Verstehen

Mit dem 1. Adventssonntag beginnt ein neues Jahr, ein neues ‚Kirchenjahr‘.
Im Unterschied zum weltlichen Jahr, das vom 01.01. bis zum 31.12. andauert, beginnt das ‚Kirchenjahr‘ mit dem 1. Adventssonntag und endet am Samstag nach dem Christ-König-Sonntag (katholisch) resp. dem Ewigkeitssonntag (Totensonntag – evangelisch).

Im kirchlichen Verständnis gibt es also offenbar eine andere ‚Logik‘, als der, die sich nach Jahreszeiten oder Sonnenständen richtet.

Wie ist aber die Logik des Kirchenjahres?
Ich möchte es so formulieren:

Ich will es an zwei Punkten verdeutlichen:

  1. Christkönig-Sonntag
    Die Texte des Christkönigs-Sonntags sind von der Wiederkunft Christi am Ende aller Zeiten bestimmt.
    Dieses Ende bedeutet nach christlichem Verständnis nicht das Ende, sondern die Vollendung der ganzen Schöpfung und die Vollendung des Heils, das Gott den Menschen und seiner ganzen Schöpfung verheißen hat.
    Das Ende des Kirchenjahres lässt unseren Blick also nach vorne richten, wenn man „den Menschensohn in Wolken kommen sehen“ (Mk 13, 24ff.) wird, „mit großer Kraft und Herrlichkeit“ und ER die Engel aussenden wird „und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen“ wird. (vgl. ebd.)
  2. Beginn der Adventszeit
    Ebenso sind die Lesungstexte am Beginn der Adventszeit von der Endzeiterwartung her geprägt.
    Eigentlich verstehen wir die Adventszeit als eine reine Vorbereitungszeit auf Weihnachten hin. Aber das stimmt so eigentlich nicht. Denn die ersten Tage und Wochen der Adventszeit richten mit ihren Lesungen unseren Blick ebenso auf die Endzeit, in der alles vollendet werden wird.
    So lautet der Evangelientext des 1. Adventssonntag im Lesejahr C, das am 1. Adventssonntag 2024 beginnt, wie folgt:
    „Dann wird man den Menschensohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe.“ (Lk 21, 27f.)

An beiden Sonntagen wird deutlich, dass die Logik des Kirchenjahres nicht der Logik des weltlichen Jahres folgt.
Denn die Logik des christlichen Glaubens lässt sich nur vom Ende her verstehen.
Und dieses Ende ist eigentlich – so paradox es scheinen mag – kein Schlusspunkt, sondern ein nie endender Höhepunkt des ganzen Schöpfungswerkes Gottes, nämlich die Vollendung der ganzen Schöpfung durch Jesus Christus.

Jetzt wird es aber noch etwas komplizierter, da nach christlichem Verständnis die Vollendung der Schöpfung nicht ein ungewisser Zeitpunkt irgendwann in naher oder ferner Zukunft ist, sondern diese Vollendung der Schöpfung reicht von der Zukunft her schon zurück in unsere jetzige Gegenwart, wenn Christus davon spricht, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist.
So heißt es im Lukas-Evangelium Kapitel 17 Vers 21:
„Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. …“

Deswegen spreche ich auch lieber von der Vollendung der Schöpfung am Ende aller Zeiten.


Wer dieses Thema vertiefen möchte, dem empfehle ich folgende Seite:
Leben von der Vollendung her. Eschatologische Hoffnung für diese Welt.


Wenn wir also jetzt die Zeit des Advents beginnen, dann geht es nicht nur um die heimelige Vorbereitung auf das Weihnachtsfest, sondern dann geht es darum, unseren Blick zu weiten auf unsere letzte christliche Hoffnung hin, nämlich dass die ganze Schöpfung – die noch unvollendet ist und Zeichen dieser Unvollkommenheit zeigt im Kreislauf der Natur, im Werden und Vergehen, in Geburt und Tod, aber auch in den Widrigkeiten irdischer Existenz wie Krankheiten, Not, Gewalt, Krieg, … – peu à peu – eine Neuschöpfung erfährt.

Diese Neuschöpfung trägt in sich schon den Samen der Vollendung und deren zarte Pflanze der Vollendung ist bereits angefangen zu wachsen, aber dieses Wachstum ist noch nicht beendet.

Ich möchte dir heute dieses Bild zum besseren Verständnis anbieten:

Bild von Barbara auf Pixabay

Dieses Bild zeigt das Ensō (japanisch 円相 Kreis), ein Symbol aus der japanischen Kalligraphie, welches in enger Verbindung mit dem Zen-Buddhismus steht.

Man kann auf diesem Bild sehr gut den Schaffensweg erkennen: ein Kreis wird gezogen bis zur Vollendung.
Unser christliches Verständnis von Vollendung der Schöpfung ist quasi wie das Malen dieses Kreise.
Es beginnt mit einem bestimmten Zeitpunkt und entsteht unter der Führung des Pinsels, nimmt immer mehr Kontur und Form an, ist aber noch nicht vollendet.
Wenn es dann zu Ende gebracht ist, geht das Ende des letzten Pinselstriches über in den Anfang und es entsteht ein Kreis, ein Symbol, das weder Anfang noch Ende kennt.

Bild von Anna Varsányi auf Pixabay

Vielleicht ist deshalb der Adventskranz mit seiner Kreisform das etwas bessere Symbol für den Advent.
Der kreisrunde Adventskranz zeigt damit die Hoffnung auf diese Vollendung an, die schon begonnen hat und in deren Vollendungsprozess wir mitten drin stecken … mit dem Blick in eine Zukunft, wo diese Vollendung abgeschlossen sein wird.

Um so den Advent zu begehen, braucht es schon Mut und die Bereitschaft, den christlichen Glauben zu vertiefen.
Dazu lädt uns diese Adventszeit wieder ein.

Ich wünsche dir und euch – so verstanden – eine gesegnete Adventszeit!




Neues Jahr – neues Glück ?!

Die große Sorge vieler Sozialwissenschaftler:innen zu Weihnachten ist, dass das Weihnachtsfest mit viel zu vielen und zum Teil unerfüllbaren Erwartungen verknüpft wird.
Dies führt nicht selten dann zumindest zu Enttäuschungen, manchmal sogar zu Frust und Krach und Streit in den Familien.
Am Ende bleibt ein schales Gefühl von einem Fest zurück, dass eigentlich ein ‚Fest der Familie‘ und ein ‚Fest der Liebe‘ gewesen sein sollte.

Quelle: Bild von klimkin auf Pixabay

Von unerfüllten Erwartungen

Das Problem ist nicht, dass dieses Fest mit Erwartungen verknüpft wurde.
Das Problem ist, dass dieses Fest mitunter mit zu vielen und/oder unerfüllbaren Erwartungen verbunden wird.

Was glauben Sie, was eine Lösung dafür wäre? —

In wenigen Tagen begehen wir den Übergang von diesem Jahr in das Jahr 2022.
Auch am Silvesterabend wird es gegen Mitternacht wieder viele gute Wünsche geben.
Und mit vielen Erwartungen wird man in das neue Jahr gehen.
Unerfüllte Wünsche und Sehnsüchte aus 2021 werden in 2022 übertragen. Damit verbindet sich die Hoffnung oder Sehnsucht, dass doch wenigstens in diesem neuen Jahr diese Wünsche wahr werden sollten.

Auch haben manche von uns ganz konkrete Vorstellungen vom neuen Jahr. Da werden Lebensziele in den Blick genommen; ob im persönlichen oder im beruflichen Bereich.
Erwartet wird, dass bestimmte Lebensphasen beendet und abgeschlossen und andere neu beginnen werden.

Man wünscht und hofft und sehnt sich nach etwas Bestimmtem für sich oder auch für andere.

Dieser Augenblick, wenn wir uns gegenseitig viel Gutes für das neue Jahr wünschen, ist für mich ein ganz besonderer Augenblick am Jahreswechsel.

Das ‚Neue‘ scheint so unverbraucht, so frei und offen zu sein: alles könnte möglich werden.

Und ja: alles kann möglich werden – aber nicht nur das Gute, sondern auch das, was wir uns vielleicht nicht wünschen und vorstellen.

Ich glaube, wir sind weise, wenn wir das bei all den guten Wünsche zum Jahreswechsel im Hinterkopf behalten.
Wünschen können wir uns Vieles, sogar alles. Aber ob es sich erfüllt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Und was wird dann am Ende des nächsten Jahres stehen: Enttäuschung, Frust, Resignation?!

Wir können uns vieles wünschen, was aber vielleicht nicht in Erfüllung gehen kann.

Aber wir können auch vieles dafür tun, dass wir am Ende eines Jahres nicht enttäuscht oder gar resigniert sind.

Quelle: Bild von h kama auf Pixabay

Stets neu und offen

Schon seit Jahren habe ich mich darum bemüht, diese Nacht von Silvester auf den 1. Januar zu relativieren und dies durch einen kleinen Trick, der gleichsam mein Bewusstsein umprogrammieren soll.

Ich stelle mir vor, dass die Nacht vom 31.12. auf den 1.1. eine Nacht wie jede andere ist.
Und wenn mit dem vermeintlich neuen Jahr ein ganz neues Kapitel im Buch meines Lebens aufgeschlagen werden soll mit vielen neuen und unbeschriebenen Seiten, dann ist jede Seite in diesem Kapitel ein einzelner Tag. So wird in jeder Nacht eine neue Seite in diesem Buch meines Lebens aufgeschlagen.

Und was für das Jahr als Ganzes gilt, gilt dann auch für jeden einzelnen Tag: er eröffnet mir was ganz Neues mit allen unzähligen Gelegenheiten, Chancen und Möglichkeiten – theoretisch.

Und diese Sichtweise verändert auch meinen Blick auf jeden einzelnen neuen Tag.

Jeder einzelne, neue Tag birgt in sich das Potential aller Chancen und Möglichkeiten meines Lebens.

( Gerd Wittka, 26.12.2021 )

Und ja: natürlich birgt jeder Tag damit auch das Potential aller Enttäuschungen meines Lebens.
Nur: morgen kann es schon wieder anders aussehen.

Diese Perspektive, dass jeder Tag (s)eine neue Chance hat, ermutigt mich dazu, auch jeden Tag als Einzigartigkeit zu sehen, wo Vieles möglich werden kann, aber wo auch Vieles ungenutzt geblieben sein kann.

Christliche Sicht

Nun kann man vielleicht fragen, wie ich das mit meinem christlichen Glauben überein bekomme?
Die Antwort ist ganz einfach: es ist die Botschaft der Umkehr und des Neuanfangs; letzthin die Botschaft der Auferstehung – Tag für Tag.

Im Wissen und im Glauben, dass mein Leben nicht unkorrigierbar ist, darf und kann ich jeden Tag als neue Chance begreifen;
eine Chance, die mich nicht kettet an meine Vergangenheit, sondern zu der ich durch Jesus Christus und meine Auferstehung befreit worden bin.

Ich finde, dieser Aspekt christlichen Glaubens wird in unserem Leben und in unserem Alltag viel zu wenig berücksichtigt.
Denn niemand von uns und auch unsere Zeit ist nicht unveränderlich und deterministisch festgelegt.
An jedem Tag und in jedem Augenblick wartet für uns die Gelegenheit, neu zu beginnen und anders zu leben, egal was uns das Leben zumutet.
Und wir können jeden Tag und jeden Augenblick auch neu unser Wünsche, Sehnsüchte und Erwartungen formulieren und an die gegenwärtigen Umstände anpassen.

So kann das, was gestern noch konkret an Erwartungen formuliert wurde, heute modifiziert werden und uns morgen davor schützen, dass wir übermorgen frustriert und resigniert auf das Vergangene zurück schauen.

Quelle: Bild von Tumisu auf Pixabay

Ich wünsche Ihnen und mir ein gutes, glückliches und gesegnetes neues Jahr 2022 mit vielen Sehnsüchten, Chancen, Möglichkeiten und erfüllten Erwartungen.