Verstehen
Mit dem 1. Adventssonntag beginnt ein neues Jahr, ein neues ‚Kirchenjahr‘.
Im Unterschied zum weltlichen Jahr, das vom 01.01. bis zum 31.12. andauert, beginnt das ‚Kirchenjahr‘ mit dem 1. Adventssonntag und endet am Samstag nach dem Christ-König-Sonntag (katholisch) resp. dem Ewigkeitssonntag (Totensonntag – evangelisch).
Im kirchlichen Verständnis gibt es also offenbar eine andere ‚Logik‘, als der, die sich nach Jahreszeiten oder Sonnenständen richtet.
Wie ist aber die Logik des Kirchenjahres?
Ich möchte es so formulieren:
Der Anfang lässt sich nur vom Ende her verstehen!
(Gerd A. Wittka, 2024)
Ich will es an zwei Punkten verdeutlichen:
- Christkönig-Sonntag
Die Texte des Christkönigs-Sonntags sind von der Wiederkunft Christi am Ende aller Zeiten bestimmt.
Dieses Ende bedeutet nach christlichem Verständnis nicht das Ende, sondern die Vollendung der ganzen Schöpfung und die Vollendung des Heils, das Gott den Menschen und seiner ganzen Schöpfung verheißen hat.
Das Ende des Kirchenjahres lässt unseren Blick also nach vorne richten, wenn man „den Menschensohn in Wolken kommen sehen“ (Mk 13, 24ff.) wird, „mit großer Kraft und Herrlichkeit“ und ER die Engel aussenden wird „und die von ihm Auserwählten aus allen vier Windrichtungen zusammenführen“ wird. (vgl. ebd.) - Beginn der Adventszeit
Ebenso sind die Lesungstexte am Beginn der Adventszeit von der Endzeiterwartung her geprägt.
Eigentlich verstehen wir die Adventszeit als eine reine Vorbereitungszeit auf Weihnachten hin. Aber das stimmt so eigentlich nicht. Denn die ersten Tage und Wochen der Adventszeit richten mit ihren Lesungen unseren Blick ebenso auf die Endzeit, in der alles vollendet werden wird.
So lautet der Evangelientext des 1. Adventssonntag im Lesejahr C, das am 1. Adventssonntag 2024 beginnt, wie folgt:
„Dann wird man den Menschensohn in einer Wolke kommen sehen, mit großer Kraft und Herrlichkeit. Wenn dies beginnt, dann richtet euch auf und erhebt eure Häupter, denn eure Erlösung ist nahe.“ (Lk 21, 27f.)
An beiden Sonntagen wird deutlich, dass die Logik des Kirchenjahres nicht der Logik des weltlichen Jahres folgt.
Denn die Logik des christlichen Glaubens lässt sich nur vom Ende her verstehen.
Und dieses Ende ist eigentlich – so paradox es scheinen mag – kein Schlusspunkt, sondern ein nie endender Höhepunkt des ganzen Schöpfungswerkes Gottes, nämlich die Vollendung der ganzen Schöpfung durch Jesus Christus.
Jetzt wird es aber noch etwas komplizierter, da nach christlichem Verständnis die Vollendung der Schöpfung nicht ein ungewisser Zeitpunkt irgendwann in naher oder ferner Zukunft ist, sondern diese Vollendung der Schöpfung reicht von der Zukunft her schon zurück in unsere jetzige Gegenwart, wenn Christus davon spricht, dass das Reich Gottes schon angebrochen ist.
So heißt es im Lukas-Evangelium Kapitel 17 Vers 21:
„Man kann auch nicht sagen: Seht, hier ist es! oder: Dort ist es! Denn siehe, das Reich Gottes ist mitten unter euch. …“
Deswegen spreche ich auch lieber von der Vollendung der Schöpfung am Ende aller Zeiten.
Wer dieses Thema vertiefen möchte, dem empfehle ich folgende Seite:
Leben von der Vollendung her. Eschatologische Hoffnung für diese Welt.
Wenn wir also jetzt die Zeit des Advents beginnen, dann geht es nicht nur um die heimelige Vorbereitung auf das Weihnachtsfest, sondern dann geht es darum, unseren Blick zu weiten auf unsere letzte christliche Hoffnung hin, nämlich dass die ganze Schöpfung – die noch unvollendet ist und Zeichen dieser Unvollkommenheit zeigt im Kreislauf der Natur, im Werden und Vergehen, in Geburt und Tod, aber auch in den Widrigkeiten irdischer Existenz wie Krankheiten, Not, Gewalt, Krieg, … – peu à peu – eine Neuschöpfung erfährt.
Diese Neuschöpfung trägt in sich schon den Samen der Vollendung und deren zarte Pflanze der Vollendung ist bereits angefangen zu wachsen, aber dieses Wachstum ist noch nicht beendet.
Ich möchte dir heute dieses Bild zum besseren Verständnis anbieten:
Dieses Bild zeigt das Ensō (japanisch 円相 Kreis), ein Symbol aus der japanischen Kalligraphie, welches in enger Verbindung mit dem Zen-Buddhismus steht.
Man kann auf diesem Bild sehr gut den Schaffensweg erkennen: ein Kreis wird gezogen bis zur Vollendung.
Unser christliches Verständnis von Vollendung der Schöpfung ist quasi wie das Malen dieses Kreise.
Es beginnt mit einem bestimmten Zeitpunkt und entsteht unter der Führung des Pinsels, nimmt immer mehr Kontur und Form an, ist aber noch nicht vollendet.
Wenn es dann zu Ende gebracht ist, geht das Ende des letzten Pinselstriches über in den Anfang und es entsteht ein Kreis, ein Symbol, das weder Anfang noch Ende kennt.
Vielleicht ist deshalb der Adventskranz mit seiner Kreisform das etwas bessere Symbol für den Advent.
Der kreisrunde Adventskranz zeigt damit die Hoffnung auf diese Vollendung an, die schon begonnen hat und in deren Vollendungsprozess wir mitten drin stecken … mit dem Blick in eine Zukunft, wo diese Vollendung abgeschlossen sein wird.
Um so den Advent zu begehen, braucht es schon Mut und die Bereitschaft, den christlichen Glauben zu vertiefen.
Dazu lädt uns diese Adventszeit wieder ein.
Ich wünsche dir und euch – so verstanden – eine gesegnete Adventszeit!