Im 60. Lebensjahr angekommen …

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Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Heute ist es soweit. Ich bin in meinem 60. Lebensjahr angekommen und habe das 59. Lebensjahr vollendet; oder wie man landläufig sagt: ich bin neunundfünfzig geworden.

Es ist wohl auch die Zeit meines Lebens, in der ich mir mehr und mehr Gedanken darüber mache, was ich noch vom Leben erwarte?
Keine Sorge: ich habe noch voll Bock zu leben und ich liebe das Leben, auch wenn es manchmal nicht einfach ist und mich vor großen Herausforderungen stellt!
Und ich befinde mich auch nicht in einer midlife-crisis. Dafür bin ich dann doch schon zu alt! 😉
Aber wenn ich auch der Wahrheit Raum geben will, weiß ich, dass ich schon längst den Zenit meines Lebens überschritten habe – was meine Lebensjahre angeht.

Bei mir ist es jedenfalls so, dass ich mich frage: was ist mir (noch) in meinem Leben wichtig?
Wie fülle ich meine Lebenszeit und mit welchem unnötigen Ballast ist es angefüllt?

Vieles habe ich bisher in meinem Leben für wichtig und wesentlich erachtet – aber es verliert mehr und mehr an Bedeutung.
Und Manches, was mir von anderen als vermeintlich wichtig herangetragen wurde, ob subtil oder nicht, erkenne ich mehr und mehr als unwichtig.

Dabei spielen für die Beantwortung dieser Frage für mich auch einige Aspekte und Fragen eine wichtige Rolle:
– Womit habe ich meine kleine Welt ein Stück weit verbessern können? Und wo ist aber auch Lebensenergie in irgendeine Art von Nirwana verschwunden, ohne was Positives zu bewirken?
– Woran habe ich mich weiter entwickeln können und was hat mich persönlich weiter gebracht?
– Was hat mein Leben bisher heller und lebenswerter gemacht; und was hat mir unnötig einen Teil meiner Lebensenergie geraubt?

„Mensch, werde wesentlich!“ (Angelus Silesius)

Das Wort von Angelus Silesius begleitet mich seit vielen Jahren.
Und manchmal konfrontiert es mich, wenn ich als – ach so moderner und aufgeschlossener Mensch – mich auch in der heutigen Zeit zurechtfinden und behaupten will.

Dabei erkenne ich, dass ich oft umworben oder sogar verführt werde von Meinungen und Medien. Und überhaupt nicht subtil wird mir und uns eingebläut, dass ‚man‘ doch Dieses und Jenes unbedingt ausprobieren, nutzen oder benutzen sollte!


In unserem Streben nach Freiheit und Selbstverwirklichung sind wir – leider – auch Opfer einer durchtriebenen Werbe- und Vermarktungsstrategie.


Uns wird vorgemacht, das wir da und davon einen persönlichen Nutzen haben. Aber wenn wir genauer hinsehen, dann merken wir, dass nicht wir die Nutznießer sind, sondern jene, die uns etwas als vermeintlich Wichtiges und Wesentliches verkaufen wollen.


Und in diesem Punkt kommt die Wahrheit ans Licht: andere wollen uns etwas in unserem Leben verkaufen, in dem sie uns subtil oder weniger subtil suggerieren, dass wir was davon haben.

Aber in Wahrheit wird uns etwas verkauft und wir sind es, die den anderen etwas geben: unsere privaten Daten, unser Geld, unsere Zeit, aber auch unsere Nerven und unsere Emotionen.
… und es kommt quasi nichts wieder zu uns zurück!
Mehrwert: nein!
Nutzen: nein!
Sinnhaftigkeit: nein!

Leider ist es oft so, dass uns in den seltensten Fällen „von außen“ Sinn zu kommt.
Nicht: „Was macht mir Sinn?“ ist die Frage. Sondern: „Wodurch gebe ich meinem Leben einen Sinn?“


Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass wir durch die zweite Frage unserer Freiheit mehr auf die Spur kommen, als durch von außen eingeflößter vermeintlicher Sinnhaftigkeit.

Die Frage, wodurch ich meinem Leben Sinn geben möchte, zieht auch zwangsläufig irgendwann einmal die Frage nach sich, wofür ich meine (noch verbleibende) Zeit investieren möchte?

Denn es kommt für uns alle der Augenblick, dass wir ‚keine Zeit mehr haben‘ werden. Was dann?

Besser: uns drängt sich diese Frage und die Antwort drauf auf, wenn wir (vermeintlich) noch Zeit haben, um diese dann auch zu nutzen!

Carpe diem

Bild von Nile auf Pixabay

„Pflücke den Tag!“ oder „Nutze die Zeit!“, so übersetzen wir dieses lateinische Wort.

Das erinnert mich an einem mehrmonatigen Kurs, den ich zur Mitte der 1990er Jahre absolvieren durfte.
In diesem Kurs auch eine Ordensfrau, die schon über siebzig Jahre alt war. In diesen drei Monaten kam immer wieder in ihr die drängende Frage auf, ob ihr Leben eigentlich für sie ‚richtig‘ verlaufen sei. Und sie spürte: eine Kursänderung ist nötig.
Kurz vor Ende unserer gemeinsamen Zeit sagte sie dann zu mir: „Gerd, und wenn ich nur noch einen Tag zu leben habe: diesen Tag werde ich anders leben als bisher!“

Mich hat dieser Satz schon damals umgehauen, weil diese Frau gespürt hat: es ist nie zu spät, seinem Leben eine andere Richtung zu geben, wenn man erkannt hat, dass es bisher in eine Richtung lief, die ich nicht mehr bejahen kann.

Was anders als unser christlicher Begriff der „Umkehr“ steckt hinter dieser Erfahrung der Ordensfrau?!
Ja, für Umkehr ist es nie zu spät. Es kommt nämlich nicht darauf an, wie lange diese neue Wegrichtung gegangen wird, sondern DAS sie gegangen wird!

Für diese Ordensfrau schloss diese Erkenntnis mit ein, sich auch von alten Wegen verabschieden zu müssen und vor allem zu können und zu dürfen!!
In ihrer Erkenntnis hat sie sich zugleich auch das Recht zugesprochen, den Weg der (Ver-)Änderung gehen zu dürfen! Nichts und niemand würde sie davon abhalten können!

Was für eine Befreiung!!

Befreiung von Ballast

Bild von Gerd Altmann auf Pixabay

Dies ist sicherlich ein Punkt, der zwangsläufig mit solchen Korrekturphasen einher geht: die Erkenntnis, Altes zurück lassen zu müssen und sich von Ballast zu befreien, der mich daran hindert, dem eigenen Leben eine andere, eine neue Richtung zu geben.

Leichter gesagt, als getan!
Damit gehen auch Ängste einher.

Diese Ängste spüren sicherlich die Menschen besonders hart, die sich eher unfreiwillig von Liebgewordenem verabschieden müssen: Menschen, die einen geliebten Menschen verloren haben; Menschen, die Hab und Gut verloren haben durch Schicksalsschläge, Naturkatastrophen oder durch andere gewaltsame Ereignisse wie Krieg und Gewalt.

Bevor es mir also genommen wird: ist es da nicht besser, sich in aller persönlicher Freiheit davon zu trennen?! … wenn man kann, wenn man es schafft?

Ich ahne es.

Bild von Ulrike Mai auf Pixabay

Also richte ich in letzter Zeit mehr und mehr meine Gedanken darauf, mich von dem zu trennen, was mich emotional und materiell daran hindert, neue Akzente in meinem Leben zu setzen und Korrekturen in meinem Leben vorzunehmen.

Die letzten Jahre, vor allem als ich Anfang 2020 an einer Depression erkrankt bin und auch die Corona-Pandemie haben mich heruntergeholt von hehren Gedanken. Ich bin dabei auch Irrtümern aufgesessen. Ein Irrtum ist dabei, dass ich mich z.B. in sozialen Medien an Diskussionen beteiligen könnte und damit (m)einen Beitrag zu einem Auseinandersetzungsprozess leisten könnte.

Doch dieser Erwartung ist die nüchterne und entlarvende Erkenntnis gewichen, dass die große Welt da draußen durch meine Postings und Kommentare weder besser wurde noch für mich etwas gebracht hat außer Ärger und Frust.

Das perfide an den sogenannten ’sozialen Medien‘ ist, dass sie eher asozial sind und Sozialität, Kommunikation und echte Begegnung verhindern.
Durch die Nutzung solcher Medien habe ich keine wirklich wichtigen Begegnungen gehabt, die ich nicht auch über andere Kanäle hätte finden können.

Diese vermeintlich ’sozialen Medien‘ bringen mir als Privatmenschen eigentlich keinen wirklichen Lebenszugewinn.
Sie sind eher für Menschen oder Organisationen von Interesse, die ihre Meinung und Botschaft unter die Menschen bringen wollen.

Ganz besonders habe ich das in den letzten Wochen bei dem ukrainischen Botschafter Melnyk erkennen müssen: Er postet Tag um Tag provokante Texte in seinem twitter-Account; Texte, die sicherlich auch hier und da ihre Berechtigung haben.
Nur: Er geht niemals mit denen, die seine Postings kommentieren, tatsächlich in einen Austausch, in einen Diskurs.
Dieses Medium wird von ihm bewusst als eine mediale Einbahnstraße verwendet; von Kommunikation keine Spur!
Er nutzt also seine ‚follower‘ nur aus für seine Sichtweise.

Was soll ich also da mit meinen Gedanken, wenn ich mich genau so gut auch an die berüchtigte „Parkuhr“ stellen könnte?! – Die interessiert meine Gedanken auch nicht – und seien sie noch so intelligent und ernsthaftig.

Deshalb bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich mich als einer der nächsten Schritte unter anderem auch von einigen Kanälen der vermeintlichen „sozialen Medien“ entfernen werde.
Dies mache ich aber auch noch aus einem anderen Grund, der mich zutiefst beunruhigt.

Es geht dabei um „mein digitales Erbe“.

Bei diesem Blog ist klar: wenn ich nicht mehr bin und das Geld für diese Website und Domain nicht mehr gezahlt wird, wird dieser Blog eingestellt und irgendwann ganz verschwinden.

Bei facebook, twitter und Co. erlebe ich es aber, dass dort immer noch Menschen, die ich persönlich kannte und die mittlerweile verstorben sind, mit einem eigenen Account ‚präsent‘ sind.
Hinterbliebene und andere haben daraus noch nicht einmal eine ‚Gedenkseite‘ gemacht! –

Das möchte ich nicht, dass das passiert! Ich möchte aber auch nicht, dass andere nach meinem irdischen Tod sich damit noch herumschlagen müssen.
Dies ist ein weiterer Grund, warum ich zuerst bei diesen Medien anfangen werde, meine Accounts zu löschen.

Es gilt für mich aber auch, noch andere Tummelplätze vermeintlicher Kommunikation kritisch zu hinterfragen, inwieweit sie mein Leben bereichern oder für mein Wirken dienstbar und hilfreich sind?

Bild von Alexas_Fotos auf Pixabay

Trotzdem noch erreichbar

Und ich vertrete auch nicht die irrige Ansicht, dass ich „für andere dann nicht mehr erreichbar“ sei, wenn ich mich aus manchen Medien oder Plattformen ‚verabschiede‘!
Das ist auch so ein Trugschluss!


Denn: die Menschen, die mir wichtig sind und denen ich wichtig bin, werden wissen oder herausfinden, wie wir (weiterhin) in persönlichem Kontakt bleiben können.
Für den persönlichen Kontakt brauchen wir noch viel weniger die ’sozialen Medien‘, weil persönlichem Kontakt immer auch persönliches Interesse vorangeht. Und das ist es, das dazu führen wird, dass solche Kontakte – wie auch immer – bestehen bleiben werden.

So, nun aber genug der Gedanken zum Lebensjahreswechsel.

Ich wünsche mir jetzt nur, dass das neue Lebensjahr ein von Gott gesegnetes Lebensjahr sei, wo ich Sinnvolles tun und sinnvoll leben kann; wo ich Menschen wirk-lich begegnen kann, Freundschaften pflegen und Liebe erfahren kann.
Ich wünsche mir, dass ich das Leben genießen und mich daran erfreuen kann.

Und so Gott will, darf ich in 365 Tagen auf diesen Tag zurück blicken und mich fragen, wie weit ich gekommen bin!

Es wird und bleibt spannend!

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