“ … er blieb ihnen verborgen …“

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Lk 9,45:
„Doch die Jünger verstanden den Sinn seiner Worte nicht; er blieb ihnen verborgen, sodass sie ihn nicht begriffen.“

Beim Evangelisten Lukas finden wir in der heutigen Tageslesung diesen ‚mysteriösen‘ Satz.

Lukas, der uns in wunderbarer Erzählweise von der Geburt Jesu berichtet, so dass vor unserem geistigen Auge sehr konkrete Bilder entstehen, bietet uns heute diese ’schwere‘ Kost.

Wie passt das zusammen?



Vielleicht liegt darin eine gewisse ‚Logik‘, wenn man sich mehr und mehr mit Jesus Christus und seiner Botschaft beschäftigt.

Am Anfang scheint alles in sehr klaren Bildern. Doch dann wird es zunehmend schwieriger, die Frohe Botschaft unmittelbar zu verstehen. Den narrativen Erzählungen werden mehr und mehr eine Bildsprache hinzugefügt, die aber eher mittelbar als unmittelbar zu verstehen sind.
In die Erzählungen des Lebens und Wirkens Jesu gesellen sich mehr und mehr bildhafte Texte, Gleichnisse, Symbolsprache. Diese liegen sicherlich auch in der nahöstlichen oder orientalen Erzählkultur begründet.

Aber sie ‚zwingen‘ einen geradezu auch mehr dazu, bei der Sache zu bleiben. Schneller Konsum dieser Erzählungen mit Gleichnissen, Heilungen und anderen Wundererzählungen scheint nicht mehr möglich zu sein.

Oberfläche ./. Tiefgang

Ist das Oberflächliche am Anfang unserem Geist sehr leicht zugängig, erfordert eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Botschaft Christi mehr Tiefgang. Doch in der Tiefe wird es nicht klarer sondern unklarer.
Es scheint in der ‚Natur‘ des Evangeliums zu sein: je tiefer man vordringen möchte, um so unklarer wird sie. Je mehr man sich mit ihr beschäftigt, um so mehr Fragen kommen auf.

Thomas von Aquin als Beispiel

Er, der große Theologe, wurde unter anderem durch seine „Summe der Theologie“ bekannt. Meterlange Buchreihen von höchsten theologischen Abhandlungen kamen aus der Feder dieses Theologen. Vielleicht ist die Fülle seiner Abhandlungen zugleich ein Zeichen seiner eigenen Suche, die Frohe Botschaft verstehen, begreifen zu wollen?
Kurz vor seinem Tode wurde er aufgefordert, unbedingt seine theologischen Gedanken weiter nieder zu schreiben, doch er soll geantwortet haben:

„Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe.“ – („omnia quae scripsi videntur michi palee“)

Am Ende seines Lebens sieht Thomas ein, dass man Gott und dass man Jesus Christus nicht begreifen kann. Er mag sich noch so sehr und hochtheologische Gedanken über Gott machen können, aber was Gott ist, lässt sich nicht erfassen.
Auch für den großen Gelehrten bleibt Gott der Unfassbare.

Ähnliches kann man auch von Jesus Christus sagen.
Vieles ist uns von ihm so vertraut. Hören wir bestimmte Stichwörter aus den Evangelien, ‚wissen‘ wir schon, wie es weitergeht.

Weiterhin Suchender und Fragender

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Wer sich aber immer wieder mit den Schriftstellen im Evangelium beschäftigt, wird ent-decken, dass es immer wieder etwas Neues zu ent-decken gibt, so vertraut einem auch diese Schriftstellen sein mögen.

Das finde ich – auch noch nach Jahrzehnten – so faszinierend am Evangelium und an Jesus Christus uns seiner Botschaft.
Mal meine ich (ihn) begriffen zu haben, ein ander Mal habe ich mehr Fragen als Antworten.

Und so bleibe ich ein ewig Suchender und Fragender mit einer für mich entscheidenden Frage:

Was möchte ER mir sagen?

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Klingt vielleicht naiv, aber für mich ist es der beste geistliche Zugang zur Botschaft Jesu Christi, weil ich davon überzeugt bin, dass ER für mich eine Botschaft hat – wie für jede andere Person auch.

Wir können gemeinsam suchen, aber jede und jeder von uns wird seine je eigenen Antworten erhalten, auch wenn manche Antworten äußerlich übereinstimmen, so haben sie für jeden von uns einen ganz eigenen Stellenwert, der sich an unserem ganz konkreten Leben festmacht und uns in einer ganz bestimmten Lebenssituation erreicht.

Das Wort aus dem heutigen Evangelium: „… er blieb ihnen verborgen …“ ist deshalb für mich kein Grund zu Resignation, sondern ein Grund, mich immer wieder und weiter auf die Suche nach IHM zu machen und mich von SEINER BOTSCHAFT ansprechen zu lassen.


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Herr Jesus Christus,
„Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir“ – so
betete Thomas von Aquin einst zu dir.
Ich bin weder ein großer Theologe
noch ein begnadeter Dichter.
Deshalb spreche ich in ‚meiner‘ Sprache:

Du bleibst auch mir manchmal verborgen
und ich verstehe dich nicht.

Das ist manchmal frustierend,
besonders dann, wenn ich Fragen habe
und Antworten suche
und sie vermeintlich nicht bekomme.

Dennoch spüre ich
in mir
immer wieder – und noch –
die Motivation, nach dir
zu suchen;
dich verstehen zu wollen,
damit du dich mir
ent-bergen kannst.

Halte die Sehnsucht
nach dir
nach deinem Wort
nach deiner Liebe

in mir lebendig

bis zum letzten Atemzug.

Amen!

(c) Gerd Wittka, 25. September 2021




Rarität – gute geistliche Literatur

oder: die eigene kritische Haltung bei wohlmeinender Literatur nicht an der Garderobe abgeben!

Auch ich brauche (geistliche) Impulse

Als Seelsorger, geistlicher Begleiter und Priester bin ich auch immer wieder auf geistliche Impulse und geistliche Begleitung angewiesen.

Dies schreibe ich deshalb gleich zu Beginn, weil ich der tiefsten Überzeugung bin, dass niemand zu Lebzeiten geistlich vollendet sein wird. Denn ich meine, das der eigene geistliche Weg engstens mit der eigenen Lebensgeschichte verwoben ist, also auch mit all ihren Höhen und Tiefen, mit ihren starken und schwachen Phasen.

Und so fand ich vor einigen Wochen ein Buch, dessen Titel mich sehr ansprach, weil es offensichtlich auch „meine“ Themen in den Blick nahm.

Es ist das Buch von
Ronald Rolheiser, Beten – Offen werden für Gott,
erschienen im Herder-Verlag 2013

Doch leider verließ mich schon auf den ersten Seiten die Motivation, dieses Buch weiterzulesen; es verließ mich auch auf diesen ersten Seiten schon die Hoffnung, dass dieses Buch mir auf der Suche MEINES geistlichen Lebensweges wertvoller Impulsgeber sein könnte.

Warum? Das will ich hier darlegen …



Was erwarten Sie?

Oder: ich warte noch etwas, bevor ich meine Gedanken darlege und frage Sie unumwunden: Was würden Sie von einem solchen Buch erwarten? Welche Voraussetzungen müsste es mitbringen, dass Sie sich angesprochen und gemeint fühlen?

Ich würde annehmen, dass Sie sich und Ihre eigene Lebenssituation irgendwie wiederfinden wollen. Dieses Buch sollte Ihnen in Ihrer ganz konkreten Lebensituation Impuls geben, die Sie aufgreifen und weiterdenken können, um Ihren eigenen geistlichen Weg finden und gehen zu können.

Schubladen-Denken

Das wiederum bedeutet:
– Das Buch muss sich zurückhalten bei Einredungen
– Es darf nicht nur so von ‚Setzungen‘ wimmeln. Damit meine ich unbewiesene oder auch unbegründete Behauptungen in den Raum zu stellen, die dann als Basis für weitere Gedankengänge genutzt werden.
– Das Buch muss Offenheit und Weite ausstrahlen. Gerade diesen Aspekt nimmt der deutsche Titel des Buches auf: „OFFEN werden für Gott“. Im englischen Originaltitel heißt es: „Prayer – our deepest longing“! (übersetzt: „Gebet – unsere tiefstes Sehnsucht“). Offenheit und Respekt davor, dass jedeR seinen/ihren eigenen spirituellen Weg finden muss, ist Grundlage einer geistlichen Begleitung, die das menschliche Individuum als Ebenbild Gottes ernst nimmt.

Doch genau da beginnt schon das „Problem“ dieses Buches.

Bereits die ersten Seiten wimmeln nur so vor Formulierungen, die in mir das Gefühl zurück lassen, dass der Autor (s)eine Definition von Welt und Wirklichkeit setzen will, auf die er dann seine weiteren Gedanken aufbaut.

Dabei stellt er diese Definition(en) so allgemeinverbindlich dar, dass man meinen muss, dass sie auch allgemeingültig sind. Sind sie aber nicht!
Sie sind allenfalls die Meinung, die Auffassung, das Dafürhalten einer Welt, wie sie sich dem Autor subjetiv darstellt.

Ich möchte das an einigen Textbeispielen verdeutlichen:

„Wir leben in einer Welt, die die Realität auf das Stoffliche reduziert hat: auf das, was man empirisch messen, sehen, anfassen, schmecken oder riechen kann. Wir leben in einer Welt des spirituellen Analphabetismus…“ (S. 9)

Stimmt das aber?
Oder ist das lediglich verbales Kauderwelsch oder gar eine schlechte Übersetzung aus dem Englischen?
Was können wir denn „empirisch riechen“? Verstehen Sie, was der Autor damit meint?
Und ist unsere Realität tatsächlich auf das Stoffliche reduziert?

Was ist dann mit der Psychologie, mit den Geisteswissenschaften? Was ist mit solchen Erfahrungen und Wahrnehmungen von Liebe und Hass, von Zuversicht und Hoffnung auf der einen oder Resignation und Perspektivlosigkeit auf der anderen Seite?

Hat der Autor recht, dass wir nur die „stoffliche Realität“ in unserem Leben zulassen?

Ich bin sicher: Nein!

Jeder Mensch, der Zuneigung zu anderen Menschen spürt, auch das, was wir Liebe nennen, lebt zumindest hier schon einmal aus einer nichtstofflichen Realität, die zudem eine nicht zu unterschätzende Rolle in unserem Leben spielt, wenn es um das eigene Glück geht.

„Wir leben in einer Welt des spirituellen Analphabetismus. (…) Wenn nur die Oberfläche zählt, dann ist es schwer, sich verzaubern zu lassen, von Poesie, vom Glauben, von der Liebe.“ (ebd. S. 9)

Was für ein Geschwurbel?!
Erst sagt er, dass wir in einer Welt leben, wo das rein Stoffliche gilt. Dann aber erwähnt er ganz selbstverständlich, dass es die Poesie, den Glauben und die Liebe gibt.
Wenn es sie gibt, sind sie dann keine Realität?

„Wir haben unsere Sehnsucht trivialisiert, domestiziert. Statt uns nach dem Transzendenten zu sehnen, betäuben wir uns und lenken uns ab, indem wir unsere Sehnsüchte auf das „gute Leben“ ausrichten. auf Sex, Geld, Erfolg und all die anderen Dinge, die vermeintlich „jeder hat“.“ (S.10)

Liebe LeserInnen, erkennen Sie sich da wieder? Herr Rolheiser ‚analysiert‘ Sie gerade, Sie und Sie und mich und dich … jedeN LeserIn!

Sie trachten also in Ihrem Leben nach Sex und Geld, Erfolg?!
Jetzt würde ich gerne Ihr Gesicht sehen und Ihre Gedanken lesen können! 😉

Entweder, Sie schmunzeln oder lachen lauthals oder Sie ärgern sich jetzt!
Beides ist berechtigt.

Ich ärgere mich über einen solchen „Mitbruder“, der mal wieder die Moralkeule schwingt und mal so eben nonchalance uns alle in ein- und dieselbe Schublade steckt!

Vielfalt statt Einfalt!
„Ist es nicht auch jener Theo in uns allen…?“ (Otto Waalkes)

Der Autor präsentiert fröhlich und frei die erste große Schwäche seines Buches gleich zu Beginn, im Vorwort:
Mit Pauschalierungen versucht er seine Leserschaft einzunorden; er sagt, was Sache ist … und dabei kennt er doch die wenigsten seiner Leserschaft persönlich.

Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ja, der Autor darf auch mit Subjektivierungen arbeiten. Ja, er darf von seinen eigenen Erfahrungen ausgehen oder er darf auch Beispiele nennen aus seiner seelsorglichen Praxis. Solche Beispiele können hilfreich sein, insbesondere dann, wenn wir zwischen uns und den Beispielen Übereinstimmungen erkennen, wo wir dann sehr persönlich einsteigen können; aber auch in dem Bewusstsein, dass der/die andere niemals ich sein kann und ich niemals der/die andere bin!

Solche subjektiven Beispiele können Einstiegshilfen sein, an denen sich eine Beobachtung erklären lässt.
Sie dürfen aber niemals zur Verallgemeinerung führen, die meistens mit solchen Worten entlarvt werden: „Ihr“, „wir“, „wir alle“ …

Das erinnert mich sehr stark an den Beitrag von Otto Waalkes und seiner „Predigt“ über das Lied „Theo, wir fahr’n nach Lodz“

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Wenn Sie jetzt schmunzeln können, aber gleichzeitig etwas von dieser von Otto überzogenen Haltung in manchen Äußerungen von Predigern unserer heutigen Zeit wieder finden, dann nicht zu unrecht.
Der Autor Rolheiser verfällt in diesen pseudopastoralen Habitus, der sich eigentlich verbietet.
Denn es geht ihm hier ja nicht darum, dass er sich mit seiner Leserschaft solidarisiert, sondern er normiert sie.

Eine solche Normierung verbietet sich auch in der geistlichen Impulsgebung.

Das Beispiel Jesu

Wenn Sie Zeugnisse und Beispiele aus der Bibel brauchen, dann schlagen Sie einfach nur die Stellen auf, wo es zu Begegnungen zwischen Jesus und den Menschen kommt, die nicht selten buchstäblich heilsam sind. Sie sind deshalb heilsam, weil Jesus sich auf die je eigene Geschichte und auf das je eigene Bedürfnis der Menschen einlässt, denen er begegnet.

Wir sind so verschieden …!

In den Texten des 06. Juli 2020 der Reihe „Te Deum“ fand ich als Ora-et-labora-Gedanken für den Tag folgenden Text:

Die Heilung wurde nicht durch Jesus „an und für sich“ möglich, sondern durch Jesus in Beziehung. Heilen und die Intimität, die es begründet, ist ein gegenseitiger Prozess, in dem der Heilende vom Geheilten ergriffen wird.“
( Carter Heyward, * 1945, us-amerikanische feministische Theologin und Pfarrerin)

Wenn wir nach geistlichen Impulsen in unserem Leben suchen, oder wenn wir selbst geistliche Impulse geben wollen, dann ist es hilfreich, sich daran zu erinnern, dass der geistliche Weg ein individueller Weg ist und das geistliche Begleitung diese Individualität immer wieder berücksichtigt und respektiert.

Ich für meinen Teil werde noch weiter in diesen Buch – kritisch – lesen, aber ich habe keine große Hoffnung mehr, dass ich dort von einer Quelle trinken werde, die mir wirkliche geistliche Nahrung wird.

Aber: wer weiß! Denn: Gott schreibt auch auf krummen Zeilen gerade!