Aufklärungspflicht

Bundesgesetz muss her

Die neueste Studie über sexualisierte Gewalt in der evangelischen Kirche und die vorhergebenden Studien aus der katholischen Kirche sowie aus anderen Bereichen, wo sexualisierte Gewalt stattgefunden hat, zeigen, dass die Bereitschaft zur Aufklärung recht unterschiedlich ist.



Die Betroffenen von sexualisierter Gewalt müssen immer wieder die notwendige Aufklärung einfordern.
Zudem gibt es keine rechtliche Handhabe, Organisationen, in denen sexualisierte Gewalt stattgefunden hat, zur Aufklärung zu verpflichten!

Das muss anders werden!

Deshalb trete ich dafür ein, dass der Bundesgesetzgeber nun alles dran setzt, dass es eine gesetzliche Aufklärungspflicht gibt, die auch regelt, wie diese Aufklärung zu gesehen hat und welche staatlichen Stellen dabei involviert werden müssen.

aus den Fürbitten am 4. Sonntag im Jahreskreis


Alle Bilder: www.pixabay.com




Erschütternder Verdacht

Erster Bischof von Essen soll sich des Missbrauchs schuldig gemacht haben

Am 19. September informierte der derzeitige Bischof von Essen, Dr. Franz-Josef Overbeck, die Öffentlichkeit darüber, dass es ernst zu nehmende Hinweise gibt, dass Bischof Dr. Franz Hengsbach sexuellen Missbrauch begangen hat.

Erklärung des Bischofs von Essen zu den Vorwürfen gegen Franz Kardinal Hengsbach.

Heute, am 22. September, ging unser Bischof mit einem sehr persönlichen Brief an die Pfarreien und Gemeinden unseres Bistums an die Öffentlichkeit, in der er eigene Fehler aufzeigte und um Entschuldigung bat.

Diese Meldungen erschüttern nicht nur unser Bistum. Auch mich erschüttern sie.
Viele Gedanken und Fragen gehen mir durch den Kopf. Sie haben auch etwas damit zu tun, weil ich selber Bischof Hengsbach noch zu meinen Studienzeiten erlebt habe.
Er persönlich hatte mich damals ermutigt, das Abendgymnasium zu besuchen, um an einer Universität ein ordentliches Theologie-Studium zu absolvieren. Ich müsste seinen Brief an mich noch in meinen Dokumenten vorliegen haben.

Meine eigene persönliche und berufliche Biographie ist also in bestimmter Weise auch mit der Person von Bischof Hengsbach verbunden.

Deswegen lassen diese Nachrichten auch mich überhaupt nicht kalt.

Ich werde dazu vielleicht noch ausführlicher hier schreiben. – Ich will dieses Thema aber hier schon jetzt auch in meinem persönlichen Blog aufgreifen.

Denn:

Wir dürfen nicht schweigen!

Um der Opfer willen möchte ich auch hier diesem Thema Raum geben, denn ich selber habe immer noch das Gefühl, dass in unserer Kirche, auch in unseren Pfarreien, das Thema „sexualisierte Gewalt“ und „geistlicher Missbrauch“ noch lange nicht den Stellenwert erfährt, den diese Themen haben müssen!

Deshalb möchte ich zu guter Letzt auch die Opfer-Seite zu Wort kommen lassen, mit einem Beitrag der am 24.09.2023 im WDR ausgestrahlt wird:

Bistum Essen: Missbrauchsvorwurf gegen „Ruhrbischof“ Hengsbach WDR 5 Diesseits von Eden 24.09.2023 von Theodor Dierkes




Eine Lawine rollt auf uns zu

Bislang nur die Spitze des Eisbergs

Sexualisierte Gewalt in Institutionen, Vereinen und Verbänden

Symbolbild, Quelle: Bild von Michal Jarmoluk auf Pixabay

Was schon lange vorausgesagt war, aber wovor viele in Staat und Gesellschaft den Blick abgewendet haben, wird nun offensichtlich: Sexualisierte Gewalt, die institutionell unter den Teppich gekehrt wurde, ist nicht nur ein Problem von Kirche(n) oder Internaten.

Langsam und allmählich melden sich immer mehr Opfer sexualisierter Gewalt, die auch im Sport, seinen Institutionen und Verbänden stattgefunden hat.



Vor wenigen Tagen hat der frühere Weltklasse-Turmspringer Jan Hempel öffentlich gemacht, wie er jahrelang von seinem Trainer missbraucht wurde. Hempel hat auch auf den Umgang mit solchen Verbrechen im Verband hingewiesen, die – ähnlich wie wir es zuvor schon von den Kirchen kennen – verschwiegen und vertuscht wurden.

Gestern erschien ein Beitrag in Sportschau.de, der mir wie ein Déjà-vu vorkommt. Hier wird versucht, mit denselben Mitteln sich dieser Thematik zu stellen, wie es anfangs auch die Kirchen getan haben:

  • allgemeine belanglose Entschuldigungsbitte an die Opfer
  • plattitüdenhafte Willensbekundungen
Bild von Alexa auf Pixabay

Ehrenamtliche Prävention nicht möglich?!

Das Schlimmste jedoch für mich ist, dass man schon jetzt versucht, das Thema „Prävention“ abzuwiegeln.

So schreibt der DSV (Deutscher Schwimmverband) nach sportschau.de, “ … dass die Prävention im Sport „im Ehrenamt schwer zu bewältigen sei“. 

Hier muss es einen gewaltigen Aufschrei in Staat und Gesellschaft geben! Denn diese Ansicht ist ein Abschieben von Schuld und Verantwortung!

Gerade die Kirchen, die wesentlich von ehrenamtlicher Mitarbeit leben, zeigen, dass Prävention auch im Ehrenamt bewältigt werden kann und muss! Da sind die Kirchen genauso in der Pflicht, wie andere Institutionen, Vereine und Verbände!

Schon seit Jahren gibt es Präventionsverordnungen in den Kirchen, die in den letzten Monaten noch einmal ziemlich konkretisiert wurden, die zeigen, dass Prävention gerade dort wichtig ist, wo verbandliche Arbeit durch viel ehrenamtliches Engagement geleistet wird.

Auf einmal: Forderung nach staatlicher Leistung

Es ist auch interessant, dass der DSV in diesem Zusammenhang eine „finanzielle Ausstattung durch die öffentliche Hand“ fordert.

Irgendwie kommt mir das wirklich doppelzüngig vor!

Als die Verbrechen im Raum der Kirche(n) bekannt wurden, war der Aufschrei (zu Recht!) groß. Und man forderte die Kirchen auf, nicht nur moralisch, sondern auch finanziell für diese Verbrechen einzustehen, mit Präventionsmaßnahmen, deren Kosten die Kirchen allein zu tragen haben und – vor allem – auch mit Entschädigungsleistungen, die ebenfalls die Kirchen zu tragen hätten.

Doch jetzt, wo zutage tritt, was gesellschaftlich schon längst vorhersehbar ist – dass nämlich sexualisierte Gewalt Verbrechen sind, die alle Bereiche unserer Gesellschaft (ob institutionell oder privat) durchzieht, kein Nischenproblem von Kirchen oder Internaten ist – wird die Forderung laut, der Staat und die Gesellschaft müsse für die Aufarbeitung finanzielle Mittel bereitstellen!

Bild von Alexa auf Pixabay

Hier erwarte ich, dass auch alle anderen Institutionen, die sich ebenfalls durch wissentliche Ignoranz oder Vertuschung mitschuldig gemacht haben, auch ihren immateriellen und materiellen Beitrag zur Aufarbeitung, Prävention und Entschädigung leisten!

Es ist eine Frage des sozialen Friedens und der Gerechtigkeit, dass alle Institutionen, Vereine und Verbände nicht umhinkommen, sich ihrer Verantwortung für Verbrechen zu stellen, die sie bei einem sensibleren Umgang hätten verhindern oder zumindest eindämmen können!




Sprachlos oder Schweigen?

Viele meiner seelsorglichen Kolleginnen und Kollegen haben es vor mit unternommen, sich in den letzten Tagen zu dem alles dominierenden Thema in meiner Kirche zu äußern: dem Gutachten über den Umgang des Erzbistums München-Freising mit Fällen von sexualisierter Gewalt durch Geistliche in den letzten Jahrzehnten.

Bild von DaModernDaVinci auf Pixabay

Braucht es da auch noch Äußerungen von mir?
Wird sie überhaupt gewünscht, gewollt, wahrgenommen oder gelesen?



Viele Gedanken und Gefühle prägen meinen Alltag in diesen Tagen und eigentlich ist alles noch so chaotisch, unstrukturiert und wenig stringend.

Gefühle …

Da gibt es diese Gefühle von tiefer Traurigkeit, wenn ich an das Leiden der Opfer und Betroffenen denke, da gibt es Wut und Zorn, Ohnmacht und Ratlosigkeit und zugleich ein inneres Verlangen, nicht weiter zuschauen zu wollen. Wie gerne würde ich auf den Tisch hauen …!!!

… und Gedanken

Und dann gibt es viele Gedanken:

  1. Was ist mit den Opfern und Betroffenen? Was ist jetzt zu tun, damit nicht nur geredet, geredet und zerredet wird, sondern tatsächlich etwas geschieht, das auch zeitnah Entlastung und Hilfe bringt?
  2. Was ist mit unseren Schwestern und Brüdern in den Gemeinden, in der Kirche vor Ort? Wo haben sie Gelegenheit und Räume und Orte, so sie ihre Gedanken und Befindlichkeiten, ihren Frust, ihre Wut, ihre Ratlosigkeit lassen können; und wo wir sie mit ihnen teilen?
  3. Wo und wie kann ich mich geistlich festmachen, damit mich die Wut und der Zorn nicht herunter zieht und mich nicht so sehr bindet und lähmt und ich dadurch unfähig bleibe, mit dieser Situation umzugehen und aktiv bleiben kann? Lethargie kann kein angemessener professioneller Umgang sein!
  4. Worauf kann ich in dieser Zeit vertrauen und hoffen?
  5. Wie kann ich anderen behilflich sein: den Betroffenen und Opfern, den Schwestern und Brüdern, denen, die mich tagtäglich als Seelsorger beanspruchen und ich eben nicht immer oder mehr um mich selber kreise, weil es mir „mit dieser ganzen Situation doch sooo schlecht geht.“ ? – [ Ohne Zweifel: ich würde mich eher wundern, wenn es mit oder anderen meiner Kolleg:innen in dieser Zeit gut geht. Und ich finde es auch wichtig, dass wir das öffentlich machen, damit andere spüren, dass diese Thematik auch uns nicht unberührt lässt. Aber zugleich möchte ich vermeiden, dass wir bei aller Selbstwahrnehmung nur öffentliche Nabelschau betreiben. Ich möchte, dass wir wieder darauf zurück kommen, was unsere Aufgaben sind: als Seelsorger:innen auch Seelsorge zu leisten; und dies natürlich in aller Offenheit und Bereitschaft, nötige Veränderungen voran zu treiben.]

Meine Sprachlosigkeit lässt mich schweigen. Doch mein Schweigen darf nicht endlos sein und mich von der Verantwortung und Verpflichtung befreien, dort zu reden und zu agieren, wo es nötig ist und wie es meinem Auftrag entspricht.
Die Herausforderung ist, sich dieser Thematik mit aller Dringlichkeit zu stellen, ihr den Platz zuzubilligen, den sie jetzt haben muss und zugleich auch die anderen Aufgaben nicht aus den Augen zu verlieren.

Das ist ein Spagat und unsere Herausforderung in dieser Zeit.

Bild von Engin Akyurt auf Pixabay

Sprachlosigkeit darf nicht zur Lethargie werden

Wer sich ernsthaft mit sexualisierter Gewalt auseinandersetzt, sich wirklich intensiv mit dem Leiden der Opfer und Betroffenen beschäftigt und das alles auch wirklich an sich heran lässt, ist in Gefahr angesichts des Grauens solcher Taten und ihrer Folgen sprachlos zu werden.

Doch gerade das darf nicht passieren: Sprachlosigkeit darf nicht in unendliches Schweigen oder gar in Lethargie münden! Das wäre Wasser auf die Mühlen derer, die nach wie vor vertuschen und relativieren wollen; die noch immer nicht verstanden haben oder wollen …!

Was es jetzt braucht …

In dieser Zeit suche ich selber nach geistlichen Impulsen, die mir helfen, nicht (mehr) sprachlos zu sein, nicht in Lethargie und Untätigkeit zu verfallen, nicht zu resignieren oder gar weg zu laufen.
Ich spüre in mir die Aufforderung, zu bleiben und die Notwendigkeit, das zu tun, was ich tun muss, auch wenn es nicht viel ist.

In meiner Suche stieß ich – mal wieder – auf die Regel des heiligen Benedikt, des Vaters des abendländischen Mönchstums.

Im Prolog gibt es einen Absatz, der mir in dieser Zeit ein hilfreicher Impuls ist:

„… Stehen wir also endlich einmal auf! Die Schrift rüttelt uns wach und ruft: „Die Stunde ist da, vom Schlaf aufzustehen.“ Öffnen wir unsere Augen dem göttlichen Licht und hören wir mit aufgeschrecktem Ohr, wozu uns die Stimme Gottes täglich mahnt und aufruft: „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!“ Und wiederum: „Wer Ohren hat zu hören, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt!“ Und was sagt er? „Kommt, ihr Söhne, hört auf mich! Die Furcht des Herrn will ich euch lehren. Lauft, solange ihr das Licht des Lebens habt, damit die Schatten des Todes euch nicht überwältigen.“ Und der Herr sucht in der Volksmenge, der er dies zuruft, einen Arbeiter für sich und sagt wieder: „Wer ist der Mensch, der das Leben liebt und gute Tage zu sehen wünscht?“ Wenn du das hörst und antwortest: „Ich“, dann sagt Gott zu dir: „Willst du wahres und unvergängliches Leben, bewahre deine Zunge vor Bösem und deine Lippen vor falscher Rede! Meide das Böse und tu das Gute; suche Frieden und jage ihm nach! Wenn ihr das tut, blicken meine Augen auf euch, und meine Ohren hören auf eure Gebete; und noch bevor ihr zu mir ruft, sage ich euch: Seht, ich bin da.“…“

aus: Regel des heiligen Benedikt, Prolog


Aus diesem Prolog nehme ich Worte wahr, die mir nachgehen und mich buchstäblich heraus-fordern.
Eine Kollegin und Freundin von mir, Sr. Bonifatia Keller OP, (sie war Dominikanerin und ich habe mit ihr lange in der Gefängnisseelsorge gearbeitet) hatte ein fast schon geflügeltes Wort, wenn es nicht so lief, wie wir es erhofft hatten: „Lass es uns noch mal versuchen!“

Immer wieder konnte sie diesen Satz sagen und ich hatte nie den Eindruck, dass es eine hohle Floskel war, sondern das dieser Satz aus ihrem Mund etwas Energisches und Kraftvolles hatte. Hinter diesem Satz stand noch ganz viel Motivation, weiter zu machen, trotz Rückschlägen oder vermeintlicher Erfolglosigkeit.

Sie hat mir vorgelebt, was Benedikt in seinem Prolog schreibt: unsere (geistigen und geistlichen) Augen dem göttlichen Licht in unserem Leben zu öffnen, d.h. danach Ausschau zu halten, was Gottes Geist uns in dieser Zeit sagen und zeigen will!

Vom Geist anrühren lassen

Dass gerade in dieser Zeit ich wieder mehr an Pfingsten und Geistsendung denken muss, scheint mir kein Zufall zu sein.
Kann nicht gerade diese Zeit eine Hoch-Zeit des Heiligen Geistes sein? Muss sie es nicht sogar sein?
Angesichts der Turbulenzen, der emotionalen Betroffenheit und der Notwendigkeit einer moralischen und geistlichen Reinigung können wir uns nicht auf uns allein verlassen: auf unseren (heiligen) Zorn, auf unsere Empathie!

Das alles kann Antrieb und Motivation sein, aber darin liegt selbst nicht die Antwort auf das, was jetzt von uns getan werden kann und muss.

„Ohne SEIN lebendig Weh’n, kann im Menschen nichts besteh’n, kann nichts heil sein und gesund…“ – so heißt es in der Pfingstsequenz.

Ich spüre in dieser Zeit, dass wir auch wieder mehr nach dem Heiligen Geist rufen müssen, dass wir durch sein Wirken unsere Augen dem göttlichen Licht öffnen können und mit aufgeschreckten Ohren hören, was Gottes Stimme uns in dieser Zeit mahnt; dass wir unsere Herzen in dieser Zeit nicht verhärten unter dem Eindruck von Trauer, Wut, Schmerz, Zorn sondern zu hören, was SEIN Geist uns und unseren Gemeinden sagen will.


Bild von Engin Akyurt auf Pixabay

Geist Gottes,
du Heilige, Geistkraft!
Mein Sprechen, meine Worte,
sie scheinen nicht ausdrücken zu können,
was in mir vorgeht.
Trauer, Wut und Ratlosigkeit
bestimmen mein Dasein;
ich kann und mag meinen Blick
und meine Gedanken
nicht abwenden
von dem Leid
und der Gewalt
unter dem Deckmantel kirchlichen Lebens
durch jene, die eigentlich
die frohe Botschaft bezeugen sollen.
Mein Glaube von einer Kirche,
die das Gute und der Liebe
Raum geben will,
ist erschüttert.

Ich möchte mich halten,
klammern
an das,
was mich hält
und nicht ab-hält
weiter zu wirken
an das, was ich glaube:

dass Jesus Christus

Liebe und Befreiung

nicht nur gepredigt,
sondern gelebt
hat

damit diese
Liebe und Befreiung
auch heute noch
Wirk-lichkeit
ist.

Geist Gottes,
ruach
du Heilige, Geistkraft
atme du in mir
wo mir die Luft weg bleibt;

deine Geistkraft
durchdringe mich
wo ich mich nicht
aufraffen kann;

lass es mich aushalten
an der Seite
der Opfer und Betroffenen
stehen zu können

und an einer Kirche mitwirken
von der ich glaube,
dass du sie SO nicht gewollt hast.

Befähige uns zu einer
Geschwisterlichkeit,
in der wir uns gegenseitig
stützen und
bestärken

im Einsatz
für eine Kirche

nach DEINEM Willen.

(05.02.2022, Gerd Wittka)




Schwarze Nacht

Was heute, am 20.01.2022, durch das sogenannte „Münchener Gutachten“ an Fehlverhalten in meiner Kirche zutage tritt, auch insbesondere der Umgang des Papst em. Benedikt XVI., alias Joseph Kard. Ratzinger (seinerzeit Erzbischof von München-Freising), dass kann ich – voller Erschütterung – nicht anders benennen, als „Schwarze Nacht“.

Foto: Bild von Okan Caliskan auf Pixabay

Dieses Gutachten bestätigt das System der Vertuschung und auch noch die offenbare Realitätsverzerrung oder den Realitätsverlust von kirchlichen Würdenträgern auch bei der Frage, was „sexualisierte Gewalt“ bzw. „sexueller Missbrauch“ ist.

Das Gutachten, so Berichterstatter, verwendet nicht das Wort „Lüge“, aber macht deutlich, dass offenbar auch heute noch die früheren Verantwortungsträger weiterhin die Wahrheit leugnen und sie abstreiten.



Als Bild zu diesem Beitrag habe ich ein dunkles Bild gewählt, aber mit einem hellen Spalt einer sich öffnenden Tür.
Ja, ich bin sprachlos – bisweilen verzweifelt – aber in erster Linie daran, was den Opfern und Betroffenen an unsäglichem Leid weiter zugemutet wird!
Allein aus deren Sicht muss die Frage gestellt werden, wie es weiter gehen kann?

Der öffentliche Druck trägt sicherlich einen großen Teil dazu bei, dass Vieles nun in der Öffentlichkeit und auch in der Kirche sichtbar wird und diskutiert wird.
Eine Vielzahl von Katholik:innen verlassen aber auch die Kirche – wer würde es ihnen verdenken können.

Matthias Katsch, der Sprecher der Opfer-Initiative „Eckigen Tisch“ hat heute bei Phönix TV im Tagesgespräch einen wichtigen Aspekt benannt, warum die hohen Austrittszahlen in der Kirche aber auch kontraproduktiv sein könnten.
Hören wir da mal rein:

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Das ist nämlich die Crux, dass die Kräfte, die in der Kirche – aufgrund ihrer berechtigten kritischen Haltung – von innen heraus die Flammen für nötige Veränderungen brennen lassen könnten – diesen Flammen den Sauerstoff nehmen, damit von innen her sich auch was bewegt.

Ich weiß von einigen Menschen, die bereit sind, trotz allen Leidens an und in der Kirche, dabei zu bleiben und von innen her an einer Veränderung zu arbeiten.
Solche Menschen brauchen wir; solche Menschen brauche auch ich, als amtlicher Vertreter meiner Kirche.

Ich würde gerne alle jene bitten, die überlegen zu gehen, ob sie nicht vielleicht doch bleiben können?
Ich möchte sie gerne ermutigen: vernetzt euch mit Euresgleichen, vernetzen wir uns untereinander und sehen diesen inneren Kampf auch als eine Herausforderung unseres Glaubens an.

Denn ich bin davon überzeugt, wer sich in dieser Frage auf die Seite der Opfer stellt, an dessen Seite steht Christus selber.

Haben wir den Mut, in Christi Namen diesen Weg der inneren Erneuerung und Reformation zu gehen?!


Nachtrag vom 20.01.2022, 19.48 Uhr:

Das ganze Gutachten ist auch online gestellt und kann heruntergeladen werden.
Besonders lesenswert ist für unser Bistum Essen der „Sonderband Fall H.“ in diesem Gutachten. Aber hier ist ein ganz dicker „TRIGGER“-Vermerk angebracht. Für Betroffene und Opfer sicherlich unerträglich zu lesen.
https://westpfahl-spilker.de/wp-content/uploads/2022/01/WSW-Gutachten-Erzdioezese-Muenchen-und-Freising-vom-20.-Januar-2022.pdf

Über drei Stunden lang habe ich das Gutachten studiert, insbesondere den Sonderband zu dem Essener Priester H.!
Es zeigt, wie sich damals Verantwortliche verhalten haben; es zeigt aber auch, wie damals Verantwortliche sich heute dazu noch positionieren.

Ein besonderes Schlaglicht liegt natürlich auch auf den damaligen Erzbischof von München-Freising, Kard. Joseph Ratzinger, nachfolgend Benedikt XVI.!
Er kommt nicht gut weg. Seine Einlassungen sind für mich nicht wirklich glaubwürdig, er widerspricht sich und macht Ausflüchte formaler Art.

Mir hat dieser Sonderband aber auch gezeigt, dass ab 2010 das Bistum Essen und auch unser Bischof eine klare Linie gefahren haben; dass es zum Beispiel darum ging, den Priester H. aus dem Klerikerstand zu entlassen, was aber leider wegen Formalitäten von Rom aus verhindert wurde.




„Bei euch aber soll es nicht so sein…“

Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis – 16./17.10.2021

Lesungstext: Markus-Evangelium, Kapitel 10, VV. 42-45

Wissen Sie, wie man unter Seelsorgerinnen und Seelsorgern eine lebhafte Diskussion anfachen kann?
Man muss als Kollege einfach nur mal den Satz fallen lassen: „Wir sind doch alle Dienstleister!“

Dienstleister



Schon werden sich spontan welche finden, die so in etwa sagen: „Nein! So kann man das nicht sagen! Wir können uns nicht sehen wir andere Dienstleistungsunternehmen, deren Leistung man so einkaufen kann.“
Andere wiederum sagen: „Doch, wir sind auch Dienstleister:innen, aber wir sind nicht – wie kommerzielle Dienstleister – wirtschaftlich Handelnde. Unser Dienst wird nicht vom „Kunden“ bezahlt (abgesehen von Gebühren, die für bestimmte kirchliche Handlungen vorgenommen werden).“

Ohne hier diese Diskussion weiter präsentieren zu wollen, glaube ich, dass diese Diskussion sehr gut unter dem Licht des heutigen Evangeliums betrachtet werden kann.

Ich selber bin davon überzeugt, dass wir als Seelsorgende durchaus Dienstleister:innen sind, aber sicherlich nicht im kommerziellen Sinne.

Jesus selbst formuliert die Nachfolge als einen Dienst, wenn er im Johannesevangelium in Kapitel 12,26 sagt:
„Wer mir dienen will, der folge mir nach; und wo ich bin, da soll mein Diener auch sein.“
Nachfolge Christi ist für ihn also ganz klar ein Dienst an dem Herrn.

Der frühere französische Bischof von Évreux, Jaques Gaillot, schrieb mal ein Buch mit dem Titel:
„Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts!“

Allein dieses Zitat ist geeignet, sich in einer geistlichen Übung mit dem Verständnis des Dienstes der Kirche und der in ihr tätigen Seelsorgenden zu beschäftigen.
Ich vertrete ganz klar die Auffassung, dass unsere Aufgabe ein Dienst ist und das unsere seelsorgliche Leistung eine Dienst-Leistung ist und zwar in dem oben genannten Verständnis von Nachfolge Christi.

Heute hören wir zugleich von Jesus einen zweiten Aspekt seiner Sendung: „Denn der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Der Herr Jesus Christus versteht sich also zugleich als Diener!
Jesus Christus versteht sich also in einer Art Doppelrolle, als HERR, dem jene dienen, die ihm nachfolgen wollen und zugleich als Diener, um sich selber FÜR andere aufzuopfern.

Problematisch wird es nur, wenn jene, die ein Amt in der Kirche ausüben, dieses Doppelverständnis Jesu auch auf sich selber übertragen, nämlich Diener und Herren zugleich sein zu wollen!

In unserer Zeit erfahren wir mit aller Wucht, welche Bedrohungen von so einem Selbstverständnis in der Vergangenheit ausgegangen ist und heute auch noch immer möglich ist.
Ich möchte nur einige Stichworte nennen, die es – bis in unserem heutigen Sprachgebrauch – benennen:
„Hochwürdiger Herr“ „Hochwürden“„Pfarrer“ = Pfarrherr, „Monsignore“ = mein Herr, „Prälat“ = der Vorgezogene, „Eminenz“ = der Herausragende, ….

Dies alles sind – noch – gebräuchliche Anreden und Titel in unserer Kirche, die von ihrem Wesen her automatisch mit Macht verbunden werden und die den Unterschied zu anderen in Kirche und Gemeinde buchstäblich zementieren.
Solche Titel und Bezeichnungen bergen auch die Gefahr, das Bewusstsein derer zu verändern, auf denen solche Titel angewandt werden oder die sogar solche Titel im alltäglichen Sprachgebrauch für sich einfordern.

Allein an diesem sprachlichen Beispiel können wir erkennen, dass wir uns in unserer Kirche dringend mit dem Thema „Macht“ beschäftigen müssen, gerade auch mit der vermeintlichen Macht der Seelsorgenden und zwar in erster Linie die der Kleriker.

Damit verbunden sind notwendige Auseinandersetzungen mit den Erfahrungen von missbrauchter Macht, die nicht nur zwischenmenschlich sondern sogar auch geistlich zu Tage tritt.

„Ihr wisst, dass die, die als Herrscher gelten, ihre Völker unterdrücken und (…) ihre Macht gegen sie missbrauchen…“ – so hörten wir gerade im Evangelium.

Im Zusammenhang mit der Enttarnung sexualisierter Gewalt durch Kleriker in unserer Kirche ist das Thema „geistlicher Missbrauch“ sehr deutlich geworden.

So geht es heute nicht mehr!

Beide Themen haben zwangsläufig nichts miteinander zu tun! Sexualisierte Gewalt ist auch ohne geistlichen Missbrauch möglich und geistlicher Missbrauch geht auch ohne sexualisierte Gewalt.
Aber wenn sexualisierte Gewalt durch Kleriker ausgeübt wird, dann geht das eigentlich immer mit geistlichem Missbrauch einher.

Geistlicher Missbrauch kann dabei schon viel früher beginnen; nämlich da, wo man in der Ausübung des seelsorglichen Dienstes die ratsuchende Person manipuliert, wo man ein Verhalten oder ein Geschehen bewertet, beurteilt oder gar Personen verurteilt und dies mit einer geistlichen oder religiösen Begründung versieht.

Ich thematisierte dieses so deutlich – wenn auch nicht ausführlich, weil es den Rahmen einer Predigt immer sprengen würde -, um diese Themen im öffentlichen Raum aus der Tabu-Zone zu holen.

Denn immer noch wird darüber in unserer Kirche viel zu viel geschwiegen.

Die Medien sind voll von diesem Thema, aber es ist eine Schande, dass wir vor Ort uns kaum offensiv mit diesem Thema des Missbrauchs – ob sexuell oder geistlich – beschäftigen.

Noch immer gibt es, auch hier bei uns in Oberhausen, die Scheuklappen vor dieser Thematik.

Da reicht es nicht aus, dass wir im Seelsorgeteam Präventionsbeauftragte haben, die dieses Thema bis in die Basis bringen wollen. Die Widerstände auch in unserer Pfarrei, sich dem Thema Vorbeugung zu stellen, sind noch allzu sichtbar.

Sie merken, liebe Schwestern und Brüder,
das heutige Evangelium hat – wenn wir es ernst nehmen und in unseren Alltag in der Kirche herunterbrechen – eine explosive Brisanz.

Denn es geht nicht nur um die Frage, welchen Platz wir einst im Himmel einnehmen werden. Es geht vielmehr darum, ob wir ehrlich und glaubwürdig hier auf Erden und zum Wohle der uns anvertrauten Menschen uns breit mit diesen Themen beschäftigen, bei denen es letztendlich um das seelische und geistliche Überleben von Menschen oder deren seelischen und geistlichen Tod geht.


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