Von ‚unsichtbaren‘ Krankheiten (1)

Seit über 25 Jahren leide ich am Reizdarm-Syndrom und seit über sieben Monaten am Post-Covid-Syndrom: zwei unsichtbare Krankheiten …



Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

… die für viele unsichtbar sind, aber mein Leben dominieren können.


„Nur, wem man die Krankheit ansieht, ist auch krank!“

Dieser provokante Satz ist nicht meine Überzeugung, sondern – leider – eher meine Einsicht, zu der ich in den letzten Jahren gelangt bin und die sich durch mein momentanes Post-Covid noch verstärkt hat.
Deshalb will ich darüber schreiben.

Hier konkrete Beispiele:

Foto: Gerd Wittka, September 2013

Als ich 2013 im September einen schweren Unfall hatte, mir einen Trümmerbruch im Wadenbein und einen Spiralbruch im Unterschenkel zuzog, ich daran operiert wurde, drei Wochen im Krankenhaus lag und noch einige Monate brauchte, um durch Physiotherapie buchstäblich wieder auf die Beine zu kommen, da wurde diese ‚Krankheit‘ in meinem Umfeld akzeptiert. Ich bekam viele Rückmeldungen und auch gute Genesungswünsche.

Symbolbild, Bild von PublicDomainPictures auf Pixabay

Als ich Ende 2019/Anfang 2020 an einer depressiven Episode erkrankte und fast sieben Monate arbeitsunfähig war, sah es ganz anders aus.
Es gab nur wenige Menschen, die nach mir fragten, die mir gute Besserung gewünscht haben.
Selbst aus dem beruflichem Umfeld gab es nur wenige Kolleg:innen, die sich nach mir erkundigten und mich ermutigten.
Besonders enttäuschend war, dass sich mein damaliger ‚Dienstvorgesetzter‘ nie von sich selber aus nach mir erkundigt hatte. Und wenn ich ihm über meine Verlängerung der AU per Email informierte kam von ihm allenfalls eine knappe Email mit „Gute Besserung!“ oder ähnlichen Plattitüden zurück.
Heute bin ich froh und dem Himmel dankbar, dass er seinen Platz als ‚Dienstvorgesetzter‘ geräumt hat; sonst hätte ich meinen Platz verlassen und unseren Bischof um Versetzung gebeten.

Dabei denke ich: wenn jemand so viele Monate ausfällt und nicht arbeitsfähig ist, ist dieser Menschen dann weniger schwer krank, als wenn er sich Gliedmaßen gebrochen hat?!

Aus diesem Grund habe ich den provokanten Satz am Anfang dieses Absatzes gewählt.

Und diese ‚Erkenntnis‘ deckt sich mit den Erfahrungen vieler Menschen, die ich in den letzten vierzehn Jahren in einer psychiatrischen Klinik seelsorglich begleiten durfte.

Psychisch krank zu sein, dass müsse irgendetwas mit einer schwachen Persönlichkeit zu tun haben.
Oder sie wird als mangelnde ‚Belastbarkeit‘ verstanden, die als negative Persönlichkeitseigenschaft gewertet wird. Aber psychisch krank zu sein, sei doch keine ‚richtige‘ Krankheit, die ebenso viel Empathie, Fürsorge und menschlichen Beistand erfordert, wie wenn man körperlich krank ist.

„Da reißt man sich eben halt mehr zusammen!“, denn: „Es ist ja nicht nur alles schwarz-weiß, man muss nicht alles so negativ sehen!“ und „Man muss sich nur mal einen Ruck geben!“, weil „… andere es ja auch schwer haben ….!“

Von solchen oder ähnlichen – wenig hilfreichen – Sätzen wissen gerade psychisch erkrankte Menschen zuhauf zu berichten!

Für Manche sind psychische Erkrankungen halt eher eine Charakterschwäche als eine ‚echte Krankheit‘!

Das bringt psychisch erkrankten Menschen noch zusätzliche Belastungen und Leiden!

Phasenweise – sichtbar – krank

Zu diesen Krankheiten, die wenig sichtbar sind und deshalb auch weniger wahr- und ernstgenommen werden, sind Erkrankungen, wo die Krankheit nur phasenweise ’sichtbar‘ wird.

Mittlerweile darf ich mit zwei unterschiedlichen Erkrankungen diese Erfahrung machen.

Das eine ist meine Reizdarmerkrankung, die ich schon seit über 25 Jahren habe und die meinen Alltag massiv prägt.
Ich weiß nie, ob und wann ich wieder diese fürchterlichen Darmkrämpfe bekomme, die mich noch vor einigen Jahren teilweise einen halben Tag ins Bett getrieben haben, verbunden mit unkontrollierbaren Stuhlgängen, die ich unter Schmerzen auf dem WC erleben musste.
Und dann diese Angst, irgendwo unterwegs zu sein und dann dringend ‚Müssen‘ zu müssen, aber kein WC in der Nähe zu haben.
Die Angst, sich buchstäblich ‚in die Hose zu machen‘ und der psychische Stress, der daraus entsteht.
Damit verbunden, immer wieder Einladungen, Begegnungen oder Unternehmungen nicht wahrzunehmen, weil da immer diese Angst vor irgendwelchen ‚Zwischenfällen‘ mitschwingt.

Da nutzt es dann wenig, wenn ich zu denen gehöre, die immer sehr früh wissen, wo es ein ‚öffentliches WC‘ gibt oder der sogar schon Apps auf seinem Smartphone hat, die öffentliche WC’s anzeigen und der dann – selber bei solchen Toiletten angekommen und sie auch benutzt – ‚Erfahrungsberichte‘ in diesen Apps postet, damit andere Leidensgenoss:innen auch immer auf dem aktuellen Stand sind und ggfs. nicht vor verschlossenen Türen stehen.

Wenn andere von diesem Leiden etwas mitbekommen, dann belastet mich das maximal.
Denn dann sehen sie es meinem Gesicht an, wie ich versuche, mit den Schmerzen zurecht zu kommen; oder wie ich durch die Krämpfe gekrümmt auf einem Stuhl oder im Sessel sitze; manchmal kann ich dann nur noch liegen, mit einer Bauchwickel gewappnet.
Oder wenn ich wimmernd vor Schmerzen auf dem Klo sitze und fürchte, dass jemand mein Wimmern mitbekommt.
Dann ist es für mich besonders schlimm.
Mit meinen RDS leide ich lieber allein, ungesehen und unbemerkt!

Beschwerdefrei hingegen, sieht man es mir nicht an:
Ich führe dann hochkonzentriert seelsorgliche Begleitungsgespräche, sitze in Sitzungen und protokolliere vielleicht sogar recht professionell die Sitzung oder stehe sehr souverän vor Menschen, wenn ich einen Gottesdienst leite.
Dann ist da keine Spur von dem sichtbar, was ich im Verborgenen erleide.

‚Kann dieser Mensch, der da so souverän auftritt und so zuverlässig und empathisch seine Arbeit machen kann, gleichzeitig gesundheitlich so eingeschränkt sein?!‘, werden sich manche fragen.

Deshalb wundert es mich nicht, dass Außenstehende meine Belastungen nicht immer gut nachvollziehen können.

Neu im Portfolio: Post-Covid

‚Fatigue‘ – Symbolbild, www.pixabay.com

Und jetzt habe ich seit über sieben Monaten eine neue solche ‚unsichtbare‘ Krankheit in meinem persönlichen Portfolio: Post-Covid!

Bei der Post-Covid-Diagnose handelt es sich – genau so wie beim Reizdarmsyndrom – um eine sogenannte ‚Ausschlussdiagnose‚.
Das bedeutet, dass die Symptome wie „Brainfog“, Konzentrations- und Sprechstörungen, Erschöpfung, Müdigkeit, Schwindel, Schlafstörungen oder -losigkeit, Fatigue, Atembeschwerden und viele andere Symptome, nicht von einer anderen Krankheit herrühren dürfen.
Dementsprechend musste ich verschiedene Fachärzte aufsuchen, von Pneumologen über Kardiologen, etc.!
Nun habe ich die Diagnose und bin damit aber nicht besser dran, weil es keine zuverlässigen Behandlungsmethoden und Therapien gibt, die empirisch eine signifikante Verbesserung oder gar Heilung in Aussicht stellen.
Die Forschung von Post-Covid und der Behandlung steckt noch in den ‚Kinderschuhen‘.

Nachdem ich mich sieben Monate mit den Beschwerden durch meinen beruflichen und privaten Alltag laviert habe und oft nur drei Stunden aktiv sein konnte, weil ich dann unter totaler Erschöpfung litt, musste nun die ‚Reißleine gezogen werden‘ und mein Arzt hat mich aus dem Verkehr gezogen.

Und so erlebe ich weiter die Höhen und Tiefen von Post-Covid.

Für mich habe ich entschieden, erst einmal nur noch meinen Gottesdienst samstags im Krankenhaus zu feiern, denn auch während der AU würde ich ja an einem Gottesdienst teilnehmen wollen.
Mit der Gottesdienstgemeinschaft habe ich den Deal gemacht, dass ich keinen großen Aufwand mit Predigtvorbereitungen etc. leisten könnte, ich aber den Gottesdienst anbieten würde, wenn sie damit einverstanden sind. Sie sind damit einverstanden und so gibt es dann schlichtere Gottesdienste, als man es von mir gewohnt ist.
In dieser Zeit während des Gottesdienstes merkt man mir mein Post-Covid auch wohl kaum an; manchmal verspreche ich mich etwas, weil mir die Konzentration schwer fällt, aber sonst?

Damit das so läuft, habe ich ja auch was dafür getan:
Vor dem Gottesdienst lege ich mich gut eine Stunde ins Bett, um für den Gottesdienst Kräfte zu sammeln.
Und wenn ich dann nach gut zweieinhalb Stunden wieder zuhause bin (mit Vor- und Nachbereitungszeit vor Ort!), dann bin ich wieder reif fürs Bett. Also lege ich mich dann wieder hin, manchmal auch nur auf die Couch.


PPP

… nein, ich habe mich nicht vertippt!
Die drei ‚P‘s, stehen für eine therapeutische Methode, mit der Menschen, die von Post-Covid betroffen sind, einen erträglichen Alltag ermöglichen könnte.

P(acing), P(lanning) und P(riority)

Bild von Nicolae Baltatescu auf Pixabay

Pacing

meint die sensible Wahrnehmung der eigenen Belastungsgrenzen. Wer seine Belastungsgrenzen kennt, kann mit dem ihn eigenem Tempo und Intensität an Aufgaben des Alltags herangehen.
Dabei sind die Belastungsgrenzen nicht statisch und deren Entwicklung geht auch nicht immer nur in eine Richtung -> aufwärts.
Belastungsgrenzen verändern sich in beide Richtungen, und was gestern noch meine Belastungsgrenze war, kann ich heute schon eine deutliche Überschreitung der gestrigen Grenze werden.
Die Folge ist, dass ich jeden Tag neu sensibel auf meine Kräfte schauen muss und nur ausprobieren kann, was gehen könnte.

Ein Beispiel von gestern und heute (19./20. Juni 2024)

Aus meinem Gesundheitstagebuch vom 19. Juni:

Von meinen Brüdern und anderen lieben Menschen, die mir nahestehen, bekam ich ermutigende Rückmeldung, die mich bestärkten.
Doch heute, am 20.06.2024 sieht mein Tagebucheintrag um 13.30 Uhr schon anders aus:

Das ist eine Pacing-Erfahrung, die mich vorsichtig machen kann, aber die mich auch ermutigt, situativ angepasst mit meinem Alltag umzugehen.

Planning

Bild von Pexels auf Pixabay

Aus den Erfahrungen anderer Tage und dem sensiblen Hinschauen der momentanen Verfassung kann ich dann gezielt meinen Alltag planen.
Ja, ich muss vorher mehr als sonst überlegen, was will ich an diesem Tag tun?
Wofür werden mir die Kräfte reichen?

Und wenn ich dann einen Wust von Aufgaben sehe, die ich eigentlich noch zu erledigen haben, muss ich den dritten Aspekt der „3-P’s“ berücksichtigen.

Priority

Foto von Brett Jordan auf Unsplash

Ich muss einfach Prioritäten setzen!
Habe ich in den letzten sieben Monaten die Priorität gesetzt, fit für meine Arbeit sein zu wollen, um dann am Tag drei maximal vier Stunden arbeiten zu können, bin ich nach sieben Monaten nun zu einer anderen Priorisierung gekommen:

Mein Leben – mein Leben und mein persönlicher Alltag mit all den Aufgaben, die ich auch bei mir privat zuhause zu erledigen habe -, kann nicht allein zugunsten der Priorität „Dienst“ hinten anstehen!
Mein Leben besteht nicht nur aus meinem Dienst, sondern auch aus anderen Erfordernissen und Aufgaben, die ich entweder erledigen muss (Haushaltsführung, wirtschaftliche Aktivitäten) oder dem dringenden Bedürfnis, zu einer ‚work-life-balance‘ zu kommen.

Das Wort: „Liebe deinen Nächsten, wie DICH selbst!“ ist gerade in solchen Situationen auch eine persönliche Herausforderung an mich als Seelsorger.
Ich kann nicht immer nur versuchen, diese christliche Sichtweise anderen näher zu bringen. Dieses Gebot gilt auch für mich selber!

Wenn ich davon überzeugt bin, muss ich versuchen, es in meinem eigenen Leben zu beherzigen.


Für heute möchte ich mit diesen Zeilen erst einmal Schluss machen, weil ich spüre, dass ich wieder Grenzen erreiche.

Ich möchte mit diesen Zeilen auf das Thema: ‚unsichtbare Krankheiten‘ hinweisen, die zwar schon medizinisch erkannt und diagnostiziert, aber vom Umfeld der Erkrankten nicht oder nur kaum wahr- und ernst genommen werden.

Später mehr dazu …!




Schlüssel für die ‚Schüssel‘

Euro-WC-Schlüssel öffnet nun auch für mich

Foto: Gerd Wittka, 2023

Wer von einem chronischen Darmleiden betroffen ist, wird wissen, wovon ich nun schreibe:
Die Not, sehr schnell Zugang zu einer Toilette zu finden, weil der Darm sein eigenes Spiel spielt.

Als ein Betroffener vom Reizdarmsyndrom begleitet mich seit über 25 Jahren die ständige Frage und Sorge: Wo finde ich eine Toilette, wenn ich unverhofft müssen muss?!

Egal, was ich tue oder wohin ich gehe oder fahre; immer begleitet mich das Thema „WC“.

Ich bin mittlerweile dafür bekannt, mit als erster zu wissen, wo die Toiletten sind.

Sind wir an einem neuen Ort, geht mein Blick automatisch zu dem ‚erlösenden‘ Hinweis auf eine naheliegende Toilette.

Bin ich im Urlaub unterwegs, hilft mir eine App auf meinem Smartphone, meine Ziele danach auszurichten, wo sich auch eine Toilette befindet. Bin ich dann am vermeintlich Zielort, wird als erstes auch überprüft, ob die Toilette tatsächlich zugänglich ist …

(Manche mögen nach diesen Ausführungen schmunzeln, weil es ein Sch..ß-Thema ist, aber es ist echt eine Last und auch eine Art von Behinderung!)

www.pixabay.com

In Zukunft wird mir dieser Hinweis eine zusätzlicher Hilfe sein, denn seit heute verfüge ich über einen Schlüssel, der mir innerhalb Europas an unzählig vielen Stellen die Türen zu Behinderten-Toiletten öffnen wird, wo sie sonst für mich verschlossen geblieben wären.

Der Euro-WC-Schlüssel

Durch eine ganz nette Person wurde ich darauf aufmerksam gemacht, dass es eine Initiative gibt, die es Menschen mit Behinderungen ermöglichen soll, erleichterten Zugang zu ‚Behinderten-Toiletten‘ zu bekommen.
Zu diesen Menschen mit Behinderungen gehören auch jene, die unter chronischen Darmerkrankungen leiden wie Morbus Crohn, Colitis ulcerosa und Reizdarm.

Der Euroschlüssel ist ein 1986 vom CBF Darmstadt – Club Behinderter und ihrer Freunde in Darmstadt und Umgebung e. V. – eingeführtes, inzwischen über die Landesgrenzen hinaus genutztes Schließsystem, das es körperlich beeinträchtigten Menschen ermöglicht, mit einem Einheitsschlüssel selbständig Zugang zu behindertengerechten sanitären Anlagen und Einrichtungen zu erhalten, z. B. an teilnehmenden Autobahn- und Bahnhofstoiletten, aber auch für öffentliche Toiletten in Fußgängerzonen, Museen oder Behörden.

Euroschlüssel: CBF Darmstadt e.V. (cbf-da.de)

Ich konnte es fast nicht glauben und fassen, dass ich von dieser Initiative profitieren könnte!

Also habe ich im Netz recherchiert und habe diese Seite gefunden:

Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V.

Dort finde ich den Hinweis, dass folgende Menschen berechtigt sind, diesen Schlüssel zu erhalten:

  • Menschen mit einer Behinderung, die auf behindertengerechte Toiletten angewiesen sind.
  • Ferner: Personen, die an Multipler Sklerose, Morbus Crohn, Colitis ulcerosa erkrankt sind und Menschen mit chronischer Blasen- / Darmerkrankung.

Noch etwas skeptisch, ob ich wirklich auch diesen Schlüssel erhalten würde, habe ich also das Formular ausgefüllt und bin zu meinem Hausarzt gegangen und habe um ein Attest gebeten, dass mir bescheinigt, dass ich ein Reizdarm-Patient bin, der auf einen barrierefreien Zugang zu Toiletten angewiesen ist.

Ich habe meine Unterlagen dem Bundesverband Selbsthilfe Körperbehinderter e.V. zugesandt und die Kosten für den Schlüssel überwiesen.
Heute konnte ich den Schlüssel in Empfang nehmen. Und es wird dich vielleicht etwas wundern, aber:

Ich habe mich riesig darüber gefreut.

Der Anblick eines WC’s kann glücklich machen …! – www.pixabay.com

Nun eröffnen sich für mich neue Perspektiven und ich hoffe, dass ich dadurch etwas gelassener auch neue Ziele in den Blick nehmen kann.

Mir werden die Leiden am Reizdarm dadurch nicht genommen werden, aber ich kann vielleicht ein Stück besser mit dieser Einschränkung, die ich auch durchaus als eine Behinderung wahrnehme, zu leben.

Ich bin dankbar für diese Initiative!

Möge mein Beitrag anderen – die von den oben genannten Behinderungen oder Erkrankungen betroffen sind – helfen, ebenfalls ungehinderten Zugang zu Toiletten für Menschen mit Behinderungen zu bekommen!


Ergänzung:

Damit sich die Toiletten auch gut finden lassen, empfehle ich die App HandicapX in den jeweiligen App-Stores. Mit dieser App wirst du leichter fündig und kannst auch selber Standorte von barrierefreien Toiletten hinzufügen, bearbeiten und bewerten. Diese App ist gegen einen kleinen Obolus erhältlich:

HandicapX App – HandicapX.de




Was man nicht sieht …

Leben mit einer ‚unsichtbaren‘ Erkrankung

Seit über 25 Jahren steht bei mir die Diagnose: Reizdarm-Syndrom (RDS oder ‚colon irritable‘). Und seit dieser Zeit kämpfe ich mit der Akzeptanz durch mein Umfeld. Denn es handelt sich zumeist bei mir um eine ‚unsichtbare‘ Erkrankung. Ich will damit sagen, dass man es mir quasi nicht ansieht.



Wenn es mir schlecht geht, sieht man mich nicht, weil ich dann meistens zu Hause bin oder sonst wie zurückgezogen bin. Die Beschwerden machen es mir dann unmöglich, unter die Leute zu gehen oder Termine wahrzunehmen.

Nur wenn die Beschwerden während einer Begegnung oder Veranstaltung beginnen, merkt es mein Umfeld, weil ich dann – recht spontan – diesen Termin abbrechen muss.

Heute wieder …

Bild von Azmi Talib auf Pixabay

Heute ist wieder so ein Tag. Gegen 8.30 Uhr bekam ich Darmkrämpfe und habe fast zweieinhalb Stunden meine Zeit im Bad oder auf dem Bett verbracht. Dabei lag mir ein wichtiger Hausarzt-Termin im Nacken.
‚Werde ich es schaffen, doch noch das Haus frühzeitig verlassen zu können?“, schwirrten meine Gedanken durch den Kopf.
Erst quasi in letzter Minute konnte ich mich auf den Weg machen. Aber die Krämpfe waren noch nicht ganz weg. Einerseits ganz gut, weil ich es beim Arzt thematisieren konnte.
Aber andererseits wieder diese ständigen Gedanken in meinem Kopf: „Nehmen mir das die anderen auch ab? – Ich kann mich ja wieder in der Öffentlichkeit bewegen.“

Das zweite Leiden am Reizdarm

Neben den primären somatischen Beschwerden wie Blähungen und Durchfall, aber auch manchmal horrende Darmkrämpfe plagt mich die Frage, ob man mir glaubt? – Jetzt ist es 13.30 Uhr und ich habe immer noch leichte Krämpfe. Sie sind da, aber ich kann trotzdem diese Zeilen schreiben. Seit über 25 Jahren arrangiere ich mich und versuche mein Leben so beständig wie möglich zu gestalten.
Nun bin ich durch die stundenlangen Schmerzen aber auch erschöpft.

Das zweite Leiden des Reizdarms ist eine psychologische Dimension.
Als ich 2013 meinen rechten Unterschenkel gebrochen hatte, war das für mein Umfeld kein Problem: die OP, die Physiotherapie, die Gehilfen und alles andere waren so offensichtlich, dass klar war: Gerd ist krank bzw. arbeitsunfähig.

Einen Reizdarm aber sieht man nicht.

Dennoch zwingt er mich, mich nach ihm zu richten, auch durch Auszeiten und Selbstfürsorge.
Zur Selbstfürsorge gehört dann auch, Grenzen zu stecken, weil mich die jahrelange Erfahrung gelehrt hat: wenn ich die Grenzen nicht einhalte, dann bekomme ich recht bald dafür die Quittung.

So müssen also Menschen aus meinem Umfeld damit leben, dass ich Anfragen nicht annehme und sie sich dabei vielleicht denken: ‚Aber das könnte er doch übernehmen!‘

Ja, ich würde es schaffen. Doch danach wird es mir wieder schlechter gehen; ich werde wieder Stress bekommen, weil ich die Beschwerden nicht im Griff habe; ich werde wieder Termine absagen müssen, weil ich nicht fit bin.

Der Reizdarm lehrt mich, in größeren Zusammenhängen zu denken und auch zu agieren. Besonders schwierig wird es, wenn ich angefragt werde, irgendwo kurzfristig einzuspringen. Wenn ich das mache, zahle ich später oft den Preis dafür.

Mein Reizdarm sagt mir, dass ich strukturiert arbeiten muss und ich mir immer wieder auch zwischendurch Phasen der Erholung, Rekreation gönnen muss.

Aber versucht das mal, deinem Umfeld klar zu machen, wenn die dich nur sehen und erleben, wenn es dir gut geht und du augenscheinlich ‚fit‘ bist.

Es bleibt schwierig.