Christus befreit
Zum Evangelium des 4. Sonntags im Jahreskreis
Textstelle: Mk 1, 21-28
21 Sie kamen nach Kafarnaum. Am folgenden Sabbat ging er [Jesus von Nazareth] in die Synagoge und lehrte. 22 Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. 23 In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: 24 Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. 25 Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! 26 Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei. 27 Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. 28 Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.
Um es gleich vorweg zu betonen:
Um was es hier im Sonntagsevangelium geht, hat weder etwas mit psychischen Erkrankungen zu tun, noch um irgendetwas, was wir in Verbindung mit vermeintlichen ‚teuflischen Bessesenheiten‘ setzen könnten.
Es ist auch nicht sinnvoll, hier in irgendeiner Weise den Begriff des „Exorzismus“ hineinzubringen. Denn das würde uns bei der Auslegung dieser Textstelle auf die schiefe Bahn bringen.
Wie aber können wir diese Textstelle heute für unseren christlichen Glauben fruchtbar sein lassen?
Das Verständnis Jesu von ‚Dämonen‘
Wir müssen uns bewusst sein, dass die ‚Herausbeschwörung‘ von Dämonen für Jesus eine ganz andere Bedeutung hat, als wir es aus der hellenistischen oder alt-jüdischen Welt kennen.
Für Jesus ist die Herausbeschwörung von Dämonen lediglich ein Zeichen; sie soll darauf hinweisen, dass das Reich Gottes schon mitten unter uns angebrochen und die Macht Gottes in unserer Welt schon konkret erfahrbar ist.
Alle Wundererzählungen im Neuen Testament (NT) haben nur eine Zielrichtung: sie sollen die Sendung und die Botschaft Jesu Christi ‚erläutern‘ und zwar in ’sichtbaren‘ Zeichen.
Die Sendung Jesu Christi ist, die Verkündigung des Reiches Gottes, in dem die Macht des Widersachers, des Satans gebrochen und das Heil für alle Menschen angebrochen ist. Mit diesen Zeichen will Christus auf Gott, seinen Vater hinweisen.
Erfolgreiche Herausbeschwörung von Dämonen = Sichtbares Heil Gottes
Die Vertreibung von Dämonen hat also etwas mit Befreiung zu tun.
Es geht hier um die Erfahrung von Menschen, dass sie – durch welche Umstände auch immer – sich unfrei erfahren. Und diese erfahrene Unfreiheit erleben sie als Leid; ein Leid an Leib und Seele. Sie erleben den dämonischen Einfluß aber auch als ein soziales Leiden; der dämonische Einfluß verhindert oder erschwert die Beziehungsfähigkeit des Menschen; erfüllende Gemeinschaft scheint nur schwer oder gar nicht möglich zu sein. Die Folgen sind Isolation oder Separierung von anderen Menschen. Diese Isolation kann nach außen hin auch als „frei gewählte Rückzügigkeit“ verstanden werden, aber sie muss es nicht sein.
Entscheidend dafür ist, ob der ‚dämonische‘ Einfluss als Leid und als Reduktion der eigenen Lebensmöglichkeiten erfahren wird.
Der Begriff „unreiner“ Geist deutet genau diese soziale Dimension an.
Für Jesus Christus gehört es offenbar selbstverständlich dazu, dass der Mensch ein soziales Wesen ist und in dieser Gemeinschaft mit anderen er Glück, Selbstvertrauen und geistige wie körperliche Gesundheit erfahren kann.
Alles, was den Menschen also absondert, ausgrenzt und ihn hindert, in eine heilsame Gemeinschaft zu kommen, kann hier mit der ‚Besessenheit eines Dämons‘ zum Ausdruck gebracht werden.
Befreiung zum DU – höchst aktuell
In dieser Corona-Pandemie spüren wir etwas von dieser Dimension der heilsamen Gemeinschaft; wir spüren sie, indem wir sie nur sehr eingeschränkt erfahren können.
Und ja, wir müssen davon ausgehen, dass diese not-wendige Isolation, die uns helfen kann, die Pandemie schneller zu bekämpfen, an vielen von uns nicht spurlos vorüber gehen wird, insbesondere was unser Bedürfnis nach menschlicher Nähe angeht.
Seelsorge und kirchlicher Dienst – Dienst zur Freiheit
Gerade in dieser Zeit müssen wir als Christ*innen und als Kirchen fragen, wie wir heute konkret helfen können, dass Menschen in dieser Krisenzeit Befreiung erfahren?
Wir spüren, dass das gar nicht so einfach ist.
Wie wollen wir Gemeinschaft ermöglichen, wo doch gerade von Gemeinschaftserfahrungen das größte Infektionsrisiko ausgeht?
Es scheint, diese Aufgabe zu lösen, ist, wie das „Ei des Kolumbus“ zu finden.
Aber stimmt das?
Phantasie ist gefragt
Ich glaube, das stimmt nicht.
Nun ja, wenn wir Seelsorge und Christsein weiterhin nur auf die Möglichkeiten begrenzen, die wir bisher genutzt haben, dann werden wir wenig Möglichkeiten haben.
Aber wenn wir uns frei machen, von gewohnten Vollzügen, wenn wir im Gebet um den Geist bitten, der uns Phantasie gibt, die frohe Botschaft auch in einer Welt zu bekunden, wo konkrete menschliche und soziale Kontakt erschwert oder gar unmöglich sind, dann werden wir neue Möglichkeiten entdecken.
Jesus ignoriert traditionelle Vorstellungen
Nehmen wir uns ein Beispiel an Jesus. Als er den vom „unreinen Geist“ besessenen Menschen wahrnimmt, ignoriert er das Regelwerk der jüdischen Religion, das strenge Vorgaben darüber macht, was am Sabbath ‚erlaubt‘ sein und was nicht!
Aber Jesus gibt uns ein Zeichen: die Liebe und das Liebesgebot kann auch durch das Sabbat-Verbot nicht eingeschränkt oder aufgehoben werden, denn die Liebe ist das Größte.
Ich bin so frei … und vertraue auf das Wirken des Heiligen Geistes
Für mich entdecke ich diese Zeit der Pandemie auch als eine Zeit der Chancen und der Befreiung
Ich bin so frei und ich fühle mich durch Jesus Christus geradezu ermutigt, mich zu befreien von Konventionen, Regeln und Ansichten, die nur unsere „Freiheit der Kinder Gottes“ einschränken wollen und uns daran hindern wollen, das zu tun, was getan werden muss.
Auch Konventionen und die kleinliche und widersinnige Beachtung von Regeln können Zeichen einer „Bessessenheit“ sein, die uns daran hindern, das zu tun, was dem Leben und der Liebe dient.
Ich vertraue auf das Wirken des Heiligen Geistes in meinem Leben, der mich darauf hinweist, was ‚gerade dran‘ ist! Und du?
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