: „Weide meine Schafe.“

Unser Weg führt immer wieder ans Ufer – zu unseren leeren Netzen: wir sehen keinen Erfolg, in unserem Bemühen der Nachfolge.
Aber jedes Mal, wenn wir auf Jesus hören und unser Netz ein zweites, drittes Mal auswerfen, kann unser Leben neuen Sinn und neue Fülle bekommen.

Auch wir haben Phasen, in denen unsere Netze leer bleiben: in Freundschaften, in Projekten, in unserem Glauben.
Vielleicht erinnert uns dann eine kleine Stimme daran, wie Gott uns schon einmal geholfen hat.
Vielleicht war es ein Wort, das uns neuen Mut gab, oder ein Moment, in dem wir Trost spürten.

Wenn wir ohne großen Plan aber mit offenem Herzen unser Netz erneut auswerfen, merken wir oft: Gehorsam im Glauben ist manchmal schwer, kann aber auch befreiend sein.

Die gute Nachricht durchdringt unser Leben.
Sie füllt unsere leeren Räume und schenkt Überfluss.

So lädt uns die Geschichte am See und das Gespräch zwischen Jesus und Petrus ein, nicht an unserem Scheitern festzuhalten.
Vielmehr dürfen wir offen sein für Jesu behutsames Fragen und seine sanfte Führung.
In dieser Offenheit liegt Lebendigkeit.
Sie verbindet uns mit Christus – und untereinander.
Gemeinsam werfen wir unser Netz aus – um den Reichtum Gottes immer wieder neu zu entdecken.

„Jesus lebt!“ – Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay



Epiphanie 2025

Was Weise, Sterndeuter, Magier und Könige uns lehren (könnten) …?

Es wird erzählt, dass die Männer, die in der Bibel beschrieben werden, Magier, Weise oder Sterndeuter waren.
Manche sagen sogar, sie waren Könige.
Wir sprechen gerne von den „heiligen drei Königen“, dabei ist in der Bibel ihre Zahl gar nicht erwähnt.
Diese Männer machten sich jedenfalls – so die Bibel – von weit her auf den Weg nach Betlehem, um den „neugeborenen König“ zu suchen – und fanden das Baby Jesus.

Aber wer waren diese Männer wirklich?
Waren sie Sterndeuter oder Könige?
Das passt nicht so ganz zusammen.
Vielleicht waren sie Sterndeuter und Weise, denn Weise sind kluge und gebildete Menschen.

Magier, wie wir sie heute als Illusionskünstler kennen (zum Beispiel Siegfried & Roy oder die ‚Ehrlich Brothers‘), waren sie wahrscheinlich nicht.

Das Wort „Magier“ kommt aus dem Griechischen (mágos).
Es wurde früher für Zauberer oder Sterndeuter benutzt, besonders aber für Priester aus der Religion der Zoroastrier, die ursprünglich auf den medischen Priesterstamm der Mager zurückging.

Manche glauben, die Männer kamen aus verschiedenen Teilen der Welt.
Aber in der Bibel steht, dass sie „in ihr Land“ zurückkehrten.
Hätten sie nicht „in ihre Länder“ zurückkehren müssen, wenn sie aus verschiedenen Regionen kamen?
Oder ist das nur eine sprachliche Ungenauigkeit?

Auch wird gesagt, dass sie aus unterschiedlichen Altersgruppen stammten.
Doch wie konnten sie dann ein gemeinsames Grab haben?

Solche Fragen bringen uns nicht wirklich weiter, wenn wir überlegen, was dieses Ereignis für unseren Glauben bedeutet.

Die Bibel erzählt, dass die Männer nicht zum jüdischen Kulturkreis gehörten, aber eine besondere Botschaft erkannten.
Diese Botschaft sahen sie in einem Stern.
Sie machten sich auf den Weg, obwohl es eine lange und schwierige Reise war.

Am Anfang ihrer Reise stand eine Hoffnung.

Neulich hörte ich von einer Familienfeier, bei der jemand schlecht über Menschen mit Migrationshintergrund sprach.

Oft vermeiden wir bei solchen Anlässen Streit, um die Stimmung nicht zu verderben.
Aber ist das richtig?

Der christliche Glaube fordert uns auf, für das einzustehen, was wir als richtig erkennen, auch wenn es schwierig ist.
In der Bibel steht: „Verkündet Gottes Botschaft, egal ob es den Leuten gefällt oder nicht!“ (2. Timotheus 4,2).

Mit der Zeit wird mir immer klarer: Meine Lebenszeit ist zu kostbar, um einfach falschen Konventionen zu folgen.
Wenn bei einer Feier Fremdenfeindlichkeit verbreitet wird, kann es wichtig sein, dagegen zu sprechen – auch wenn das die Harmonie stört.
Das kann ein Zeichen setzen und andere ermutigen, in Zukunft bewusster zu überlegen, was sie sagen.
Jesus sagte: „Denkt nicht, ich bringe Frieden, sondern Kampf!“ (Matthäus 10,34).
Das bedeutet, dass der Glaube manchmal unbequem ist und uns herausfordert.
Er fordert uns auf, eine Haltung einzunehmen und unseren Weg zu gehen, auch wenn er schwierig ist.

Wer diesen Weg geht, kann in Jesus ein Licht finden – das Licht von Betlehem.
Es ist ein Licht, das uns Mut gibt, auch unbequeme Wege zu beginnen und zu gehen.

Ein Lied aus meiner Jugendzeit heißt es sinngemäß:
… Wer geht den Weg, der die Mühe lohnt?
Den Weg wollen wir gehen …

den langen, steinigen und unbequemen Weg, der sich der Mühe lohnt…

Was wäre, wenn die Weisen aus dem Morgenland für uns zur Motivation würden, ebenfalls unbequeme Wege zu gehen, wenn am Ziel eine Verheißung wartet, die unserem Leben Sinn schenken möchte?!


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Zu Christus führen …

Transformation, Umstrukturierung, Wandel …
alles Begriffe, die zur Zeit auch in den Kirchen große Aktualität genießen.
Doch bei all dem darf der Kern allen seelsorglichen Tuns nicht aus dem Blick geraten.



Manche Tagesordnung von Gremien in Pfarreien ähneln einer Vorstandssitzung von großen Unternehmen.
Da gibt es viele Punkte organisatorischer Art, die auf strukturelle Veränderungen in unserer Kirche und in unseren Pfarreien hinweisen.
Es wird viel diskutiert, vielleicht sogar gestritten. Manchmal ist die Stimmung echt mies. Frust setzt ein. Manche verlassen mitunter frustriert die Gremien oder werden lethargisch und gehen in die Passivität.
Und dann geht es oft auch ums Geld!

Meine Sorge ist, dass das Wesentliche, der Kern all unseres kirchlichen Lebens und auch die Frage, nach dem Wie und Warum unseres seelsorglichen Tuns dabei immer mehr in den Hintergrund rückt:

Seelsorge heißt, Menschen zu unterstützen, einen Weg zu Christus zu finden!

Im Neuen Testament gibt es unzählige Stellen, die uns einladen, auf die Worte Christi zu hören, uns von ihnen inspirieren zu lassen und sich ihm anzuschließen.

Bild: Gerd Wittka, 2024, mittels KI erstellt

„Kommt zu mir, die ihr mühselig und beladen seid“

durch solche und andere Worte lädt Christus uns immer wieder neu ein, seine Nähe zu suchen. Er möchte uns Freund sein. Er hat „Worte des ewigen Lebens“ für uns.

Wo findet sich diese Einladung Christi an uns Menschen in unserer Seelsorge wieder?!
Wo nehmen wir uns die Zeit, diese Frage ins Zentrum unserer seelsorglichen Überlegungen zu stellen?

Je älter ich werde und je bewusster ich die Veränderungen in unseren Gesellschaften wahrnehme, um so stärker habe ich den Eindruck, dass jene, die sich Christ:innen nennen, intensiver um ihre Christusfreundschaft bemühen müssen.

Als Seelsorgende, ob hautberuflich oder ehrenamtlich, kommt es uns zu, den Menschen Hilfen und Angebote zu machen, damit wir alle unsere Christusfreundschaft reaktivieren oder vertiefen können.




Kassenloses Einkaufen …

… und die Zukunft der Kirche

Heute sah ich einen TV-Bericht, wie in einem deutschen Bahnhof ein Pilotprojekt läuft.
Es geht um ein kleines Geschäft, in dem die Kund:innen kassenlos einkaufen können.
Wer sich zuvor über eine Smartphone-App registriert hat, bekommt den Zugang zum Laden und kann sich seine Ware einfach so in die eigene mitgebrachte Tasche stecken.
Wenn dann alles ‚gekauft‘ wurde, verlässt die Kundin/der Kunde einfach den Laden, ohne sichtbar zu bezahlen.
Die Erfassung der gekauften Ware erfolgt über Kameras und die Bezahlung online und bargeldlos.

Dieser Bericht endete dann jedoch mit einem gegenteiligen Beispiel:

In einer Kleinstadt gibt es einen Supermarkt, in dem es eine ‚Plauder-Kasse‘ gibt.
Hier können sich Kund:innen nach alter Tante-Emma-Laden-Sitte einen Plausch mit der Kassiererin gönnen, ohne dass gleich andere Kund:innen dahinter stehen und nervös werden.
Denn: wer sich an diese Kasse stellt, darf (und muss) sich zwangsläufig etwas mehr Zeit lassen (wollen). Hier wird der persönliche Kund:innen-Kontakt groß geschrieben.

Vorbild für heutige Kirche?

Und was haben diese Shopping-Beispiele nun mit der Kirche zu tun? – Soll die Kirche der Zukunft etwa so eine Art ‚Selbstbedienungsladen‘ sein? (Manche haben schon seit vielen Jahren die ‚Sorge‘, dass das passieren könnte. Ob die Sorge aber berechtigt ist, ist noch nicht beantwortet.)

Ich erkenne an diesen Shopping-Beispielen etwas, was durchaus auf die Kirche übertragen werden kann.

Denn: die Menschen in der Kirche sind keine homogene Gruppe.
Die Menschen kommen mit unterschiedlichen Biographien und Glaubenserfahrungen in unser kirchliches Leben (wenn sie denn noch kommen!).
Und sie haben auch unterschiedliche Ansprüche und Bedürfnisse, gerade was die spirituelle Dimension ihres Lebens angeht.

Manche sind wie die Kund:innen in diesem kassenlosen Laden.
Sie sind registrierte Mitglieder und in bestimmten Phasen ihres Lebensweges kommen sie an diesem kassenlosen Geschäft vorbei und denken sich: „Ach, da kann ich ja noch etwas Proviant für meine Reise mitnehmen. Aber ich will das buchstäblich im Vorbeigehen und auch ohne großen Aufhebens erledigen!“
Für solche Menschen ist dieses kassenlose Geschäft sicherlich situativ die richtige Lösung, um ihre Anliegen und Bedürfnisse zu ihrem Recht kommen zu lassen.
Ähnliche Ansprüche und Bedürfnisse finden wir auch bei vielen Menschen, die die Angebote unserer Kirche nutzen wollen.

Und dann gibt es jene, die verbinden mit dem Shopping (um im obigen Beispiel zu bleiben) viel persönliche Begegnung und auch den Austausch mit anderen.
Sie wollen nicht anonymisiert durch den Laden ‚cruisen‘.
Sie möchten wahrgenommen werden; vielleicht schon von Anfang an am Eingang persönlich begrüßt werden.
Und sie möchten Ansprechpartner:innen haben, wenn sie ein bestimmtes Produkt suchen, es aber nicht finden.
Am Ende möchten sie auch nicht so stickum den Laden verlassen.
Sie möchten sich bis zum Ende begleitet wissen durch menschlichen Kontakt, der sich nicht auf das rein Formale beschränkt, sondern zu einem Ort der persönlichen Begegnung und Beziehung wird.

Es ist ein Leichtes, dieses letzte Beispiel auf die Bedürfnisse vieler Menschen zu übertragen, die die Dienste der Kirche nicht nur gelegentlich in Anspruch nehmen wollen.
Wir persönlich kennen viele von denen, die ihr Glaubensleben in und mit der Kirche als ein ganzheitliches Geschehen verstehen, dass auch sehr persönlich ist.
Sie verbinden das kirchliche Leben mit einer sehr persönlichen Beziehungserfahrung, wo ihnen buchstäblich „An-sehen verschafft“ wird durch Menschen und nicht durch seelenlose Scan- und Überwachungskameras!

Kirche als Dienstleisterin

Bei diesem Schlagwort werden sicherlich einige Katholik:innen zusammen zucken! Kirche ist doch keine Dienstleisterin, sagen sie.
Kirche sie eine Gemeinschaft von Menschen, die an Jesus Christus glauben!
Theoretisch und theologisch haben sie Recht!

Doch was nützt eine solche formale Gemeinschaft, wenn Menschen sie nicht als Gemeinschaft erleben und erfahren, sondern eigentlich nur als eine Institution oder Organisation, noch dazu, die Aussagen macht, die ihr persönliches Leben ziemlich direkt betrifft?!

‚modern man‘, Bild von Dimitris Vetsikas auf Pixabay

Ich habe zunehmend die Sorge, dass unsere Kirche mehr und mehr gefährdet ist, menschlich apathisch zu sein!

Dabei brauchen wir gar nicht auf die Spitze der Kirche in Rom oder auch auf Bistumsleitungen zu zeigen. Bereits bei uns in den Pfarreien liegt das Problem.
Ich könnte hier sehr konkrete Beispiele aus der Nähe nennen.
Ein wichtiges Thema ist z.B. das Thema ‚Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit in der Pfarrei‘, weitere Themenkomplexe wären die Behandlung von Themen, die eine Alltagsrelevanz für die Menschen betreffen, wie:

  • ‚Sexualität und Glaube‘,
  • medizin-ethische Fragen bei existentiellen Behinderungen, Erkrankungen oder am Lebensende,
  • geistliche Begleitung von Einzelpersonen,
  • Förderung geistlicher oder gemeinschaftsstiftender Initiativen,
  • moralische Verantwortungsübernahme zur Gestaltung von Gesellschaft und Staat
  • Integrationsförderung von Menschen unterschiedlicher Ethnien, Religionszugehörigkeiten oder Weltanschauungen in das lokale Lebensumfeld,
  • sozial-caritatives Engagement im Stadtteil …

Stattdessen:

Wir machen und tun, organisieren und veranstalten:
doch all das wirkt ritualisiert und vielleicht sogar hohl, wenn etwas nicht mehr im Zentrum unseres kirchlichen Lebens steht:

Der Mensch als Individuum mit seinen eigenen und sehr persönlichen Ansprüchen,
Erwartungen und auch existentiellen geistlichen Sehnsüchten,
die einher gehen mit ganz elementaren menschlichen Bedürfnissen.

Erinnern wir uns noch an die Worte Jesu, wenn Menschen zu ihm kamen und ihn um Hilfe und Heilung baten?

„Was willst DU, das ich DIR tue?“ (vgl. Lk 18,41)

Diese Frage muss auch zur Leitfrage all unseres kirchlichen Lebens und Handelns werden.
Sonst kann kirchliches Leben in einer zunehmenden säkularen Gesellschaft weder Sauerteig noch Salz der Erde sein.


Bilder – wenn nicht näher angegeben: www.pixabay.com


Nachtrag:

Aus gegebenem Anlass und angesichts der erschreckenden Meldung über die noch nie dagewesene Austrittswelle in unserer katholischen Kirche möchte ich hier meine Einleitung zum sonntäglichen Gottesdienst widergeben.

Warum sind wir heute eigentlich hier?
Die Nachrichten der letzten Tage über die nie da gewesene Austrittswelle aus der katholischen Kirche lässt diese Frage berechtigt erscheinen!

Warum bin ich heute hier? Was suche ich, im Gottesdienst und in der Gemeinschaft hier?

Benedikt beschreibt als wichtigste Voraussetzung zur Aufnahme in den Orden, dass der Bewerber „Gottsuchender“ sein muss, nicht mehr aber auch nicht weniger.

Gott zu suchen, sich von ihm für unseren Alltag inspirieren zu lassen, kann eine Grund sein, warum wir trotzdem hier und nicht „eigentlich noch hier“ sind.

Gerd Wittka, Einleitung zur Eucharistiefeier am 13. Sonntag im Jahreskreis – A – 2023




Braucht es noch Erntehelfer:innen im Acker Gottes?

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Am 14. Sonntag (2./3.7.2022) hören wir im Evangelium von der Aufforderung Jesu, für Erntehelfer:innen im Acker Gottes zu beten. Doch ist dieses Gebet überhaupt noch nötig in der gegenwärtigen Zeit der Kirche und angesichts massiver Kirchenaustritte?
Dazu meine Predigt an diesem Sonntag, die ich hier etwas mehr mit konkreten Beispielen ‚unterfüttert‘ habe.




„Zeitenwende“ – so nennt Olaf Scholz das, was in mir Erinnerungen der 1970er und 80er Jahre hervorruft: Strategie der Abschreckung, NATO-Doppelbeschluss, Kalter Krieg, Angst vor einem Atomkrieg…

Viele von uns, die wir hier heute sitzen, dürften diese Begriffe bekannt sein.

Diejenigen, denen diese Begriffe nichts mehr sagen, fehlen zumeist auch heute hier in der Kirche, denn auch in unserer Kirche leben wir seit einigen Jahren in einer Zeitenwende. Jüngere Menschen erreichen wir an unseren ‚Pastoralen Standorten‘, wie wir es heute nennen, nur noch sehr schwer.

Erst vor wenigen Tagen kam die Meldung, dass weniger als 50% der Bevölkerung in Deutschland einer der beiden großen Kirchen (römisch-katholisch oder evangelisch) angehören.

Innerhalb unserer eigenen Kirche in Deutschland gibt es eine große Unruhe und viel Bewegung. Wir erleben in unserer Kirche eine historische Phase, die zuletzt wohl nur mit der Zeit der Reformation verglichen werden kann.

Mit einem Unterschied: damals gehörten fast alle Menschen in Deutschland zu einer christlichen Kirche, wenn sie nicht zum Judentum gehörten.

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Wenn wir die aktuellen Kirchenaustrittszahlen sehen, stellen Viele als erstes die Frage, wie das gestoppt werden kann?!

Eine fatale Frage, weil sie versucht, das Pferd von hinten aufzuzäumen. Viel wichtiger scheint mir, erst einmal zu schauen, warum die Menschen aus der Kirche austreten!

Denn, die schwindende Akzeptanz der Kirche(n) ist Folge einer zunehmenden Bedeutungslosigkeit der Kirchen.

Es wäre ein Irrtum, daraus auf eine zunehmende Bedeutungslosigkeit des Glaubens oder des Religiösen zu schließen.

Im Gegenteil: heute suchen die Menschen mehr denn je nach religiösen Angeboten. Die Esoterik hat seit vielen Jahren großen Zulauf.

Ich denke oft, die Menschen sind nicht weniger religiös, sondern weniger kirchlich geworden.

Woran kann das liegen?

Eine vollständige Analyse lässt sich hier nicht liefern.

Aber ich möchte einen Aspekt mal heraus greifen, der symptomatisch für die Situation in unserer Kirche ist.

Wir setzen oft amtskirchliche Lehraussagen mit Glauben gleich. Doch das ist ein Irrtum!

Kritiker, die die heutige Reformbewegungen (z.B. Synodaler Weg) in unserer Kirche ablehnen, sind sehr schnell mit Äußerungen bei der Hand, dass man sich von den Glaubenswahrheiten entferne, die in unserer Kirche gelten.

Dabei geht es den Menschen heute gar nicht um diese Glaubenswahrheiten, sondern es geht ihnen um ihren Glauben, um ihre eigene und persönliche Religiösität.

Ob sie zur Geltung kommen kann, entscheidet oft darüber, ob Menschen in der Kirche bleiben oder nicht. Oder anders ausgedrückt: ob die Menschen in unserer Kirche eine religiöse Heimat finden, ist das oft das Entscheidende, nicht, ob sie den Aussagen des Lehramtes zustimmen.

Vor einigen Tagen habe ich begonnen, ein kleines Büchlein zu lesen. Es trägt den Titel: „Wie werde ich ein Christ?“ – Es gibt auszugsweise Texte des christlichen Philosophen Sören Kierkegaard (aus Dänemark) wider.

Sören Kierkegaard um 1840.
Bild: gemeinfrei

„Was mir eigentlich fehlt, ist, dass ich mit mir selbst ins reine darüber komme, was ich tun soll, nicht darüber, was ich erkennen soll. (…) Es kommt darauf an, meine Bestimmung zu verstehen, zu sehen, was die Gottheit eigentlich will, das ich tun solle; es gilt, eine Wahrheit zu finden, die Wahrheit für mich ist, die Idee zu finden, für die ich leben und sterben will. Und was nützte es mir dazu, wenn ich eine sogenannte objektive Wahrheit ausfindig machte; wenn ich mich durch die Systeme der Philosophen hindurcharbeitete (…)
was nützte es mir, dass ich die Bedeutung des Christentums entwickeln und viele einzelne Erscheinungen erklären könnte, wenn es für mich selbst und mein Leben keine tiefere Bedeutung hätte?…“

„Wie werde ich ein Christ – Sören Kierkegaard – Texte vom Glauben, Präsenzverlag 2013, S. 29f. *1

Sören Kierkegaard unterscheidet hier ganz deutlich zwischen religiösen Wahrheiten und einem persönlichen Glauben, der für das ganz persönliche und individuelle Leben bedeutsam ist.

Und genau an dieser Stelle bricht Kirchlichkeit und persönliche Religiosität heutzutage auseinander.

Und in ihrer persönlichen Religiosität sind die Menschen auch heute immer noch Suchende.

Diese Suche nach Gott ist übrigens schon für Benedikt von Nursia das entscheidende Kriterium dafür, zu entscheiden, ob Anwärter in ein Kloster aufgenommen werden können. Die Suche nach Gott geht nämlich einer Sehnsucht nach Gott voraus, die sich konkretisiert in religiösen Fragen und auch praktischem religiösen Tun.

Im Psalm 14 finden wir das Wort: „Der Herr blickt vom Himmel herab auf die Menschen, ob noch ein Verständiger da ist, der Gott sucht.“

Suchen wir also in unserer Kirche, in unseren Gemeinschaften, an unseren ‚Standorten kirchlichen Lebens‘ noch die Menschen, die Gott suchen?
Gehen wir dabei über die Kreise der Menschen hinaus, die sowieso immer noch zu uns kommen?

Hier deutet sich schon an: konkrete Nachfolge ist auch das Suchen und Aufsuchen der Menschen, die auf der Gottsuche sind.

Natürlich können wir dabei bei uns selber anfangen, aber wir dürfen dabei nicht stehen bleiben, dürfen keine Nabelschau betreiben.

Die eigene Gottsuche, aber auch die der anderen – teils unbekannten Menschen – ist die Suche nach der Bedeutung und Alltagstauglichkeit meines Glaubens, unseres Glaubens.

Wenn die Kirche und ihr Dienst für die Menschen nicht mehr für deren konkretes Leben bedeutsam sind, dann werden die Kirchen überflüssig und bedeutungslos.

Der französische Bischof Jaques Gaillot hat einmal den Satz getan: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!“

Eine Kirche also, die die Lebensrealitäten der Menschen nicht wahrnimmt oder sie sogar nach ihrer eigenen Doktrin umzumodeln versucht, ist fehl am Platze.

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Und da sind wir bei vielen konkreten Beispielen in unserer Gesellschaft.

Wenn es z.B.

  • um die Frage nach der Geschlechtergerechtigkeit geht,
  • wenn es darum geht, wie Menschen heute gut und sinnvoll leben könnten,
  • wenn Angst und Sorgen der Menschen auch Auswirkungen hat auf gegenseitige und gesellschaftliche Solidarität,
  • wenn Menschen versuchen, ihrer Geschlechtlichkeit auf die Spur zu kommen und merken, dass es nicht nur Mann und Frau gibt, sondern eine große biologische Vielfalt, die für betroffene Menschen zu einer echten Herausforderung wird, sich selber zu finden.*2
  • Wenn es darum geht, das Thema „sexualisierte Gewalt“ konkret vor Ort auch zu behandeln, also in unseren Gemeinschaften offen und ohne Tabus darüber zu sprechen und in der Breite die Verhinderung solcher Verbrechen zum Thema zu machen.
  • Wenn es darum geht, dass Menschen sich die Frage stellen, ob und wie lange sie sich dem unheilbaren Leiden am Leben und an einer Krankheit aussetzen müssen, ohne für sich entscheiden zu dürfen, wann es gut ist.

Allein diese letzte Frage, ist so brandaktuell und ich kann nicht sehen, dass wir uns in unseren kirchlichen Gemeinschaften vor Ort damit beschäftigen.
Dabei geht es überhaupt nicht zuerst um die Frage des „assistierten Suizids“, sondern schon allein um die Frage, ob wir Menschen zur Seite stehen, die durch passive Verhaltensweisen sagen: „Nun ist es genug!“ – Gemeint ist das sogenannte „Sterbefasten“. – Haben Sie schon mal etwas davon gehört?! – Nein?

Kurzer Exkurs zu „Sterbefasten“

Beim Sterbefasten geht es um ein Verhalten von alten und/oder kranken Menschen, die sich ähnlich – wie Eliah (s.u.!) – sagen: „Nun ist es genug!“ und durch bewussten Verzicht auf Nahrung und Trinken ihren Sterbeprozess unterstützen wollen. Für Zugehörige oft eine krasse Situation, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen, weil sie sich nicht die Frage gestellt haben, ob ein solches selbstbestimmtes Sterben auch ethisch und moralisch akzeptabel sein kann. Viel Leid entsteht durch eine solche Verunsicherung auf beiden Seiten.

Ich nenne nur ein Beispiel: eine demenzerkrankte Person verweigert bewusst die Aufnahme von Essen und Trinken. Ist es da wirklich ethisch und moralisch geboten, diese Person gegen ihren eigenen Willen über eine Magensonde mit Nahrung oder über eine Infusion mit Flüssigkeit zu versorgen?

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[1 Kön 19,4-5: Er selbst (Eliah) ging eine Tagereise weit in die Wüste hinein. Dort setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod. Er sagte: Nun ist es genug, Herr. Nimm mein Leben; denn ich bin nicht besser als meine Väter. Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.]

Selbst für den gottesfürchtigen Propheten Eliah gab es die Option, sein Leben durch Nahrungs- und Getränkeverweigerung ein Ende zu setzen. Allein der Hinweis Gottes, dass ER noch einen Auftrag für ihn habe, durchkreuzte Eliahs Pläne.

An dieser Stelle möchte ich keine voreilige ethische Bewertung zu diesem Themenkomplex vornehmen, sondern möchte dafür sensibilisieren, dass das konkrete Fragen und Herausforderungen heutiger Menschen mitten unter uns sind. Vielleicht stellen Sie sich sogar selber solche Fragen? Wo sind wir also als Kirche bei den Menschen und in solchen Fragestellungen?!


Bild von Manfred Antranias Zimmer auf Pixabay

Und so sehen wir, dass wir in unserem etablierten kirchlichen Leben oft nur Platz haben für ganz bestimmte Vorstellungen und Arten von kirchlichem Leben und Themen und die Frage nach der persönlichen Religiosität quasi keinen adäquaten Platz findet.

Wenn Jesus uns als heute uns also auffordert: „Bittet also den Herrn der Ernte, Arbeiter:innen für seine Ernte auszusenden!“ – dann müssen wir wohl gleichzeitig darum beten, dass wir die Augen dafür geöffnet bekommen, wo die Menschen um uns herum (uns selber eingeschlossen) nach Gott in ihrem Leben suchen und in ihrer konkreten Lebenssituation religiöse Fragen haben und Antworten suchen.


*1: Ursprüngliche Quelle:

Das Zitat stammt aus seinen Tagebüchern Band 1, S. 16f (Tagebucheintrag „Gilleleie, den 1. Aug. 1835“)

erschienen in: Sören Kierkegaard, Gesammelte Werke und Tagebücher, übersetzt und herausgegeben von Emanuel Hirsch, Hayo Gerdes und Hans Martin Junghans, Grevenberg Verlag Dr. Ruff & Co. OHG, Band 28: Die Tagebücher, Erster Band, Simmerath 2003.

*2 Mann-Frau-Schema ist nicht eindeutig.




Nadelöhr

Quelle: www.pixabay.com

Predigt zum Sonntagsevangelium vom 28. Sonntag 2021 – 09./10.10.2021

Liebe Schwestern und Brüder,
wenn wir fragen, wie wir „Freiheit“ umschreiben könnten, dann gibt es wahrscheinlich grob zwei Lager.

Die einen verstehen Freiheit als „Freiheit von …“ und die anderen verstehen Freiheit als „Freiheit für …“

Freiheit ist ein Thema, das mit dem heutigen Evangelium zu tun hat.



Keine Kapitalismus-Kritik

Ein Zitat aus dem heutigen Evangelium ist schon sprichwörtlich geworden: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr als dass ein Reicher in das Himmelreich kommt.“
Beim Verständnis dieser Schriftstelle ist Vorsicht geboten, um damit keinen Missbrauch zu betreiben:

Ich bin eher ein scharfer Kritiker eines enthemmten Kapitalismus; aber: diese Schriftstelle ist nicht für den antikapitalistischen Klassenkampf geeignet.

Ich möchte auch verdeutlichen, warum?

In diesem Evangelium geht es nur vordergründig um den Reichtum.
Die zentrale Frage ist die Frage nach der Nachfolge und wie sie (glaubwürdig) gelingen kann?

In diesem Fall gerät Jesus an einen reichen Jüngling, den die Botschaft Jesu im Herzen erreicht hat und der gerne Jesus auf dem Weg der Nachfolge und zum ewigen Leben folgen möchte.

Dieses Evangelium hat schon seit der frühen Christenheit die Menschen heraus gefordert.
Nicht nur damals fragen die Jünger:innen Jesu, wer denn dann gerettet werden könne, auch spätere Generationen lässt diese Frage nicht los.
Der frühchristliche Kirchenschriftsteller Clemens von Alexandrien, der im 2./3. Jahrhundert lebte, greift diese Frage in einer kleinen Schrift auf: „Welcher Reiche wird gerettet werden?“.

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt!“ Mk 10, 25 – Foto: www.pixabay.com

Der Hintergrund ist: Alexandrien ist eine wohlhabende Metropole, viele Reiche und Superreiche der Antike leben und arbeiten hier. Darunter auch welche, die zum Christentum übergetreten sind.
Alexandrien war das, was heute vielleicht Essen-Kettwig oder Düsseldorf ist.
Die dortigen Christen fragen sich also angesichts ihres Reichtums und dem heutigen Evangelium, ob sie überhaupt eine Chance auf das ewige Leben haben.

Clemens spürt diese Unruhe und greift deshalb zum Griffel.
Clemens lässt sich in dieser Schrift von zwei Grundlagen leiten:

  1. Für Clemens ist Armut kein Wert an sich! Armut ist für ihn ein „Malum“ und gehört verhindert und bekämpft.
  2. Und Reichtum ist für Clemens ebenfalls kein „Malum“, also etwas Ungutes an sich.

Die alles entscheidende Frage für Clemens ist eher eine pragmatische Frage: Wie gehe ich mit dem Reichtum um? – Er bezieht sich dabei auch auf Schrifttexte, die uns dazu auffordern, uns Schätze im Himmel zu verschaffen, weil die irdischen Schätze doch nur vergänglich sind (vgl. Mt 6,20).

Clemens versucht also die Reichen seiner Zeit dazu zu ermutigen, sich zu fragen, wie sie mit Ihrem Reichtum verantwortlich und sozial umgehen können, auch gemäß der Frohen Botschaft.

Solche Haltung erinnert mich an reiche Persönlichkeiten in unserer Gesellschaft, die von sich aus und für Ihresgleichen fordern, dass sie vom Staat finanziell stärker in die Pflicht genommen werden; sie setzen sich also aus eigener Überzeugung für eine stärkere Besteuerung der Reichen in unserer Gesellschaft ein.

Ich glaube, die Antwort auf die Frage, welcher Reiche gerettet werden kann, liegt in einer übertragenen Sicht auf das Thema „Reichtum“.

Frei für die Nachfolge

„Frei sein …“ – Quelle: www.pixabay.com

Schon sind wir wieder bei der Anfangsfrage nach der Freiheit.

Für manche bedeutet Freiheit = Freisein von. Für andere bedeutet Freiheit = Freisein für.

Hier sehe ich einen Schlüssel zum Verständnis dieses Evangeliums:

Nicht der Reichtum ist das Problem; sondern die Frage, ob Reichtum uns bindet, uns in bestimmte Zwänge drängt, uns dadurch unfrei macht, dem Evangelium zu folgen?

Mit diesem Zugang können wir von den materiell Reichen absehen und Reichtum einmal als das betrachten, was unser Leben „reich“ macht und uns zugleich daran hindern, dem Evangelium in unserem Leben Raum zu geben.
Wir können nur frei werden für das Evangelium, wenn wir uns frei machen von dem in unserem Leben, was uns hindert, uns immer wieder mit der Botschaft Jesu Christi zu beschäftigen und uns in den Geist des Evangeliums zu versenken.

Es geht also meines Erachtens darum, sich selber zu prüfen, wo wir reich im Leben sind, etwas unser „eigen“ nennen, aber letztlich dadurch unfrei werden zur Nachfolge, um das ewige Leben zu gewinnen.




„Wollt auch ihr weggehen?!“

21. Sonntag im Jahreskreis – C – 2021

Ansprach zur Schriftstelle: Johannes 6,60-69

Liebe Schwestern und Brüder,

es würde mich sehr wundern, würden viele von uns, die wir das heutige Evangelium gehört haben, irgendwann nicht auch auf das Thema „Kirchenaustritt“ und die neuesten Entwicklungen kommen.

Wir könnten leicht versucht sein, dieses Evangelium oberflächlich und 1:1 auf die heutige Zeit zu übertragen.
Wir könnten leicht versucht sein, zu sagen: „Heute ist es ja nicht viel anders als damals. Auch heute verlassen Menschen die Kirche und wollen scheinbar nicht mehr mitgehen.“

Bild von Oliver Fuß auf Pixabay



Aber Vorsicht!
Vielleicht ist das genau zu kurz gedacht.

Schauen wir uns den Text etwas genauer an:
Da gibt es wieder diesen einen Satz, den wir als Schlüsselsatz verstehen dürfen, der uns die Vorzeichen benennt, unter denen wir diesen Text ent-schlüsseln müssen:
„Der Geist ist es, der lebendig macht. Das Fleisch nützt nichts!“

Damit spricht Jesus einen Punkt bei den Juden an, der mit der Frage zusammenhängt, wie ein Mensch Jude bzw. Jüdin wird.
Wesentlich und in erster Linie spielt da die Rolle, ob Mutter oder Vater jüdisch ist. Die Geburt, die Abstammung von den Eltern ist hier also primär maßgeblich. Durch die anschließende Beschneidung tritt ein Junge dann dieser Bundesgemeinschaft bei.

Es gibt also mehr oder weniger einen „Automatismus“ bei der Zugehörigkeit zum Judentum: die Geburt, also „das Fleisch“ ist maßgeblich.

Doch dieses Verständnis kratzt Jesus im heutigen Evangelium an. Nach ihm ist nicht die Herkunft für die Zugehörigkeit maßgeblich, sondern die Gesinnung, der Glaube und die damit einhergehende Entscheidung für den Glauben und für eine Nachfolge Christi.

Diese Tradition des ‚entschiedenen‘ Christen hat sich im Laufe der Kirchengeschichte verfestigt, auch wenn es Zeiten gab, wo der/die einzelne nicht zum Christentum übertrat, sondern: wenn der „pater familias“ zum christlichen Glauben übertrat, dann trat mit ihm „das ganze Haus“ zum christlichen Glauben über, also alle Familienangehörigen, selbst die Sklaven im Haus.

Beziehen wir das heutige Evangelium aber auf die Frage nach Kirchenaustritt und Zugehörigkeit zu Christus, dann lohnt sich ein genauerer Blick auf die Entwicklung in diesem Bereich.

Das veränderte Austritt-Szenario in der Kirche

Als ich vor über 25 Jahren Priester wurde, konnte man im großen und ganzen berechtigterweise die These vertreten: Wer aus der Kirche austritt, vollzieht damit nur den letzten Schritt. Vorausgegangen waren zumeist schon eine längere innere und äußere Loslösung von der Kirche und evtl. sogar auch vom christlichen Glauben.
Der Kirchenaustritt erschien damals zumeist als logischer Schritt einer inneren oder auch geistlichen Entfernung von christlichem Glauben und von der Kirche.
Für uns Seelsorger:innen hieß das auch zumeist: „Der Zug ist abgefahren!“. So schnell würde man diese Menschen nicht wieder zurück gewinnen können. Mit diesen Menschen müsste man den Glaubensweg wieder neu starten.

In den letzten Jahren können wir – auch unter dem Einfluss des Skandals über sexuellen Missbrauch in der Kirche und durch kirchliche Mitarbeitende und auch das starre hierarchische Handeln der Kirche – aber eine andere Entwicklung feststellen.
Menschen sind verärgert, frustriert und verletzt, wie unsere Kirche mit bestimmten Themen umgehen.
Darunter sind sogar Menschen, die sich bis zum eigentlichen Austritt teilweise persönlich und sehr engagiert in der Kirchengemeinde eingebracht haben, z.T. in verantwortlichen Aufgaben und Positionen in Gremien oder als Ehrenamtliche in der Verkündigung (Kommunionhelfer:innen, Lektor:innen, Messdiener:innen, ….).

So höre ich in letzter Zeit häufiger folgende oder ähnliche Statements: „Ich trete aus der Kirche aus, aber ich bleibe ‚katholisch‘!“ oder „Ich trete aus der Kirche aus, aber ich bleibe nach wie vor überzeugte/r Christ:in!“

Christ:in sein – ohne Kirche?

Ich will jetzt gar nicht die theologische Frage stellen zwischen überzeugtem Christentum und ‚Zugehörigkeit zur Kirche‘. Aber diese Beobachtungen lassen eine weitere Frage aufscheinen:

Bedeutet Zugehörigkeit zu Christus gleichzeitig Zugehörigkeit zur Kirche? Oder: kann ich auch als ausgetretene/r Katholik/in auch weiterhin katholisch und Christ:in sein?

Viele von denen, die formal aus der Kirche ausgetreten sind, beantworten diese Fragen sehr klar, entschieden und eindeutig mit: „Ja!“

Ich finde, dass ist ernst zu nehmen. Denn sie sagen damit: Mein Christsein und mein Kirchesein wird nicht in erster Linie geprägt von einer formalen Mitgliedschaft zu einer Kirche, zu der ich vielleicht sogar eher unfreiwillig, d.h. durch die Entscheidung der Eltern (also dem „Fleische nach“?) gekommen bin.
Mein Verständnis von Christsein und Kirchesein ist entscheidend von meiner eigenen Entscheidung her zu verstehen, also von dem, was meinem Geiste als freie Entscheidung entspringt.

Bild von Holger Schué auf Pixabay

Mir ist klar, dass manche Dogmatiker:innen jetzt heftig die Stirn runzeln werden. Aber das ist für mich zweitrangig.
Für mich ist viel wichtiger, diese Geisteshaltung dieser Menschen ernst zu nehmen, denn dahinter verbirgt sich was ganz Wertvolles: sie haben nicht abgeschlossen mit dem christlichen Glauben, sie haben nicht abgeschlossen mit der christlichen Gemeinschaft. Sie haben oft nur abgeschlossen mit einer organisatorischen Institution, die ihnen oft so widersinnig erscheint: widersinnig im Hinblick auf den christlichen Glauben.

Und: sie haben ihr Bekenntnis zu Jesus Christus dadurch erneuert.
Sie sagen damit: Christus und der Glaube an ihn und seine Botschaft spielen in meinem Leben weiterhin ein große Rolle. Die Worte Jesu und seine Botschaft sind für diese Menschen weiterhin „Geist und sind Leben“.
Ihr Leben würde ohne den christlichen Glauben, ohne die Zugehörigkeit zu Christus, ohne christliche Nachfolge, leer sein.

„walking to the sky“ – Bild von Zorro4 auf Pixabay

Sie antworten auf die Frage des Herrn: „Wollt auch ihr gehen!“ auch heute wieder: „Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Wortes des ewigen Lebens. Wir sind zum Glauben gekommen und haben erkannt: Du bist der Heilige Gottes.“

Wenn wir diesen Gedanken an uns heranlassen und ihn zulassen, dann wird aber zwangsläufig eine weitere Frage auftauchen:

Wie ist es mit uns, die wir (noch) in der Kirche geblieben sind?
Wo sind wir (nur noch) „dem Fleische nach“ Christ:innen? Und wo und wie könnten wir mehr und bewusster „dem Geiste nach“ Christ:innen sein und glaubwürdiger werden; dem Geiste nach, der uns (wieder) lebendig macht?

Formales Christentum, formale Zugehörigkeit zur Kirche ist wertlos.

Dem Geiste nach zu Christus zu gehören ist wesentlich, ob als Mitglied der Kirche oder nicht (mehr).




Welttag der geistlichen Berufe – Predigt

Bayerischer Rundfunk – Meldung:
08.05.2019, 15:26 Uhr
„Papst: Keine schnelle Entscheidung beim Diakonat der Frau
Eine schnelle Entscheidung zur Einführung eines Frauendiakonats in der Katholischen Kirche wird es so bald nicht geben. Das bestätigte Franziskus auf dem Rückflug von seiner dreitägigen Balkan-Reise gegenüber mitreisenden Journalisten.
Die von ihm eingesetzte Kommission, die seit zweieinhalb Jahren den kirchengeschichtlichen Hintergrund aufklären sollte, habe ihre Arbeit beendet, sei aber nicht in allen wichtigen Punkten zu einer einheitlichen Sichtweise gekommen….“

(zitiert nach: https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/papst-katholische-frauen-werden-nicht-so-bald-diakonin,RPrXJi4 )

Bild von Andrys Stienstra auf Pixabay

Liebe Schwestern und Brüder,

ich sehe schon wieder die enttäuschten Gesichter derer vor mir, die sich möglichst schnell und kurzfristig eine Entscheidung des Papstes für das Diakonenamt der Frau in unserer Kirche gewünscht hätten.

Die Frage nach der Zulassung zum Weiheamt in unserer Kirche wird seit Jahrzehnten diskutiert und hat durch das „Basta“ von Papst Johannes Paul II. nur eine kurzfristige Abschwächung erlebt.
Aber in den letzten Monaten brandet dieses Diskussion wieder auf. Und selbst Bischöfe kommen aus ihren Büschen und wagen vorsichtig zustimmende Äußerungen in den Fragen, sei es die Zulassung von verheirateten Männern zum Priesteramt oder die Abschaffung des Pflicht-Zölibates oder die Zulassung der Frauen zu Diakonen- und sogar Priesteramt.



Und ja, ich wäre einer der Ersten mit, der sich über Veränderungen in diesem Bereich freuen würde. Ich würde mich über verheiratete Priester genauso freuen wie über Frauen im Diakoninnen- und Priesterinnen-Amt.
Ich bin aber nicht dafür, nur weil wir „so wenig Priesternachwuchs“ haben.

Diese „5.-Rad-am-Wagen-Mentalität“ in unserer Kirche muss aufhören. Das habe ich schon damals kritisiert, als es um die Frage der Messdienerinnen ging und das kritisiere ich auch heute wieder.

Was ist das für eine Haltung?! – Damit wird keine grundsätzliche Wertschätzung zum Ausdruck gebracht!

Apropos ‚Wertschätzung‘!
Die Frage nach der mangelnden Wertschätzung dürfen wir auch für andere kirchlichen Ämter in den Blick nehmen.
Noch immer gilt der Dienst eines Priesters – sei es bei Taufe, Trauung oder Beerdigung – mehr als der Dienst eines Diakons oder einer Gemeindereferentin oder eines Pastoralreferenten.

Noch immer gibt es Menschen, die die Kommunion in der Eucharistie lieber ‚aus der Hand eines Priesters‘ als aus der Hand einer Kommunionhelferin empfangen.
Da muss man sich doch an den Kopf fassen:
Geht es etwa um meine – diese – Hände hier?
Oder geht es um den Herrn, der in der Form des geweihten Brotes uns allen in die Hände gegeben wird und der zu uns allen gleichermaßen kommen will?!

Wir können also nicht nur eine mangelnde Wertschätzung ‚von oben‘ sondern auch ‚von unten‘ erkennen und beklagen.

Dabei gibt es so viele gute und kompetente Kolleginnen und Kollegen in den verschiedensten Diensten und kirchlichen Berufen, deren Einsatz ich nicht missen möchte, die ich sehr schätze und die ich als eine unschätzbare Bereicherung empfinde.
Aber die Frage nach den Zulassung zu den Weihämtern oder die Frage, welche Aufgaben auch Kolleginnen und Kollegen im Verkündigungsdienst ohne Weihe übernehmen können, ist doch nicht alles entscheidend.

Ich denke da an so manche Situation, in der jemand beklagte, dass die Zahlen der Priester immer weiter zurück gehe.
Im Gegenzug frage ich dann meistens: „Wieviele Priester sind denn aus Ihrer Familie hervorgegangen?“ oder: „Welcher Ihrer Söhne interessiert sich denn für den Priesterberuf?“

Sie können es sich denken: da ist dann meistens Schweigen-im-Walde!

Und genau das ist es, was mich seit Jahren umtreibt:
Wie sieht es bei uns in der Gemeinde, in der Pfarrei aus mit der Atmosphäre, in der geistliche Berufungen wachsen, gefördert und erkannt werden können?

Wie sieht es damit aus, zu begreifen, unter welchen erschwerten Bedingungen heute sich jemand zum priesterlichen Dienst entscheiden muss?

Vor fünfundzwanzig Jahren, als ich zum Priester geweiht wurde, sahen meine Perspektiven noch ganz anders aus.
Hätte ich damals gewusst, was heute auf mich und uns allen im Verkündigungsdienst zugekommen ist, ich hätte meine Entscheidung von ganz anderen Faktoren und Überlegungen abhängig machen müssen.
Das heißt aber nicht, dass ich mich nicht wieder dazu entschieden hätte.

Heute glaube ich; ich hätte mich wieder dazu entschieden.

Und ich möchte Ihnen auch sagen warum:
• Nicht, weil die Kirche ein so toller Arbeitgeber ist;
• nicht, weil es mir die Menschen in den verschiedenen Gemeinden immer so leicht gemacht haben (wobei es viele gab, die mich gestärkt haben), …

… sondern allein weil ich damals eine Berufung von Christus her gespürt habe und von der ich mich auch heute – mal mehr und mal weniger – getragen fühle.

Heute, am Weltgebetstag um geistliche Berufungen, geht es für mich allein um die entscheidende Frage:

Wo und wie können Menschen heute noch gefördert, ermutigt und bestärkt werden, eine echte, lebendige, tiefgreifende Christusfreundschaft zu entwickeln?

Und allein daraus, wird dann der oder die Einzelne für sich erkennen, wohin ihr/sein Weg geht und wozu er/sie berufen ist:

  • ob zum Dienst in einem Weiheamt oder
  • zu einem Leben im Orden oder
  • zum Verkündigungsdienst ohne Weihe
    aber auch
  • zu einem ehrenamtlichen Dienst der Verkündigung und der Gemeindeleitung und nicht zuletzt auch
  • zu einem Leben in einer christlichen Partnerschaft oder Familie.

Eine liebe Kollegin, eine Gemeindereferentin in der Krankenhaus-Seelsorge, hat in einem geistlichen Wort zu den Pfarrnachrichten ihrer Pfarrei an diesem Sonntag geschrieben:

„Es gilt, füreinander zu sorgen und beim Anderen Fähigkeiten und Talente zu entdecken. In unserem Alltag mit Hektik und Lärm fällt es uns nicht immer leicht, Christus und seinen Ruf zu vernehmen. Eher in der Stille sind wir empfänglich für die Frage: Was ist der Ruf an mich?
Die Berufung des Menschen ist ein Geheimnis, das in der Tiefe seiner Person verborgen ist. Jugendliche und Kinder und auch wir Erwachsene brauchen Offenheit und Vertrauen und sogenannte Türöffner, die uns zum Beispiel in einem Gespräch helfen, den Sinn und die uns gestellte Lebensaufgabe (neu) zu entdecken, die Aufgabe, die uns „voll macht“, damit wir „Leben in Fülle“ haben.“

(aus: Dorothea Bertz, Ruf- Beruf – Berufung, Pfarrnachrichten St. Marien, Oberhausen, Nr. 9/2019 vom 12.05.2019)

Sie hat – meiner Meinung nach – so Recht!