Nach Sturm, Donner, Blitze, Regen und apokalyptisch anmutenden Zuständen
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sitzt eine Amsel früh morgens im leichten Morgenregen hoch oben auf einem Baum und
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singt, singt, singt …
Was für eine Energie! Was für ein Vertrauen in die Zukunft!
Das wirkt ansteckend und anregend auf mich!
Danke, liebe Schwarzdrossel für deinen Beitrag gegen meinen ‚morning blues‘!
Christliche Tugend: Barmherzigkeit
Was ist Barmherzigkeit?
Vorbemerkungen zum besseren Verständnis der nachfolgenden Gedanken:
Alles, was ich hier schreibe, bezieht sich nicht auf eine konkrete Person (auch wenn ein konkreter Anlass diese Zeilen begründet), sondern auf den Umgang mit einer Thematik, die immer noch in Kirche und Gesellschaft tabuisiert und in der Breite nicht ernst genug genommen wird.
Und noch etwas Entscheidendes muss ich voran schicken, damit die nachfolgenden Ausführungen besser eingeordnet und verstanden werden können:
Grenzüberschreitungen sind niemals eine Bagatelle!
„Keinen Zutritt!“ – www.pixabay.com
Sie sind nicht harmlos, erst recht, wenn eine bestimmte Vertrauensbasis vorliegt oder sie sogar mit Machtmissbrauch verbunden ist, wie es zum Beispiel oft bei Schutzbefohlenen, Kindern und Jugendlichen der Fall ist. Sie sind insbesondere dann noch gefährlicher, wenn sie mit körperlichen oder sexualisierten Grenzüberschreitungen einhergehen.
Denn so stellen sie zudem einen massiven Angriff auf die sexuelle Integrität eines Menschen dar, die dann ganz besonders brisant ist, wenn diese Menschen sich in einer Entwicklungsphase der eigenen sexuellen Identitätsfindung befinden, wie bei heranwachsenden Kindern und Jugendlichen rund um oder in der Phase ihrer Pubertät.
Die Suche zum ‚Ich‘ braucht umfassenden Schutz!
Seit Ende der 1990er Jahre beschäftige ich mich zwangsläufig, eher unfreiwillig und notwendigerweise, mit diesem ganzen Themenkomplex, der mir schon Ende der 1990er Jahre in einer kirchlichen Beratungsstelle für sexuell übertragbare Krankheiten begegnet ist. Später wurde ich massiv als Gefängnisseelsorger mit der Thematik konfrontiert und bis zum heutigen Tage als Krankenhaus-Seelsorger in einer Psychiatrie.
Dazu kommt, dass ich selber – als heranwachsender Jugendlicher und sogar später als Priester – Opfer sexueller Grenzverletzung und Übergriffigkeit geworden bin. Selbst mit Anfang meiner 40er Jahre habe ich in einer früheren Pfarrei durch eine deutlich älteren Frau in einer völlig unverfänglichen gottesdienstlichen Situation (Wohnungseinsegungsfeier!) körperlich-sexuelle Übergriffigkeit erfahren. Für mich als erwachsener Mann, der seine sexuelle Integrität gefunden hat, war dies trotz allem sehr irritierend, verstörend und hat eine Flut unterschiedlichster Gefühle in mir ausgelöst wie Wut, Ohnmacht, Ekel und Abscheu. (Mein Gedanke damals: am liebsten hätte ich der Frau eine kräftige Ohrfeige geben! – Im Pott würde man sagen: „Eins in die Fresse gehauen!“)
Wenn ich mich dann frage, was solche oder ähnliche Erfahrungen bei Menschen auslösen kann, die ihre sexuelle Integrität noch finden müssen, liegt die berechtigte Vermutung nicht fern, dass bei ihnen massiver Schaden entstehen kann.
Ich kann somit für mich in Anspruch nehmen, in dieser Thematik ‚bewandert‘ zu sein.
Und ich sage auch: Mir behagt es nicht, mich auch selber als Betroffener sexueller Übergriffigkeit zu outen. Aber ich halte es im Hinblick auf andere mögliche Opfer für meine moralische Verantwortung, dieses jetzt und hier zu tun. Zumal ich in den Diskussionen immer wieder erfahre, dass betroffene Menschen nicht ernst genommen werden, so als wäre das lediglich ein kleines Randthema. Doch die Statistiken sprechen eine ganz andere Sprache. Und ich habe immer wieder erfahren, dass Menschen, die in solchen Thematiken ihre berechtigten Sorgen und Ängste formulieren und in Protest ausdrücken, ebenfalls nicht ernst genommen werden. Mitunter unterstellt man ihnen sogar niedere Beweggründe.
Und wenn der Umstand, von meiner eigenen persönlichen Lebensgeschichte zu erzählen, die Sensibilität für dieses Thema erhöht und dadurch mehr Menschen vor solchen Taten bewahrt werden können, dann hat sich mein Outing schon gelohnt!
Komme ich aber nun zum eigentlichen Anlass dieses Beitrags.
Vor einigen Wochen konnten wir in unserer Pfarrei eine Situation erleben, die sich mit der Frage konfrontiert sah, ob ein Seelsorger – der in der Vergangenheit wegen zwischenmenschlichen Grenzüberschreitungen seine frühere Aufgabe in einer anderen Stadt aufgeben musste – nun in unserer Pfarrei als Priester und Seelsorger eingesetzt werden solle?
Wenn Schutzmauern zerbrechen oder zerbrochen werden – www.pixabay.com
Ohne näher auf diese Angelegenheit eingehen zu wollen, will ich kurz zwei „Lager“ skizzieren, wie ich sie persönlich wahrgenommen habe.
Die eine Seite bewegte berechtigte Sorgen und Ängste, ob bei einem neuerlichen Einsatz solche Grenzüberschreitungen sicher vermeidbar wären? Sie hatte berechtigte Fragen, auf der sie keine zufriedenstellenden Antworten bekommen haben. Deshalb irritierte sie auch sehr stark der Prozess dieser Personalentscheidung. Sie hatte die Courage und den Mut, diese offenen Fragen, ihre Sorgen, Ängste und Verunsicherungen zu artikulieren. Nach allem, was wir über Grenzüberschreitungen und Missbrauch empirisch wissen, sind diese offenen Fragen und Sorgen berechtigt.
Da ist zum Beispiel die immens wichtige Frage, ob die damaligen Grenzverletzungen nicht auch eine Vorstufe zu weiteren Handlungen hätten sein können? Wir wissen aus der wissenschaftlichen Forschung rund um Missbrauchsbiographien, dass Täter:innen mitunter – wenn auch nicht geplant – austesten, ‚wie weit sie ohne Widerstand gehen können‘. Da ist die Frage erlaubt: Wer ‚garantiert‘ keine Wiederholungsfälle? Wer übernimmt persönlich die Verantwortung dafür, wenn sich ’so etwas wiederholt‘? Und dann sind da die nicht unerheblichen Fragen und Unsicherheiten von Eltern und Erzieher:innen: „Woher bekommen wir die Sicherheit, unsere Kinder und Jugendlich der ‚Kirche‘ anvertrauen zu können, die – nach ihrer eigenen Wahrnehmung – nur so unzureichend auf den vorhersehbaren Widerstand vorbereitet war?“
Diese Fragen stehen im Raum und sie zu leugnen oder zu bagatellisieren, hieße, die Sorgen derer, die diese berechtigten Fragen stellen, nicht ernst zu nehmen.
Weil so viele essentielle Fragen und Anmerkungen unbefriedigend beantwortet wurden, deshalb war der Widerstand gegen diese Personalie – nach meinem Dafürhalten – auch so heftig.
Meine persönliche Meinung zu den Anfragen und Protesten: sie waren berechtigt, gut begründet und deshalb nötig!
Wir sind verpflichtet zu der widerständigen Menschlichkeit, die wir an Jesus Christus selbst und somit an Gott, der für uns da ist, sehen und von ihm lernen können. Dabei bleiben wir aber auch Suchende nach mehr Frieden und nach mehr Früchten der Gerechtigkeit und Liebe (vgl. Jes 32,17).
Franz-Josef Overbeck, Bischof von Essen, in: TE DEUM, März 2024, S. 84
Und dann ist da die andere Seite. Sie war geleitet von dem Gedanken, diesem Seelsorger ’noch einmal eine Chance zu geben‘.
Dies wurde mitunter damit begründet, dass ja weder ein strafrechtliches noch ein kirchenrechtliches Verfahren zu der Schlussfolgerung kam, dass hier strafbares Handeln vorläge. Diese Seite zieht damit einen rein formaljuristischen Umstand als Begründung heran. Dem entgegnete aber jemand, dass mit einem schärferen Strafrecht (wie es es in anderen Ländern gibt) diese Beurteilung auch ganz anders hätte aussehen können. Insofern sei dieses ‚Argument‘ nicht objektiv hinsichtlich dessen, wie solche Taten bewertet werden können.
Diese ‚andere Seite‘ schien häufig über den konkreten Sachverhalt nicht hinreichend informiert zu sein. Auf die kritische Nachfrage, ob sie sich mit der IPP-Studie des Bistums Essen beschäftigt hätten, wo dieser Sachverhalt auch explizit benannt wird, bekam man oft die Antwort, dass sie diese Studien und insbesondere den betreffenden Abschnitt gar nicht gelesen hätten.
Jemandem eine Chance geben zu wollen, wurde übrigens auch von Menschen gefordert, die im nächsten Satz zugaben, dass sie ‚ihr Kind aber nicht als Messdiener:in in die Kirche schicken würden, wenn besagter Priester bei ihnen eine Messe feiern würde‘.
Und dann tauchte auch das ‚Argument‘ „Barmherzigkeit“ auf.
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Es sei schließlich christliche Überzeugung, Barmherzigkeit zu üben. Und in solchen Situationen würde sich zeigen, inwieweit wir es mit der christlichen Barmherzigkeit ernst nehmen würden.
Es waren übrigens zum Teil dieselben Personen, die Barmherzigkeit einforderten, die mit denen, die gegen diese Personalentscheidung aus den oben ausgeführten Gründen protestierten, recht unbarmherzig umgingen. Man warf ihnen „Hexenjagd“ vor oder dass sie andere Menschen aufwiegeln würden, sich diesem Protest anzuschließen.
Gerade an diesem Punkt musste ich für mich erkennen, dass es bei der eingeforderten Barmherzigkeit also nicht um eine christliche Grundhaltung ging, sondern diese vermeintliche Forderung nach Barmherzigkeit eher zu einem populistischen Kampfbegriff verkam.
Und das ist für mich die unchristlichste Form mit Barmherzigkeit umzugehen. Barmherzigkeit im christlichen Sinne ist nicht einseitig; Barmherzigkeit dürfen alle Seiten für sich einfordern.
Es scheint so, als lohne es sich, anhand des oben genannten Sachverhalts das Gebot der Barmherzigkeit genauer zu beleuchten. Dabei wird es sicherlich auch notwendig sein, andere Aspekte in den Blick zu nehmen, die zeigen werden, das Barmherzigkeit unter verschiedensten Blickwinkel betrachtet werden muss.
Da wäre die Barmherzigkeit gegenüber jenen Menschen die Fehler begangen haben. Barmherzigkeit ist hier durchaus im umfassenden Sinne gemeint. Welches Verhalten ist ihnen gegenüber wirklich barmherzig? Kann es nicht auch ein Akt der Barmherzigkeit sein, Menschen, die Fehler begangen haben und neue Wege gehen wollen, nicht immer dem kritischen Blick auszuliefern, der da mit Argusaugen schaut, ob dieser Mensch nicht schon wieder denselben Fehler macht? Was macht den Unterschied zwischen „Barmherzigkeit“ und ‚Schwamm drüber!‘?
Dann müssen wir auch die Barmherzigkeit in den Blick nehmen, die die Betroffenen im Hinblick auf ihre eigenen Erfahrungen von Grenzüberschreitungen und Missbrauch erwarten dürfen. Ferner geht es um die vor- und fürsorgliche Barmherzigkeit potentieller Betroffenen und Opfern gegenüber. Es gibt also auch eine präventive Barmherzigkeit.
Und nicht zuletzt geht es auch um Barmherzigkeit denen gegenüber, die ihre Ängste, Sorgen, offenen Fragen beherzt in einem öffentlichen Protest zum Ausdruck gebracht haben.
Folgende Fragen bewegen mich in diesem Zusammenhang:
Was ist (mit) Empathie?
Welche Zuordnungen gibt es zwischen Empathie (für Täter und Opfer/Betroffene) und Barmherzigkeit (gegenüber Tätern und zugleich gegenüber – potentiellen – Opfern/Betroffenen)?
Welches Maß an Barmherzigkeit ist zumutbar?
Gibt es auch Grenzen von Barmherzigkeit?
In welcher Zuordnung stehen Barmherzigkeit, Vergebungsbereitschaft und Gottes-, Selbst- und Nächstenliebe sowie der Schutz und die Anwaltschaft für Opfer, Betroffene und Schutzbedürftige?
Indem ich diese Zeilen schreibe, merke ich, dass diese Fragen nicht alle auf einmal beantwortet werden können. Ein Blogbeitrag und ein Tag reichen nicht aus, um diesem Thema gerecht zu werden, weil es einfach zu komplex wird und sich ‚einfache‘ Antworten bei einem so sensiblen Thema geradezu verbieten?!
Ich werde mich also in einem späteren Beitrag mich mit diesen oben genannten Fragen beschäftigen und meine Gedanken dazu niederschreiben.
Über konstruktive Kommentare, die bereit sind, auch in der Tiefe eine Begründung zu liefern würde ich mich sehr freuen! Destruktive Kommentare oder gar Beschimpfungen werde ich nicht freigeben!
Von Gott umgeben
Impuls zum Erinnerungsgottesdienst am 01. Juni 2023
„Von Gott umgeben“ – so steht es über diesem Erinnerungsgottesdienst. Für manche steht hinter diesem Motto ein Fragezeichen. Für andere ein Punkt oder sogar ein Ausrufezeichen!
Wir möchten heute hinter diesem Wort ein Ausrufezeichen setzen. Zugleich wissen wir aber um die Schwierigkeit dieser Aussage.
Unser Glaube will uns sagen: Von Gott sind wir in jedem Moment unseres Lebens umgeben, so wie das Meer die Fische umgibt.
Ob wir es wahrnehmen oder nicht: Gott ist immer da! Das ist auch seine biblische Selbstzusage: „Ich-bin-der-ich-bin-da!“
In den Höhen und Tiefen unseres Daseins, in den Zeiten der Freude und der Trauer, ist Gott an unserer Seite. Seine Liebe und Gnade umhüllen uns wie ein schützender Mantel.
Von dem Theologen Karl Rahner stammt das Wort:
„Glauben heißt nichts anderes, als die Unbegreiflichkeit Gottes ein Leben lang auszuhalten.“
(Karl Rahner SJ)
Dieses Wort sagt mir: sich Gottes Weisheit und seines Reichtums bewusst zu werden und gleichzeitig zu akzeptieren, dass unsere menschliche Erkenntnis begrenzt ist.
In Momenten der Unsicherheit und des Zweifels kann es herausfordernd sein, die Entscheidungen Gottes zu verstehen.
In den Zeiten, in denen wir vor den Geheimnissen des Lebens stehen, könnten wir uns daran erinnern, wie wunderbar Gott ist.
Seine Entscheidungen sind manchmal unbegreiflich für uns, und seine Pläne sind undurchdringlich. So haben wir gerade im Psalm und in der Lesung gehört.
Ja, aber auch sein Reichtum ist unendlich, seine Weisheit unermesslich, und seine Gedanken sind tiefer als wir es je begreifen können, sagen uns die Texte.
Wir können uns nur einen winzigen Ausschnitt von diesem Reichtum und von dieser Weisheit vorstellen. Doch auch das ist überwältigend: Die Schönheit der Natur, die Harmonie im Universum, die Liebe, die uns umgibt – all das sind Zeugnisse von Gottes Größe und Güte. Es erinnert uns daran, dass wir Teil eines größeren Plans sind, der über unseren menschlichen Verstand hinausgeht.
Und so stehen wir vor den unbegreiflichen Entscheidungen Gottes und den undurchdringlichen Plänen, die er für uns hat. Wir müssen anerkennen, dass wir nicht immer Gottes Absichten erkennen können. Unsere Vorstellungen von Richtig und Falsch, von Gut und Böse mögen manchmal in Konflikt stehen mit dem, was Gott vorhat.
Inmitten dieser Unbegreiflichkeit offenbart sich jedoch gerade die Größe Gottes.
Es erfordert deshalb Mut und gläubiges Vertrauen in Gott, unsere eigenen Pläne loszulassen und uns in die Hände desjenigen zu begeben, der die Zukunft kennt.
Unsere menschliche Begrenztheit wird immer eine Trennlinie zwischen uns und der vollkommenen Erkenntnis Gottes sein. Aber in diesem Spannungsfeld liegt auch ein Segen. Denn gerade in unserer Begrenztheit kann uns unser Glaube helfen, uns auf das Geheimnis Gottes einlassen und uns von seiner Liebe und Gnade umfangen zu wissen. Dann kann sich ein Trost in uns ausbreiten, auch wenn wir weder Gottes Willen noch den Sinn verstehen und auf das „Warum?“ noch keine Antwort finden.
Lasst uns die Gewissheit in unseren Herzen tragen, dass Gott uns niemals allein lässt. Mögen wir seine Gegenwart in jedem Augenblick spüren und uns von seiner Liebe tragen lassen, auch wenn wir nicht alles verstehen.
Leben in Fülle
„ …Der Terminkalender ist manchmal randvoll. Es gab viel zu tun. Einiges ist geschafft und erledigt worden, Arbeiten fertig gestellt, Herausforderungen gemeistert. Manchmal einen Augenblick Zeit zur kurzen Pause, dabei schnell ein Brötchen oder Keks heruntergebissen. Abends dann zuhause: Arbeitspensum okay, aber müde und erschöpft, noch etwas ‚abschädeln‘, um den Tag hinter sich zu lassen und dann ab ins Bett … morgen ist ja auch noch ein Tag…“
Leben in Fülle?!
Ein langes Wochenende steht bevor. Schnell noch einkaufen gehen, sich durch die Gänge des Ladens zwängen. Ich bin nicht die einzige Person. Viele wollen noch – mal eben schnell – alle Besorgungen erledigen. „Vergiss nicht das und das noch einzukaufen“ – schießen die Gedanken durch den Kopf. Dann ab zur Kasse: alle vier Kassen besetzt, davor riesige Schlagen, es ist voll. Die Waren aufs Kassenband legen – Einkaufswagen randvoll. „Warum das alles aufs Band packen, wenn es am Ende doch wieder runter muss und wieder in den Einkaufswagen?“ – Am Ende: ziemlich viel Geld ausgegeben. Muss zuhause das Budget überprüfen. Einkaufswagen voll – Geldbörse leer!
Leben in Fülle?!
Leben in Fülle! – so zumindest verheißt es Jesus im heutigen Evangelium!
Ich komme ins Nachdenken.
Begriffe sausen mir durch den Kopf: Fülle, voll, große Menge, …
Was meint Jesus? Spricht er von Quantität? Meint er ein langes Leben, möglichst alt zu werden?
– Dann hat es bei ihm selber nicht so richtig geklappt: mit 33 Jahren schon das irdische Leben beendet.
Hm!
Ich denke weiter drüber nach.
Dann der Gedanke: nicht Quantität, nicht große Menge, sondern Qualität! – Güte, keine zahlenmäßige Menge. Fülle, die man nicht mit Zahlen beschreiben kann. Fülle die Bedeutung zum Ausdruck bringt.
Fülle des Lebens = Leben, das sich für mich als bedeutungsvoll herausstellt?! – Ich lasse mich weiter auf diese Gedanken ein.
„Fülle des Lebens!“ also kein Begriff aus der mathematischen Mengenlehre!
(Schüler:innen der 1970er und 1980er Jahre wissen, wovon ich rede!)
Plötzlich dann das geflügelte Wort in meinem Kopf: Nicht: dem Leben Tage geben, sondern den Tagen Leben geben!
Hört sich klug und weise an! Wie aber geht das? Wie kann jeder Tag, wie kann mein Leben bedeutungsvoll und sinnvoll sein oder werden?!
Hat Jesus das gemeint? – Wenn ja, dann könnte auch sein zeitlich kurzes irdisches Leben ein „Leben in Fülle“ gewesen sein.
Ich habe das Gefühl: so langsam komme ich auf die Spur!
Da erkenne ich, dass Jesus zu seinen Lebzeiten auch nicht alle kranken Menschen geheilt hat.
Ja, es ist von vielen Heilungsgeschichten die Rede, aber die meisten Kranken, Aussätzigen seiner Zeit werden körperlich ungeheilt geblieben sein. – Das kann ich beklagen. –
Aber es zeigt mir auch: Es ging Jesus nicht darum, ein großes Pensum zu schaffen. Es ging ihm um die Bedeutung seines Handelns und seiner Predigt für die Sinnfrage.
Die Heilungen waren für den einzelnen Menschen sicherlich wichtig und bedeutsam. Aber für die Umstehenden waren sie deshalb nicht weniger bedeutsam!
Denn sie erfuhren etwas von Gott, von seinem Wesen von seiner Liebe: Du bist wichtig! Ich sorge mich um jeden einzelnen von euch! Ich möchte, dass auch dein Leben gelingt und sinnvoll ist – auch wenn du nur Zuschauer oder Zaungast einer Wunderheilung bist. Diese Heilung hat auch etwas mit dir und deinem Leben zu tun. Sie enthält eine Botschaft, die auch dich betrifft. Du bist nicht nur Gaffer eines Geschehens, sondern du bist mit gemeint!
Jetzt suche ich nach konkreten Beispielen. Was kann das für (m)ein konkretes Leben bedeuten?
Schlagworte blitzen auf:
Entschleunigung
„Fünfe gerade sein lassen!“
Vergiss die Freude nicht!
Sich von Situationen fernhalten oder sich entfernen, die mir nicht gut tun, die mir Lebensenergie und Lebensfreude rauben, ohne dass ich etwas zur Veränderung beitragen kann.
Mich mit Herausforderungen und Leiden versöhnen zu können, anstatt viel Energie damit zu verbrauche, zu sagen: „Nein, das darf jetzt nicht sein!“. Denn diese Energie fehlt mir dann, mich meiner Situation stellen zu können. (Manchmal ist das Leben in Fülle auch eine Frage von „Effizienz“ von effizienter Einteilung, psychischer, physischer und mentaler Energie!)
Körperliche und geistige Vorräte wieder auffüllen, sich Zeit zur Erholung an Leib und Seele nehmen und nicht erst darauf warten, dass sie mir wohlwollend von anderen angeboten werden.
Spirituelle, geistliche Erneuerung Raum geben durch Gebet, Meditation, Nachsinnen über Gott. Was möchte mir Gott mit meinem Leben sagen und auf den Weg geben? Wo will er mich zurüsten für mein Leben, das so einzigartig und einmalig ist?
einfach nur ‚lieben‘
Eine schöne geistliche Übung ist es, die drei Abschiedsreden Jesu aus dem Johannes-Evangelium (Kapitel 14-16) langsam und bewusst zu lesen. Aber mit einer kleinen Variation: immer dort wo „ihr“, „euch“ usw. – also der Plural – steht, durch „du“ und „dich“ ersetzen! Dann wird aus diesen drei Kapiteln des Johannes-Evangeliums eine wunderbare und große Liebeserklärung Jesu an mich ganz persönlich.
Einfach mal ausprobieren. Es wird ein neues Licht auf unsere persönliche Beziehung zu Jesus Christus werfen!
Es gibt noch so viel Stoff, über dieses Wort „Leben in Fülle“ nachzudenken.
Am Ende dieses Impulses wage ich eine Zusammenfassung, die für uns tagtäglich aufschimmern lassen könnte, was „Leben in Fülle“ auch bedeuten kann.
„Leben in Fülle“ kann heißen, am Ende eines Jeden Tages sagen zu können:
„Dieser Tag war MEIN Tag, mit allem, was mir widerfahren ist. Ich habe diesen Tag gelebt und nehme ihn an als einen Tag MEINES Lebens, so dass ich ihn abends dankbar oder zumindest mit Vertrauen zurück legen kann in Gottes Hand.“
In einem Dekret vom 22. Februar 2021 formuliert die Glaubenskongregation des Vatikans zur Frage der Segnung auch homosexueller Partnerschaften:
„…Aus diesem Grund ist es nicht erlaubt, Beziehungen oder selbst stabilen Partnerschaften einen Segen zu erteilen, die eine sexuelle Praxis außerhalb der Ehe (…) einschließen…“ (…)
Gleichzeitig erinnert die Kirche daran, dass Gott selbst nicht aufhört, jedes seiner Kinder zu segnen, die in dieser Welt pilgern, denn für ihn „sind wir […] wichtiger als alle Sünden, die wir begehen können“[12]. Aber er segnet nicht die Sünde und er kann sie nicht segnen: …“
Erwartungsgemäß hat das in den Medien und auch in den sozialen Netzwerken zu einem Sturm der Entrüstung geführt.
Aus meiner mehr als 25-jährigen seelsorglichen Praxis und Erfahrung als Diakon und Priester möchte ich dazu einige Gedanken formulieren, die auch ein Bekenntnis eines Teils meines in der Zeit gewachsenen Glaubens an den Gott und Vater Jesu Christi geworden sind.
„Kann denn Liebe Sünde sein?!“
„Gott ist die Liebe!“ – diesen Satz kennen wir und ich bin fest davon überzeugt, dass er richtig ist. Daher glaube ich auch daran, dass in allen Lebensbezügen, wo Menschen einander lieben, wo man sich in respektvoller und achtungsvoller Liebe begegnet oder hingibt, die Liebe Gottes in unserer Welt gegenwärtig und sichtbar wird.
Beispiele dieser sichtbaren Liebe Gottes sind für mich:
die Liebe, die Eltern ihren Kindern schenken, oft gezeichnet von Sorge, Fürsorge und Selbstlosigkeit
die Liebe zwischen zwei Menschen, die sich in inniger Freundschaft zugetan sind. Manchmal sprechen wir auch von ‚Seelenverwandtschaft‘ bei solchen Freundschaften
die Liebe, die Menschen in ihrem Dienst für andere zeigen, sei es in Sozial- und Pflegeberufen, im ehrenamtlichen Engagement in Gesellschaft und Gemeinschaften
die Liebe und Fürsorge für den Schutz und die Bewahrung der Schöpfung Gottes, die uns als Menschen anvertraut wurde
…
und ‚last but not least‘ in der liebenden Beziehung zwischen zwei Menschen, die ein Stück gemeinsamen Lebensweges leben und verbringen wollen in gegenseitiger Achtung und Fürsorge; in welcher auch beide Glück, Freude, Zufriedenheit und Unterstützung erfahren. Dabei spielt es keine Rolle, ob diese Beziehungen staatlich, gesellschaftlich oder auch von Seiten der Kirche(n) anerkannt und gefördert werden. Das Geschenk der Liebe braucht erst einmal nicht diese Anerkennung, weil sie sich selbst Anerkennung genug ist. Daher braucht diese Liebe auch keine Erlaubnis, keine Genehmigung.
Das Geschenk der Liebe ist letztlich also ein Akt der völligen menschlichen Freiheit. Sie ist selbst da noch frei, wo der Mensch in äußere oder innere Unfreiheit gedrängt wird. Liebe kennt also keine Grenzen und überwindet alle Grenzen.
Dieser Überzeugung liegt zugrunde, dass die Liebe Gottes selber grenzen-los ist!
Love is no sin!
Wenn also Gott die Liebe ist und seine Liebe grenzenlos ist, dann ist Liebe niemals Sünde.
Der Mensch – und das weiß ich selber am Besten – sündigt immer wieder. Aber da, wo er liebt kann er schlechterdings nicht zugleich sündigen.
Dieser Überzeugung ist auch der heilige Augustinus, wenn er den Satz tun konnte: „Liebe! Und tue, was du willst!“ – Dieser Satz wäre nicht wahr, würde Augustinus meinen, dass Liebe sündig sein könnte.
Auf die Frage: „Kann denn Liebe Sünde sein?“ kann ich heute ganz klar antworten: NEIN!
Gott segnet, was ein Segen ist
In dem oben zitierten Dekret heißt es: „…Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, Verbindungen von Personen gleichen Geschlechts im oben gemeinten Sinne zu segnen…“
Hier wird meines Erachtens ein falsches Verständnis von „Segen“ genutzt.
Der Blick in die liturgischen Bücher unserer Kirche (Messbuch, Benedictionale, …) zeigt, dass innerhalb gottesdienstlichen Tuns, wo es um den „Segen“ geht, es sich hierbei genau genommen um eine
Segensbitte
handelt!
Die Teilnehmer:innen von Gottesdiensten wissen um die Formulierung am Ende eines Gottesdienstes, wie z.B. „So segne euch der dreifaltige Gott, der Vater und der Sohn (+) und der Heilige Geist.“
Der vermeintliche Segen in der Kirche ist also immer eine Segensbitte!
Und in diesem wohlverstandenen Sinne stimme ich dem Dekret zu, wenn es sagt: …Aus diesen Gründen verfügt die Kirche weder über die Vollmacht, (…) zu segnen…“, denn die Kirche oder kirchliche Amtsträger:innen segnen nie, sondern allein Gott!
Die Frage lautet deshalb eher für mich: Wen oder was segnet Gott?
Und meine Überzeugung ist: Gott segnet, was ein Segen ist!
Im segensvollen Handeln und Tun der Menschen, sei es allein, in der Zweisamkeit oder in einer größeren Gruppe erkenne ich das, was mit dem Segen Gottes bedacht ist.
Um zu erkennen, was von Gott gesegnet ist, bedarf es deshalb keiner kultischen Handlung der Kirche in Form von „Segensfeiern“, denn solche Segensfeiern fügen keinen Segen hinzu, der nicht schon längst da ist.
Segensfeiern sind Bekenntnis und Annahme des göttlichen Segens
Aber dennoch sind öffentliche und gemeinschaftliche Segensfeiern nötig. Denn in dem Glauben, dass wir auf den Segen Gottes angewiesen sind und Gott SEINEN Segen gibt, sind wir in der Glaubensgemeinschaft verbunden.
Diese Verbundenheit zeichnet sich auch darin aus, dass wir füreinander den SEGEN GOTTES erbitten, besonders dort, wo Menschen für sich selbst und konkret bejahen, dass sie auf diesen Segen Gottes angewiesen sind, damit ihr Leben segens-reich sein kann.
Segens-bitt-feiern zu versagen heißt, die Nächstenliebe vorzuenthalten
Segens-bitt-feiern durchzuführen, ist also dann ein Akt geschwisterlicher Verbundenheit und Fürsorge, die jene, die um diesen Segen bitten, in ihrem Glauben darin bekräftigen wollen.
Wer also solche Segensfeiern verweigert, versagt den Segensbedürftigen die gläubige Solidarität, dass wir alle und in jeder Lage auf den Segen Gottes angewiesen sind.
Segens-bitte-feiern also denen zu versagen, die ihre Beziehung auf das Fundament gemeinsamer Liebe gründen wollen, ist für mich somit ein Versagen gegen die gebotene und nötige Nächstenliebe.